Hintergrund der neuen Regelung ist die Erkenntnis, dass der Geschädigte in aller Regel den Weg des angewandten Arzneimittels von der ersten Forschung über die Erprobung bis zu dessen konkretem Herstellungsprozess nicht überschauen kann, während die pharmazeutischen Unternehmen – insbesondere zur Frage der Vertretbarkeit ihrer Arzneimittel – den jeweiligen Erkenntnisstand dokumentiert zur Verfügung haben. Das gilt auch für die für die Zulassung und Überwachung zuständigen Behörden (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 AMG). Es erscheint daher im Interesse einer prozessualen Chancengleichheit angebracht, dem Anspruchsteller die zur Geltendmachung der ihm zustehenden Ansprüche notwendigen Tatsachen zugänglich zu machen. Dadurch wird der Geschädigte in die Lage versetzt, schon im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens zu prüfen, ob er einen Anspruch auf Schadensersatz hat, was eine gerichtliche Auseinandersetzung und unnötige Kosten ersparen kann.
Der Auskunftsanspruch ist zudem ein wesentliches Instrument, um die beweisrechtliche Stellung des Geschädigten im Arzneimittelprozess zu stärken (Bundestagsdrucksache 12/8591 S. 258 f., S. 267, Bundesratsdrucksache 1012/96 S. 14 ff., zusammenfassend S. 21). Der Geschädigte soll in die Lage versetzt werden, alle Fakten zu erlangen, die für die von ihm darzulegenden und zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen notwendig sind oder die er braucht, um die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG in Gang zu setzen. Der Auskunftsanspruch umfasst demzufolge gerade auch die für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs maßgeblichen Erkenntnisse und diejenigen Fakten, die für die Abwägung der Vertretbarkeit des Nebenwirkungsspektrums eines Arzneimittels maßgeblich sind. Der für die Beurteilung dieser beiden wesentlichen Aspekte maßgebliche Sachverhalt kann so in den Prozess eingeführt werden. Seine Bewertung obliegt dann dem Gericht, das differenzierte, eng an die jeweiligen Fakten angelehnte Schlussfolgerungen treffen kann.
Absatz 1 regelt den Auskunftsanspruch des Geschädigten gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer. Bei der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs muss der Geschädigte nach Satz 1 zunächst darlegen und ggf. beweisen, dass er einen für eine Schadensersatzpflicht nach § 84 Abs. 1 AMG relevanten Schaden erlitten hat. Dazu gehört jedenfalls die Darlegung eines nicht unerheblichen Verletzungsschadens an einem der in § 84 Abs. 1 AMG geschützten Rechtsgüter. Außerdem müssen Tatsachen dargetan werden, die die Annahme begründen, dass ein konkretes, vom Geschädigten angewendetes Arzneimittel, das den Anforderungen des § 84 Abs. 1 AMG entspricht und von dem in Anspruch genommenen pharmazeutischen Unternehmer in den Verkehr gebracht worden ist, diesen Schaden verursacht hat. Einerseits reicht damit ein geäußerter unbestimmter Verdacht nicht aus, um einen Auskunftsanspruch zu begründen, andererseits ist aber auch nicht der Vollbeweis einer Kausalität zu führen. Dem Richter wird vielmehr eine Plausibilitätsprüfung aufgetragen, ob die vorgetragenen Tatsachen den Schluss auf eine Ursache/Wirkung- Beziehung zwischen dem vom auf Auskunft in Anspruch genommenen Unternehmer hergestellten Arzneimittel und dem individuellen Schaden des auskunftsersuchenden Anwenders ergeben. Umfang und Detaillierung der zu nennenden Tatsachen sind