Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz


Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

ZPO-Erkenntnisverfahren

5. Arbeitsgemeinschaft

Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung; Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich; Widerklage


Fall 2:          "Gute Zeiten, schlechte Zeiten - Folge 1"

Die Sportstudenten K und B haben in Augsburg gemeinsam eine 3-Zimmer Wohnung zu einem Mietzins von monatlich DM 1.200 gemietet, den sie als Gesamtschuldner schulden. Als C, bisher die Freundin des B, diesem offenbart, daß sie unsterblich in K verliebt sei, kommt es zwischen K und B zu einem heftigen Streit. B zieht deshalb aus der gemeinsamen Wohnung aus und stellt die Zahlung seines Mietanteils in Höhe von DM 600 ein. Um die Wohnung nicht zu verlieren, entrichtet K zunächst die gesamte Miete allein. Zwei Monate später können sich K, B und C mit dem Vermieter V dahin einigen, daß C als Nachmieterin des B in den Mietvertrag eintritt. B weigert sich aber, dem K seinen Mietanteil zu erstatten. Als K feststellt, daß B bei seinem Auszug eine Kiste mit 12 Flaschen Champagner mitgenommen hat, die K zur bestandenen Zwischenprüfung von seinem Vater geschenkt bekommen hatte, klagt er gegen B vor dem AG Augsburg auf Zahlung von DM 1.200 sowie Herausgabe des Champagners. B erwidert auf die Klageschrift, daß die Zahlungsklage unbegründet sei, weil K die ihm gehörende Waschmaschine im Wert von DM 900 noch nicht zurückgegeben habe; den Champagner könne er nicht mehr herausgeben, da er diesen zur Linderung seines Herzschmerzes bereits getrunken habe.
Daraufhin beantragt K, den B zur Zahlung von DM 1.200 Zug um Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine sowie zur Zahlung von DM 360 als Schadensersatz für den verkonsumierten Schampus zu verurteilen.

Wie muß das AG Augsburg entscheiden?


Lösung:

Das AG Augsburg muß der Klage stattgeben, wenn diese zulässig und begründet ist.

  1. Zulässigkeit der Klage

    1. Zulässigkeit der Klage auf Mieterstattung Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine sowie auf Schadensersatz für den Schampus

      1. K hat gem. §§ 253 Abs, 1, 261 Abs. 2 ZPO zunächst einen Antrag auf Herausgabe des Champagners sowie auf Zahlung von DM 1200 rechtshängig gemacht.
        Sein nunmehriges Begehren auf Schadensersatzzahlung von DM 360 für den konsumierten Champagner sowie Mieterstattung von DM 1.200 Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine stellt einen neuen Klageantrag dar, wenn es einen anderen Streitgegenstand als das ursprüngliche Begehren hat. Das ist nach dem sog. herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff dann der Fall, wenn gegenüber der ursprünglichen Klage der Antrag und bzw. oder Lebenssachverhalt geändert wird.
        Das nunmehrige Begehren des K hat einen anderen Antrag und somit einen anderen Streitgegenstand. Folglich muß der neue Antrag rechtshängig geworden sein. Das ist gem. § 261 Abs. 2 ZPO der Fall.
      2. Zulässigkeit der Klageänderung
        Die Einführung eines neuen Streitgegenstands in den Prozeß ist nach ganz h.M. eine Klageänderung. Zu prüfen ist daher, ob die besondere Sachurteilsvoraussetzung der Zulässigkeit der Klageänderung (vgl. §§ 263 bis 268 ZPO) gegeben ist.

        1. Die Umstellung der Antrags auf Herausgabe des Champagners auf Zahlung von Schadensersatz könnte gem. § 264 Nr. 3 ZPO zulässig sein.

