Für das Haftpflichtgesetz hat die Rechtsprechung angenommen, dass höhere Gewalt ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis sei, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (vgl. BGHZ 7, 338, 339; 62, 351, 354; BGH NJW 1953, 184; 1986, 2313; VersR 1967, 138, 139; 1976, 963; 1988, 910). Dieser Entlastungsgrund war nach dem Entwurf zum Kraftfahrzeuggesetz (1906) zunächst auch für den Straßenverkehr vorgesehen worden. Die weitere Diskussion zu dem Entwurf hat jedoch zu dem Entlastungsbeweis des unabwendbaren Ereignisses geführt.
Mit dieser Änderung des Befreiungsgrundes ist eine Erweiterung der Halterhaftung verbunden, dessen praktische Relevanz allerdings nicht überschätzt werden darf. Einerseits ist bereits nach geltender Rechtslage die Entlastungsmöglichkeit sehr begrenzt: wird der Unfall durch einen Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs oder durch ein „technisches“ Versagen am Fahrzeug verursacht, greift die Entlastungsmöglichkeit nicht. In den übrigen Fällen obliegt dem Halter die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses. Dafür hat die Rechtsprechung äußerst strenge Anforderungen gestellt: Der Halter wird nur dann entlastet, wenn er jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Dazu reicht jedoch nicht schon die von einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer zu beobachtende im Verkehr erforderliche Sorgfalt aus. Vielmehr muss vom Halter bewiesen werden, dass auch ein „Idealfahrer“, also ein Fahrer von höchster Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht den Unfall nicht hätte vermeiden können. Diese strengen Voraussetzungen nachzuweisen, gelingt dem Halter in der Praxis nur in Ausnahmefällen. Andererseits wird die Änderung des Befreiungsgrundes keinesfalls dazu führen, dass in allen Fällen, in denen bisher eine Entlastung durch den Unabwendbarkeitsnachweis möglich war, künftig in vollem Umfang gehaftet wird. Auch unter einem insoweit geänderten § 7 Abs. 2 StVG kommt eine Enthaftung über den Mitverschuldenseinwand der §§ 9 StVG, 254 BGB in Betracht, der im Einzelfall eine Haftung sogar auf Null reduzieren kann. Bei mehreren Haftungssubjekten ist zudem über die §§ 17, 18 StVG, § 426 BGB ein Ausgleich im Innenverhältnis gemäß dem jeweiligen Verursachungsbeitrag vorzunehmen. Dies wird von der Rechtspraxis verstärkt in den Blick zu nehmen sein.
Für eine Ersetzung der Entlastungsmöglichkeit des „unabwendbaren Ereignisses“ durch die der „höheren Gewalt“ waren rechtsdogmatische und praktische Gründe maßgeblich: Rechtsdogmatisch ist festzustellen, dass der Entlastungsgrund des unabwendbaren Ereignisses im System der Gefährdungshaftung einen Fremdkörper bildet. Der Grund für die Gefährdungshaftung ist die Verwirklichung der Betriebsgefahr. Die Gefährdungshaftung dient dabei dem Ausgleich von Schäden, nicht der Schadensprävention. Es erscheint daher dogmatisch nicht sachgerecht, die Haftung von Sorgfalts- und damit von Verschuldensgesichtspunkten abhängig zu machen. Für den Geschädigten ist es gleichgültig, ob sein Schaden auf einem technischen Versagen (z. B. der Bremsen) beruhte oder darauf, dass das den Unfall verursachende Fahrzeug auf einer Ölspur ins Schleudern kam, die auch für einen Idealfahrer nicht zu erkennen war. In beiden Fällen verwirklicht sich eine Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs, für die dessen Halter aufkommen sollte. Dieser rechtsdogmatische Grund ist auch dafür ausschlaggebend, dass das deutsche Recht grundsätzlich nur die „höhere Gewalt“ als Befreiungsgrund von Gefährdungshaftungen anerkennt (z. B. § 701 Abs. 3 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 1 und § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG, § 22 Abs. 2 WHG). Der Befreiungsgrund des unabwendbaren Ereignisses bildet hierzu die singuläre Ausnahme. Die Änderung dieses Befreiungsgrundes führt damit die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters wieder in die Rechtsdogmatik des deutschen Gefährdungshaftungssystems zurück.
Unter praktischen Gesichtspunkten wird die Ersetzung des unabwendbaren Ereignisses vor allem den nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern zugute kommen. Gestärkt wird damit insbesondere die Position der Kinder, der Hilfsbedürftigen und der älteren Menschen im Schadensfall. Ihrer besonderen Situation im Straßenverkehr, die bereits in § 3 Abs. 2a Straßenverkehrsordnung (StVO) Eingang gefunden hat, wird damit besser Rechnung getragen. Gerade in diesem Bereich führt die bestehende Rechtslage zuweilen zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn zum Beispiel Kinder, die sich im Verkehr – objektiv – unsachgemäß verhalten und deren Verhalten ein für den Fahrer unabwendbares Ereignis darstellen kann, ohne Ersatz bleiben. Insoweit rundet diese Regelung auch die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit für Unfälle im Straßenverkehr (§ 828 Abs. 2 BGB, vgl. dazu oben Begründung zu Artikel 2 Nr. 4) ab. Der Kraftfahrzeughalter wird künftig auch gegenüber Kindern bis zum vollendeten 10. Lebensjahr einer Haftung nicht mehr durch den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses entgehen können.
Die Ersetzung des Entlastungsgrundes „unabwendbares Ereignis“ durch „höhere Gewalt“ wird auch für Unfälle gelten, an denen nur motorisierte Verkehrsteilnehmer beteiligt sind. Auch in diesen Fällen trägt aber der rechtsdogmatische Einwand, dass Verschuldenselemente einer Gefährdungshaftung fremd sind. Sofern der Unfall durch das grob verkehrswidrige Verhalten eines motorisierten Verkehrsteilnehmers verursacht ist, soll dem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgerecht verhalten hat, durch den Wegfall des „unabwendbaren Ereignisses“ jedoch kein Nachteil dergestalt entstehen, dass ihm zukünftig die eigene Betriebsgefahr angerechnet wird. Dies kann über eine Anwendung der §§ 9 StVG, 254 BGB sichergestellt werden, die auch eine Reduzierung des Mitverschuldens bis auf Null erlauben.
Eine Abschaffung des „unabwendbaren Ereignisses“ legt schließlich auch die internationale Rechtsentwicklung nahe, die im Rahmen der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung nur geringe Entlastungsmöglichkeiten zulässt: Das Europäische Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr, das von Deutschland bisher noch nicht ratifiziert worden ist, kennt den Entlastungsgrund des unabwendbaren Ereignisses nicht, sondern lässt lediglich die Berufung auf bestimmte Umstände, nämlich einen bewaffneten Konflikt, Feindseligkeiten, Bürgerkrieg, Aufstand oder eine schwere Naturkatastrophe außergewöhnlichen Ausmaßes zu – Umstände also, die eher noch enger sind als die mit dem Entwurf vorgeschlagene Entlastungsmöglichkeit der höheren Gewalt.