Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
5. Arbeitsgemeinschaft
Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung; Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich; Widerklage
Fall 10: "Das Imperium schlägt zurück!"
(vgl. BGH NJW 1964, 164; NJW 1993, 2120)
K aus Augsburg verkauft seine Tankstelle an der Landsberger
Str. für DM 3 Mio an den Hamburger Mineralölkonzern Y-AG. Die Y-AG zahlt
DM 2 Mio an, verweigert dann aber die Restzahlung mit der Behauptung,
von B und dessen Frau C arglistig getäuscht worden zu sein. K klagt daher
vor dem LG Hamburg auf Zahlung des Restkaufpreises. Die Y-AG beantragt
Klageabweisung und widerklagend, K und C zum Ersatz des Schadens zu
verurteilen, der ihr durch den Abschluß des Vertrags und die Führung
der unrentablen Tankstelle entstanden sei.
Ist die Widerklage zulässig?
Lösung:
- Zulässigkeit der Widerklage gegen K
Die Widerklage der Y-AG (künftig B) steht in einem rechtlichen Zusammenhang
mit der Hauptklage des K, da sie auf demselben rechtlichen und
tatsächlichen Grund wie diese beruht. Der Streit über die Qualifikation des
Tatbestandsmerkmal des Zusammenhangs in § 33 ZPO bedarf hier daher keiner
Entscheidung. Von den übrigen (allgemeinen und besonderen)
Sachurteilsvoraussetzungen der Widerklage ist auszugehen, so daß die
Widerklage der B gegen K zulässig ist.
- Zulässigkeit der Widerklage gegen C
- Nach Ansicht der Rspr. ist eine sog. Drittwiderspruchsklage zulässig, wenn
- sie vom Beklagten erhoben und zumindest auch gegen den Kläger gerichtet
wird. Das ist hier der Fall.
- Darüber hinaus verlangt sie, daß die Voraussetzungen der nachträglichen
Parteierweiterung vorliegen, d.h. der Dritte muß gem § 263 ZPO in die
Klage einwilligen oder diese muß sachdienlich sein, vgl BGHZ 40, 185,
187 ff:
"Zulässig ist eine Widerklage, wenn ihre besonderen
Prozeßvoraussetzungen vorliegen. Die Widerklage setzt begrifflich eine
Klage voraus, die schon und noch anhängig ist. Hieraus folgt, daß
Widerkläger ein Beklagter und Widerbeklagter ein Kläger sein muß.
Schließlich muß der mit der Widerklage geltend gemachte Gegenanspruch
mit dem Klageanspruch oder mit den dagegen vorgebrachten
Verteidigungsmitteln in rechtlichem Zusammenhang stehen. Je nachdem, was
man unter dem Begriff des Gegenanspruchs versteht - durch die Person des
Schuldners mitbestimmt oder nicht -, ist allenfalls [40,188] die letzte
Prozeßvoraussetzung auch für die Widerklage gegen die Widerbeklagten zu
2 und 3 gegeben. Die ersten beiden Voraussetzungen - anhängige Klage und
deren Kläger - liegen jedenfalls nur bei der Widerklage gegen die Klägerin
und Widerbeklagte zu 1 vor, fehlen hingegen bei der Widerklage gegen die
bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Widerbeklagten zu 2 und 3. Dieser
Mangel hätte an sich zur logischen Folge, daß die Widerklage gegen die
Widerbeklagten zu 2 und 3 auf deren - hier erfolgte - Rüge als unzulässig
abgewiesen werden müßte.