          • § 264 Nr. 3 ZPO setzt zunächst voraus, daß sich die Forderung eines anderen Gegenstandes oder des Interesses auf eine nach Erhebung der ursprünglichen Klage eingetretene Veränderung stützt, d.h. die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse muß nach Erhebung der ursprünglichen Klage eingetreten oder dem Kläger bekannt geworden sein. Der andere Gegenstand oder das Interesse muß statt des ursprünglich geforderten Gegenstands gefordert werden, so daß § 264. Nr. 3 ZPO nur eingreift, wenn im Zeitpunkt der Klageänderung der ursprüngliche (prozessuale) Anspruch noch rechtshängig ist.
            K hat erst nach Zustellung der Herausgabeklage erfahren, daß B den Schampus weggetrunken hat. Folglich ist dieseVeränderung der tatsächlichen Verhältnisse erst nach Erhebung der ursprünglichen Klage eingetreten. Der ursprüngliche prozessuale Anspruch, die Klage auf Herausgabe des Schampus war im Zeitpunkt der Umstellung noch rechtshängig. Statt diesem fordert K nunmehr Schadensersatz, also das Interesse.
          • Des weiteren setzt § 264 Nr. 3 ZPO voraus, daß, abgesehen von der tatsächlichen Veränderung, der Klagegrund unverändert bleibt. Die Schadensersatzklage beruht wie die Herausgabeklage auf demselben Lebenssachverhalt, nämlich der Wegnahme der 12 Flaschen Schampus durch B.
          • Folglich ist die Umstellung vom Herausgabeanspruch auf den Schadensersatzanspruch gem. § 264 Nr. 3 ZPO zulässig.
        2. Die Umstellung der Mieterstattungssklage auf die Klage auf Mietzahlung Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine könnte gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig sein.

          • Die Vorschrift setzt voraus, daß der Kläger seinen Antrag ohne Änderung des Klagegrundes beschränkt. Eine Beschränkung liegt nur vor, wenn in einem rechtshängigen Rechtsstreit nicht etwas anderes, sondern quantitativ oder qualitativ weniger geltend gemacht wird (1). Beim Übergang vom Antrag auf Verurteilung zu dem auf Verurteilung Zug-um-Zug gegen eine Gegenleistung fordert der Kläger nach einhelliger Auffassung der Art nach, also qualitativ weniger (2).
          • Die Umstellung des Klagantrags von unbedingter Zahlung auf Zahlung Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine ist daher gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.
        3. Das AG ist für beide geänderten Begehren sachlich zuständig. Vom Vorliegen der übrigen Sachurteilsvoraussetzungen ist mangels gegenteiliger Sachverhaltshinweise auszugehen. Die Verbindung beider neuen Begehren in einer Klage (sog. objektive Klagehäufung) ist gem. § 260 ZPO zulässig.
        4. Die Schadensersatzklage sowie die Klage auf Mieterstattung ist daher zulässig.
    2. Zulässigkeit der ursprünglichen Klage

      Fraglich ist, ob das AG nach zulässiger Klageänderung noch über die ursprünglich von K gestellten Anträge entscheiden darf bzw. muß.
      Das ist dann nicht der Fall, wenn mit der zulässigen Klageänderung die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Antrags endet.

      1. Antrag auf unbedingte Mieterstattung

        1. Nach wohl h.M. büßt bei einer quantitativen Beschränkung des ursprünglichen Klagantrags gem. § 264 Nr. 2 ZPO der weitergehende Anspruch seine Rechtshängigkeit nicht von selbst ein, vgl. BGH NJW 1990, 2862:
        2. "Für die Beschränkung des Klageanspruchs sind [...] nicht allein die Regeln über die Klageänderung maßgeblich. Der Teil des Anspruchs, der nicht mehr in der bisherigen Weise weiterverfolgt werden soll, muß vielmehr nach den sonst geltenden Verfahrensvorschriften dem Streit der Parteien entzogen werden (RG; Gruchot 41 (1897), 699 (702); Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, § 264 Anm. 2 C; Stein-Jonas-Schumann, § 264 Rdnr. 67; Thomas-Putzo, § 263 Anm. 3; Gross, ZZP 75, 93 (97 ff.); Henckel, in: Festschr. f. Bötticher, S. 173 (181 ff.); a. A. Rosenberg-Schwab, ZPR, 14. Aufl., S. 617 f.; Schellhammer, Zivilprozeß, 2. Aufl., Rdnr. 1409). Hierfür kommt, je nach der Willensrichtung des Kl., die Klagerücknahme (§ 269 ZPO), der Klageverzicht (§ 306 ZPO) oder die Erklärung der Erledigung der Hauptsache in Frage."

