Hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an. Er konzentriert sich auf die "natürliche" ", d.h. die nicht altersbedingte, Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2. Eine diesbezügliche Änderung des Rechts der Geschäftsunfähigkeit in Richtung einer differenzierteren Behandlung geistig behinderter Menschen ist seit längerem in der Diskussion. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Geschäftsunfähigkeit Volljähriger und die daran anknüpfende Nichtigkeit von Willenserklärungen nach § 105 BGB dem Schutz der Betroffenen dienen. Sie gehen von einem bestimmten Grad geistiger Behinderung aus, den die Rechtsordnung in der Wirklichkeit vorfindet und der nicht durch Normen aus der Welt geschaffen werden kann. Diese Ausgangslage ist bei allen Überlegungen zur Verbesserung der rechtlichen Stellung von Geschäftsunfähigen zu berücksichtigen.
Der Entwurf greift diesen Gedanken auf, indem in einem neuen § 105a die Rechtsfolgen bei der Vornahme von Alltagsgeschäften durch Geschäftsunfähige neu gefasst werden, wobei sich die Neueinfügung nur auf die volljährigen Geschäftsunfähigen erstreckt. Bei der Regelung des § 105a bleibt die in § 104 Nr. 2 statuierte Definition der natürlichen Geschäftsunfähigkeit ebenso unberührt wie die in § 105 Abs. 1 niedergelegte Rechtsfolgenbestimmung der Nichtigkeit der Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen. Bewusst stellt § 105a nicht auf die Abgabe einer Willenserklärung des Geschäftsunfähigen ab, sondern fingiert lediglich einen wirksamen, erfüllten Vertrag im Hinblick auf bewirkte Leistung und deren Gegenleistung.
Dem Geschäftsunfähigen wird die Möglichkeit eröffnet, Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, in Ansehung von Leistung und Gegenleistung wirksam vorzunehmen. Die Rückabwicklung von erbrachter Leistung und Gegenleistung ist ausgeschlossen, sobald diese bewirkt sind. Diese Regelung lehnt sich an die vor allem aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannte Wirksamkeit sog. "necessaries"-Verträge an.
Der Kreis der von § 105a erfassten Geschäfte betrifft sowohl entgeltliche als auch unentgeltliche
Geschäfte. Auf existenznotwendige Geschäfte im engsten Sinne wird dabei nicht abgestellt. Das
Tatbestandsmerkmal "täglich" verlangt nicht, dass das in Betracht kommende Geschäft notwendigerweise
jeden Tag vorgenommen werden müsste. Entscheidend ist vielmehr, ob die Verkehrsauffassung das
Geschäft zu den alltäglichen Geschäften zählt. In Betracht kommen etwa:
- Erwerb von Gegenständen des täglichen Bedarfs wie einfache, zum alsbaldigen Verbrauch bestimmte
Nahrungs- bzw. Genussmittel, die nach Menge und Wert das übliche Maß nicht übersteigen (z. B.
Lebensmittel), kosmetische Artikel (z. B. Zahnpasta), einfache medizinische Produkte (z. B.
Halsschmerztabletten), Presseerzeugnisse (z. B. Illustrierte), Textilien,
- einfache Dienstleistungen (z. B. Friseur, Versendung von Briefen, Museumsbesuch, Fahrten mit
dem Personennahverkehr).
Die Leistung muss mit geringen Mitteln, typischerweise als Barzahlung, bewirkt werden können. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschäftsunfähigen dürfen jedoch nicht als Kriterium herangezogen werden, da dies die Sicherheit des Rechtsverkehrs deutlich erschweren würde und wohl auch gerichtliche Verfahren infolge der Rechtsunsicherheit nach sich ziehen könnte. Als Orientierung kann deshalb das durchschnittliche Preis- und Einkommensniveau dienen. Der Wert bezieht sich jeweils auf den Vertragsschluss insgesamt. Werden beispielsweise mehrere Dinge mit ein und demselben Kauf erworben, so ist die Summe des Gesamtkaufpreises maßgeblich. Diese Regelung dient dem Schutz des Geschäftsunfähigen vor Verschwendung und gewährleistet, dass für den Geschäftsunfähigen die Angelegenheit auch im Hinblick auf die Zahl einzelner Vertragspositionen überschaubar bleibt.
Satz 1 fingiert einen wirksamen Vertrag in Ansehung von Leistung und Gegenleistung, sobald diese bewirkt sind. Mit dieser Fiktion wird lediglich eine Rückforderung von bewirkter Leistung und Gegenleistung ausgeschlossen, sobald diese bewirkt sind. Der "Vertrag" ist jedoch nicht von Anfang an wirksam, so dass keine gegenseitigen Vertragspflichten, die dem Schutz des Geschäftsunfähigen zuwiderlaufen könnten, begründet werden.
Satz 1 geht dabei davon aus, dass eine Bewirkung von Leistung und Gegenleistung durch den Geschäftsunfähigen möglich sein muss, da nur dann die in Satz 1 angeordnete Fiktionswirkung eintreten kann. Daraus ergibt sich, dass für die Zwecke von Satz 1 die Wirksamkeit des Erfüllungsgeschäftes bzw. der Erfüllungsgeschäfte, mit denen typischerweise die Bewirkung der Leistungen vollzogen wird, nicht ihrerseits daran scheitern darf, dass der Geschäftsunfähige keine wirksame Willenserklärung abgeben kann. Die Bewirkung der von dem Geschäftsunfähigen erbrachten oder entgegen genommenen Leistungen ist also nicht dadurch ausgeschlossen, dass er geschäftsunfähig ist.
Satz 2 ordnet an, dass die Fiktionswirkung des Satzes 1 nicht eingreift, wenn eine erhebliche Gefahr für die Person oder Vermögen des Geschäftsunfähigen besteht. Dadurch wird der aus § 1903 bekannte Grundgedanke, dass der Betreute unter bestimmten Umständen vor sich selbst geschützt werden muss, auf den Geschäftsunfähigen übertragen. Die angesetzte Schwelle ist bewusst hoch; in diesem Fall bleibt es bei der Nichtigkeitsfolge des § 105, auch wenn ansonsten die Voraussetzungen für die Fiktion eines wirksamen Vertrags nach Satz 1 vorlägen. Satz 2 bewirkt damit, dass der Schutz des Geschäftsunfähigen im Rechtsverkehr, der im Rahmen von Satz 1 zurückgenommen ist, nicht dadurch konterkariert wird, dass der von § 105 Abs. 1 bezweckte Schutz selbst im Fall der in Satz 2 genannten Umstände, einer erheblichen Gefahr für Person oder Vermögen des Geschäftsunfähigen, nicht mehr greifen könnte.