A. Allgemeines
1. Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Artikel 3 des Grundgesetzes verpflichtet die Staatsgewalten dazu, alle Bürger gleich zu behandeln.
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner
Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, religiösen und politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden, niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden. Artikel 13 EG-Vertrags verbietet eine Diskriminierung aus Gründen des
Geschlechts, der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer
Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz ist
als Ausfluss der Menschenwürde Kernelement der Werteordnung unseres Grundgesetzes
und der Europäischen Union. Diese Wertordnung des Grundgesetzes und insbesondere der
Gleichbehandlungsgrundsatz ist aber nicht nur von Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung
zu beachten. Sie wirken über die Generalklauseln des Zivilrechts, insbesondere die
§§ 138, 226, 242 und 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in die Gesellschaft hinein. Die
Einwirkung insbesondere des Gleichheitsgrundsatzes auf die Gesellschaft hat dazu geführt,
dass dieser in den Beziehungen der Bürger untereinander weithin zur Selbstverständlichkeit
geworden ist. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Personen oder Personengruppen
wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer Behinderung
zurückgesetzt und benachteiligt werden. Wohnungen werden häufiger nicht an
Mitbürger anderer ethnischer Herkunft vermietet. Ein Sängerdachverband will einen Sängerclub,
dessen Mitglieder homosexuelle Männer und Frauen sind, nicht aufnehmen, obwohl
dieser sonst alle Kriterien erfüllt und der Dachverband auch jeden anderen Sängerverein in
seinem Einzugsbereich aufnimmt. Solche und ähnliche Fälle belegen, dass die Beachtung
des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch nicht für alle Bürger zur Selbstverständlichkeit geworden
ist. Dies aber will der Entwurf erreichen und rechtlich absichern.
Einer der Gründe dafür, dass eine solche Absicherung notwendig ist, ist die bisherige konstruktive
Einbindung der Wertordnung des Grundgesetzes in das Zivilrecht. Die Beachtung
der Werte des Grundgesetzes und insbesondere des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird
den Bürgern nicht durch eine unmittelbare Zivilrechtsnorm zur Pflicht gemacht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz
und die übrigen Teile der Wertordnung des Grundgesetzes wirken
vielmehr indirekt über die sogenannten Generalklauseln in das Bürgerliche Recht hinein. Sie
prägen das Verständnis des Sittengesetzes und der Anforderungen von Treu und Glauben
vor und vermögen so, die Verhaltensanforderungen des Einzelnen im Rechtsverkehr zu
bestimmen. Dies kann in der Praxis durchaus wirksam sein. Das erwähnte Beispiel des Sängerclubs
belegt, dass auch mit den Generalklauseln der Gleichbehandlungsgrundsatz
durchgesetzt werden kann. Im konkreten Fall hat das Landgericht Karlsruhe gestützt auf
§ 826 BGB einen Aufnahmeanspruch bejaht und den Dachverband zur Aufnahme des aus
homosexuellen Mitgliedern bestehenden Sängerclubs verurteilt, da dieser nur so an den dem
Dachverband gewährten staatlichen Zuwendungen teilhaben könne (Urteil vom 11. August
2000, Az. 2 O 243/00), differenzierend demgegenüber: Kammergericht, NJW-RR 1993,
183). Der Nachteil dieser Lösung besteht aber in zwei Umständen: Die Grundrechte und insbesondere
das Gleichbehandlungsgebot wirken auf diese Weise zwar durchaus effizient,
aber eben unauffällig, ja geradezu unbemerkt in das Zivilrecht hinein. Zum anderen kann der
Betroffene seinen Gleichbehandlungsanspruch gegenüber anderen Bürgern nur unter den
besonderen Voraussetzungen dieser Generalklauseln durchsetzen. Ein solches Regelungsgefüge
ist nicht geeignet, auf die Bürger einzuwirken, für die die Beachtung des Gleichbehandlungsgebots
im Verhältnis zu ihren Mitbürgern noch nicht selbstverständlich geworden
ist. Und hierum geht es. Die Fraktionen der SPD und von Bündnis 90 /Die Grünen haben in
der 13. Wahlperiode deshalb Entwürfe für ein Antidiskriminierungsgesetz bzw. ein Gleichstellungsgesetz
vorgelegt (BT-Drs. 13/9706 und 13/10081), die beide im Kern zwei Ziele
verfolgen: Zum einen soll das Diskriminierungsverbot den Bürgern untereinander zur eindeutigen
Pflicht gemacht werden. Zum anderen soll der Betroffene Verletzungen des Diskriminierungsverbots
effizienter als bisher durchsetzen können. Diese Anliegen greift der Entwurf
auf. Mit diesen Regelungen soll ein eindeutiges Signal dafür gesetzt werden, dass die Bundesregierung
in allen Rechtsbereichen insbesondere rassistisch oder fremdenfeindlich motiviertes
Handeln ächtet. Hier soll dem Einzelnen ein entsprechendes rechtliches Instrumentarium
zur Verfügung gestellt werden, damit über staatliche Sanktionsmöglichkeiten hinaus
auch der einzelne solchen Verhaltensweisen wirksam entgegentreten kann. Dieses Ziel will
der Entwurf vor allem im Bereich und mit den Mitteln des allgemeinen Zivilrechtsverwirklichen.