einzelfallbezogen zu beurteilen. Dabei sind zum einen die Sachverhaltsaufklärungsschwierigkeiten des Geschädigten angemessen zu berücksichtigen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch die Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach § 84 AMG vorbereiten soll, der, sofern seine weiteren Voraussetzungen vorliegen, bereits eingreift, wenn das Arzneimittel im Einzelfall zur Schadensverursachung geeignet war. Die Anforderungen an die Darlegung des Auskunftsanspruchs können dann nicht strenger sein. Erst recht können zur Begründung des Auskunftsanspruchs nicht solche Tatsachen verlangt werden, die einen umfänglichen Sachverständigenbeweis bzw. sachverständige Stellungnahmen erfordern, da der Auskunftsanspruch gerade der Gewinnung von Tatsachen und Erkenntnissen dient, auf deren Grundlage dann der Betroffene im Schadensersatzprozess den Nachweis des Bestehens seiner Ansprüche führen kann. Satz 1 stellt eine enge Verbindung zum Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG her, indem er festschreibt, dass eine Auskunftspflicht insoweit nicht besteht, als die geforderten Angaben zur Feststellung, dass dem Betroffenen ein Schadensersatzanspruch nach dem AMG zusteht, nicht erforderlich sind. Damit soll verdeutlicht werden, dass nur der Inhaber des potenziellen Schadensersatzanspruchs nach § 84 Abs. 1 die von ihm zur Geltendmachung seiner Ansprüche benötigten Auskünfte erhält. Der Auskunftspflichtige soll hierbei nur in dem benötigten Umfang mit Pflichten belastet werden. Der Auskunftsanspruch soll kein Ausforschungsanspruch sein. Deshalb dürfen die Anforderungen, die an den Nachweis der Nichterforderlichkeit gestellt werden, nicht überspannt werden. Auch insoweit ist dem Richter lediglich eine Plausibilitätsprüfung auferlegt.
Auskunftspflichtig ist der pharmazeutische Unternehmer, der das schadensverursachende Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat. Der Auskunftsanspruch kann sich auch gegen mehrere pharmazeutische Unternehmer richten. Soweit für die Verursachung der konkret eingetretenen Schädigung Arzneimittel mehrerer pharmazeutischer Unternehmer in Betracht kommen, reicht es zur Begründung des Auskunftsanspruchs gegenüber jedem einzelnen Unternehmer aus, dass der Anspruchsteller Anhaltspunkte für eine Schadensverursachung durch das jeweilige Arzneimittel vorbringt.
Soweit das Zusammenwirken mehrerer Arzneimittel einen Schaden verursacht haben kann, muss der Anspruchsteller Tatsachen vortragen, die (zumindest) die Annahme einer Schadensmitverursachung des jeweiligen Arzneimittels begründen können. Da es auf der Stufe des Auskunftsanspruchs nur um die Feststellung eines möglichen Schadensersatzpflichtigen und die Umstände der Schädigung geht, die endgültige Feststellung jedoch dem Schadensersatzprozess vorbehalten bleibt, ist ein Vollbeweis der Kausalität und damit eine letztendliche Unterscheidung zwischen Mitund Alleinverursachung nicht notwendig.
Das Ziel des Auskunftsanspruchs, dem Betroffenen die Tatsachen und Erkenntnisse zu verschaffen, die es ihm ermöglichen, die Voraussetzungen eines ihm zustehenden Schadensersatzanspruchs darzulegen und zu beweisen, beschränkt den Auskunftsanspruch auf die hierfür notwendigen Angaben. Satz 2 beschreibt insoweit den Umfang des Auskunftsanspruchs. Der Auskunftsanspruch erfasst alle dem pharmazeutischen Unternehmer bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können.
