Zu Absatz 1
Absatz 1 regelt das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot. Erfasst sind hiernach Massengeschäfte bzw. vergleichbare Schuldverhältnisse (Nummer 1) und darüber hinaus alle privatrechtliche Versicherungen aller Art (Nummer 2).
Absatz 1 Nr. 1 erfasst in der ersten Alternative zunächst Massengeschäfte, also diejenigen zivilrechtlichen Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person in einer Vielzahl von Fällen zu gleichen Bedingungen zustande kommen. Dieser Tatbestand ermöglicht die erforderliche Balance zwischen dem Schutz vor diskriminierendem Verhalten im Privatrechtsverkehr einerseits und der gebotenen Wahrung der Vertragsfreiheit andererseits. Die Vorschrift setzt zugleich Art. 2a Abs. 1 der Gleichbehandlungs-Richtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt .../.../EG [noch nicht erlassen, Entwurf vom 6. Oktober 2004] um, die ebenfalls darauf abstellt, dass es sich um Güter und Dienstleistungen handeln muss, die ohne Ansehen der Person abgesetzt werden. In Art. 2a Abs. 1a dieser Richtlinie weist die Europäische Gemeinschaft ausdrücklich auf die Bedeutung der freien Wahl des Vertragspartners hin.
Erfasst sind zivilrechtliche Schuldverhältnisse aller Art. Meist wird es sich – wie bei dem erweiterten Benachteiligungsverbot aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft nach Absatz 2 – um den Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen handeln (siehe auch § 2 Abs. 1 Nr. 8, der Art. 3 Abs. 1 h) der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG wörtlich übernimmt). Der Tatbestand ist allerdings insoweit enger als Absatz 2 i.V.m. §2 Abs. 1 Nr. 8, weil nur diejenigen Schuldverhältnisse erfasst sind, die darüber hinaus bei einer typisierenden Betrachtungsweise in einer Vielzahl von Fällen ohne Ansehen der Person zustande kommen. Damit müssen für ein Massengeschäft folgende weitere Kriterien erfüllt sein:
Zum einen geht es damit nicht um einmalige Sachverhalte, sondern um Fälle, die häufig auftreten. Ob es sich typischerweise um eine „Vielzahl von Fällen“ handelt, ist aus der Sicht der Anbieterseite zu beurteilen, denn an sie (und nicht an den nachfragenden Kunden) richtet sich das Benachteiligungsverbot. So ist etwa der Absatz von Gebrauchtwagen für den gewerblichen Kfz-Händler ein Geschäft, das er in einer Vielzahl von Fällen abwickelt. Anders ist es bei einer Privatperson, die ihren gebrauchten Pkw verkaufen will. Damit sind in der Regel also nur diejenigen Leistungen vom allgemeinen zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erfasst, die von Unternehmen erbracht werden, also von natürlichen oder juristischen Personen, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Selbständigkeit handeln (§ 14 BGB). Der mit dem Benachteiligungsverbot zwangsläufig verbundene Eingriff in die Vertragsfreiheit lässt sich bei Unternehmen eher rechtfertigen, weil sie sich mit ihrem Leistungsangebot in die öffentliche Sphäre begeben und es damit grundsätzlich an die Allgemeinheit richten (so schon Bydlinski, Archiv für die civilistische Praxis 180 [1980], 1, 39).
Weiterhin muss es sich um Schuldverhältnisse handeln, die typischerweise „ohne Ansehen der Person“ und „zu gleichen Bedingungen“ begründet, durchgeführt und beendet werden. Denn die sozial verwerfliche Diskriminierung unterscheidet sich von der durch das Prinzip der Vertragsfreiheit gedeckten erlaubten Differenzierung gerade dadurch, dass willkürlich und ohne sachlichen Grund einzelnen Personen der Zugang zu einer Leistung verwehrt oder erschwert wird, die ansonsten anderen Personen gleichermaßen zur Verfügung steht. Ein Schuldverhältnis wird ohne Ansehen der Person begründet, durchgeführt oder beendet, wenn hierbei die in § 1 genannten Merkmale typischerweise keine Rolle spielen.