Zusätzlich wird dabei als öffentlich rechtliche Vorschrift die Bundeshaushaltsordnung
und eine Strafvorschriftmiteinbezogen, die in engem Zusammenhang hiermit steht.
2. Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000
a)
Ein ganz ähnliches Anliegen verfolgt die Europäische Union mit der Richtlinie 2000/43/EG
des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne
Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG Nr. L 180 S. 22). Mit dieser
Richtlinie soll erreicht werden, dass die Rasse oder die ethnische Herkunft eines Menschen
die Beziehung der Bürger untereinander nicht mehr beeinflussen. Andere Diskriminierungs-
merkmale werden in dieser Richtlinie nicht angesprochen. Diese sind zum Gegenstand der
parallelen Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines
allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und
Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16). Die Richtlinien sind spätestens drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten
umzusetzen. In erster Linie angesprochen wird von beiden Richtlinien die Gleichbehandlung
im Bereich des Arbeits- und Ausbildungsrechts. In Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe h
bezieht die Richtlinie aber auch „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen,
die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum“ und
damit letztlich den Bereich des Vertragsrechts und des allgemeinen Zivilrechtsverkehrs mit
ein. In Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe a ist das Vertragsrecht darüber hinaus insoweit betroffen,
soweit es um die dem allgemeinen Vertragsrecht zuzuordnenden Beschäftigungsverhältnisse,
in Buchstaben c als es um die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich
der Entlassungsbedingungen geht. Hier werden zur Umsetzung weitere Regelungen erfolgen
müssen, die jedoch der Materie des Arbeitsrechts zuzuordnen sind und insoweit nicht zum
Gegenstand der hier vorgesehenen allgemeinen Vorschriften des Vertragsrechts gemacht
werden sollen. Im vorliegenden Entwurf müssen aber die Dienstverträge und ähnliche Vertragsverhältnisse
außerhalb des Arbeitsrechts berücksichtigt werden. Die Richtlinie
2000/43/EG erfasst in Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe e und g auch Verträge im Rahmen der Gesundheitsversorgung,
also den privatrechtlichen Behandlungsvertrag, und der Bildung, also
Privatschuldverträge und andere Verträge über Ausbildungsleistungen. In Artikel 3 Abs. 1
Buchstabe d erfasst diese Richtlinie auch den Zugang zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden,
aber auch anderen Berufsverbänden. In diesem Entwurf sollen nur die rein vertragsrechtlichen
Bestimmungen umgesetzt werden. Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen
und die Frage des Zugangs zu und der Mitwirkung in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände
sollen dagegen in einem speziellen arbeitsrechtlich ausgerichtetem Antidiskriminierungsgesetz
umgesetzt werden. Diese Richtlinie ist bis zum Ablauf des 19. Juli 2003 umzusetzen.
b) Bei der Umsetzung ist sicherzustellen, dass niemand im allgemeinen Rechtsverkehr wegen
der Rasse oder der ethnischen Herkunft benachteiligt wird. Ausgenommen hiervon sind
nur Ungleichbehandlungen wegen einer beruflichen Tätigkeit, für die die Rasse oder die ethnische
Herkunft eine zwingende berufliche Anforderung ist, ohne die die Tätigkeit nicht
durchgeführt werden kann. Dies wird nur sehr selten vorkommen. Der Betroffene muss die
Verletzung des Benachteiligungsverbots durch eigene Ansprüche effektiv durchsetzen können.
Ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, sich dabei der Hilfe von Verbänden zu bedienen.
Hierbei können auch Elemente der Streitschlichtung eingefügt werden. Außerdem
muss eine Beweislastverteilung zu Gunsten des von einer Diskriminierung Betroffenen vor-
gesehen werden. Wenn der Betroffene Tatsachen vorträgt, die eine Diskriminierung vermuten
lassen, muss derjenige, dem die Diskriminierung vorgeworfen wird, beweisen, dass keine
Diskriminierung vorliegt.
c) Auf besondere Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinienvorgaben könnte nur verzichtet
werden, wenn das geltende deutsche Recht unter Einschluss der gefestigten höchstrichterlichen
Rechtsprechung diesen Anforderungen jetzt schon genügen würde. Das ist
nicht der Fall:
- Im deutschen Recht gibt es keine ausdrückliche Vorschrift, die dem Einzelnen das Verbot,
andere aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft zu diskriminieren, auferlegen
würde.
- Nach den bekannt gewordenen Urteilen kann zwar davon ausgegangen werden, dass die
Gerichte in evidenten Streitfällen von der Geltung eines Benachteiligungsverbotes ausgehen
und entsprechend entscheiden würden. Eine in der Weise gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung, die eine nationale Gesetzgebung zur Umsetzung der Richtlinie entbehrlich
machen würde, gibt es hierfür jedenfalls im Bereich des allgemeinen Zivilrechts
nicht.