Ein solches Ergebnis kann aber nicht befriedigen. Mag es logisch sein und
eine ausnahmslose Anwendung der für die Widerklage geltenden Regeln
gestatten, so widerstreitet es doch in hohem Maße den praktischen
Bedürfnissen, denen gerade der § 33 ZPO Rechnung tragen will. Hiernach
soll die Vervielfältigung und Zersplitterung der Prozesse vermieden
werden. Zusammengehörende Ansprüche sollen einheitlich verhandelt und
entschieden werden (vgl. die amtliche Begründung zu § 33 ZPO, bei Hahn,
Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Aufl. Bd. 2, S. 158). Dies
trifft auch für den hier geltend gemachten Gegenanspruch zu, der mit dem
Klageanspruch in rechtlichem Zusammenhang steht. Beide Ansprüche müßten
auf Klage und Widerklage auch gleichzeitig verhandelt und entschieden
werden, wenn zuerst nicht, wie hier, die Klägerin, sondern die Beklagten
Klage erhoben hätten und alsdann die Klägerin ihren Anspruch gegen die
Beklagten mit einer Widerklage geltend gemacht hätte. Das Ergebnis kann
nicht anders sein, wenn sich bei sonst gleicher Sach- und Rechtslage
allein die Reihenfolge des Vorgehens der Parteien ändert, es kann nicht
vom Zufall dieser Reihenfolge abhängen. Hinzu kommt, daß die Beklagten
das mit der Widerklage verfolgte Ziel auch durch die Erhebung einer
selbständigen Klage und deren anschließende Verbindung mit der Klage
der Klägerin hätten erreichen können. Die nach § 147 ZPO mögliche
Verbindung steht zwar im Ermessen des Gerichts; sie kann daher weder
erzwungen noch kann ihre Ablehnung angefochten werden. Die Stellung der
Beklagten ist hier, rein rechtlich gesehen, schwä-[40,189] cher als bei
einer Widerklage, die durch Parteiakt - ohne richterliche Maßnahme - zur
gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung führt. Praktisch wird sich
dieser Unterschied aber kaum auswirken. Denn es ist anzunehmen, daß jedes
Gericht von dem Recht des § 147 ZPO, wenn die Voraussetzungen dafür
vorliegen, Gebrauch macht.
Eine weitere Überlegung verstärkt die Bedenken, die gegen ein nur logisch
richtiges Ergebnis sprechen, und weist zugleich den Weg zu einer
sachgerechten Lösung. Eine Widerklage wird nämlich vom Zeitpunkt ihrer
zulässigen Erhebung an wie eine selbständige Klage behandelt. Die dann
eintretende Selbständigkeit der Widerklage wird daran deutlich, daß ihr
Fortbestand, wie auch § 301 ZPO ergibt, nicht mehr von der andauernden
Rechtshängigkeit der Hauptklage abhängt. So läßt z. B. eine Zurücknahme
der Hauptklage die kurz zuvor erhobene Widerklage unberührt. Gegen die
Widerklage gibt es jetzt eine Wider-Widerklage (vgl. BGH LM ZPO § 33 Nr.
4 - MDR 1959, 571) und das Gericht kann Klage und Widerklage nach Maßgabe
des § 145 Abs. 2 ZPO voneinander trennen. Mit ihrer zulässigen Widerklage
gegen die Klägerin haben die Beklagten daher die gleiche Rechtsstellung
wie bei einer selbständig erhobenen Klage erlangt. Wie jeder andere Kläger
können sie nunmehr unter gewissen Voraussetzungen auch eine bisher am
Rechtsstreit nicht beteiligte Person verklagen.
Der Eintritt einer neuen Person als Partei wird nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung als Klageänderung angesehen,
und zwar, was die Revision verkennt, ohne Unterschied, ob die neu
verklagte Person an die Stelle des bisherigen Beklagten oder neben diesen
tritt (vgl. RGZ 108, 351; BGH LM ZPO § 264 Nr. 8). Die Revision kann sich
auch nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 21, 285
berufen. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 13. November 1961
(LM ZPO § 264 Nr. 14/15) näher dargelegt, daß die in BGHZ 21, 285
aufgestellten Grundsätze den Parteiwechsel in der Berufungsinstanz
einschränken, hingegen nicht hindern, eine Parteiänderung während der
ersten Instanz wie bisher als Klageänderung zu behandeln.
[40,190] Das Berufungsgericht hält die für die nachträgliche Parteiänderung
geltenden Regeln zu Recht auch dann für anwendbar, wenn, wie hier, sogleich
bei der Erhebung der Widerklage neben der Klägerin ein bisher am Prozeß
nicht beteiligter Dritter in den Rechtsstreit hineingezogen wird. Man
braucht insofern nicht einmal die gedankliche Sekunde, um welche die
Widerklage gegen die Klägerin der nachfolgenden Parteierweiterung
vorausgehen müßte. Denn es muß genügen, daß der Widerkläger in dem
Augenblick, in dem sich die Zulässigkeit der Parteiänderung entscheidet,
die Stellung eines selbständigen Klägers aufgrund einer zulässigen
Widerklage erlangt hat und damit in der Lage ist, auch eine ihm nicht
als Kläger gegenüberstehende Person gemäß § 264 ZPO zu verklagen.
Diese Regelung verletzt keine schutzwürdigen Interessen der Widerbeklagten.
