Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz ZPO-Erkenntnisverfahren 2. Arbeitsgemeinschaft Zulässigkeit der Klage
I
Fall 11: "Muß i denn zum Schtädtele hinaus ...? - Examen II" Das Musikalienhaus Paul Müller OHG verkaufte dem eingetragenen Verein "Liederkranz Lyra Pfersee 1811" einen Flügel zum Preis von DM 30.000. Die Paul Müller OHG hat ihre Hauptniederlassung in München, der Liederkranz seinen Verwaltungssitz in Augsburg. Die Verkaufsverhandlungen wurden in den Geschäftsräumen der Ulmer Zweigniederlassung der Paul Müller OHG geführt. Im Kaufvertrag wurde weiter vereinbart, daß der Käufer den Flügel in Ulm abzuholen habe und im übrigen auf die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts verwiesen. Nachdem der "Liederkranz" den Flügel abgeholt hat, begleicht er trotz zweifacher Mahnung den Kaufpreis nicht. Die Paul Müller OHG verklagt daher den "Liederkranz" vor dem LG Ulm auf Zahlung des Kaufpreises. Ist die Klage zulässig?
Lösung: Die Klage ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, d.h. die (allgemeinen und besonderen) Prozeßvoraussetzungen gegeben sind und keine Prozeßhindernisse gegeben sind. Problematisch sind hier nur die Parteifähigkeit der Parteien sowie die örtliche Zuständigkeit des LG Ulm (Anm. für den Korrektor: Auch die anderen Sachurteilsvoraussetzungen anzuprüfen ist zwar nicht falsch, aber überflüssig, da der Sachverhalt hierfür nichts hergibt; ihr Vorhandensein ist deshalb zu unterstellen).
Gem. § 50 Abs. 1 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Ob der OHG (Teil-) Rechtsfähigkeit zukommt, ist (immer noch) umstritten (1). Die OHG kann jedoch gem. § 124 Abs. 1 HGB unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden. Damit hat der Gesetzgeber nach heute wohl einhelliger Meinung die Parteifähigkeit der OHG anerkannt. Wenn dies auch nicht zwangsläufig aus § 124 Abs. 1 HGB folgt, so doch aus dem Zusammenspiel dieser Vorschrift mit §§ 124 Abs. 2, 129 Abs. 4 HGB, denen zufolge strikt zwischen dem Gesellschafts- und Gesellschafterprozeß zu trennen und zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ein gegen die OHG gerichteter Titel, zur Vollstreckung in das Privatvermögen des Gesellschafters ein gegen diesen gerichteter Titel erforderlich ist. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber in § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO als parteifähige Vereinigung bezeichnet und damit der Diskussion über die Parteifähigkeit der OHG ein Ende bereitet hat (2). Der "Liederkranz" ist eingetragener Verein, d.h er ist als ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, im Vereinsregister des AG Augsburg eingetragen. Als solcher ist er gem. § 21 BGB rechts- und somit gem. § 50 Abs. 1 ZPO parteifähig. Danach kommt es auf den Wohnsitz des Schuldners an, falls der Ort der Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist. Diese Lehre ist jedoch abzulehnen. § 269 Abs. 1 BGB geht offensichtlich auch bei gegenseitigen Verträgen von gesonderten Leistungsorten der jeweiligen Verpflichtungen aus, so daß mit dem aus dem IPR übernommenen Konzept der "vertragscharakteristischen Leistung" (vgl. Art 28 EGBGB) nicht mehr das Tatbestandsmerkmal der "anderen Umstände" ausgelegt, sondern die Vorschrift contra legem fortgebildet wird (6). § 39 ZPO fordert eine rügelose Verhandlung des Bekl. zur Hauptsache, d.h. daß der Bekl. sachlich über den zur Entscheidung gestellten Anspruch und nicht bloß über Fragen des Verfahrens verhandelt. Im mündlichen Verfahren gem. §§ 272 Abs. 1, 275 ZPO ist Einlassung in der mündlichen Verhandlung erforderlich, bei schriftlichem Vorverfahren gem. §§ 272 Abs. 2, 276 ZPO genügt die Einlassung in einem Schriftsatz, wenn nicht in ihm oder in einem vorhergehenden die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit erhoben ist. Um der Folge des § 39 ZPO zu entgehen, muß der Beklagte die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit vor der Verhandlung zur Hauptsache und gleichzeitig mit anderen Rügen gegen die Zulässigkeit der Klage vorbringen, § 282 Abs. 3 ZPO. Ansonsten wird das Gericht nach § 39 ZPO endgültig zuständig. Laut Sachverhalt hat eine Verhandlung des Bekl. vor dem LG Ulm zur Hauptsache noch nicht stattgefunden. Daraus folgt als Die Klage der Kl. vor dem LG Ulm ist unzulässig, wenn der Bekl. die örtliche Unzuständigkeit des LG Ulm gem. §§ 39, 282 Abs. § ZPO vor Verhandlung zur Hauptsache rügt. FN 1: Vgl. Habersack in (Staub) Großkomm. HGB, 4. Aufl. § 124 Rdnr. 3 ff. (zurück). FN 2: Vgl. statt allerHabersack, aaO. (zurück). FN 3: Ganz h.M., vgl. statt aller MünchKomm (BGB)/Keller, § 269 Rndr. 8 mit Fn. 18. (zurück). FN 4: vgl. OLG Stuttgart NJW 1982, 529 m.w.N. (zurück). FN 5: So MünchKomm (BGB)/Keller, § 269 Rdnr. 10. (zurück). FN 6: H.M. in Rechtsprechung und Literatur, vgl. Staudinger/Selb, § 269 Rdnr. 15 m.w.N. (die Mindermeinung ist bei guter Begründung selbstverständlich gleichfalls vertretbar). (zurück). |