Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht
IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
2. Arbeitsgemeinschaft
Zulässigkeit der Klage
I
Klageschrift - Rechtsweg-, funktionelle,
sachliche und örtliche Zuständigkeit
Fall 4:
"Ein Brünnlein vor dem Tore..."
(vgl. BGH MDR 1968, 312; BGH NJW 1976, 570)
Die Stadt Augsburg ließ zur
Verschönerung des im städtischen Eigentum stehenden und als Stadtpark
gewidmeten Siebentischwalds einen großen Brunnen mit Fontäne
anlegen. X, dessen Haus unmittelbar an den Wald angrenzt und ca 200 m vom
Brunnen entfernt steht, fühlt sich durch das Rauschen sowie den erheblich
gestiegenen Publikumsverkehr belästigt. Er klagt daher vor dem LG
Augsburg auf Unterlassung des Brunnenbetriebs.
Wie wird das LG Augsburg entscheiden?
Lösung:
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Das LG Augsburg darf nur dann eine Sachentscheidung
treffen, wenn die Klage zulässig ist.
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Dagegen könnte zunächst sprechen, daß
es sich bei dem Streit zwischen X und der Stadt Augsburg um eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit handelt, für die die ordentlichen Gerichte gem. §
13 GVG nicht (rechtsweg-)zuständig sind.
Ob eine bürgerlich-rechtliche
oder öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich - so
die wohl einhellige Auffassung - nach der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses
aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (1).
Umstritten ist allerdings, welche Kriterien für die Zuordnung eines
Rechtsverhältnisses zum Privat- bzw. öffentliche Recht maßgeblich
sind (2).
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Die sog. Interessentheorie
(3) bestimmt die Zuordnung eines Rechtsverhältnisses
danach, ob die das Rechtsverhältnis beherrschenden Normen die Interessen
der Bürger oder überwiegend die Interessen der Allgemeinheit
zum Gegenstand haben.
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Nach der sog. Subjektionstheorie ist ein bürgerlich-rechtliches
Rechtsverhältnis durch die Gleichordnung der Beteiligten gekennzeichnet,
während öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse ein Über-Unterordnungsverhältnis
charakterisiert.
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Nach der sog. Sonderrechtstheorie (oder modifizierten
Subjektstheorie) sind nur solche Rechtsverhältnisse dem öffentlichen
Recht zuzuordnen, bei denen auf der einen Seite als Berechtigter oder Verpflichteter
notwendig ein Träger öffentlicher Gewalt beteiligt sein muß,
weil es sich um Rechte und Pflichten handelt, die nur einem Träger
öffentlicher Gewalt zustehen bzw. diesen treffen können. Das
bürgerliche Recht ist danach das Recht für jedermann, während
das öffentliche Recht das Sonderrecht der Träger öffentlicher
Gewalt enthält.
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Zustimmung verdient die Sonderrechtstheorie.
Gegen die Interessentheorie spricht, daß sich das Interesse der Allgemeinheit
nicht immer sicher bestimmen und von den Individualinteressen absondern
lassen. Gegen die Subjektionstheorie spricht, daß bei Vorliegen eines
Gleichordnungsverhältnisses stets eine bürgerlich-rechtliche
Streitigkeit anzunehmen wäre. Das hätte die mißliche Konsequenz,
daß Verwaltungsabkommen zwischen Trägern öffentlicher Gewalt
bzw. Verhältnisse der Leistungsverwaltung, da auf Gleichordnung beruhend,
als privatrechtlich qualifiziert werden müßten. Umgekehrt müßten
auch Über- und Unterordnungsverhältnisse, deren privatrechtliche
Natur bisher nicht bezweifelt wurde - wie etwa das Eltern-Kind-Verhältnis
- als öffentlich rechtlich eingestuft werden. Die Sonderrechtstheorie
wird nunmehr auch von der Rechtsprechung als maßgeblich zugrundegelegt.
