Wiener UN-Konvention über
das Recht der Verträge v. 23.5.1969 (BGBl. 1985 II S. 926)
Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens,
in Anbetracht der
grundlegenden Rolle der Verträge in der Geschichte der internationalen
Beziehungen, in Erkenntnis der ständig wachsenden Bedeutung der Verträge als
Quelle des Völkerrechts und als Mittel zur Entwicklung der friedlichen
Zusammenarbeit zwischen den Völkern ungeachtet ihrer Verfassungs- und
Gesellschaftssysteme,
im Hinblick darauf, dass die Grundsätze der freien
Zustimmung und von Treu und Glauben sowie der Rechtsgrundsatz pacta sunt
servanda allgemein anerkannt sind,
in Bekräftigung des Grundsatzes, dass
Streitigkeiten über Verträge wie andere internationale Streitigkeiten durch
friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts
beigelegt werden sollen, eingedenk der Entschlossenheit der Völker der
Vereinten Nationen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die
Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen gewahrt werden können,
im
Bewusstsein der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen
völkerrechtlichen Grundsätze, darunter der Grundsätze der Gleichberechtigung und
Selbstbestimmung der Völker, der souveränen Gleichheit und Unabhängigkeit aller
Staaten, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, des
Verbots der Androhung oder Anwendung von Gewalt sowie der allgemeinen Achtung
und Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle,
überzeugt,
dass die in diesem Übereinkommen verwirklichte Kodifizierung und fortschreitende
Entwicklung des Vertragsrechts die in der Charta der Vereinten Nationen
verkündeten Ziele fördern wird, nämlich die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen und
die Verwirklichung der Zusammenarbeit zwischen den Nationen,
in
Bekräftigung des Grundsatzes, dass die Sätze des Völkergewohnheitsrechts
weiterhin für Fragen gelten, die in diesem Übereinkommen nicht geregelt
sind,
haben folgendes vereinbart:
TEIL I
EINLEITUNG
Artikel 1 Geltungsbereich dieses
Übereinkommens
Dieses Übereinkommen findet auf Verträge zwischen
Staaten Anwendung.
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens a)
bedeutet «Vertrag» eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht
bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in
einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche
besondere Bezeichnung sie hat; b) bedeutet «Ratifikation», «Annahme»,
«Genehmigung» und «Beitritt» jeweils die so bezeichnete völkerrechtliche
Handlung, durch die ein Staat im internationalen Bereich seine Zustimmung
bekundet, durch einen Vertrag gebunden zu sein; c) bedeutet «Vollmacht»
eine vom zuständigen Organ eines Staates errichtete Urkunde, durch die einzelne
oder mehrere Personen benannt werden, um in Vertretung des Staates den Text
eines Vertrags auszuhandeln oder als authentisch festzulegen, die Zustimmung des
Staates auszudrücken, durch einen Vertrag gebunden zu sein, oder sonstige
Handlungen in bezug auf einen Vertrag vorzunehmen; d) bedeutet
«Vorbehalt» eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat
bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags
oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch
die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der
Anwendung auf diesen Staat auszuschliessen oder zu ändern; e) bedeutet
«Verhandlungsstaat» einen Staat, der am Abfassen und Annehmen des Vertragstextes
teilgenommen hat; f) bedeutet «Vertragsstaat» einen Staat, der zugestimmt
hat, durch den Vertrag gebunden zu sein, gleichviel ob der Vertrag in Kraft
getreten ist oder nicht; g) bedeutet «Vertragspartei» einen Staat, der
zugestimmt hat, durch den Vertrag gebunden zu sein, und für den der Vertrag in
Kraft ist; h) bedeutet «Drittstaat» einen Staat, der nicht Vertragspartei
ist; i) bedeutet «internationale Organisation» eine zwischenstaatliche
Organisation. (2) Die Bestimmungen des Absatzes l über die in diesem
Übereinkommen verwendeten Begriffe beeinträchtigen weder die Verwendung dieser
Begriffe noch die Bedeutung, die ihnen im innerstaatlichen Recht gegebenenfalls
zukommt.
Artikel 3 Nicht in den Geltungsbereich dieses
Übereinkommens fallende internationale Übereinkünfte
Der Umstand,
dass dieses Übereinkommen weder auf die zwischen Staaten und anderen
Völkerrechtssubjekten oder zwischen solchen anderen Völkerrechtssubjekten
geschlossenen internationalen Übereinkünfte noch auf nicht schriftliche
internationale Übereinkünfte Anwendung findet, berührt nicht a) die
rechtliche Gültigkeit solcher Übereinkünfte; b) die Anwendung einer der
in diesem Übereinkommen niedergelegten Regeln auf sie, denen sie auch unabhängig
von diesem Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären; c)
die Anwendung des Übereinkommens auf die Beziehungen zwischen Staaten auf
Grund internationaler Übereinkünfte, denen auch andere Völkerrechtssubjekte als
Vertragsparteien angehören.
Artikel 4 Nichtrückwirkung
dieses Übereinkommens
Unbeschadet der Anwendung der in diesem
Übereinkommen niedergelegten Regeln, denen Verträge unabhängig von dem
Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären, findet das
Übereinkommen nur auf Verträge Anwendung, die von Staaten geschlossen werden,
nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist.
Artikel 5 Gründungsverträge internationaler Organisationen und im
Rahmen einer internationalen Organisation angenommene Verträge
Dieses
Übereinkommen findet auf jeden Vertrag Anwendung, der die Gründungsurkunde einer
internationalen Organisation bildet, sowie auf jeden im Rahmen einer
internationalen Organisation angenommenen Vertrag, unbeschadet aller
einschlägigen Vorschriften der Organisation.
Teil II
Abschluss und Inkrafttreten von Verträgen
Abschnitt 1:
Abschluss von Verträgen
Artikel 6 Vertragsfähigkeit
der Staaten
Jeder Staat besitzt die Fähigkeit, Verträge zu
schliessen.
