Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
5. Arbeitsgemeinschaft
Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung; Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich; Widerklage
Fall 6: "Alles fließt!"
I. K verklagt die B auf Herausgabe des ihm gestohlenen
Fahrrads. Während des Rechtsstreits veräußert B das Fahrrad an den über
den Prozeß informierten Y.
K fragt Susi Schlau und Ferdi Fleißig, die im 4. Semester Jura studieren,
ob und wie er auf die Veräußerung des Fahrrads reagieren soll.
II. K klagt gegen B DM 800 Kaufpreis ein. Während des Prozesses tritt
er die Forderung an X ab. Daraufhin beantragt B die Klage als nunmehr
unzulässig abzuweisen.
Zu Recht?
Lösung:
- § 265 ZPO
- Die Veräußerung des streitbefangenen
Gegenstandes (1) nach Rechtshängigkeit
durch den Kläger beseitigte an sich dessen Aktivlegitimation, die durch den
Beklagten dessen Passivlegitimation; so daß in beiden Fällen die Klage schon
aus diesem Grunde unbegründet und abzuweisen wäre. Dies zu verhindern ist
Funktion des § 265 ZPO: während Abs. 1 nur klarstellt, daß die
Rechtshängigkeit Veräußerungen nicht hindert, zeigt Abs. 2 S. 1, daß der
Prozeß auch fortzusetzen ist, ohne den Mangel der Sachlegitimation zu
beachten und ohne daß, wie sonst, bei Sachdienlichkeit ein Parteiwechsel
möglich ist. Dies bewahrt den Gegner vor zufälligem, gar manipuliertem
Verlust der erzielten Prozeßergebnisse und alle Beteiligten vor
unökonomischen Doppelprozessen.
- Streitbefangen ist jeder Gegenstand, dessen Übertragung die
Sachlegitimation beseitigen würde. Sache ist über § 90 BGB hinaus jeder
Gegenstand, also auch ein Recht. Obligatorische Rechte sind, soweit sie
übertragen werden, nur "Ansprüche" i.S.v. Abs. 1.
- Erfaßt wird - über den Wortlaut hinaus - jede Rechtsnachfolge eines
Dritten, die nicht durch Tod oder Nacherbfall verursacht ist.
- Der Verlust der Sachlegitimation hat keinen Einfluß auf den Prozeß.
Wegen dieses Mangels darf also weder die Klage als unbegründet abgewiesen
noch ein Feststellungsinteresse abgesprochen werden. Der Rechtsvorgänger
prozessiert im eigenen Namen über das fremde Recht weiter, dh. in
gesetzlicher Prozeßstandschaft.
- Die Rspr. und h.L. schränken Abs. 2 S. 1 jedoch ein, wenn das Gericht
von einer Rechtsnachfolge auf Klägerseite Kenntnis erhält: Der Kläger
muß seinen Antrag anpassen (sog. Relevanztheorie). Wird die Klage trotz
Anregung (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO) nicht angepaßt, ist sie als unbegründet
abzuweisen (2). Die Anpassung ist jederzeit
zulässig (3) (§ 264 Nr. 3 ZPO).
- Bei einer Veräußerung auf Beklagtenseite ist es hingegen weder geboten
noch zulässig, die Klage auf Verurteilung des Erwerbers umzustellen; das
Urteil ergeht also gegen den Beklagten, vollstreckt wird gegen den Erwerber
(vgl. §§ 727, 731 ZPO). Der Antrag gegen den Rechtsvorgänger kann aber stets
auf Schadensersatz umgestellt werden (§ 264 Nr. 3 ZPO).
- Die Fortsetzung des Prozesses mit dem Rechtsvorgänger ist dem Gegner
nur zumutbar, wenn das spätere Urteil auch den Nachfolger bindet. Dafür
sorgt grds. § 325 ZPO, nicht aber, wenn der Nachfolger in bezug auf
Berechtigung und Rechtshängigkeit gutgläubig war. Folgerichtig hindert
§ 265 Abs. 3 ZPO eine Prozeßstandschaft des Klägers bei Redlichkeit des
von ihm Erwerbenden; hier ist die Klage daher als unbegründet abzuweisen,
falls nicht Parteiwechsel oder Erledigterklärung folgt.
- Im Fall I. hat K daher zwie Möglichkeiten:
- Möchte er sein Fahrrad wiederhaben, wird er die Klage gegen B
fortsetzen. Da Y beim Erwerb des Fahrrads von dessen Streitbefangenheit
wußte und zudem ein gutgläubiger Erwerb gestohlener Sachen nicht
möglich ist, greifen § 265 Abs. 3, 325 Abs. 2 ZPO nicht ein, so daß
K aufgrund des Urteils gegen K dann die Vollstreckungsklausel gem.
§§ 325 Abs. 1, 727, 731 ZPO gegen Y erwirken kann.
- Bevorzugt er dagegen Schadensersatz in Geld, kann er die Klage auf
das Interesse umstellen. Diese Klageänderung ist gem. § 264 Nr. ZPO
zulässig.
- Im Fall II. stehen der Zession keine prozessualen Bedenken entgegen
(vgl. § 265 Abs. 1 ZPO), d.h.
- die Klage bleibt weiter zulässig.
- K muß jedoch die neue materielle Rechtslage berücksichtigen und seinen
Klageantrag dahingehend ändern, den B nunmehr zur Zahlung von DM 800 an X
zu verurteilen. § 265 ZPO betrifft nur die prozessualen Folgen
(Zulässigkeit der Fortsetzung des Verfahrens in gesetzlicher
Prozeßstandschaft), zwingt jedoch nicht dazu, die aufgrund der neuen
materiellen Rechtslage eingetretene Prozeßsituation gänzlich zu ignorieren.
Stellt K daher den Klageantrag nicht um, wird seine Klage als unbegründet
abgewiesen.
FN 1:
Vgl Musielak/Foerste, § 265 Rdnr. 1 bis 12, dem die folgendeDarstellung
im wesentlichen entnommen ist
(zurück).
FN 2:
BGH NJW 1990, 2755 m.w.N.
(zurück).
FN 3:
BGH NJW 1960, 964, 965
(zurück).
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