In vier
Entscheidungen hat der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe
des Bundes folgende Abgrenzungskriterien entwickelt:
Ob eine Streitigkeit öffentlich-
oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche
Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses,
aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig
darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen
Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob
sich der Träger der hoheitlichen Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten
Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient, oder ob er sich
den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt.
Aus einem Gleichordnungsverhältnis kann allerdings noch nicht
ohne weiteres auf eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit geschlossen
werden, weil auch dem öffentlichen Recht eine gleichgeordnete Beziehung
zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem nicht fremd ist (4).
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Zu prüfen ist daher, ob
die Stadt Augsburg an dem Rechtsverhältnis mit X notwendig als ein
Träger öffentlicher Gewalt beteiligt ist, weil es sich um Rechte
und Pflichten handelt, die nur einem Träger öffentlicher Gewalt
zustehen bzw. diesen treffen können.
Die Parteien stehen zueinander nicht in einem
hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung. Zwar ist
der Stadtpark in bestimmtem Umfang dem öffentlichen Gebrauch gewidmet,
der öffentliche Normen geregelt sein mag. Die Stadt Augsburg als bedient
sich für die Errichtung und den Betrieb des Brunnens nicht besonderer,
ihr als Träger öffentlicher Gewalt zugeordneter Rechtssätze
des öffentlichen Rechts. Sie hat sich folglich den für jedermann
geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt, so daß Errichtung
und Nutzung des Brunnens den allgemeinen Regeln des Privatrechts unterliegen
(5).
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Die Streitigkeit ist daher privatrechtlicher Natur.
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Fraglich ist weiter, ob das LG auch sachlich zuständig
ist. Das ist gem. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, dann der Fall,
wenn die Klage einen höheren Stritwert als DM 10.000 hat. Der Unterlassungsanspruch
hat den Wert der vermögensrechtlichen Beeinträchtigung des Klägers,
wenn es sich auf eine sichere Beeinträchtigung auf Dauer handelt.
Da die Stadt Augsburg den Brunnen nicht nur vorübergehend nutzen will,
ist der Wertverlust des klägerischen Grundstücks qua Schätzung
anzusetzen. Er dürfte angesichts der guten Wohnlage am Siebentischwald
DM 10.000 überschreiten.
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Die Klage ist daher zulässig.
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Das LG gibt der Klage statt,
wenn X einen Anspruch auf Unterlassung hat.
Ein solcher könnte sich aus §§
1004, 823 Abs. 1 BGB ergeben. Das ist wohl eher zu verneinen. In der Rechtsprechung
hat sich der Grundsatz durchgesetzt, daß der Lärm öffentlicher
Anlagen herkömmlicher Art (Schwimmbäder, Kinderspielplätze)
auch in reinen Wohngebieten wie der übliche Lärm von Kraftfahrzeugen
oder Rasenmähern hingenommen werden muß (6).
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Das LG wird die Klage folglich als unbegründet
abweisen.
FN 1: BGH
NJW 1976, 1941, 1942; GmS-OBG NJW 1988, 2295, 2296 (zurück).
FN 2: Übersicht
zu den verschiedenen Theorien mit detaillierten Nachweisen bei MünchKomm-ZPO/Wolf,
§ 13 GVG Rdnr. 5 (zurück).
FN 3: So
schon Ulpian, Dig. 1,1,1,2: Publicum ius est quod ad statum rei Romanae
spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem (zurück).
FN 4: GmS-OBG
NJW 1986, 2359; GmS-OBG NJW 1988, 2295, 2296; GmS-OBG NJW 1988, 2297; BGH
NJW 1990, 1527; dem folgend: BGH NJW 1992, 1237, 1238; BGH NJW 1995, 2295,
2296; BGH NJW 1998, 909 (zurück).
FN 5: Vgl.
BGH MDR 1968, 312 (zurück).
FN 6: Vgl.
Soergel/Mühl; § 1004 BGB Rdnr. 56 (zurück). |