Artikel 7 Vollmacht
(1) Eine Person
gilt hinsichtlich des Annehmens des Textes eines Vertrags oder der Festlegung
seines authentischen Textes oder der Abgabe der Zustimmung eines Staates, durch
einen Vertrag gebunden zu sein, als Vertreter eines Staates, a) wenn sie
eine gehörige Vollmacht vorlegt oder b) wenn aus der Übung der
beteiligten Staaten oder aus anderen Umständen hervorgeht, dass sie die Absicht
hatten, diese Person als Vertreter des Staates für die genannten Zwecke
anzusehen und auch keine Vollmacht zu verlangen. (2) Kraft ihres Amtes
werden, ohne eine Vollmacht vorlegen zu müssen, als Vertreter ihres Staates
angesehen a) Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Aussenminister zur
Vornahme aller sich auf den Abschluss eines Vertrags beziehenden
Handlungen; b) Chefs diplomatischer Missionen zum Annehmen des Textes
eines Vertrags zwischen Entsende- und Empfangsstaat; c) die von Staaten
bei einer internationalen Konferenz oder bei einer internationalen Organisation
oder einem ihrer Organe beglaubigten Vertreter zum Annehmen des Textes eines
Vertrags im Rahmen der Konferenz, der Organisation oder des Organs.
Artikel 8 Nachträgliche Bestätigung einer ohne Ermächtigung
vorgenommenen Handlung
Eine sich auf den Abschluss eines Vertrags
beziehende Handlung, die von einer Person vorgenommen wird, welche nicht nach
Art. 7 als zur Vertretung eines Staates zu diesem Zweck ermächtigt angesehen
werden kann, ist ohne Rechtswirkung, sofern sie nicht nachträglich von dem Staat
bestätigt wird.
Artikel 9 Annehmen des
Textes
(1) Der Text eines Vertrags wird durch Zustimmung aller an
seiner Abfassung beteiligten Staaten angenommen, soweit Absatz 2 nichts anderes
vorsieht. (2) Auf einer internationalen Konferenz wird der Text eines
Vertrags mit den Stimmen von zwei Dritteln der anwesenden und abstimmenden
Staaten angenommen, sofern sie nicht mit der gleichen Mehrheit die Anwendung
einer anderen Regel beschliessen.
Artikel 10 Festlegung
des authentischen Textes
Der Text eines Vertrags wird als authentisch
und endgültig festgelegt, a) nach dem Verfahren, das darin vorgesehen
oder von den an seiner Abfassung beteiligten Staaten vereinbart wurde,
oder, b) in Ermangelung eines solchen Verfahrens, durch Unterzeichnung,
Unterzeichnung ad referendum oder Paraphierung des Vertragswortlauts oder einer
den Wortlaut enthaltenden Schlussakte einer Konferenz durch die Vertreter dieser
Staaten.
Artikel 11 Arten der Zustimmung, durch einen
Vertrag gebunden zu sein
Die Zustimmung eines Staates, durch einen
Vertrag gebunden zu sein, kann durch Unterzeichnung, Austausch von Urkunden, die
einen Vertrag bilden, Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt oder auf
eine andere vereinbarte Art ausgedrückt werden.
Artikel 12
Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, durch
Unterzeichnung
(1) Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag
gebunden zu sein, wird durch Unterzeichnung seitens seines Vertreters
ausgedrückt, a) wenn der Vertrag vorsieht, dass der Unterzeichnung diese
Wirkung zukommen soll; b) wenn anderweitig feststeht, dass die
Verhandlungsstaaten der Unterzeichnung einvernehmlich diese Wirkung beilegen
wollten, oder c) wenn die Absicht des Staates, der Unterzeichnung diese
Wirkung beizulegen, aus der Vollmacht seines Vertreters hervorgeht oder während
der Verhandlung zum Ausdruck gebracht wurde. (2) Im Sinne des Absatzes
1 a) gilt die Paraphierung des Textes als Unterzeichnung des Vertrags,
wenn feststeht, dass die Verhandlungsstaaten dies vereinbart haben; b)
gilt die Unterzeichnung eines Vertrags ad referendum durch den Vertreter
eines Staates als unbedingte Vertragsunterzeichnung, wenn sie von dem Staat
bestätigt wird.
Artikel 13 Zustimmung, durch einen Vertrag
gebunden zu sein, durch Austausch der einen Vertrag bildenden
Urkunden
Die Zustimmung von Staaten, durch einen Vertrag gebunden zu
sein, der durch zwischen ihnen ausgetauschte Urkunden begründet wird, findet in
diesem Austausch ihren Ausdruck, a) wenn die Urkunden vorsehen, dass
ihrem Austausch diese Wirkung zukommen soll, oder b) wenn anderweitig
feststeht, dass diese Staaten dem Austausch der Urkunden einvernehmlich diese
Wirkung beilegen wollten.
Artikel 14 Zustimmung, durch
einen Vertrag gebunden zu sein, durch Ratifikation, Annahme oder
Genehmigung
(1) Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag
gebunden zu sein, wird durch Ratifikation ausgedrückt, a) wenn der
Vertrag vorsieht, dass diese Zustimmung durch Ratifikation ausgedrückt
wird; b) wenn anderweitig feststeht, dass die Verhandlungsstaaten die
Ratifikation einvernehmlich für erforderlich hielten; c) wenn der
Vertreter des Staates den Vertrag unter Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet
hat oder d) wenn die Absicht des Staates, den Vertrag unter Vorbehalt der
Ratifikation zu unterzeichnen, aus der Vollmacht seines Vertreters hervorgeht
oder während der Verhandlungen zum Ausdruck gebracht wurde. (2) Die
Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, wird durch
Annahme oder Genehmigung unter ähnlichen Bedingungen ausgedrückt, wie sie für
die Ratifikation gelten.
