Zu § 319a - Benachteiligungsverbot
Zu Absatz 1
§ 319a Abs. 1 ist die grundlegende Vorschrift des neuen Abschnitts. Er regelt das Diskriminierungsverbot
und bestimmt seinen Anwendungsbereich.
Die Vorschrift nennt zunächst die Diskriminierungsmerkmale. Dieses sind zunächst die in der
Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied
der Rasse oder der ethnischen Herkunft bezeichneten Kriterien der Rasse und der ethni-
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schen Herkunft. Wie die Richtlinie und Artikel 13 des EG-Vertrags soll auch in § 319a der
Begriff der „Rasse“ verwendet werden. Dieser Begriff ist indessen nicht unproblematisch,
weil es nur eine menschliche Rasse gibt. Bereits bei der Erarbeitung der Richtlinie ist intensiv
diskutiert worden, ob dieser Begriff verwendet werden soll. Die Mitgliedstaaten und die
Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben letztlich an diesem Begriff festgehalten,
weil er den sprachlichen Anknüpfungspunkt zu dem Begriff des „Rassismus“ darstellt
und die Signalwirkung dieses Wortbestandteils erhalten werden soll. Zudem entspricht die
Wortwahl dem Wortlaut des Artikel 13 des EG-Vertrags, auf den die Richtlinie zurückgeht,
sowie - in Bezug auf den deutschen Rechtsraum - auch dem Wortlaut des Artikel 3 Abs. 3
Satz 1 des Grundgesetzes. Um dem Missverständnis entgegenzutreten, als unterstelle das
Diskriminierungsverbot des § 319a Abs. 1 das Vorhandensein verschiedener menschlicher
Rassen, wurde – ebenfalls in Anlehnung an Artikel 13 des EG-Vertrags - die Formulierung
„aus Gründen der Rasse“ gewählt. Sie macht deutlich, dass nicht das Gesetz, sondern ganz
im Gegenteil derjenige das Vorhandensein verschiedener Rassen unterstellt, der sich rassistisch
verhält. Und darauf kommt es an.
Es ist erwogen worden, die in der Richtlinie genannten Kriterien um die Merkmale der ethnischen
Abstammung und der ethnischen Zugehörigkeit zu erweitern. Diese zusätzlichen
Merkmale würden deutlich machen, dass das Merkmal ethnische Herkunft in der Richtlinie
im umfassenden Sinne verwandt wird. Andererseits würde eine solche Ergänzung Zweifel an
der Reichweite des Begriffs in der Richtlinie und im EG-Vertrag wecken. Deshalb wurde von
einer solchen Ergänzung Abstand genommen. Damit ist aber keine Abschwächung, sondern
im Gegenteil eine Stärkung der inhaltlichen Aussage bezweckt. Wie die Richtlinie selbst
strebt auch § 319a einen möglichst umfassenden Schutz vor Diskriminierung aufgrund ethnischer
Kriterien an. Lücken im Schutz vor Diskriminierung darf es nicht geben. Das Benachteiligungsverbot
erfasst in erster Linie Fälle, in denen die angesprochenen Merkmale tatsächlich
vorliegen. Erfasst werden aber auch Fälle, in denen einem Betroffenen diese Merkmale
zugeschrieben werden, ohne dass er sie tatsächlich aufweist und er deshalb Diskriminierungen
erfährt. Zu den Besonderheiten in Bezug auf das Kriterium der Rasse wird auf die
obigen Ausführungen verwiesen.
Die Vorschrift bleibt nicht bei den von der Richtlinie angesprochenen Diskriminierungsmerkmalen
Rasse und ethnische Herkunft stehen. Sie bezieht alle Merkmale ein, in denen Artikel
13 EG-Vertrag eine Diskriminierung verbietet. Dazu gehören auch das Geschlecht, die sexuelle
Identität, die Religion und Weltschauung sowie Alter und Behinderung. Für diese Ausweitung
spricht auch, dass die übrigen Merkmale durch die parallele, wenn auch rein arbeitsrechtliche
Richtlinie zur Bestimmung eines allgemeinen Rahmens zur Durchsetzung des
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Gleichbehandlungsgrundsatzes in Beschäftigung und Beruf angesprochen werden. Die sexuelle
Identität nimmt Bezug auf die Benachteiligung von Homosexuellen männlichen und
weiblichen Geschlechts. Erfasst werden aber auch transsexuelle oder zwischengeschlechtliche
Menschen. Um dies auch sprachlich klarzustellen, ist hier statt des in Art. 13 EG-Vertrag
verwendeten Formulierung der „sexuellen Ausrichtung“ klarstellend der Begriff der „sexuellen
Identität“ gewählt worden. Entsprechend Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes und Artikel
13 EG-Vertrag sowie und im Vorgriff auf die gerade genannte Richtlinie zur Bestimmung
eines allgemeinen Rahmens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Beschäftigung
und Beruf, die dieses Merkmal ebenfalls zum Gegenstand hat, wird in die Vorschrift
auch die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung aufgenommen.
