Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht
IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
2. Arbeitsgemeinschaft
Zulässigkeit der Klage
I
Klageschrift - Rechtsweg-, funktionelle,
sachliche und örtliche Zuständigkeit
Fall 2:
"Doppelt genäht, hält besser!?"
(vgl. RGZ 87, 237)
K hat von V einen gebrauchten Opel-
Kadett für DM 4.500 gekauft, den V als unfallfrei und mit einer Laufleistung
von erst 60.000 km angeboten hatte. Drei Monate nach Vertragsschluß
kommt K wegen zu hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab, der Kadett
erleidet Totalschaden. Bei der Schadensbegutachtung stellt sich heraus,
daß das Fahrzeug schon einmal in einen Unfall verwickelt war sowie
schon mindestens 100.00 km gefahren ist und daher im Zeitpunkt der Übergabe
nur DM 3.000 wert war. In fehlerfreiem Zustand wäre der Kadett DM
6.000 wert gewesen.
Da der nicht gewerbsmäßig
mit Fahrzeugen handelnde V von seinem Verkäufer über den Unfall
sowie die tatsächliche Laufleistung des Opel ebenfalls nicht aufgeklärt
worden war, weigert er sich unter Hinweis auf den Totalschaden des Kadett
den von K bar bezahlten Kaufpreis zurückzuzahlen.
K erhebt daher gegen V vor dem AG
Klage und beantragt, den K zur Rückzahlung von DM 4.500, hilfsweise
von DM 3.000 wegen Minderung zu verurteilen.
Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Lösung:
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig
und begründet ist.
-
Erfolgsaussichten der Klage auf Rückzahlung
von DM 4.500 (Hauptantrag)
-
Zulässigkeit:
Gegen die Zulässigkeit dieses Antrags könnte
sprechen, daß er mit einem Hilfsantrag gekoppelt ist. Eine derartige
Koppelung könnte gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verstoßen.
Ob der Antrag des K, den V hilfsweise zur Zahlung von DM 3.000 zu verurteilen,
ein Hilfsantrag ist, hängt davon ab, ob dieser Antrag einen anderen
Streitgegenstand als das vorrangig geltend gemachte Begehren des K hat.
Das ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln. Hier ergibt sich aus dem
Sachverhalt, daß K zunächst Rückabwicklung des Vertrags
will; sollte dies aber nicht möglich sein, verlangt er Reduzierung
des Kaufpreises. Beide Anträge sind daher verschieden, folglich ist
auch ihr Streitgegenstand nicht identisch.
Zu prüfen ist daher, ob der mit einem Hilfsantrag
gekoppelte Hauptantrag dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr.
2 ZPO entspricht.
Das Bestimmtheitserfordernis soll den Streitgegenstand
festlegen, zumal als Basis der materiellen Rechtskraft, ferner den Entscheidungsspielraum
des Gerichts abstecken (§ 308 ZPO), dem Beklagten eine präzise
Verteidigung erlauben und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil heraus
ermöglichen, statt noch das Vollstreckungsverfahren mit Sachfragen
zu belasten. Dementsprechend muß der Antrag eindeutig sein und darf
als Prozeßhandlung nicht unter eine Bedingung gestellt werden.
Nach ganz h.M. widerspricht
eine Staffelung mehrerer Anträge, für den Fall, daß der
vorhergehende keinen Erfolg hat (sog. Eventualhäufung), jedoch nicht
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da der Hilfsantrag nur von einer rein innerprozessualen
Bedingung abhängt
(1).
Für das Fehlen weiterer Sachentscheidungsvoraussetzungen
gibt der Sachverhalt nichts her, der Hauptantrag ist daher zulässig.
-
Begründetheit:
Die Klage ist begründet, wenn K einen Anspruch
auf Rückzahlung des vollen Kaufpreises von DM 4.500 hat. Ein solcher
könnte sich hier nur aus §§ 462, 2 Halbs., 1. Alt , 467,
346 BGB ergeben. Da K jedoch die Zerstörung des Pkw gem. § 351
BGB verschuldet hat, ist die Wandlung des Kaufvertrags ausgeschlossen.
Folglich ist der Hauptantrag unbegründet.
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Erfolgsaussichten der Klage auf Rückzahlung
von DM 3.000 (Hilfsantrag)
-
Zulässigkeit:
-
Auch die Zulässigkeit des Hilfsantrags scheitert
nicht an § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da er nur von einer innerprozessualen
Bedingung abhängt.
-
Fraglich ist aber, ob der Hilfsantrag
mit dem Hauptantrag kumuliert werden kann. Voraussetzung hierfür ist,
neben der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 260
ZPO, daß Haupt- und Hilfsantrag in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen
Zusammenhang stehen, um Manipulationen der sachlichen Zuständigkeit
zu vermeiden
(2).
Zwischen dem Haupt- und Hilfsantrag des K besteht
ein wirtschaftlicher Zusammenhang, da sie beide von demselben Kaufvertrag
ihren Ausgang nehmen. Ebenso sind die Voraussetzungen des §260 ZPO
erfüllt.
Vom Vorliegen der übrigen Sachurteilsvoraussetzungen
ist auszugehen, so daß der Hilfsantrag zulässig ist.
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Begründetheit:
-
Die Klage ist begründet, wenn K einen Anspruch
auf Minderung des Kaufpreises um DM 3.000 hat. Ein solcher könnte
sich hier nur aus §§ 462, 472 Abs. 1 BGB ergeben. Der von V gelieferte
Opel ist fehlerhaft i.S.v. § 459 Abs. 1 BGB, da seine Ist-Beschaffenheit
nicht der vertraglich vereinbarten bzw. Soll-Beschaffenheit entsprich Nach
§ 472 Abs.1 BGB ist der Kaufpreis in dem Verhältnis herabzusetzen,
das zwischen dem wirklichen Wert der mangelhaften Sache (w) und ihrem hypothetischen
Wert (h) besteht, wäre sie mangelfrei. Der geminderte Kaufpreis (x)
verhält sich also zum ursprünglich vereinbarten Kaufpreis (p)
wie x zu h, d.h. x = wCp ) h. Der geminderte Kaufpreis beläuft sich
also auf DM 3.000 (w) C DM 4.500 (p) ) DM 6.000 (h) = DM 2.250.
-
Folglich kann K nur DM 2.250 (Differenz zwischen p
und x) zurückverlangen. Der Hilfsantrag ist daher in Höhe von
DM 2.250 begründet, im übrigen ist er abzuweisen.
FN 1: Vgl.
statt aller Musielak/Foerste, § 260 Rdnr.8 m.w.N. (zurück).
FN 2: Bei
Eventualhäufung bestimmt sich der Streitwert und damit die sachliche
Zuständigkeit nach dem jeweils höheren Wert von Haupt-oder Hilfsantrag,
vgl Musielak/Foerste, § 260 Rdnr. 14 m.w.N. (zurück). |