Artikel 15 Zustimmung, durch
einen Vertrag gebunden zu sein, durch Beitritt
Die Zustimmung eines
Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, wird durch Beitritt
ausgedrückt, a) wenn der Vertrag vorsieht, dass die Zustimmung von diesem
Staat durch Beitritt ausgedrückt werden kann; b) wenn anderweitig
feststeht, dass die Verhandlungsstaaten vereinbart haben, dass die Zustimmung
von diesem Staat durch Beitritt ausgedrückt werden kann, oder c) wenn
alle Vertragsparteien nachträglich vereinbart haben, dass die Zustimmung von
diesem Staat durch Beitritt ausgedrückt werden kann.
Artikel 16 Austausch oder Hinterlegung von Ratifikations-, Annahme-,
Genehmigungs- oder Beitrittsurkunden
Sofern der Vertrag nichts
anderes vorsieht, begründen Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder
Beitrittsurkunden die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu
sein, im Zeitpunkt a) ihres Austausches zwischen den
Vertragsstaaten; b) ihrer Hinterlegung bei dem Depositär oder c)
ihrer Notifikation an die Vertragsstaaten oder den Depositär, wenn dies
vereinbart wurde.
Artikel 17 Zustimmung, durch einen Teil
eines Vertrags gebunden zu sein, sowie Wahl zwischen unterschiedlichen
Bestimmungen
(1) Unbeschadet der Artikel 19 bis 23 ist die Zustimmung
eines Staates, durch einen Teil eines Vertrags gebunden zu sein, nur wirksam,
wenn der Vertrag dies zulässt oder die anderen Vertragsstaaten dem
zustimmen. (2) Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu
sein, der eine Wahl zwischen unterschiedlichen Bestimmungen zulässt, ist nur
wirksam, wenn klargestellt wird, auf welche Bestimmungen sich die Zustimmung
bezieht.
Artikel 18 Verpflichtung, Ziel und Zweck eines
Vertrags vor seinem Inkrafttreten nicht zu vereiteln
Ein Staat ist
verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines
Vertrags vereiteln würden, a) wenn er unter Vorbehalt der Ratifikation,
Annahme oder Genehmigung den Vertrag unterzeichnet oder Urkunden ausgetauscht
hat, die einen Vertrag bilden, solange er seine Absicht nicht klar zu erkennen
gegeben hat, nicht Vertragspartei zu werden, oder b) wenn er seine
Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, ausgedrückt hat, und zwar bis
zum Inkrafttreten des Vertrags und unter der Voraussetzung, dass sich das
Inkrafttreten nicht ungebührlich verzögert.
Abschnitt
2: Vorbehalte
Artikel 19 Anbringen von
Vorbehalten
Ein Staat kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation,
Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder beim Beitritt einen Vorbehalt
anbringen, sofern nicht a) der Vertrag den Vorbehalt verbietet; b)
der Vertrag vorsieht, dass nur bestimmte Vorbehalte gemacht werden dürfen,
zu denen der betreffende Vorbehalt nicht gehört, oder c) in den unter
lit. a oder b nicht bezeichneten Fällen der Vorbehalt mit Ziel und Zweck des
Vertrags unvereinbar ist.
Artikel 20 Annahme von
Vorbehalten und Einsprüche gegen Vorbehalte
(1) Ein durch einen
Vertrag ausdrücklich zugelassener Vorbehalt bedarf der nachträglichen Annahme
durch die anderen Vertragsstaaten nur, wenn der Vertrag dies vorsieht. (2)
Geht aus der begrenzten Zahl der Verhandlungsstaaten sowie aus Ziel und Zweck
eines Vertrags hervor, dass die Anwendung des Vertrags in seiner Gesamtheit
zwischen allen Vertragsparteien eine wesentliche Voraussetzung für die
Zustimmung jeder Vertragspartei ist, durch den Vertrag gebunden zu sein, so
bedarf ein Vorbehalt der Annahme durch alle Vertragsparteien. (3) Bildet ein
Vertrag die Gründungsurkunde einer internationalen Organisation und sieht er
nichts anderes vor, so bedarf ein Vorbehalt der Annahme durch das zuständige
Organ der Organisation. (4) In den nicht in den Absätzen 1 bis 3 bezeichneten
Fällen und sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, a) macht die
Annahme eines Vorbehalts durch einen anderen Vertragsstaat den den Vorbehalt
anbringenden Staat zur Vertragspartei im Verhältnis zu jenem anderen Staat,
sofern der Vertrag für diese Staaten in Kraft getreten ist oder sobald er für
sie in Kraft tritt; b) schliesst der Einspruch eines anderen
Vertragsstaats gegen einen Vorbehalt das Inkrafttreten des Vertrags zwischen dem
den Einspruch erhebenden und dem den Vorbehalt anbringenden Staat nicht aus,
sofern nicht der den Einspruch erhebende Staat seine gegenteilige Absicht
eindeutig zum Ausdruck bringt; c) wird eine Handlung, mit der die
Zustimmung eines Staates, durch den Vertrag gebunden zu sein, ausgedrückt wird
und die einen Vorbehalt in sich schliesst, wirksam, sobald mindestens ein
anderer Vertragsstaat den Vorbehalt angenommen hat. (5) Im Sinne der Absätze
2 und 4 und sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, gilt ein Vorbehalt als
von einem Staat angenommen, wenn dieser bis zum Ablauf von zwölf Monaten,
nachdem ihm der Vorbehalt notifiziert worden ist, oder bis zu dem Zeitpunkt,
wenn dies der spätere ist, in dem er seine Zustimmung ausgedrückt hat, durch den
Vertrag gebunden zu sein, keinen Einspruch gegen den Vorbehalt erhebt.