Insbesondere im Bereich der Konsumgüterwirtschaft und bei standardisierten Dienstleistungen kommen Verträge typischerweise ohne Ansehen der Person zustande: Im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Transportwesen schließen die Unternehmer im Rahmen ihrer Kapazitäten Verträge ohne weiteres mit jeder zahlungswilligen und zahlungsfähigen Person, ohne dass nach den in § 1 genannten Merkmalen unterschieden würde. Natürlich hängt der Vertrag häufig auch hier von weiteren, vertragsspezifischen Bedingungen ab, die sich aus Treu und Glauben, aus der Verkehrssitte oder aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben: Ein Taxifahrer muss einen Fahrgast mit extrem verschmutzter Kleidung nicht befördern; ein Gastwirt kann einen randalierenden Besucher aus der Gaststätte weisen. Diese Handlungen sind schon deshalb nicht benachteiligend im Sinne dieses Gesetzes, weil sie weder unmittelbar noch mittelbar an die in § 1 genannten Merkmale anknüpfen.
Weil Massengeschäfte regelmäßig „ohne Ansehen der Person“ zustande kommen, werden die-se Verträge (und andere Schuldverhältnisse) typischerweise auch „zu vergleichbaren Bedingungen“ begründet, durchgeführt und beendet. Die Gleichbehandlung bei Erbringung der Leis-tung ist letztlich Spiegelbild der Tatsache, dass der Anbieter bei der Auswahl des Vertragspartners nicht unterscheidet.
Differenziert der Unternehmer im Einzelfall bei der Auswahl des Vertragspartners oder bei der Erbringung der Leistung dennoch von vorne herein nach den in § 1 genannten Merkmalen, ändert sich nichts an der Anwendbarkeit der Vorschrift. Die Einordnung als Massengeschäft erfolgt nämlich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise. So sind etwa Freizeiteinrichtungen (Badeanstalten, Fitnessclubs etc.) typischerweise für Angehörige jedes Geschlechts und jedes Alters zugänglich. Die Differenzierung nach diesen Merkmalen im Einzelfall
(z.B. gesonderte Öffnungszeiten in einer Badeanstalt nur für Frauen, Altersbeschränkungen bei der Aufnahme in einen Fitnessclub) ist also nur zulässig, sofern sie nach §21 wegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt ist.
Unerheblich ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise auch, ob einzelne Vertragspartner beispielsweise wegen eines besonderen Verhandlungsgeschicks im Einzelfall Preisnachlässe erreichen. Differenzierungen, die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten dienen und Merkmale des §1 betreffen (z.B. ein Mindestalter aus Gründen des Jugendschutzes verlangen), sind selbstverständlich ohne weiteres zulässig.
Auch Privatversicherungen können strukturell Massengeschäfte i.S.d. Nummer 1 sein, wenn bei dem angebotenen Versicherungsschutz typischerweise auf die Ermittlung von Risikoindikatoren verzichtet wird, die vom Anwendungsbereich des § 1 erfasst sind. Das ist etwa bei Reisegepäckversicherungen der Fall, die aber auch – wie andere privatrechtliche Versicherungen, insbesondere die private Kranken- und Lebensversicherung – grundsätzlich über Nummer 2 erfasst werden. Bei der Überlassung von Räumen wird es sich meist nicht um Massengeschäfte im Sinne der ersten Alternative handeln, denn die Anbieter von Wohn- oder Geschäftsräumen wählen ihren Vertragspartner regelmäßig individuell nach vielfältigen Kriterien aus dem Bewerberkreis aus. Anders kann es sich verhalten, wenn etwa der Vertragsschluss über Hotelzimmer oder Ferienwohnungen über das Internet abgewickelt und hierbei auf eine individuelle Mieterauswahl verzichtet wird. Kreditgeschäfte beruhen meist auf einer individuellen Risikoprüfung. Auch hier wird es sich deshalb regelmäßig nicht um Massengeschäfte handeln.
Von der zweiten Alternative werden auch Rechtsgeschäfte erfasst, bei denen „das Ansehen der Person“ zwar eine Rolle spielt; diese Voraussetzung jedoch eine nachrangige Bedeutung hat. Dies wird z.B. vielfach der Fall sein, wenn ein großer Wohnungsanbieter eine Vielzahl von Wohnungen anbietet.