Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz 
 
 
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

 ZPO-Erkenntnisverfahren

2. Arbeitsgemeinschaft

 Zulässigkeit der Klage I
Klageschrift - Rechtsweg-, funktionelle, sachliche und örtliche Zuständigkeit

 

Fall 6:          "Homo homini lupus"

(vgl. BAG NJW 2000, Heft 10, S. XVI [Pressemitteilung])

P wurde in der Zeit zwischen 1940 und 1943 zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Er mußte bei der B-AG in München sechs Tage in der Woche je 12 Stunden arbeiten. Überwiegend war er mit anderen Zwangsarbeitern in bewachten Lagern untergebracht. Er unterstand den Weisungen der Geschäftsleitung der B-AG, Arbeitsentgelt erhielt er nie.
P verklagt die B- AG vor dem Arbeitsgericht München auf die Zahlung einer Entschädigung von DM 25.000, die sich nach dem seinerzeit an deutsche Arbeitnehmer gezahlten Arbeitsentgelt bemißt.

Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten der Klage. 
 
 

Lösung:

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

  1. Gegen die Zulässigkeit der Klage könnte sprechen, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet ist.

  2. Aus der Verbindung von §§ 17, 17a GVG mit § 48 ArbGG folgt, daß die Abgrenzung zwischen beiden Gerichtsbarkeiten unter dem Gesichtspunkt des Rechtswegs zu qualifizieren ist (1). Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist dann gegeben, wenn sich eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach §§ 2, 2a ArbGG ergibt. Vereinfacht ausgedrückt ist dies der Fall, wenn eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus einem Arbeitsverhältnis vorliegt.
    1. Die Streitigkeit ist bürgerlich-rechtlich. Die Rechtsverhältnisse der Zwangsarbeiter wurden nicht durch Rechtsnormen des öffentlichen Rechts bestimmt. Die Beteiligung staatlicher Stellen ändert daran nichts. Die Zwangsarbeiter einsetzenden Unternehmen waren weder Träger öffentlicher Verwaltung noch Verwaltungshelfer oder Beliehene (2).
    2. Fraglich ist jedoch ob die Zwangsarbeiter Arbeitnehmer der sie einsetzenden Unternehmen waren.

    3.  

       

      1. Obwohl das ArbGG in allen den Arbeitsgerichten zugewiesenen Streitigkeiten davon ausgeht, daß es sich um einen Streit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber handelt, definiert es diese Begriffe nicht.

      2. Arbeitnehmer ist nach allgemeiner Auffassung, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags in persönlicher Abhängigkeit weisungsgebundene fremdbestimmte Arbeit für einen anderen, den Arbeitgeber, leistet (3)
        Danach waren Zwangsarbeiter nicht Arbeitnehmer der sie einsetzenden Unternehmen. Die Arbeit wurde nicht freiwillig, sondern zwangsweise erbracht, es fehlt daher an dem Erfordernis einer einvernehmlichen Begründung der Arbeitspflicht als Voraussetzung des Arbeitnehmerstatus (4)
      3. Nach der Rechtsprechung des BAG kommt etwas anderes nur dann in Betracht, wenn Arbeitsverhältnisse durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes begründet worden sind.

      4. Das ist hier nicht der Fall. Selbst die nationalsozialistischen Bestimmungen gingen davon aus, daß es sich um "Beschäftigungsverhältnisse eigener Art" handele. Regelungen über deren Zustandekommen enthielten die Verordnungen nicht (5)
  3. Die Klage vor dem ArbG München hat daher mangels Zulässigkeit keine Aussicht auf Erfolg (Vielmehr muß das ArbG den Rechtsstreit gem. § 17a Abs. 2 GVG an das zuständige ordentliche Gericht verweisen).

FN 1: BAG AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG; Ascheid, Urteils- und Beschlußverfahren im Arbeitsrecht, 2. Aufl, Rdnr. 387m.w.N. (zurück).

FN 2: BAG NJW 2000, Heft 10, S. XVI. (zurück).

FN 3: Ascheid, aaO (Fn. 15), Rdnr. 475 m.w.N. (zurück).

FN 4: BAG NJW 2000, Heft 10, S. XVI (Pressemitteilung) (zurück).

FN 5: Vgl, BAG Beschl. v. 16.2.2000 - 5 AZB 32/99 (zurück).