Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht
IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
5. Arbeitsgemeinschaft
Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung;
Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich;
Widerklage
Fall 8:
"Handwerk hat goldenen Boden"
(vgl. BGH NJW 1983, 2034)
Aus der Sanierung eines Altbaus in
der Augsburger Altstadt bestehen zwischen U und B zahlreiche Differenzen.
U klagt daher den für den Keller veranschlagten Werklohn ein. In einem
Prozeßvergleich verpflichtet sich schließlich B zur Zahlung
von DM 37.000. Am Ende des Vergleichs heißt es: "Damit sind alle
gegenseitigen Ansprüche der Parteien erledigt." Später klagt
U auf Zahlung weiterer DM 11.000 für die Reparatur des Dachs. B bestreitet
die Forderung nicht, beruft sich aber auf die Ausgleichsklausel des Prozeßvergleichs.
U meint, diese erfasse den jetzt geltend gemachten Anspruch nicht, hilfsweise
fechte er den Vergleich insoweit wegen Irrtums an.
Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Lösung:
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig
und begründet ist.
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Zulässigkeit der Klage
-
Fraglich ist, ob eine erneute Klage zulässig
ist, oder ob die Frage nach Reichweite und Wirksamkeit des Prozeßvergleichs
nur durch die Fortsetzung des Parallelverfahrens geklärt werden kann.
Nach der in Rspr. und Lit h.M. steht der Prozeßvergleich zwischen
U und W der Werklohnklage nicht entgegen, vgl. BGH NJW 1983, 2034:
"Der Prozeßvergleich umfaßte
nach der Auslegung durch das BerGer., die die Revision als ihr günstig
hinnimmt und die aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, auch
die noch rechtshängigen Forderungen der Kl. gegen die Bekl. in diesem
Rechtsstreit; er enthielt also eine über den Streitgegenstand des
Parallelprozesses hinausgehende Regelung. Nur gegen diese Regelung prozeßfremder
Ansprüche richtet sich die Anfechtung der Kl. Es kann dahingestellt
bleiben, ob - wie das BerGer. meint - die Anfechtung der Kl. auf diesen
Teil des Vergleichs beschränkt worden ist und wirksam beschränkt
werden konnte. Nach allgemeiner Ansicht im Schrifttum ist eine Partei,
die einen Prozeß- (Seite 2035) vergleich geschlossen hat, nicht gehindert,
dessen Anfechtung in einem neuen Verfahren geltend zu machen, wenn in dem
Prozeßvergleich eine über den Streitgegenstand hinausgehende
Regelung getroffen worden ist und ausschließlich deren Unwirksamkeit
geltend gemacht wird (Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., § 779 Rdnr. 65;
Pecher, in: MünchKomm, § 779 Rdnr. 61; Zöller-Scherübl,
ZPO, 13. Aufl., § 794 Anm. II 4; Rosenberg-Schwab, ZPR, 13. Aufl.,
§ 132 IV 1b; Grunsky, Grundlagen des VerfahrensR, 2. Aufl., S. 101;
Henckel, ProzeßR und materielles Recht, S. 91; Bonin, Der Prozeßvergleich,
S. 111; offengelassen in BGH, LM § 794 I Nr. 1 ZPO Nr. 21 = MDR 1974,
567). Dem schließt sich der Senat an. Denn hier wird nicht um den
Gegenstand des mit dem Vergleich beendeten Prozesses gestritten und auch
nicht diese Beendigung selbst in Frage gestellt, sondern der Streit geht
um einen im Parallelprozeß nicht rechtshängigen Anspruch und
um die materiell-rechtliche Auswirkung des Vergleichs auf diesen Anspruch.
Prozeßwirtschaftliche Gesichtspunkte,
die in der Rechtsprechung den Ausschlag dafür gegeben haben, daß
die auf materielle Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit gestützte Unwirksamkeit
des Prozeßvergleichs nur in dem Verfahren geltend gemacht werden
kann, in dem der Vergleich geschlossen worden ist, geben keinen Anlaß,
die Kl. auf die Fortsetzung des alten Verfahrens zu verweisen. Die Parteien
streiten sich hier nur um Ansprüche, die im Parallelprozeß nicht
rechtshängig gewesen sind, so daß eine Verwertung etwaiger Zwischenergebnisse
jenes Verfahrens nicht in Betracht kommt. Damit ist die Frage der Unwirksamkeit
des Prozeßvergleichs lediglich eine Vorfrage für den Anspruch,
dessen Bestehen in dem vorliegenden Prozeß behauptet oder geleugnet
wird. Der Senat verkennt nicht, daß in diesen Fällen die Frage
der Wirksamkeit des Prozeßvergleichs von verschiedenen Gerichten
unterschiedlich beantwortet werden könnte, wenn es um mehrere Ansprüche
geht. Diese Gefahr muß jedoch, soweit ihr nicht überhaupt durch
eine Zwischenfeststellungsklage entgegengewirkt werden kann (vgl. Pecher,
Rdnr. 65; Bonin, S. 114), hingenommen werden, weil sie nicht schwerer wiegt
als die Unsicherheiten, die zu befürchten sind, wenn eine Partei darauf
verwiesen wird, erstmals im Fortsetzungsverfahren - zumal vor dem BerGer.
- dort bisher nicht anhängig gewesene Ansprüche gerichtlich geltend
zu machen.
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Folglich ist die Werklohnklage des U gegen B bezüglich
der Dachreparatur zulässig, da diese Werklohnforderung nicht Streitgegenstand
des Erst (der Parallel-) Prozesses war.
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Die Klage ist auch begründet, da der Werklohnanspruch
bezüglich des Daches zwischen den Parteien unstreitig ist und der
Vergleich diesen Anspruch entweder nicht umfaßt oder aber insoweit
wegen Irrtums gem. §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB unwirksam ist.
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Folglich hat die Klage des U gegen B Aussicht auf
Erfolg.
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