        3. Fraglich ist, ob dies auch für die qualitative Beschränkung gilt. Die (wohl noch) h.M. differenziert nicht zwischen quantitativer und qualitativer Klagebeschränkung. Diese ist aber geboten. Klageänderungs- wie Klagerücknahmeverbot stehen unter einem gemeinsamen Leitgedanken. Sie gewähren dem Beklagten ein Recht auf ein Urteil über den ursprünglich erhobenen prozessualen Anspruch. Diesem Anspruch wird noch Rechnung getragen, wenn bei einer Klageänderung der Streit nunmehr um den im wesentlichen gleich gebliebenen Lebenssachverhalt und über einen nur qualitativ geänderten Antrag fortgesetzt werden muß. Einer zusätzlichen Anwendung des § 269 ZPO bedarf es daher nur, wenn die Klage wirtschaftlich gesehen ganz oder teilweise zurückgenommen wird. Hinzu kommt daß bei einer qualitativen Klagebeschränkung nur selten genau gesagt werden kann, worin die teilweise Klagerücknahme liegt; § 269 ZPO setzt aber voraus, daß sich diese auf einen abtrennbaren Teil des Klagebegehrens bezieht. Und schließlich kann der Ausschluß des § 269 ZPO nicht auf die Fälle beschränkt werden, in denen die materielle Rechtskraft der Wiederholung des ursprünglichen Klagebegehrens entgegensteht; denn dazu müßte der Prozeß in seiner ursprünglichen Gestalt durchgeführt werden, was durch die Klageänderung ja gerade vermieden werden soll (3).
        4. Im Fall der qualitativen Klagebeschränkung gem. § 264 Nr. 2 ZPO endet daher die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Antrags von selbst. Eine Entscheidung über den ursprunglichen Antrag auf unbedingte Mieterstattung ist daher mangels Rechtshängigkeit nicht mehr zulässig.
      2. Antrag auf Herausgabe des Schampus
        Auch im Fall einer zulässigen Klageänderung ist strittig, ob die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Antrags ipso iure endet (4). Stimmen alter und neuer Antrag jedoch größenmäßig überein, ist dies zu bejahen, da kein "Rest"mehr bleibt, bezüglich dessen der Beklagte des Schutz durch das Klageänderungs-bzw. Klagerücknahmeverbots (5) bedürfte. Daher endete die Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs mit der Zulässigkeit des Antrags auf das Interesse ebenfalls ipso iure, so daß auch über diesen mangels Rechtshängigkeit nicht mehr entschieden werden darf.
      3. Folglich ist die Klage mit den abgeänderten Anträgen auf Schadensersatzzahlung und Mieterstattung Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine nicht mehr rechtshängig und eine Entscheidung über diese mithin nicht mehr zulässig.

  2. Begründetheit der Klage

    1. Der Schadensersatzanspruch bezüglich des Schampus ist gem. §§ 992, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 242 StGB, §§ 989, 990, 1007 Abs. 3 S. 2 BGB begründet.
    2. Der Mieterstattungsanspruch Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine ist gem. §§ 426, 273 BGB begründet.
  3. Ergebnis:
    Das AG hat den B zur Zahlung von DM 1.200 Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Waschmaschine sowie zur Zahlung von DM 260 zu verurteilen.


FN 1: Stein-Jonas/Schumann, § 264 Rdnr. 66 (zurück).

FN 2: Vgl. statt aller Zölller/Greger, § 264 Rdnr. 3b (zurück).

FN 3: MünchKomm/Lüke, § 264 Rdnr. 23 (zurück).

FN 4: Vgl. Stein-Jonas/Schumann, § 264 Rdnr. 81 (zurück).

FN 5: BGH NJW 1990, 2682; Knöringer, Die Assessorklausur im Zivilprozeß, § 9 V 3 (zurück).