Abschnitt 3 - Schutz vor Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr

Das allgemeine Privatrecht regelt vor allem die Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere im Vertragsrecht. Die Privatautonomie genießt einen hohen von der Verfassung geschützten Rang. Ohne das Prinzip der Vertragsfreiheit sind moderne Gesellschaften nicht denkbar. Zivilgesellschaften sind also auf das vor allem durch Verträge in freier Selbstbestimmung gesetzte private Recht angewiesen.

Die privatrechtliche Handlungsfreiheit gilt aber nicht schrankenlos. Zu dem durch Art. 3 des Grundgesetzes dokumentierten Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland gehört es,, dass bestimmte Unterscheidungen auch im Bereich des Privatrechts, für den Art. 3 GG nicht unmittelbar gilt, als unerwünscht gelten können. Schon die geltende Rechtsordnung verpflichtet vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge auch Private zum Vertragsschluss oder legt ihnen (zum Beispiel im Arbeitsrecht, im Mietrecht oder im Verbraucherrecht) Beschränkungen zum Schutz der strukturell schwächeren Partei auf. Zur Bekämpfung von Diskriminierungen, also von sozial unerwünschten Ungleichbehandlungen, stellt das Zivilrecht darüber hinaus vor allem die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Verfügung: Zu nennen sind hier § 138 BGB (Sittenwidriges Rechtsgeschäft) und § 242 BGB (Leistung nach Treu und Glauben), aber auch das Recht der unerlaubten Handlung (§§ 823, 826 BGB). Das geltende Recht vermag aber nicht auf alle Fälle sozial nicht erwünschter Unterscheidungen angemessen zu reagieren.

Wenn der Gesetzgeber Privatpersonen ein Benachteiligungsverbot im Hinblick auf die in Artikel 3 Abs. 3 GG enthaltenen Merkmale auferlegt (Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauung und Behinderung), greift er damit zugleich in die durch Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie ein. Darüber hinaus wird das Recht, den Vertragspartner frei zu wählen und den Inhalt des Vertrages frei zu gestalten, zusätzlich durch spezielle Grundrechte geschützt. Zu nennen sind beispielsweise im Arbeitsrecht Artikel 12 GG (Berufsfreiheit), im Mietrecht Artikel 14 GG (Eigentumsgarantie) oder im Hinblick auf eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen Artikel 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit).

Ein privatrechtliches Benachteiligungsverbot kann aber wegen der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem potentiellen Vertragspartner gerechtfertigt sein. Die Privatautonomie kann sich nämlich nur entfalten, wenn diese Freiheit auch realisiert werden kann. Insbesondere in Fällen diskriminierender Vertragsverweigerung fehlt es bislang an einem ausdrücklich geregelten Instrumentarium. Zur Vertragsfreiheit gehört nämlich auch die Möglichkeit, Verträge tatsächlich abschließen zu können. Der Gesetzgeber hat daher eine Balance herzustellen, die einerseits die Grundlagen der Privatautonomie – freie Bestimmung des Vertragsinhalts, freie Auswahl des Vertragspartners – berücksichtigen muss. Andererseits muss er die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich diese Prinzipien für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen entfalten können. Dabei ist zumindest erforderlich, dass in den wesentlichen Bereichen des alltäglichen Rechtslebens (vgl. § 20) Regelungen für alle relevanten Diskriminierungsmerkmale geschaffen werden.

Stellt der Gesetzgeber eine solche Gefährdungslage fest – insoweit kommt ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu - muss er zwischen den gegenläufigen Grundrechtspositionen der Parteien im Privatrecht einen angemessenen Ausgleich finden. Hierbei ist dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsfreiraum eingeräumt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, Seite 169 = NJW 1998, Seite 1475). Weil sowohl die Schwere des Eingriffs in die Privatautonomie als auch die Schutzbedürftigkeit der Vertragspartner vom Gegenstand des Schuldverhältnisses und der tatsächlichen gesellschaftlichen Situation abhängen, sind differenzierte Lösungen nicht nur zulässig, sondern auch geboten.

