Abschnitt 4 - Rechtsschutz
Zu § 23 – Beweislast
Die Vorschrift regelt die Grundsätze der Beweislast in den Fällen unterschiedlicher Behandlung. Sie ist § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB nachgebildet und erfüllt die Vorgaben der Beweislastrichtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997. Die Vorschrift setzt Artikel 8 der Richtlinie 2000/43/EG und Artikel 10 der Richtlinie 2000/78/EG um.
Auch nach den Grundsätzen des europäischen Rechts trägt derjenige, der sich auf eine Benachteiligung beruft, in einem Rechtsstreit die Beweislast für diese anspruchsbegründende Tatsache. Wenn er aber dem ersten Anschein nach diskriminiert ist und aufgrund der spezifischen Situation kein wirksames Mittel hätte, um seine Rechte durchzusetzen, kehrt sich die Beweislast um (so auch schon vor Erlass der Beweislastrichtlinie EuGH Rs. C-127/92 vom 27.10.1993
– Enderby). Es entspricht ebenso den Grundsätzen des deutschen Prozessrechts, die Anforderungen an die Darlegungs-und Beweislast danach zu bestimmen, im Einflussbereich welcher Partei sich bestimmte Vorgänge ereignet haben.
Der Kläger muss daher nach den allgemeinen Grundsätzen zunächst den Vollbeweis führen, dass er gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist. Weiter muss er sog. Vermutungstatsachen vortragen, aus denen sich schließen lässt, dass diese unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 unzulässigen Grund beruht. Welche Anforderungen daran im Einzelfall zu stellen sind, können nur die Gerichte unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 138 ZPO beurteilen. Danach sind einerseits Erklärungen „ins Blaue hinein“ unzulässig, andererseits ist zu beachten, welche Informationen einer Prozesspartei überhaupt zugänglich sind. Ein tatsächlicher Anhaltspunkt kann sich etwa aus einer nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibung (§ 10) ergeben.
Auch die Ergebnisse von Statistiken oder so genannten Testing-Verfahren können im Rahmen der richterlichen Würdigung des Sachverhalts einen tatsächlichen Anhaltspunkt darstellen. Bei Testing-Verfahren wird z. B. eine Vergleichsperson eingesetzt, um zu überprüfen, ob ein Verhalten gegenüber einer Person, bei der eines der in § 1 genannten Merkmale vorliegt, gleichermaßen auch gegenüber der Vergleichsperson, bei der dies nicht der Fall ist, erfolgt. Der Beklagte hat dazu gemäß § 138 ZPO konkret Stellung zu nehmen. Soweit einzelne Tatsachen nicht – ausreichend – bestritten werden, kommt es auf Beweisfragen nicht an. Bleiben Vermutungstatsachen streitig, hat der Kläger sie mit den in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Beweismitteln nachzuweisen. Die Anforderungen an das Beweismaß werden dabei jedoch abgesenkt. Es genügt, wenn das Gericht ihr Vorliegen für überwiegend wahrscheinlich hält (siehe zur Auslegung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB BAG Urteil vom 5. Februar 2004 – 8AZR 112/03, NJW 2004, 2112). Stehen dem Kläger dabei keine anderen Beweismittel, insbesondere Zeugen zur Verfügung, hat das Gericht alle zulässigen Möglichkeiten der Anhörung (§ 141 ZPO) und Vernehmung (§ 448 ZPO) des Klägers auszunutzen (BAG Urteil vom 6. Dezember 2001 – 2 AZR 396/00, AP zu § 286 ZPO Nr. 33; BGH Urteil vom 16. Juli 1998 – 1 ZR 32/96, NJW 1999
S. 363). Ist danach eine unzulässige Motivation der unterschiedlichen Behandlung zu vermuten, trägt der Beklagte die volle Beweislast dafür, dass doch kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt. Das betrifft vor allem das Vorliegen rechtfertigender Gründe. Im Falle einer Belästigung oder sexuellen Belästigung kommt regelmäßig keine Rechtfertigung in Betracht. Ein nachträglich vorgebrachter Grund ist nur dann geeignet, die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen, wenn besondere Umstände erkennen lassen, dass dieser Grund nicht nur vorgeschoben ist (Bundesverfassungsgericht vom 16.11.1993, Az. 1 BvR 258/86).