- Die Ansprüche des Betroffenen, sich gegen eine diskriminierende Benachteiligung wehren
zu können, müssen aus den allgemeinen Vorschriften abgeleitet werden. Ein Unterlassungsanspruch
ist im deutschen Recht nicht für alle absoluten Rechtsgüter explizit geregelt.
Stattdessen wendet man § 1004 BGB analog auf diese Rechtsgüter an. Dazu gehört
auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das durch eine unzulässige Benachteiligung
aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft beeinträchtigt wird. Ein Unterlassungsanspruch
setzt allerdings grundsätzlich voraus, dass Wiederholungsgefahr besteht
und wirkt deshalb nur für die Zukunft. Den tatsächlich eingetretenen Folgen einer Benachteiligung
kann nach geltendem Recht nur mit einem Schadenersatzanspruch begegnet
werden, der nach § 826 BGB von einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung abhängt.
Eine Diskriminierung kann zwar eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung darstellen,
allerdings wird das Interesse des Betroffenen vorrangig dahingehen, diskriminierungsfrei
behandelt zu werden. Ein solcher Anspruch lässt sich in bestimmten Fällen aus
allgemeinen Vorschriften begründen. Aus § 826 BGB kann ein Anspruch auf Abschluss
eines verbotswidrig verweigerten Vertrages abgeleitet werden, wenn der Anspruchsgegner
eine Monopolstellung hat. Ob ein solcher Anspruch auch gegenüber anderen Perso-
nen besteht und ob er auch darauf gerichtet sein kann, eine Änderung des Vertrages mit
dem Ziel benachteiligungsfreier Vertragsbedingungen zu erreichen, ist jedoch unsicher.
- Allgemeine Regelungen über die Beweislast gibt es im deutschen Recht nicht. Die Beweislast
wird vielmehr aus der Formulierung der materiell-rechtlichen Tatbestände abgeleitet.
Die hier in Betracht kommenden allgemeinen Regelungen gehen grundsätzlich davon
aus, dass der Betroffene die Grundlagen seines Anspruchs darzulegen und zu beweisen
hat. Demgegenüber verlangt die Richtlinie eine gesetzliche Beweislastverlagerung
zugunsten des Betroffenen für den Fall, dass der Betroffene Tatsachen glaubhaft vorgetragen
habe, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Dies lässt sich im deutschen
Recht nur unter Anwendung der Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins erreichen,
die nicht kodifiziert, sondern von der Rechtsprechung entwickelt sind und von ihr im
konkreten Fall angewendet werden. Ob dies in den hier angesprochenen Situationen der
Fall sein wird und welches Ergebnis die Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze haben
wird, lässt sich nicht sicher vorhersagen.
Dies bedeutet, dass das deutsche Recht jedenfalls für das Anwendungsfeld des Artikels 3
Abs. 1 Buchstabe h der Richtlinie, also für den Zugang zu Waren und Dienstleistungen, keine
besonderen Regelungen enthält. Auch die hierfür zur Verfügung stehenden allgemeinen
Vorschriften des Zivil- und Vertragsrechts sowie die hierzu entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze
der Rechtsprechung sind nicht speziell auf Diskriminierungen zugeschnitten. Es
kann zwar davon ausgegangen werden, dass weite Teile der Richtlinie mit Hilfe dieser Vorschriften
werden umgesetzt werden können. Mit Sicherheit sagen lässt sich dies aber nicht.
Auch enthalten die vorhandenen allgemeinen Vorschriften Lücken, die nach der Richtlinie
nicht vorhanden sein dürfen. Entsprechendes gilt für die in Artikel 3 Abs. 1 Buchstaben a), c),
d), e) und g) der Richtlinie geregelten Bereiche des Zugangs und der Mitwirkung in sonstigen
Berufsverbänden, bei privatrechtlichen Arztbehandlungsverträgen und Verträgen über Bildungsleistungen.
Der deutsche Gesetzgeber muss daher im Bereich des allgemeinen Zivilrechts
spezielle Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie im Anwendungsfeld des Artikels 3
Abs. 1 Buchstaben a), c), d), e), g) und h) der Richtlinie erlassen.
3. Umsetzung der Richtlinie in bezug auf den Zugang zu Waren und Dienstleistungen
und auf Beschäftigungsverhältnisse
a)
Im Anwendungsfeld des Artikels 3 Abs. 1 Buchstabe h der Richtlinie müssen allgemeine
Vorschriften über ein Benachteiligungsverbot und die Möglichkeiten gegen Verstöße vorzugehen,
geregelt werden. Diese Regelungen stellen allgemeines Vertragsrecht dar, wobei es
um die Möglichkeit des Abschlusses von Verträgen und einer diskriminierungsfreien Gestal-
tung solcher Verträge geht. Damit stellt sich zunächst die Frage nach dem Standort entsprechender
Regelungen. Es wurde erwogen, solche Regelungen in ein zivilrechtliches Spezialgesetz
einzustellen. Davon ist jedoch Abstand genommen worden, weil eine solche Lösung
dem politischen Anliegen der Richtlinie und damit auch der Umsetzung nicht entsprechen
würde. Die Richtlinie will ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen und
ist deswegen auch vor der parallelen Richtlinie über einen allgemeinen Rahmen zur Durchsetzung
des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Beschäftigung und Beruf erlassen worden.