Artikel 21 Rechtswirkungen von Vorbehalten und von Einsprüchen gegen
Vorbehalte
(1) Ein gegenüber einer anderen Vertragspartei nach den
Artikeln 19, 20 und 23 bestehender Vorbehalt a) ändert für den den
Vorbehalt anbringenden Staat im Verhältnis zu der anderen Vertragspartei die
Vertragsbestimmungen, auf die sich der Vorbehalt bezieht, in dem darin
vorgesehenen Ausmass und b) ändert diese Bestimmungen für die andere
Vertragspartei im Verhältnis zu dem den Vorbehalt anbringenden Staat in
demselben Ausmass. (2) Der Vorbehalt ändert die Vertragsbestimmungen für die
anderen Vertragsparteien untereinander nicht. (3) Hat ein Staat, der einen
Einspruch gegen einen Vorbehalt erhoben hat, dem Inkrafttreten des Vertrags
zwischen sich und dem den Vorbehalt anbringenden Staat nicht widersprochen, so
finden die Bestimmungen, auf die sich der Vorbehalt bezieht, in dem darin
vorgesehenen Ausmass zwischen den beiden Staaten keine Anwendung.
Artikel 22 Zurückziehen von Vorbehalten und von Einsprüchen gegen
Vorbehalte
(1) Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, kann ein
Vorbehalt jederzeit zurückgezogen werden; das Zurückziehen bedarf nicht der
Zustimmung eines Staates, der den Vorbehalt angenommen hat. (2) Sofern der
Vertrag nichts anderes vorsieht, kann ein Einspruch gegen einen Vorbehalt
jederzeit zurückgezogen werden. (3) Sofern der Vertrag nichts anderes
vorsieht oder sofern nichts anderes vereinbart ist, a) wird das
Zurückziehen eines Vorbehalts im Verhältnis zu einem anderen Vertragsstaat erst
wirksam, wenn dieser Staat eine Notifikation des Zurückziehens erhalten
hat; b) wird das Zurückziehen eines Einspruchs gegen einen Vorbehalt erst
wirksam, wenn der Staat, der den Vorbehalt angebracht hat, eine Notifikation des
Zurückziehens erhalten hat.
Artikel 23 Verfahren bei
Vorbehalten
(1) Ein Vorbehalt, die ausdrückliche Annahme eines
Vorbehalts und der Einspruch gegen einen Vorbehalt bedürfen der Schriftform und
sind den Vertragsstaaten sowie sonstigen Staaten mitzuteilen, die
Vertragsparteien zu werden berechtigt sind. (2) Wenn der Vertrag
vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnet und
hierbei ein Vorbehalt angebracht wird, so ist dieser von dem ihn anbringenden
Staat in dem Zeitpunkt förmlich zu bestätigen, zu dem dieser Staat seine
Zustimmung ausdrückt, durch den Vertrag gebunden zu sein. In diesem Fall gilt
der Vorbehalt als im Zeitpunkt seiner Bestätigung angebracht. (3) Die vor
Bestätigung eines Vorbehalts erfolgte ausdrückliche Annahme des Vorbehalts oder
der vor diesem Zeitpunkt erhobene Einspruch gegen den Vorbehalt bedarf selbst
keiner Bestätigung. (4) Das Zurückziehen eines Vorbehalts oder des Einspruchs
gegen einen Vorbehalt bedarf der Schriftform.
Abschnitt 3: Inkrafttreten und vorläufige Anwendung von
Verträgen
Artikel 24 Inkrafttreten
(1) Ein
Vertrag tritt in der Weise und zu dem Zeitpunkt in Kraft, die er vorsieht oder
die von den Verhandlungsstaaten vereinbart werden. (2) In Ermangelung einer
solchen Bestimmung oder Vereinbarung tritt ein Vertrag in Kraft, sobald die
Zustimmung aller Verhandlungsstaaten vorliegt, durch den Vertrag gebunden zu
sein. (3) Wird die Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, von
einem Staat erst nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens erteilt, so tritt der
Vertrag für diesen Staat zu diesem Zeitpunkt in Kraft, sofern er nichts anderes
vorsieht. (4) Vertragsbestimmungen über die Festlegung des authentischen
Textes, die Zustimmung von Staaten, durch den Vertrag gebunden zu sein, die Art
und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens sowie über Vorbehalte, die Aufgaben des
Depositärs und sonstige sich notwendigerweise vor dem Inkrafttreten des Vertrags
ergebende Fragen gelten von dem Zeitpunkt an, zu dem sein Text angenommen
wird.
Artikel 25 Vorläufige Anwendung
(1) Ein
Vertrag oder ein Teil eines Vertrags wird bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig
angewendet, a) wenn der Vertrag dies vorsieht oder b) wenn die
Verhandlungsstaaten dies auf andere Weise vereinbart haben. (2) Sofern der
Vertrag nichts anderes vorsieht oder die Verhandlungsstaaten nichts anderes
vereinbart haben, endet die vorläufige Anwendung eines Vertrags oder eines
Teiles eines Vertrags hinsichtlich eines Staates, wenn dieser den anderen
Staaten, zwischen denen der Vertrag vorläufig angewendet wird, seine Absicht
notifiziert, nicht Vertragspartei zu werden.
Teil III
Einhaltung, Anwendung und Auslegung von Verträgen
Abschnitt 1: Einhaltung von Verträgen
Artikel 26 Pacta sunt servanda
Ist ein Vertrag in Kraft,
so bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu
erfüllen.
Artikel 27 Innerstaatliches Recht und Einhaltung
von Verträgen
Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr
innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu
rechtfertigen. Diese Bestimmung lässt Artikel 46 unberührt.
Abschnitt 2: Anwendung von Verträgen
Artikel 28 Nichtrückwirkung von Verträgen
Sofern keine
abweichende Absicht aus dem Vertrag hervorgeht oder anderweitig festgestellt
ist, binden seine Bestimmungen eine Vertragspartei nicht in bezug auf eine
Handlung oder Tatsache, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags hinsichtlich der
betreffenden Vertragspartei vorgenommen wurde oder eingetreten ist, sowie in
bezug auf eine Lage, die vor dem genannten Zeitpunkt zu bestehen aufgehört
hat.