Es ist erwogen worden, die in Artikel 3 des Grundgesetzes über Artikel 13 EG-Vertrag hinaus
enthaltenen Diskriminierungsmerkmale Abstammung, Heimat und Herkunft in den Katalog
aufzunehmen. Diese Kriterien spielen aber nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat eine
Rolle, nicht indessen bei dem hier zu behandelnden Privatrechtsverkehr. Gewisse Bedeutung
kann auch im Privatrechtsverkehr das Merkmal Sprache haben. Dies ist aber nur dann
der Fall, wenn die Sprache zur Diskriminierung instrumentalisiert wird. Die Verwendung einer
bestimmten Sprache, z. B. des Deutschen oder auch anderer Sprachen in Deutschland, ist
bei Abschluss und Durchführung von Rechtsgeschäften als solche keine Diskriminierung.
Die Verwendung einer Sprache ist wertneutral. Inhalt, Modalitäten und Abwicklung eines
Rechtsgeschäfts werden durch die verwendete Sprache nicht beeinflusst. Es müssen vielmehr
andere Umstände hinzutreten.
Das benachteiligende Handeln auf dem Gebiet des Zivilrechts ist nach der Richtlinie der Zugang
zu Gütern und Dienstleistungen, zur Bildung, zum Gesundheitsschutz und zur unselbständigen
Erwerbstätigkeit. Diese Formulierung entspricht dem Sprachgebrauch des EGVertrags
und der dort garantierten Freiheiten. Sie entspricht aber nicht dem Sprachgebrauch
des deutschen Zivilrechts und wirkt hier missverständlich. Dies gilt insbesondere für den
Begriff der Dienstleistung. Dienstleistung deutet im Bürgerlichen Gesetzbuch eher auf
Dienstverträge hin. Diese werden zwar von dem Richtlinienbegriff „Dienstleistung“ erfasst,
dieser geht aber weit darüber hinaus. Deshalb werden in Nummer 1 alle Vertragstypen genannt.
Es ist erwogen worden, die einschlägigen Vertragstypen anzuführen. Im Ergebnis
müssten aber alle geregelten Vertragstypen des BGB und auch nicht gesetzlich geregelte
Vertragsformen genannt werden, weil die Richtlinie nach dem Inhalt und nicht nach der Vertragform
abgrenzt. Dann aber führt die Nennung einzelner Vertragstypen nicht weiter.
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Zugang zu und Versorgung mit Gütern (dem deutschen Sprachgebrauch angepasst wird hier
der Begriff Waren verwendet) meint vor allem die Möglichkeit zum Abschluss und die Ausgestaltung
von Kaufverträgen. Der Gegenstand der Kaufverträge ist hierbei ohne Bedeutung.
Es kann sich um Gegenstände des täglichen Bedarfs handeln. Gemeint sind aber auch andere
und auch sehr werthaltige Gegenstände, wie z. B. ein Grundstück. In welcher Form die
Waren angeboten werden, ist ebenso ohne Bedeutung. In erster Linie geschieht dies durch
den Abschluss von Kaufverträgen. Es kommt aber auch vor, dass der Zugang zu einer Ware
den Beitritt zu einem Verein oder einer Gesellschaft voraussetzt. In diesem Fall muss auch
der diskriminierungsfreie Zugang zu diesem Verein oder der Gesellschaft gewährt werden.
Dienstleistung ist hier im umfassenden Sinne des EG-Vertrags zu verstehen. Danach ist mit
Dienstleistungen nicht nur der Abschluss von Dienst- und Werkverträgen gemeint. Angesprochen
werden damit auch Geschäftsbesorgungsverträge, Mietverträge und Finanzdienstleistungen,
also auch Kredit- und Versicherungsverträge, Leasingverträge usw. Ausdrücklich
hervorzuheben sind Mietverträge, die EG-rechtlich ebenfalls Dienstleistungen darstellen.