Ein zivilrechtliches Sondergesetz würde diesem politischen Anspruch nicht genügen. Zivilrechtliche
Sondergesetze werden in aller Regel als Spezialmaterie begriffen, für die sich
Spezialisten interessieren. Es ist zu erwarten, dass dies auch bei einem isolierten Antidiskriminierungsgesetz
geschehen würde. Im Zeitpunkt seines Erlasses würde es eine gewisse
Aufmerksamkeit erregen, danach aber schnell als entlegene Spezialmaterie begriffen, mit
der man sich nicht beschäftigen muss. Genau das Gegenteil ist gewollt. In der deutschen
Rechtstradition ist dies aber nur zu erreichen, wenn entsprechende Vorschriften in das BGB
selbst aufgenommen werden. Das BGB ist die zentrale Regelung des deutschen Zivilrechts.
Vorschriften, die hier enthalten sind, werden als das Rechtsleben bestimmend wahrgenommen.
Und genau das ist mit den Vorschriften über das Benachteiligungsverbot anzustreben.
Im BGB selbst ist als Standort das allgemeine Vertragsrecht (§§ 311 ff.) von der Thematik
her am ehesten für die Aufnahme entsprechender Vorschriften geeignet. Im übrigen sieht der
Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Rückführung der Spezialgesetze
auf dem Gebiet des Schuldrechts in das BGB vor, um zu erreichen, dass das Schuldrecht
übersichtlicher wird. Dies zwingt dazu, auch hier eine integrative Lösung zu wählen, die dem
Vorhaben auch sachlich am nächsten entspricht. In diese wären auch Dienst- und ähnliche
Verhältnisse außerhalb von Arbeitsverhältnissen, der Zugang zu Berufsverbänden und die
besonderen Bereiche des Gesundheitsschutzes und der Bildung in Privatrechtsform einzubeziehen.
Arbeitsverhältnisse sollen dagegen zum Gegenstand einer besonderen Regelung
und daher hier nicht behandelt werden.
b) Diese Vorschriften müssen nach der Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft für Diskriminierungen
aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft vorgesehen werden. Für andere Diskriminierungsmerkmale
müssten nach dieser Richtlinie keine Vorschriften erlassen werden.
Würden sich solche Vorschriften aber nur auf die beiden EG-rechtlich bereits vorbestimmten
Diskriminierungsmerkmale beschränken, würde die Wirkung der vorgesehenen Bestimmungen
in ihr Gegenteil verkehrt. Ein solches Vorgehen könnte gerade diejenigen, für die die
Gleichbehandlung ihrer Mitbürger keine Selbstverständlichkeit ist, zu dem fatalen Trugschluss
verleiten, dass Benachteiligungen nach anderen Kriterien, als denen der Rasse und
der ethnischen Herkunft, erlaubt seien. Zumindest würde der ebenso unglückliche Eindruck
entstehen, als sollten die anderen Gruppen nicht besonders geschützt werden. Dem muss
von vornherein entgegengewirkt werden. Das ist nur möglich, wenn das Benachteiligungsverbot
breiter angelegt und auch auf andere Diskriminierungsmerkmale ausgedehnt wird, für
die in der Gesetzgebung der Europäischen Union zu Artikel 13 des EG-Vertrags ein Regelungsbedürfnis
gesehen wird. Dies sind neben der Rasse und der ethnischen Herkunft auch
die sexuelle Identität, die Religion, die Weltanschauung, das Alter und die Behinderung (personeller
Anwendungsbereich). Berücksichtigt werden sollte auch die Diskriminierung wegen
des Geschlechts, die schon vor Schaffung des Artikels 13 des EG-Vertrags Gegenstand EGrechtlichen
Regelungen war.
c) Die Regelungen sollen für die Rechtsgeschäfte vorgesehen werden, für welche die Europäische
Union einen Regelungsbedarf sieht (sachlicher Anwendungsbereich).
Dies ist zunächst der Bereich des Zugangs zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen,
die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum. Mit
der Beschränkung auf Güter- und Dienstleistungsangebote, die der Öffentlichkeit zur Verfügung
stehen, will die Richtlinie den berechtigten Interessen am Schutz der Privatsphäre
Rechnung tragen. Diese Interessen sind auch in Deutschland durch die Grundrechte geschützt.
Deshalb soll diese Beschränkung übernommen werden. In welcher Form Güter und
Dienstleistungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, ist aus der Sicht des EG-Rechts
gleichgültig. Dies gilt auch für § 319a BGB-E, der auf der Formulierung dieser Regelungen
aufbaut, der besseren Einfügung in den üblichen Sprachgebrauch wegen allerdings den
Begriff „Waren“ statt „Güter“ verwendet.
Erfasst werden sollen ferner auch Dienst- und ähnliche Vertragsverhältnisse, die keine Arbeitsverhältnisse
sind, bei denen besondere Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung
auch auf der Ebene des EG-Rechts notwendig erscheinen.