Artikel 29 Räumlicher Geltungsbereich von
Verträgen
Sofern keine abweichende Absicht aus dem Vertrag hervorgeht
oder anderweitig festgestellt ist, bindet ein Vertrag jede Vertragspartei
hinsichtlich ihres gesamten Hoheitsgebiets.
Artikel 30
Anwendung aufeinanderfolgender Verträge über denselben Gegenstand
(1)
Vorbehaltlich des Artikels 103 der Charta der Vereinten Nationen bestimmen sich
die Rechte und Pflichten von Staaten, die Vertragsparteien aufeinanderfolgender
Verträge über denselben Gegenstand sind, nach den folgenden Absätzen. (2)
Bestimmt ein Vertrag, dass er einem früher oder später geschlossenen Vertrag
untergeordnet ist oder nicht als mit diesem unvereinbar anzusehen ist, so hat
der andere Vertrag Vorrang. (3) Sind alle Vertragsparteien eines früheren
Vertrags zugleich Vertragsparteien eines späteren, ohne dass der frühere Vertrag
beendet oder nach Artikel 59 suspendiert wird, so findet der frühere Vertrag nur
insoweit Anwendung, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist. (4)
Gehören nicht alle Vertragsparteien des früheren Vertrags zu den
Vertragsparteien des späteren, a) so findet zwischen Staaten, die
Vertragsparteien beider Verträge sind, Absatz 3 Anwendung; b) so regelt
zwischen einem Staat, der Vertragspartei beider Verträge ist, und einem Staat,
der Vertragspartei nur eines der beiden Verträge ist, der Vertrag, dem beide
Staaten als Vertragsparteien angehören, ihre gegenseitigen Rechte und
Pflichten. (5) Absatz 4 gilt unbeschadet des Artikels 41 sowie unbeschadet
aller Fragen der Beendigung oder der Suspendierung eines Vertrags nach Artikel
60 und aller Fragen der Verantwortlichkeit, die sich für einen Staat aus
Abschluss oder Anwendung eines Vertrags ergeben können, dessen Bestimmungen mit
seinen Pflichten gegenüber einem anderen Staat auf Grund eines anderen Vertrags
unvereinbar sind.
Abschnitt 3: Auslegung von
Verträgen
Artikel 31 Allgemeine
Auslegungsregel
(1) Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in
Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang
zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. (2)
Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet der Zusammenhang ausser dem
Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen a) jede sich auf den Vertrag
beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des
Vertragsabschlusses getroffen wurde; b) jede Urkunde, die von einer oder
mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und von
den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde
angenommen wurde. (3) Ausser dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu
berücksichtigen a) jede spätere Übereinkunft zwischen den
Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner
Bestimmungen; b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus
der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung
hervorgeht; c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien
anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz. (4) Eine besondere Bedeutung ist
einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies
beabsichtigt haben.
Artikel 32 Ergänzende
Auslegungsmittel
Ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die
vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses, können
herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende
Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach
Artikel 31 a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder b)
zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis
führt.
Artikel 33 Auslegung von Verträgen mit zwei oder
mehr authentischen Sprachen
(1) Ist ein Vertrag in zwei oder mehr
Sprachen als authentisch festgelegt worden, so ist der Text in jeder Sprache in
gleicher Weise massgebend, sofern nicht der Vertrag vorsieht oder die
Vertragsparteien vereinbaren, dass bei Abweichungen ein bestimmter Text vorgehen
soll. (2) Eine Vertragsfassung in einer anderen Sprache als einer der
Sprachen, deren Text als authentisch festgelegt wurde, gilt nur dann als
authentischer Wortlaut, wenn der Vertrag dies vorsieht oder die Vertragsparteien
dies vereinbaren. (3) Es wird vermutet, dass die Ausdrücke des Vertrags in
jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben. (4) Ausser in Fällen, in
denen ein bestimmter Text nach Absatz 1 vorgeht, wird, wenn ein Vergleich der
authentischen Texte einen Bedeutungsunterschied aufdeckt, der durch die
Anwendung der Artikel 31 und 32 nicht ausgeräumt werden kann, diejenige
Bedeutung zugrunde gelegt, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des
Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt.
Abschnitt 4: Verträge und Drittstaaten
Artikel 34 Allgemeine Regel betreffend Drittstaaten
Ein
Vertrag begründet für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten
noch Rechte.
Artikel 35 Verträge zu Lasten von
Drittstaaten
Ein Drittstaat wird durch eine Vertragsbestimmung
verpflichtet, wenn die Vertragsparteien beabsichtigen, durch die
Vertragsbestimmung eine Verpflichtung zu begründen, und der Drittstaat diese
Verpflichtung ausdrücklich in Schriftform annimmt.
Artikel
36 Verträge zugunsten von Drittstaaten
(1) Ein Drittstaat wird durch
eine Vertragsbestimmung berechtigt, wenn die Vertragsparteien beabsichtigen,
durch die Vertragsbestimmung dem Drittstaat oder einer Staatengruppe, zu der er
gehört, oder allen Staaten ein Recht einzuräumen, und der Drittstaat dem
zustimmt. Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, wird die Zustimmung
vermutet, solange nicht das Gegenteil erkennbar wird. (2) Ein Staat, der ein
Recht nach Absatz 1 ausübt, hat die hierfür in dem Vertrag niedergelegten oder
im Einklang mit ihm aufgestellten Bedingungen einzuhalten.
Artikel 37 Aufhebung oder Änderung der Pflichten oder Rechte von
Drittstaaten
(1) Ist nach Artikel 35 einem Drittstaat eine
Verpflichtung erwachsen, so kann diese nur mit Zustimmung der Vertragsparteien
und des Drittstaats aufgehoben oder geändert werden, sofern nicht feststeht,
dass sie etwas anderes vereinbart hatten. (2) Ist nach Artikel 36 einem
Drittstaat ein Recht erwachsen, so kann dieses von den Vertragsparteien nicht
aufgehoben oder geändert werden, wenn feststeht, dass beabsichtigt war, dass das
Recht nur mit Zustimmung des Drittstaats aufgehoben oder geändert werden
kann.