Auch bei Dienstleistungen ist die Ausgestaltung des Zugangs und der Versorgung
mit diesen gleichgültig. Der bereits erwähnte Fall des Sängerclubs, dem aufgrund seiner
homosexuellen Mitglieder rechtswidrig die Aufnahme in den staatlich unterstützen Dachverband
verweigert wurde, würde nunmehr dem § 319a unterfallen. Die Verteilung der Gelder
durch den Dachverband ausschließlich an seine Mitgliedsverbände ist als Dienstleistung
anzusehen, die von dem Zugang zu einem Verein abhängig ist. Insofern müsste auch in solchen
Fällen diskriminierungsfreier Zugang zu einem Verein oder einer Gesellschaft gewährt
werden. Unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zu Dienstleistungen sind also in der Terminologie
des Bürgerlichen Gesetzbuchs Dienst-, Werk-, Geschäftsbesorgungsverträge und
ähnliche Schuldverhältnisse zu nennen.
Nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe h) der Richtlinie werden zwar Verträge in weitgehendem
Umfang erfasst, aber nur, wenn sie „der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“. Das sind Waren
und Dienstleistungen, die öffentlich angeboten werden. Diese Fälle werden in Fallgruppe
a) der Nummer 1 benannt. Das Benachteiligungsverbot gilt nur für den Zugang zu und die
Versorgung mit Waren und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Das ist nur der Fall, wenn sie in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit angeboten werden.
Dies ist bei öffentlichen Anpreisungen der Fall. Aber auch Anzeigen in Tageszeitungen würden
dazu ausreichen. Es kommt nicht darauf an, wie groß die Öffentlichkeit ist, die angesprochen
wird. Entscheidend ist allein, dass das Angebot den Bereich der Privatsphäre verlassen
hat. Dieser Bereich ist aber im Sinne der Richtlinie eng auszulegen. Nach Artikel 3
Abs. 1 Buchstabe a), e) und g) der Richtlinie werden andere Verträge unabhängig davon
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erfasst, ob sie öffentlich angeboten werden. Voraussetzung ist in diesen Fällen ein bestimmter
Vertragsgegenstand. Diese Fälle werden in Fallgruppe b) der Nummer 1 bezeichnet.
Der Gegenstand des Diskriminierungsverbots wäre damit aber nicht vollständig umschrieben.
Es bedarf der Klärung, welche Handlungen im Zusammenhang mit solchen Verträgen
gemeint sind. Das ist zunächst die Verweigerung eines Rechtsgeschäftes. Sie ist die unmittelbare
Form von Diskriminierungen beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen. Der Zugang
hierzu ist in der Regel nur durch den Abschluss von Rechtsgeschäften möglich. Die
Entscheidung über den Abschluss oder die Verweigerung des Rechtsgeschäfts ist daher die
primäre Form der Diskriminierung.
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass der Zugang zu Waren und Dienstleistungen durch die
Bedingungen der dafür notwendigen Verträge entscheidend mitgesteuert werden kann.
Wenn die Bedingungen zu nachteilig ausgestaltet sind, wird der Betroffene praktisch gezwungen
sein, von dem Rechtsgeschäft Abstand zu nehmen, obwohl der andere Teil ihm
den Abschluss zu den nachteiligen Bedingungen durchaus nicht verweigern würde. Deshalb
werden auch benachteiligende Ausgestaltungen von Verträgen, aber auch von einseitigen
Rechtsgeschäften, wie z. B. der Auslobung, angesprochen. Das bedeutet aber auch, dass
der Inhalt von Verträgen am Diskriminierungsverbot zu messen ist. § 319a ergänzt damit
inhaltlich auch § 307 Abs. 1. Anders als dieser gilt er aber nicht nur bei Verträgen mit Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, sondern auch bei Individualverträgen.
Eine Beschränkung auf Verträge würde allerdings den Bedürfnissen des Alltags nicht gerecht.
Innerhalb von Dauerschuldverhältnissen werden vielfach Vergünstigungen gewährt,
bei denen Benachteiligungen vorkommen können. Zu bedenken ist auch, dass Benachteiligungen
nicht nur bei Verträgen, sondern auch in Dauerschuldverhältnissen gesellschaftsoder
vereinsrechtlicher Art vorkommen können.