In die Regelungen einbezogen werden schließlich auch die privatrechtliche Gesundheitsversorgung
und Bildung sowie der Zugang zu Berufsverbänden außerhalb der Gewerkschaften
und Arbeitgeberverbände.
d) Der neue Untertitel im Bürgerlichen Gesetzbuch besteht aus vier Vorschriften. § 319a bestimmt
die verbotenen Benachteiligungskriterien. Die Vorschrift bestimmt auch den Anwendungsbereich
des Benachteiligungsverbots. § 319b definiert die begriff der unmittelbaren und
der mittelbaren Benachteiligung sowie der Belästigung. § 319c regelt die Beweislastverlage-
rung, wie es die Richtlinie verlangt. § 319d sieht, wie die Richtlinie dies zulässt, die Möglichkeit
vor, auf derartige Kriterien dann abzustellen, wenn sie zwingende berufliche Erfordernisse
darstellen, was allerdings in der Praxis nur ganz ausnahmsweise der Fall sein wird. Außerdem
werden zulässige Ungleichbehandlungen wegen des Alters und einer Behinderung
auf die durch objektive Merkmale zwingend gebotene Unterscheidungen beschränkt. Entsprechendes
gilt für Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität. In § 319e wird ein Unterlassungs-
und ein Folgenbeseitigungsanspruch definiert. Sofern weder Unterlassen, noch
Folgenbeseitigung geeignet ist, um die Benachteiligung auszugleichen, kommt eine Entschädigung
in Geld in Betracht.
e) Zur Unterstützung von Klagen des Einzelnen wird ein besonderes zivilrechtliches Verbandsklagerecht
der betroffenen Verbände eingeführt. Dieses folgt dem Muster des § 2 des
Unterlassungsklagengesetzes und wird deshalb dort eingestellt. Die Zulässigkeit von Klagen
sowohl der Verbände, als auch des Einzelnen sollen aber davon abhängig gemacht werden
können, dass zuvor ein Schlichtungsversuch unternommen worden und dieser gescheitert
ist. Der Zwang zum Schlichtungsversuch kann die Beteiligten an einen Tisch bringen und
ihnen die Möglichkeit geben, den Konflikt einvernehmlich zu bereinigen. Dies ist in aller Regel
der effektivste Weg, um auf eine Bewusstseinsänderung derjenigen Bürger hinzuwirken,
die das Benachteiligungsverbot nicht beachtet haben. Deshalb wäre es gut, wenn die Länder
möglichst umfassend von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden.
4. Indirekte Durchsetzung des Benachteiligungsverbots
Das Benachteiligungsverbot soll aber nicht nur durch unmittelbar geltende zivilrechtliche
Vorschriften im Anwendungsbereich des Artikels 3 Abs. 1 Buchstabe a), c), d) e), g) und h)
der Richtlinie durchgesetzt werden. Der Staat selber muss auch aktiv an der Umsetzung dieser
zivilrechtlichen Vorschriften mitwirken. Dazu hat er in zwei Schlüsselbereichen eine sehr
effektive Möglichkeit. Es handelt sich um die Vergabe von Subventionen und um die Vergabe
öffentlicher Aufträge. Zuwendungen und öffentliche Aufträge sollten nur Unternehmer
erhalten, die das Benachteiligungsverbot auch tatsächlich umsetzen. Deshalb soll bestimmt
werden, dass Zuwendungen des Bundes nur gegeben werden dürfen, wenn sichergestellt
ist, dass der Zuwendungsempfänger das Benachteiligungsverbot auch einhält. Entsprechendes
soll für öffentliche Aufträge gelten. Beide Maßnahmen sind nicht nur wegen ihrer Effizienz,
sondern auch wegen ihrer Symbolwirkung von wesentlicher Bedeutung für die Umsetzung
der Richtlinie.
5. Internationale Übereinkommen
Hinzuweisen ist auch auf das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung (CERD) vom 7. März 1966 (BGBl. 1969 II S. 961) sowie das Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) vom 18.
Dezember 1979 (BGBl. 1985 II S. 648). Die beiden Übereinkommen der Vereinten Nationen
verpflichten die Bundesrepublik Deutschland, Maßnahmen zu ergreifen, um ungerechtfertigte
Diskriminierung zu unterbinden bzw. zu bekämpfen. In Artikel 2 Abs. 1 CERD verpflichten
sich die Vertragsstaaten, mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik der Beseitigung
der Rassendiskriminierung zu verfolgen Rassendiskriminierung mit allen geeigneten
Mitteln einschließlich der durch die Umstände erforderlichen Rechtsvorschriften zu beenden(
Artikel 2 Abs. 1 d CERD). Die Vertragstaaten gewährleisten das Recht auf Zugang zu
jedem Ort oder Dienst, der für die Benutzung durch die Öffentlichkeit vorgesehen ist, wie
Verkehrsmittel, Hotels, Gaststätten, Cafés, Theater und Parks (Artikel 5 f CERD). Dies ist in
Zukunft durch § 319a BGB ausdrücklich geregelt. Außerdem gewährleisten die Vertragsstaaten
darüber hinaus, dass jede Person wirksamen Schutz und wirksame Rechtsbehelfe
vor den nationalen Gerichten gegen diskriminierende Maßnahmen einlegen kann (Artikel 6
CERD). Dazu zählt auch das Recht, bei den Gerichten eine angemessene Entschädigung
oder Genugtuung für jeden infolge von Rassendiskriminierung erlittenen Schaden zu verlangen.