Artikel 38 Vertragsbestimmungen, die kraft
internationaler Gewohnheit für Drittstaaten verbindlich werden
Die
Artikel 34 bis 37 schliessen nicht aus, dass eine vertragliche Bestimmung als
ein Satz des Völkergewohnheitsrechts, der als solcher anerkannt ist, für einen
Drittstaat verbindlich wird.
Teil IV Änderung und
Modifikation von Verträgen
Artikel 39 Allgemeine Regel
über die Änderung von Verträgen
Ein Vertrag kann durch Übereinkunft
zwischen den Vertragsparteien geändert werden. Teil II findet auf eine solche
Übereinkunft insoweit Anwendung, als der Vertrag nichts anderes
vorsieht.
Artikel 40 Änderung mehrseitiger
Verträge
(1) Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, richtet sich
die Änderung mehrseitiger Verträge nach den folgenden Absätzen. (2)
Vorschläge zur Änderung eines mehrseitigen Vertrags mit Wirkung zwischen allen
Vertragsparteien sind allen Vertragsstaaten zu notifizieren; jeder von ihnen ist
berechtigt, a) an dem Beschluss über das auf einen solchen Vorschlag hin
zu Veranlassende teilzunehmen; b) am Aushandeln und am Abschluss einer
Übereinkunft zur Änderung des Vertrags teilzunehmen. (3) Jeder Staat, der
berechtigt ist, Vertragspartei des Vertrags zu werden, ist auch berechtigt,
Vertragspartei des geänderten Vertrags zu werden. (4) Die
Änderungsübereinkunft bindet keinen Staat, der schon Vertragspartei des Vertrags
ist, jedoch nicht Vertragspartei der Änderungsübereinkunft wird; auf einen
solchen Staat findet Artikel 30 Absatz 4 lit. b Anwendung. (5) Ein Staat, der
nach Inkrafttreten der Änderungsübereinkunft Vertragspartei des Vertrags wird,
gilt, sofern er nicht eine abweichende Absicht äussert, a) als
Vertragspartei des geänderten Vertrags und b) als Vertragspartei des
nicht geänderten Vertrags im Verhältnis zu einer Vertragspartei, die durch die
Änderungsübereinkunft nicht gebunden ist.
Artikel 41
Übereinkünfte zur Modifikation mehrseitiger Verträge zwischen einzelnen
Vertragsparteien
(1) Zwei oder mehr Vertragsparteien eines
mehrseitigen Vertrags können eine Übereinkunft schliessen, um den Vertrag
ausschliesslich im Verhältnis zueinander zu modifizieren, a) wenn die
Möglichkeit einer solchen Modifikation in dem Vertrag vorgesehen ist oder b)
wenn die betreffende Modifikation durch den Vertrag nicht verboten ist
und i) die anderen Vertragsparteien in dem Genuss ihrer Rechte auf Grund
des Vertrags oder in der Erfüllung ihrer Pflichten nicht beeinträchtigt
und ii) sich nicht auf eine Bestimmung bezieht, von der abzuweichen mit
der vollen Verwirklichung von Ziel und Zweck des gesamten Vertrags unvereinbar
ist. (2) Sofern der Vertrag in einem Fall des Absatzes 1 lit. a nichts
anderes vorsieht, haben die betreffenden Vertragsparteien den anderen
Vertragsparteien ihre Absicht, eine Übereinkunft zu schliessen, sowie die darin
vorgesehene Modifikation zu notifizieren.
Teil V
Ungültigkeit, Beendigung und Suspendierung von Verträgen
Abschnitt 1:
Allgemeine Bestimmungen
Artikel 42 Gültigkeit und Weitergeltung von
Verträgen
(1) Die Gültigkeit eines Vertrags oder der Zustimmung eines
Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, kann nur in Anwendung dieses
Übereinkommens angefochten werden. (2) Die Beendigung eines Vertrags, seine
Kündigung oder der Rücktritt einer Vertragspartei kann nur in Anwendung der
Bestimmungen des Vertrags oder dieses Übereinkommens erfolgen. Das gleiche gilt
für die Suspendierung eines Vertrags.
Artikel 43
Pflichten, die das Völkerrecht unabhängig von einem Vertrag
auferlegt
Die Ungültigkeit, Beendigung oder Kündigung eines Vertrags,
der Rücktritt einer Vertragspartei vom Vertrag oder seine Suspendierung
beeinträchtigen, soweit sie sich aus der Anwendung dieses Übereinkommens oder
des Vertrags ergeben, in keiner Hinsicht die Pflicht eines Staates, eine in dem
Vertrag enthaltene Verpflichtung zu erfüllen, der es auch unabhängig von dem
Vertrag auf Grund des Völkerrechts unterworfen ist.
Artikel 44 Trennbarkeit von Vertragsbestimmungen
(1) Das
in einem Vertrag vorgesehene oder sich aus Artikel 56 ergebende Recht einer
Vertragspartei, zu kündigen, zurückzutreten oder den Vertrag zu suspendieren,
kann nur hinsichtlich des gesamten Vertrags ausgeübt werden, sofern der Vertrag
nichts anderes vorsieht oder die Vertragsparteien nichts anderes
vereinbaren. (2) Ein in diesem Übereinkommen anerkannter Grund dafür, einen
Vertrag als ungültig zu erklären, ihn zu beenden, von ihm zurückzutreten oder
ihn zu suspendieren, kann nur hinsichtlich des gesamten Vertrags geltend gemacht
werden, sofern in den folgenden Absätzen oder in Artikel 60 nichts anderes
vorgesehen ist. (3) Trifft der Grund nur auf einzelne Bestimmungen zu, so
kann er hinsichtlich dieser allein geltend gemacht werden, a) wenn diese
Bestimmungen von den übrigen Vertragsbestimmungen getrennt angewendet werden
können; b) wenn aus dem Vertrag hervorgeht oder anderweitig feststeht,
dass die Annahme dieser Bestimmungen keine wesentliche Grundlage fürdie
Zustimmung der anderen Vertragspartei oder Vertragsparteien war, durch den
gesamten Vertrag gebunden zu sein, und c) wenn die Weiteranwendung der
übrigen Vertragsbestimmungen nicht unbillig ist. (4) In den Fällen der
Artikel 49 und 50 kann ein Staat, der berechtigt ist, Betrug oder Bestechung
geltend zu machen, dies entweder hinsichtlich des gesamten Vertrags oder,
vorbehaltlich des Absatzes 3, nur hinsichtlich einzelner Bestimmungen
tun. (5) In den Fällen der Artikel 51, 52 und 53 ist die Abtrennung einzelner
Vertragsbestimmungen unzulässig.