Eine Benachteiligung im Sinne des Absatzes 1 kann auch indirekt vorgenommen werden. Zu
denken ist an Fallgestaltungen, in denen das maßgebliche Diskriminierungsmerkmal nicht
bei dem (unmittelbar) Benachteiligten selbst, sondern bei einem Dritten vorliegt. Dieser wird
sich zwar in aller Regel selbst gegen eine Diskriminierung wehren können. Das ist aber nicht
immer so. Ein Beispiel sind die Eltern eines geistig behinderten Kindes, die für dieses Kind
keine Haftpflichtversicherung abschließen können. Benachteiligt sind die Eltern, in deren
Person das Merkmal der Behinderung selbst nicht vorliegt. Das Kind selbst kann sich nicht
wehren, weil die Eltern die Versicherung abschließen wollen, um sich gegen die Risiken ihrer
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eigenen Haftpflicht für Aufsichtsfehler abzusichern. In solchen Fällen wirkt das Benachteiligungsverbot
zugunsten der an sich nicht betroffenen Dritten. Voraussetzung ist aber stets
ein verwandtschaftliches oder ein vergleichbares Näheverhältnis. Denn nur bei Vorliegen
eines solchen Näheverhältnisses kann bei dem Dritten ein Nachteil entstehen, der auf einem
der angesprochenen Diskriminierungsmerkmale beruht.
Mit Nummer 2 wird auch der Bereich des Zugangs zu Berufsverbänden angesprochen. Damit
sind nicht die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gemeint, für die eigene Regeln
geschaffen werden sollen. Gemeint sind hiermit andere Vereine, in denen sich z. B. die Angehörige
freier Berufe zusammenschließen.
Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot ziehen die Rechtsfolgen des § 319e nach sich.
Der Betroffene soll sich gegen die Diskriminierung mit einem Unterlassungs- und einem Folgenbeseitigungsanspruch
wehren können, der ganz wesentlich auch auf eine benachteiligungsfreie
Behandlung gerichtet ist. Im Einzelfall kann ein Rechtsgeschäft allerdings auch
wegen des Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des § 319a gemäß § 134 nichtig sein.
Das ist dann der Fall, wenn der Sinn und Zweck des Geschäftes gerade in der Benachteiligung
besteht. Wenn das Geschäft aber benachteiligungsfrei ausgestaltet werden kann, dann
ist es nicht nichtig. Dann nämlich soll der einzelne nach § 319e erreichen können, dass es
benachteiligungsfrei ausgestaltet wird. Das wäre aber nicht möglich, wenn es von vornherein
unwirksam wäre.
Die Vorschrift verzichtet auf die Definition der Behinderung. Am Begriff der Behinderung wird
aufgrund seiner Verankerung in Artikel 3 Abs. 3 Satz des Grundgesetzes anstelle einer direkten
Übernahme des international gebräuchlichen Behindertenbegriffs der Weltgesundheitsorganisation
(WHO), der den Terminus "Beeinträchtigung" (disability) vorsieht, festgehalten.
Für die Definition des Begriffs der Behinderung kann zunächst an die Definition
von Behinderung, wie sie etwa im SGB IX oder dem künftigen Behindertengleichstellungsgesetz
vorgesehen ist, angeknüpft werden; diese muss aber im Zweifel weiter ausgelegt werden.
Für den Bereich des zivilrechtlichen Verbots von Diskriminierung aufgrund einer Behinderung
kommt es nämlich z.B. nicht auf die Begriffsabgrenzungen zwischen den sozialrechtlichen
Tatbeständen an, die der Abgrenzung der jeweils verfolgten Leistungs- und Förderzwecke
dienen. Insbesondere kommt im Zivilrecht den Abgrenzungen zwischen Behinderung
und Schwerbehinderung sowie altersbedingter Behinderungen anders als im Sozialrecht
keine Bedeutung zu. Der Begriff der Behinderung ist für den Bereich des zivilrechtlichen
Rechtsverkehrs und den übrigen Anwendungsbereich dieses Gesetzes also weit auszulegen.
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Absatz 1 erfasst sowohl die mittelbare als auch die unmittelbare Benachteiligung. Es ist erwogen
worden, in Anlehnung an § 611a auf eine solche Präzisierung zu verzichten. Da aber
auf jeden Fall auch der Fall der Belästigung besonders erfasst werden muss, scheint das
nicht zweckmäßig. Erfasst wird nach Absatz 1 sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare
Benachteiligung und auch die Belästigung. Diese Begriffe werden in § 319b definiert. Darauf
wird zur Erläuterung verwiesen.