Dies ist nunmehr in § 319e BGB ausdrücklich vorgesehen. Das Zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz
verstärkt insoweit die Rechte der Betroffenen über die zivilrechtlichen
Generalklauseln und die bisherigen rechtlichen Möglichkeiten hinaus und unterstreicht die
Bedeutung dieses Anliegens.
Gemäß Artikel 2 CEDAW haben sich die Vertragsstaaten auch verpflichtet, mit allen geeigneten
Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen.
Sie verpflichten sich, durch geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen,
gegebenenfalls auch Sanktionen, jede Diskriminierung der Frau zu verbieten (Artikel 2b CEDAW)
sowie alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau
durch Personen, Organisationen oder Unternehmen zu ergreifen (Artikel 2e CEDAW). Der
vorliegende Entwurf intensiviert auch hier die Rechte der Betroffenen.
6. Änderungen im Recht der Geschäftsfähigkeit
Zum Abbau der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen soll zunächst das Recht
der Geschäftsfähigkeit mit dem Ziel geändert werden, die Rechtsstellung geistig behinderter
Menschen zu verbessern, ihre soziale Emanzipation zu fördern und ihre Fähigkeiten zu stärken.
Dies darf und soll aber nicht zum Abbau von Vorschriften führen, die zum Schutz der
Betroffenen unabdingbar sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht von der Regel aus, dass
jeder Mensch geschäftsfähig ist. Es normiert deshalb nur als Ausnahme, wann jemand als
geschäftsunfähig gilt, und legt für diesen Fall fest, dass zum Schutz vor den rechtlichen Folgen
des Handelns eines Geschäftsunfähigen dessen Erklärungen keine rechtliche Wirkung
herbeizuführen vermögen. Geistige Behinderung bedeutet vor allem eine Beeinträchtigung
der intellektuellen Fähigkeiten, so dass durch spezielle Förderung und Begleitung viele geistig
behinderte Menschen lernen können, ein ihren Bedürfnissen gerecht werdendes Leben
zu führen. In diesem Sinne will der Entwurf geistig behinderten Menschen Möglichkeiten
schaffen, im bestimmten Maße am Rechtsverkehr teilnehmen zu können, ohne den von der
Rechtsordnung zu gewährenden Schutz aufzugeben. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass von
volljährigen geistig behinderten und deswegen geschäftsunfähigen Menschen im Bereich
des täglichen Lebens geschlossene Verträge rechtlich anerkannt werden. Mit dieser Regelung
soll der Bestand des durchgeführten Vertrages gesichert und eine Rückforderung von
bewirkter Leistung und Gegenleistung ausgeschlossen werden. Es sollen jedoch keine gegenseitigen
Vertragspflichten entstehen, die dem Schutz des Geschäftsunfähigen zuwiderlaufen
könnten. Daher soll im Bereich der Heim- und Werkstättenverträge den Trägern einerseits
und dem Geschäftsunfähigen andererseits ein Schutz vor Rückforderung bei einer
möglichen Vertragsabwicklung und den Geschäftsunfähigen zugleich ein Schutz vor sofortiger
Beendigung des „Vertrages“ gewährleistet werden.
7. Weitere Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen
Die Vorschriften über die Testierfähigkeit sowie die Vernehmung von Zeugen in Zivil- und
Strafverfahren berücksichtigt nicht immer in der gebotenen Weise die Bedürfnisse und das
Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderungen. Dem ist zwar durch die Auslegung
der bestehenden Vorschriften durch die Rechtsprechung teilweise bereits Rechnung
getragen, es soll jedoch durchgängig verbessert und in Rechtsnormen verankert werden.
Diese Verbesserungen sieht der Entwurf vor.
8. Regelungsbereiche speziell in bezug auf behinderte Menschen außerhalb des
Zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes
a)
Im Zusammenhang mit der Verbesserung der rechtlichen Situation blinder und sehbehinderter
Menschen ist auf den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
(BT-Drs. 14/6040), der im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
eine Regelung vorsieht, wonach allgemeine Geschäftsbedingungen nur
dann Bestandteil eines Vertrages werden, wenn der Verwender bei Vertragsschluss der anderen
Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine körperli-
che Behinderung der anderen Vertragspartei berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu
nehmen. Diese Regelung bezieht sich vor allem auf Menschen mit einer Sehbehinderung.