Artikel 45 Verlust des
Rechtes, Gründe dafür geltend zu machen, einen Vertrag als ungültig zu erklären,
ihn zu beenden, von ihm zurückzutreten oder ihn zu suspendieren
Ein
Staat kann Gründe nach den Artikeln 46 bis 50 oder 60 und 62 nicht länger
geltend machen, um einen Vertrag als ungültig zu erklären, ihn zu beenden, von
ihm zurückzutreten oder ihn zu suspendieren, wenn, nachdem dem Staat der
Sachverhalt bekanntgeworden ist, a) er ausdrücklich zugestimmt hat, dass
der Vertrag - je nach Lage des Falles - gültig ist, in Kraft bleibt oder
weiterhin angewendet wird, oder b) auf Grund seines Verhaltens angenommen
werden muss, er habe - je nach Lage des Falles - der Gültigkeit des Vertrags,
seinem Inkraftbleiben oder seiner Weiteranwendung stillschweigend
zugestimmt.
Abschnitt 2: Ungültigkeit von
Verträgen
Artikel 46 Innerstaatliche Bestimmungen über
die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen
(1) Ein Staat kann sich
nicht darauf berufen, dass seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu
sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die
Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig
sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche
Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf. (2) Eine Verletzung ist
offenkundig, wenn sie für jeden Staat, der sich hierbei im Einklang mit der
allgemeinen Übung und nach Treu und Glauben verhält objektiv erkennbar
ist.
Artikel 47 Besondere Beschränkungen der Ermächtigung,
die Zustimmung eines Staates zum Ausdruck zu bringen
Ist die
Ermächtigung eines Vertreters, die Zustimmung eines Staates auszudrücken durch
einen bestimmten Vertrag gebunden zu sein, einer besonderen Beschränkung
unterworfen worden, so kann nur dann geltend gemacht werden, dass diese
Zustimmung wegen Nichtbeachtung der Beschränkung ungültig sei, wenn die
Beschränkung den anderen Verhandlungsstaaten notifiziert worden war, bevor der
Vertreter die Zustimmung zum Ausdruck brachte.
Artikel 48
Irrtum
(1) Ein Staat kann geltend machen, dass seine Zustimmung,
durch den Vertrag gebunden zu sein, wegen eines Irrtums im Vertrag ungültig sei,
wenn sich der Irrtum auf eine Tatsache oder Lage bezieht, deren Bestehen der
Staat im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses annahm und die eine wesentliche
Grundlage für seine Zustimmung bildete. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung,
wenn der betreffende Staat durch sein eigenes Verhalten zu dem Irrtum
beigetragen hat oder nach den Umständen mit der Möglichkeit eines Irrtums
rechnen musste. (3) Ein ausschliesslich redaktioneller Irrtum berührt die
Gültigkeit eines Vertrags nicht; in diesem Fall findet Artikel 79
Anwendung.
Artikel 49 Betrug
Ist ein Staat
durch das betrügerische Verhalten eines anderen Verhandlungsstaats zum
Vertragsabschluss veranlasst worden, so kann er geltend machen, dass seine
Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, wegen des Betrugs ungültig
sei.
Artikel 50 Bestechung eines
Staatenvertreters
Hat ein Verhandlungsstaat die Zustimmung eines
anderen Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, mittelbar oder
unmittelbar durch Bestechung des Vertreters dieses Staates herbeigeführt, so
kann dieser Staat geltend machen, dass seine Zustimmung wegen der Bestechung
ungültig sei.
Artikel 51 Zwang gegen einen
Staatenvertreter
Wurde die Zustimmung eines Staates, durch einen
Vertrag gebunden zu sein, durch Zwang gegen seinen Vertreter mittels gegen
diesen gerichteter Handlungen oder Drohungen herbeigeführt, so hat sie keine
Rechtswirkung.
Artikel 52 Zwang gegen einen Staat durch
Androhung oder Anwendung von Gewalt
Ein Vertrag ist nichtig, wenn
sein Abschluss durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in
der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts
herbeigeführt wurde.
Artikel 53 Verträge im Widerspruch zu
einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens)
Ein
Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu
einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses
Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm,
die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen
und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die
nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur
geändert werden kann.
Abschnitt 3: Beendigung und
Suspendierung von Verträgen
Artikel 54
Beendigung eines Vertrags oder Rücktritt vom Vertrag auf Grund seiner
Bestimmungen oder durch Einvernehmen zwischen den
Vertragsparteien
Die Beendigung eines Vertrags oder der Rücktritt
einer Vertragspartei vom Vertrag können erfolgen a) nach Massgabe der
Vertragsbestimmungen oder b) jederzeit durch Einvernehmen zwischen allen
Vertragsparteien nach Konsultierung der anderen Vertragsstaaten.
Artikel 55 Abnahme der Zahl der Vertragsparteien eines mehrseitigen
Vertrags auf weniger als die für sein Inkrafttreten erforderliche
Zahl
Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht, erlischt ein
mehrseitiger Vertrag nicht schon deshalb, weil die Zahl der Vertragsparteien
unter die für sein Inkrafttreten erforderliche Zahl sinkt.