Durch die Verweisung in Satz 3 wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der Anspruchsteller vom pharmazeutischen Unternehmer die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangen kann. Besteht Grund zu der Annahme, dass die in der Auskunft enthaltenen Angaben nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden sind, so hat der Verpflichtete auf Verlangen an Eides Statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen die von ihm geforderte Auskunft so vollständig erteilt hat, als er dazu imstande ist. Satz 4 will die gegenläufigen Interessen des Geschädigten und des pharmazeutischen Unternehmers nach den Umständen des Einzelfalls in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigen. Ein Auskunftsanspruch des Geschädigten muss dort zurücktreten, wo ein Gesetz die Geheimhaltung bestimmter Angaben vorschreibt oder wo eine solche Geheimhaltung aus dem überwiegenden Interesse des Unternehmers oder eines Dritten notwendig ist. Dabei ist selbstverständlich, dass das Interesse des Verantwortlichen, nicht zum Schadensersatz herangezogen zu werden, unberücksichtigt bleiben muss, regelmäßig auch das Interesse, dass der Ruf des Unternehmens keinen Schaden nimmt. Das Interesse muss in einem anderen Bereich liegen, etwa im Schutz von wichtigen Fabrikations- oder Betriebsgeheimnissen, die im Einzelfall höherrangig als das Informationsinteresse des Anspruchstellers sind. Dies hat der pharmazeutische Unternehmer darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen.
Absatz 2 gibt einen inhaltsgleichen Anspruch gegenüber den für die Zulassung des Arzneimittels und die Überwachung des pharmazeutischen Unternehmens zuständigen Behörden, der § 9 UmweltHG nachgebildet wurde. Während der Anspruch gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer im Kern dem Zivilrecht zuzuordnen und zivilrechtlich durchzusetzen ist, richtet sich die Durchsetzung des Anspruchs gegenüber der Behörde nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts. Die Beteiligung der Betroffenen an diesem Verfahren folgt den allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts. Auch der Auskunftsanspruch gegenüber Behörden ist nach Satz 2 so weit eingeschränkt, als die Angaben auf Grund gesetzlicher Vorschriften geheim zu halten sind oder die Geheimhaltung einem überwiegenden Interesse des pharmazeutischen Unternehmers oder eines Dritten entspricht. Wie im Umwelthaftungsrecht (Landsberg/Lülling, Umwelthaftungsrecht, § 9, Rdnr. 20) hindern allgemeine beamten- oder verwaltungsverfahrensrechtliche Pflichten zur Amtsverschwiegenheit den Auskunftsanspruch nicht.
Die Einführung eines gegenseitigen Auskunftsanspruchs, also auch eines Auskunftsanspruchs des pharmazeutischen Unternehmers gegen den Schadensersatz nach § 84 oder Auskunft nach § 84a AMG begehrenden Anwender, wird zwar teilweise im Hinblick auf die Kausalitätsvermutung des neuen § 84 Abs. 2 AMG gefordert. Die Bundesregierung hat gleichwohl von einer Aufnahme abgesehen. Zwar ist ein vergleichbarer Anspruch in der Umwelthaftung vorgesehen (§ 10 UmweltHG), nicht jedoch in der Gentechnikhaftung (§ 35 GenTG), die Vorbild für den neuen Auskunftsanspruch nach § 84a AMG sind. Der Gesetzgeber hat es somit auch bisher nicht aus Gründen des Interessengleichgewichts stets für erforderlich gehalten, dem in Anspruch Genommenen ebenfalls einen Auskunftsanspruch gegen den Anspruchsteller an die Hand zu geben. Vor allem aber war maßgeblich, dass den potenziell geschädigten Anwender nach dem neuen § 84 Abs. 2 Satz 2 AMG eine Darlegungsobliegenheit trifft, der er genügen muss, damit auf diese Darlegung die Kausalitätsvermutung (Eignung zur Schadensverursachung im Einzelfall) gegründet werden kann. Dabei hat er insbesondere die in seiner Sphäre liegenden anspruchsrelevanten Umstände im Zusammenhang mit der Arzneimittelanwendung und dem Schadenseintritt vorzutragen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Auskunftsanspruch des pharmazeutischen Unternehmers gegen den potenziell geschädigten Anwender nicht erforderlich, zumal ein solcher Anspruch vielfach zu einem Konflikt mit dessen Persönlichkeitsschutz führen würde.