Da in Rechtsprechung und Lehre diese Fallkonstellation entweder gar nicht oder nur am
Rande behandelt wird, wurde hier gesetzgeberischer Klarstellungsbedarf gesehen. Die von
der Rechtsprechung zur Frage der zumutbaren Kenntnisverschaffung entwickelten allgemeinen
Grundsätze passen bei Vertragspartnern, die in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt
sind, regelmäßig nicht. Menschen mit einer Sehbehinderung werden trotz ausdrücklichen
Hinweises auf die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ihres
Aushangs oder ihres Ausliegens in Papierform am Ort des Vertragsschlusses in aller Regel
nicht die Möglichkeit haben, von deren Inhalt in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen.
Vielmehr bedürfen sie insoweit weiterer Hilfsmittel wie etwa der Übergabe der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen in einer Form, die ihnen die Kenntnisnahme vor Vertragsschluss ermöglicht.
Dies kann im Einzelfall durch Übergabe in elektronischer oder akustischer Form
oder auch in Braille-Schrift erfolgen.
b) Im Mietrecht hat das am 1. September 2001 in Kraft getretene Mietrechtsreformgesetz
vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1658) im Bürgerlichen Gesetzbuch erstmals eine ausdrückliche
Regelung zur Barrierefreiheit (§ 554a BGB) geschaffen. Dadurch wird die Situation behinderter
Mieter und ihrer Angehörigen erheblich erleichtert, weil sie im Bedarfsfall die Wohnung
behindertengerecht umbauen können. Der Mieter hat danach gegenüber dem Vermieter einen
Anspruch auf Zustimmung zu behindertengerechten Ein- und Umbautren innerhalb und
außerhalb der Wohnung, die der Vermieter nur noch dann verweigern kann, wenn ganz gewichtige
Gründe dagegen sprechen, z.B. die Statik des Hauses eine Türverbreiterung nicht
zulässt.
c) Der seit längerem von Behinderten- und Gehörlosenverbänden geforderte Streichung von
§ 828 Abs. 2 Satz 2 wird im Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften
(2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz) erfolgen. Das Gesetzgebungsverfahren
ist noch nicht abgeschlossen, das Gesetz soll aber noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet
werden. Hintergrund der beabsichtigten Streichung ist der von Betroffenen und deren
Verbänden als diskriminierend empfundene Charakter der, da sie gehörlose oder taubstumme
Menschen unabhängig von ihrem Alter Minderjährigen im Alter zwischen 7 und 18
Jahren gleichstelle. Damit würde der unzutreffende Eindruck erweckt, dass Gehörlose auch
in bezug auf ihre intellektuellen Fähigkeiten nur Minderjährigen gleichstünden. Da es keinen
überzeugenden Grund für einen Sondertatbestand für gehörlose oder taubstumme Menschen
gibt, soll die Vorschrift trotz ihrer ursprünglichen Zielrichtung als Schutzvorschrift für
gehörlose Menschen ersatzlos gestrichen werden. Es ist dabei nicht zu erwarten, dass die
vorgesehene Streichung zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung von gehörlosen
Menschen führen wird, da zum einen die haftungsrechtliche Privilegierung schon jetzt durch
die Billigkeitsentschädigung nach § 829 eingeschränkt wird und zum anderen die Anwendung
der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auch nach Streichung des § 828 Abs.
2 Satz 2 einen gewissen Spielraum zulässt, um die besonderen Verhältnisse von gehörlosen
Menschen zu berücksichtigen.
d) Eine ebenfalls bei der Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen thematisierte
Frage ist die Problematik der blinden Schöffen. § 33 Nr. 4 GVG bestimmt, dass Personen,
die wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zu dem Amt eines Schöffen nicht geeignet
sind, nicht als Schöffen berufen werden sollen. Welche Gebrechen zur Ungeeignetheit
zum Schöffenamt führen, hat der Gesetzgeber nicht selbst entschieden. Die Beurteilung dieser
Frage überlässt das Gesetz als Tatfrage vielmehr den zuständigen Behörden und Gerichten
im Einzelfall. Diese müssen unter verfassungskonformer Auslegung der entsprechenden
Vorschriften entscheiden, welche geistigen oder körperlichen Gebrechen zur Ungeeignetheit
führen. Ausschlaggebend ist dabei die Art des Gebrechens und seine Auswirkung
auf die Fähigkeit, den Anforderungen des auch körperlich sehr fordernden Schöffenamtes im
Verfahren zu genügen. Reine Praktikabilitätserwägungen (ein Gericht verfügt beispielsweise
nicht über einen rollstuhlgerechten Zugang) dürfen in diesem Zusammenhang allerdings keine
Rolle spielen.