Aus Artikel 13 Abs. 1 EG-Vertrag ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Bestimmung können geeignete Vorkehrungen getroffen werden, „um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“ Auch Artikel 13 Abs. 1 EG-Vertrag entfaltet keine unmittelbare Wirkung zwischen privaten Parteien. Mit der Antiras-sismus-Richtlinie 2000/43/EG wurden umfassende Diskriminierungsverbote aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft beschlossen, die unter anderem das allgemeine Privatrecht umfassen. Die Rahmenrichtlinie Beschäftigung 2000/78/EG bekämpft Benachteiligung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Sie gilt aber nur für Beschäftigung und Beruf und nicht für das allgemeine Privatrecht. Die Gleichbehandlungs-Richtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt .../.../EG [noch nicht erlassen, Fassung vom 6. Oktober 2004] schließlich enthält differenzierte Vorgaben zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern im allgemeinen Privatrecht, insbesondere auch für privatrechtliche Versicherungsverträge.

Diesem sowohl nach deutschem Verfassungsrecht als auch nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaft gebotenen differenzierten Ansatz folgen die §§ 20 ff:

§ 20 Abs. 1 verankert ein allgemeines Diskriminierungsverbot in der Privatrechtsordnung, das bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von privatrechtlichen Schuldverhältnissen zur Anwendung kommt. Es gilt einerseits für Massengeschäfte, insbesondere also für diejenigen Verträge, die typischerweise ohne Ansehen der Person zustande kommen oder aber bei denen der personellen Auswahl untergeordnete Bedeutung zukommt. Es gilt des Weiteren für alle privatrechtlichen Versicherungen.

Ungleichbehandlungen beispielsweise wegen des Geschlechts, einer Behinderung oder des Alters sind nicht selten höchst erwünscht und sozial akzeptiert (z.B. Rabatte für ältere oder jüngere Kunden) bzw. folgen zumindest objektiven Notwendigkeiten (z.B. Zugangsbeschränkungen bei gefährlichen Dienstleistungen aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht). Sie sind also nicht per se diskriminierend. Diesen differenzierten Anforderungen trägt § 21 Satz 1 Rechnung, der eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bei einem sachlichen Grund erlaubt und typische Fälle über Regelbeispiele in § 21 Satz 2 Nr. 1 bis 5 erfasst.

Für Menschen mit Behinderungen setzt § 20 das Prinzip der Gleichbehandlung in weiten Bereichen des Privatrechts durch. Er begründet aber keinen Anspruch auf besondere Anpassungsund Teilhabeleistungen. Diese Leistungen sollen systemgerecht weiterhin dem öffentlichen Recht vorbehalten bleiben, insbesondere dem Sozialrecht, etwa durch Leistungen zur Teilhabe (§ 4 SGB IX). Das hat seinen Grund auch darin, dass die mit den Anpassungsleistungen verbundenen Kosten nicht einzelnen Privaten aufgebürdet werden können, sondern - über die Finanzierung durch Steuern und andere Abgaben - von der Allgemeinheit zu tragen sind.

Der differenzierte Anwendungsbereich des §20 Abs. 1 nebst Rechtfertigungsgründen nach § 21 dient zugleich der Umsetzung der Gleichbehandlungs-Richtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt .../.../EG [noch nicht erlassen, Entwurf vom 6. Oktober 2004] im allgemeinen Privatrecht. Das Regelbeispiel des § 21 Satz 2 Nr. 5 erfasst die auf nationaler und europäischer Ebene intensiv diskutierte Frage der „Unisex-Tarife“ bei privatrechtlichen Versicherungsverträgen. Ein umfassendes Diskriminierungsverbot aus Gründen der Rasse oder we-gen der ethnischen Herkunft ist durch die Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG vorgegeben. Dem trägt § 20 Abs. 2 Rechnung, indem er über den sachlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 hinausgeht. Weil kaum eine billigenswerte Unterscheidung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft denkbar ist, bedarf es hier auch keiner Rechtfertigungsgründe. Wegen der anderen Merkmale – Religion und Weltanschauung, Alter, Behinderung, sexuelle Identität – enthält das Gemeinschaftsrecht keine Vorgaben.

Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot sind in § 22 geregelt: Der Benachteiligte kann Unterlassung, Beseitigung sowie Schadensersatz bzw. Entschädigung verlangen. Wäre im Fall eines Vertragsverweigerung ohne die Benachteiligung ein Vertrag zustande gekommen, so kann er auch den Abschluss eines Vertrages verlangen.