Zu Nummer 2 – Einfügung von § 105a neu

Vorbemerkung
1. Geltendes Recht
Das Bürgerliche Gesetzbuch geht von der Regel aus, dass jeder Mensch geschäftsfähig ist.
Es normiert deshalb nur als Ausnahme, wann jemand geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig
ist. Geschäftsunfähig ist, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat ( §
104 Nr. 1) oder sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter
Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein
vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2). Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist ausnahmslos
nichtig. Unerheblich ist, ob sie rechtlich oder wirtschaftlich vorteilhaft ist oder ob
die Interessen des Geschäftsunfähigen völlig gewahrt wurden. Der Geschäftsunfähige kann
folglich nicht wirksam rechtsgeschäftlich handeln. Leistungen, die zur Erfüllung eines nichtigen
Rechtsgeschäfts erbracht worden sind, müssen nach Bereicherungsrecht grundsätzlich
rückabgewickelt werden. Beschränkt geschäftsfähig ist ein Minderjähriger, der das siebente
Lebensjahr vollendet hat (§ 106). Willenserklärungen des Minderjährigen, die ihm lediglich
rechtliche Vorteile bringen, sind auch ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters wirksam.
Verträge sind dann wirksam, wenn sie mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossen
sind (§ 107) oder durch Genehmigung des gesetzlichen Vertreters rückwirkend
wirksam werden( § 108). Die Verweigerung der Genehmigung hat die Unwirksamkeit des
Vertrages zur Folge.

2. Anlass der Reform und Reformbestrebungen
B M J – Diskussionsentwurf Antidiskriminierungsgesetz Seite 32 von 67
Eine Reform des Rechts der Geschäftsunfähigkeit, bei der die „natürliche Geschäftsunfähigkeit“,
d. h. die nicht altersbedingte Geschäftsunfähigkeit, im Mittelpunkt stehen soll, wird seit
längerem gefordert. Bereits im Rahmen der Reform des Rechts der Vormundschaft und
Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz - BtG vom 12. September 1990) wurde die
Notwendigkeit einer Regelung der „natürlichen Geschäftsunfähigkeit“ festgestellt, zumal mit
dem Betreuungsgesetz dem Betreuten möglichst viel eigene Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit
belassen werden sollte. Anlässlich des 57. Deutschen Juristentages 1988
wurde von Heinz Holzhauer und Jens Bruder ein Gutachten zum Thema „Empfiehlt es sich,
das Entmündigungsrecht, das Recht der Vormundschaft und der Pflegschaft über Erwachsene
sowie das Unterbringungsrecht neu zu ordnen?“ erstellt. Sie stellten darin u. a. fest,
dass die Forderung, geistig behinderte Menschen nicht von vornherein und in jeder Hinsicht
als geschäftsunfähig zu behandeln, verständlich und begründet erscheint. Geistig behinderten
Menschen seien eine nicht kleine Gruppe von Menschen mit angeborenen oder traumatisch
erworbenen Schäden, die gleichwohl zu einem großen Teil infolge intensiver medizinischer
und sonderpädagogischer oder rehabilitatorischer Bemühungen auf einer Höhe stehen,
die ihnen einen sozialen Modus vivendi erlaube. Zu diesen Bemühungen passe es nicht
und könnte sogar deren Erfolg bedrohen, wenn die Rechtsordnung diese Menschen ohne
Ansehen der Person als geschäfts- oder erklärungsunfähig behandeln würde. Auch wurde in
der Literatur (vgl. Canaris, JZ 87, 996) die in § 105 Abs. 1 statuierte Rechtsfolgenregelung
der Geschäftsunfähigkeit im Hinblick auf das Übermaßverbot als bedenklich erachtet, da mit
dieser Regelung „übermäßig“ in die Rechtsstellung des Geschäftsunfähigen eingegriffen
werde.

3. Lösung des Entwurfs
Der Entwurf konzentriert sich auf die Rechtsstellung der volljährigen Geschäftsunfähigen
bei der Vornahme von Alltagsgeschäften sowie auf die Probleme bei der Abwicklung
der Heim- und Werkstättenverträge, die infolge der Geschäftsunfähigkeit auftreten.
Die im § 104 Nr. 2 statuierte Definition der natürlichen Geschäftsunfähigkeit soll
dabei unberührt bleiben, ebenso die in § 105 Abs. 1 niedergelegte Rechtsfolgenbestimmung.
Im Mittelpunkt der Reform der Geschäftsunfähigkeit steht folglich das
rechtspolitische Anliegen, die Rechtsstellung der geistig behinderten Menschen zu
verbessern, deren soziale Emanzipation zu fördern und deren verbliebenen Fähigkeiten
zu stärken, indem ihnen die bislang vollständig verschlossene Teilnahme am
Rechtsverkehr in angemessener Weise eröffnet werden soll. Mit der Reform soll auch
den Problemen, die die bislang geltende Rechtsfolgenregelung der natürlichen Geschäftsunfähigkeit
im Hinblick auf die Vertragsschlüsse in Alten- und Pflegeheimen
B M J – Diskussionsentwurf Antidiskriminierungsgesetz Seite 33 von 67
sowie in Werkstätten für behinderte Menschen mit sich bringt, begegnet werden. Soweit
ein nicht unerheblicher Teil der Vertragspartner der Träger dieser Einrichtungen
bei „Vertragsabschluß“ geschäftsunfähig ist, ohne einen gesetzlichen Vertreter/
Betreuer zu haben, ist die Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Abwicklung dieser
Verträge groß. Den Heim- und Werkstättenträgern einerseits und dem Geschäftsunfähigen
andererseits soll ein Schutz vor Rückforderung bei einer möglichen Vertragsabwicklung
und den Geschäftsunfähigen zugleich ein Schutz vor sofortiger Beendigung
des „Vertrages“ gewährleistet werden. Der Rechtsschutz geistig behinderter Menschen
hat aber dort, wo es Not tut, unangetastet zu bleiben. Lediglich dort, wo die Rechte
geistig behinderter mehr als notwendig beschränkt werden, sollen Korrekturen erfolgen.
Der neu eingefügte § 105a bestimmt in Abs. 1 den Kreis der Rechtsgeschäfte, die der volljährige
Geschäftsunfähige in Ansehung von Leistung und Gegenleistung rechtswirksam vornehmen
kann. Die Rückabwicklung von erbrachter Leistung und Gegenleistung ist ausgeschlossen,
sobald diese bewirkt sind. Dem volljährigen Geschäftsunfähigen soll damit die
Möglichkeit eröffnet werden, Rechtsgeschäfte, die Angelegenheiten des täglichen Lebens
betreffen und mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, in Ansehung von Leistung
und Gegenleistung wirksam vornehmen zu können. Diese Regelung lehnt sich an die vor
allem aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannte Wirksamkeit sog. „necessaries“-
Verträge an. Mit der Neueinfügung von § 105a Abs. 2 soll erreicht werden, dass Leistung
und Gegenleistung im Rahmen der Alltagsgeschäfte auch von einem Geschäftsunfähigen
bzw. an einen Geschäftsunfähigen bewirkt werden können.