§ 33 Nr. 4 GVG soll nicht geändert werden. Er spricht behinderten Menschen nicht generell
die Eignung zum Schöffenamt ab, sondern fordert eine Prognose über die Eignung des betroffenen
Kandidaten zum Schöffenamt im Einzelfall. Die Grenzziehung zwischen Eignung
und Ungeeignetheit hierbei den Behörden und Gerichten im Einzelfall zu überlassen, sichert
die notwendige Flexibilität und ermöglicht eine individuelle Einschätzung der Fähigkeiten des
betroffenen Kandidaten. Die Vorschrift ist daher sachgerecht und hat sich bewährt. Auch die
Rechtspraxis zu der Beteiligung blinder Menschen am Schöffenamt gibt keinen Anlass zur
Änderung des § 33 Nr. 4 GVG. Dem Sehvermögen kommt im Strafverfahren eine besondere
Bedeutung zu. Richter müssen sich von den Verhaltensweisen und Reaktionen der Prozessbeteiligten
durch aufmerksame Beobachtung einen Eindruck verschaffen, der für die Beweiswürdigung
bedeutsam werden kann. Im Strafverfahren kommt es daher besonders auch
auf visuelle Eindrücke an. Diesen Anforderungen können blinde Richter durch die Schärfung
anderer Sinnesorgane und mit Hilfe verfahrensrechtlich zulässiger Unterstützung nur eingeschränkt
gerecht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die Streichung eines
Blinden von der Schöffenliste unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht beanstan-
det (vgl. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1989 –
2 BvR 467/89).
e) Soweit im Zusammenhang mit dem Abbau von Benachteiligungen für blinde und sehbehinderte
Menschen Fragen des Urheberrechts angesprochen sind, werden diese im Zusammenhang
mit der sog. Multimediarichtlinie im Rahmen des anstehenden Urheberrechtsänderungsgesetzes
geregelt werden.
f) Die Frage einer Angleichung des Strafrahmens des § 179 StGB (Sexueller Missbrauch
widerstandsunfähiger Personen, insbesondere behinderter Mädchen und Frauen) an die
Vorschrift des § 177 StGB (Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) wird gesondert geprüft und
ggf. in einem Strafrechtsänderungsgesetz weiterverfolgt.
g) Neben dem Entwurf eines Zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes ist der Entwurf
eines Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz
– BGG) erarbeitet worden, welcher im Schwerpunkt öffentlich-rechtlich ausgerichteten Regelungen
zum Inhalt hat. Ziel des Gesetzes ist die Beseitigung und Verhinderung der Benachteiligung
und die Ermöglichung der gleichberechtigten Teilhabe von behinderten Menschen
am Leben in der Gesellschaft einschließlich einer selbstbestimmten Lebensführung.
Zentrale Regelungsanliegen dieses Gesetzesentwurfs sind vor allem Vorschriften zur
Schaffung von Barrierefreiheit. Barrierefreiheit meint dabei nicht nur die Beseitigung räumlicher
Barrieren für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte, sondern auch die Möglichkeit barrierefreier
Kommunikation für blinde und sehbehinderte Menschen in den elektronischen Medien
und die Kommunikation gehörlose oder hörbehinderte Menschen mittels Gebärdendolmetscher
oder anderer Kommunikationshilfen. Daneben enthält das Behindertengleichstellungsgesetz
eine Vorschrift zur Berücksichtigung der besonderen Belange behinderter Frauen und
Änderungen von sonstigen Vorschriften aus dem Bereich des öffentlichen Rechts, z.B. die
Umformulierung einer Vielzahl von als diskriminierend empfundenen berufsrechtlichen Regelungen.
Als Instrumentarien zur Durchsetzung der entsprechenden Rechte, sind z.B. ein
öffentlich-rechtliches Verbandsklagerecht und die Möglichkeit der Rechtsberatung durch
Verbände vorgesehen.
8. Gesetzgebungskompetenz
Der Entwurf stützt sich auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 Abs. 1
Nr. 1 des Grundgesetzes (Bürgerliches Recht, Strafrecht, Gerichtsverfassung, gerichtliches
Verfahren). Der angestrebte Schutz vor Diskriminierungen im Zivilrecht kann nur durch eine
bundeseinheitliche Regelung erreicht werden. Die Schutzvorschriften müssen sich in das
bereits bundeseinheitlich geregelte Zivilrecht einfügen. Auch kann der gebotene gleichmäßiger
Schutz der betroffenen unter diesen Bedingungen nur durch eine bundeseinheitliche
Regelung gewährleistet werden. Schließlich ist auch nur so eine effektive Umsetzung der
Richtlinie 2000/43/EG sicherzustellen. Dies gilt gerade auch angesichts des von der Richtlinie
geforderten Instrumentariums, wie Beweiserleichterung, Rechtsberatung durch Verbände
sowie die Möglichkeit der zivilrechtlichen Verbandsklage und eine strafrechtliche Sanktionsnorm.
Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und der Wahrung
der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse ist demnach eine bundesgesetzliche Regelung
erforderlich (Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes. Soweit Vorschriften über das gerichtlichen
Verfahren in Zivil- und Strafprozess sowie diesbezügliche kostenrechtliche Regelungen
betroffen sind, werden die bereits bestehenden Regelungen, z.B. zur Zeugenvernehmung
und Eidesleistung lediglich dahingehend ergänzt, dass Benachteiligungen von behinderten
Menschen abgebaut werden. Es muss bundeseinheitlich gewährleistet bleiben, wie
dies zu erfolgen hat und dass dabei die gleichberechtigte Möglichkeit der gebärdensprachlichen
Verständigung neben der Lautsprache gegeben ist, und die hierbei entstehenden Kosten
nicht den Betroffenen auferlegt werden.