Denn sie stehen nicht schlechter als wären sie durch eine selbständige
Klage als Gesamtschuldner, als Streitgenossen (§ 59 ZPO) verklagt und
miteinander in eine Prozeßgemeinschaft gezwungen worden. Hier wie dort
muß immer das Gericht noch darüber entscheiden, ob die Beklagten ihr mit
einer selbständigen Klage oder mit einer Widerklage verfolgtes Ziel, die
beiderseitigen Ansprüche zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu
bringen, erreichen können. Denn das Gericht muß entweder die Verbindung der
beiden anhängigen Prozesse anordnen oder es muß bei Widerspruch der
Widerbeklagten die Parteiänderung als sachdienlich zulassen. In beiden
Fällen wird sich das Gericht von den gleichen Gesichtspunkten leiten
lassen, die, wie oben dargelegt, auch dem § 33 ZPO zugrundeliegen. Es
gilt, einer Vervielfältigung und Zersplitterung der Prozesse über
zusammengehörende Ansprüche und der damit verbundenen Gefahr sich
widersprechender Entscheidungen zu begegnen.
Das Berufungsgericht hat innerhalb dieses Ermessens gehandelt, wenn
es die Parteierweiterung im vorliegenden Falle als sachdienlich zugelassen
hat. Es hat zu Recht angenommen, daß die Parteiänderung die endgültige
Erledigung des gesamten Streitstoffes der Parteien in dem anhängigen
Verfahren fördert,[40,191] eine Beschränkung der Widerklage auf einen
von mehreren in Anspruch genommenen Gesamtschuldnern hingegen zu einem
neuen Rechtsstreit gegen die beiden anderen Gesamtschuldner führen würde.
Da die Drittwiderklage auf also demselben tatsächlichen und rechtlichen
Grund wie die Haupt- und Widerbeklagte beruht und daher die endgültige
Erledigung des gesamten Streitstoffs der Parteien in einem Verfahren
fördert, ist sie sachdienlich, so daß es auf eine Einwilligung der C
nicht ankommt.
- Allerdings folgt nach neuerer Rechtsprechung
(1) die örtliche Zuständigkeit für die
Drittwiderklage nicht aus § 33 ZPO. Diese ist - falls das Gericht
nicht schon aufgrund der anderer Gerichtsstandbestimmungen für die
Klage gegen den Drittwiderbeklagten zuständig ist, gem. § 36 Nr. 3 ZPO
durch das übergeordnete Gericht zu regeln.
C hat keinen Gerichtstand in Hamburg. Dieser ist daher bei Rüge
seitens der C durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht, das ist
hier gem. § 36 Abs. 2 ZPO das hanseatische Oberlandesgericht, zu
bestimmen. Diese Bestimmung erfolgt allein nach Zweckmäßigkeitserwägungen
(2). Danach ist das LG Hamburg als bereits für
die Klage und Widerklage zuständiges Gericht auch für die Drittwiderklage
das für das gesamte Verfahren geeignetste Gericht und somit örtlich
zuständig (3).
- Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Drittwiderklage gegen
C daher zulässig.
- Nach der h.L. im Schrifttum (4)
sind Widerklagen, soweit sie Dritte betreffen, keine echten Widerklagen. Ihre
Zulässigkeit richte sich allein nach den Regeln einer normalen
Streitgenossenschaft, also allein nach den §§ 59, 60 ZPO. Danach
gelten die Privilegien der Widerklage nicht, d.h. auch nicht § 33
ZPO, so daß das Gericht aus allgemeinen Gründen sachlich und örtlich
zuständig sein muß.
- Der von B gegen K und C geltend gemachte Anspruch beruht auf
demselben rechtlichen und tatsächlichen Grund. Sie sind daher gem.
§ 59, 2. Alt. ZPO Streitgenossen.
- Die örtliche Zuständigkeit des LG Hamburg ergibt sich aus denselben
Gründen wie oben 1 c auf Grund von § 36 Nr. 3 ZPO.
- Folglich ist die Widerklage auch nach dieser Auffassung zulässig, so
daß der Meinungsstreit keiner Entscheidung bedarf.
- Ergebnis:
Die Widerklage ist sowohl gegen K als auch gegen C zulässig.
FN 1:
BGH NJW 1991, 2838; NJW 1993, 2120
(zurück).
FN 2:
MünchKomm/Patzina, § 36 Rdnr. 27
(zurück).
FN 3:
BGH NJW 1993, 2838
(zurück).
FN 4:
vgl. Zöller/Vollkommer, § 33 Rdnr. 23 a m.w.N.
(zurück).
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