Artikel 56 Kündigung eines Vertrags oder Rücktritt von einem
Vertrag, der keine Bestimmung über Beendigung, Kündigung oder Rücktritt
enthält
(1) Ein Vertrag, der keine Bestimmung über seine Beendigung
enthält und eine Kündigung oder einen Rücktritt nicht vorsieht, unterliegt weder
der Kündigung noch dem Rücktritt, sofern a) nicht feststeht, dass die
Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts
zuzulassen beabsichtigten, oder b) ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht
sich nicht aus der Natur des Vertrags herleiten lässt. (2) Eine
Vertragspartei hat ihre Absicht, nach Absatz 1 einen Vertrag zu kündigen oder
von einem Vertrag zurückzutreten, mindestens zwölf Monate im voraus zu
notifizieren.
Artikel 57 Suspendierung eines Vertrags auf
Grund seiner Bestimmungen oder durch Einvernehmen zwischen den
Vertragsparteien
Ein Vertrag kann gegenüber allen oder einzelnen
Vertragsparteien suspendiert werden a) nach Massgabe der
Vertragsbestimmungen oder b) jederzeit durch Einvernehmen zwischen allen
Vertragsparteien nach Konsultierung der anderen Vertragsstaaten.
Artikel 58 Suspendierung eines mehrseitigen Vertrags auf Grund einer
Übereinkunft zwischen einzelnen Vertragsparteien
(1) Zwei oder mehr
Vertragsparteien eines mehrseitigen Vertrags können eine Übereinkunft zur
zeitweiligen, nur zwischen ihnen wirksamen Suspendierung einzelner
Vertragsbestimmungen schliessen, a) wenn eine solche
Suspendierungsmöglichkeit im Vertrag vorgesehen ist oder b) wenn die
Suspendierung durch den Vertrag nicht verboten ist, vorausgesetzt, i)
dass sie die anderen Vertragsparteien im Genuss ihrer Rechte auf Grund des
Vertrags oder in der Erfüllung ihrer Pflichten nicht beeinträchtigt und ii)
dass sie mit Ziel und Zweck des Vertrags nicht unvereinbar ist. (2)
Sofern der Vertrag in einem Fall des Absatzes 1 lit. a nichts anderes vorsieht,
haben diese Vertragsparteien den anderen Vertragsparteien ihre Absicht, die
Übereinkunft zu schliessen, sowie diejenigen Vertragsbestimmungen zu
notifizieren, die sie suspendieren wollen.
Artikel 59
Beendigung oder Suspendierung eines Vertrags durch Abschluss eines späteren
Vertrags
(1) Ein Vertrag gilt als beendet, wenn alle Vertragsparteien
später einen sich auf denselben Gegenstand beziehenden Vertrag schliessen
und a) aus dem späteren Vertrag hervorgeht oder anderweitig feststeht,
dass die Vertragsparteien beabsichtigten, den Gegenstand durch den späteren
Vertrag zu regeln, oder b) die Bestimmungen des späteren Vertrags mit
denen des früheren Vertrags in solchem Masse unvereinbar sind, dass die beiden
Verträge eine gleichzeitige Anwendung nicht zulassen. (2) Der frühere Vertrag
gilt als nur suspendiert, wenn eine solche Absicht der Vertragsparteien aus dem
späteren Vertrag hervorgeht oder anderweitig feststeht.
Artikel 60 Beendigung oder Suspendierung eines Vertrags infolge
Vertragsverletzung
(1) Eine erhebliche Verletzung eines zweiseitigen
Vertrags durch eine Vertragspartei berechtigt die andere Vertragspartei, die
Vertragsverletzung als Grund für die Beendigung des Vertrags oder für seine
gänzliche oder teilweise Suspendierung geltend zu machen. (2) Eine erhebliche
Verletzung eines mehrseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei a)
berechtigt die anderen Vertragsparteien, einvernehmlich den Vertrag ganz
oder teilweise zu suspendieren oder ihn zu beenden i) entweder im
Verhältnis zwischen ihnen und dem vertragsbrüchigen Staat ii) oder
zwischen allen Vertragsparteien; b) berechtigt eine durch die
Vertragsverletzung besonders betroffene Vertragspartei, die Verletzung als Grund
für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags im Verhältnis
zwischen ihr und dem vertragsbrüchigen Staat geltend zu machen; c)
berechtigt jede Vertragspartei ausser dem vertragsbrüchigen Staat, die
Vertragsverletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des
Vertrags in bezug auf sich selbst geltend zu machen, wenn der Vertrag so
beschaffen ist, dass eine erhebliche Verletzung seiner Bestimmungen durch eine
Vertragspartei die Lage jeder Vertragspartei hinsichtlich der weiteren Erfüllung
ihrer Vertragsverpflichtungen grundlegend ändert. (3) Eine erhebliche
Verletzung im Sinne dieses Artikels liegt a) in einer nach diesem
Übereinkommen nicht zulässigen Ablehnung des Vertrags oder b) in der
Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks
wesentlichen Bestimmung. (4) Die Absätze 1 bis 3 lassen die
Vertragsbestimmungen unberührt, die bei einer Verletzung des Vertrags anwendbar
sind. (5) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung auf Bestimmungen über
den Schutz der menschlichen Person in Verträgen humanitärer Art, insbesondere
auf Bestimmungen zum Verbot von Repressalien jeder Art gegen die durch derartige
Verträge geschützten Personen.
Artikel 61 Nachträgliche
Unmöglichkeit der Erfüllung
(1) Eine Vertragspartei kann die
Unmöglichkeit der Vertragserfüllung als Grund für die Beendigung des Vertrags
oder den Rücktritt vom Vertrag geltend machen, wenn sich die Unmöglichkeit aus
dem endgültigen Verschwinden oder der Vernichtung eines zur Ausführung des
Vertrags unerlässlichen Gegenstandes ergibt. Eine vorübergehende Unmöglichkeit
kann nur als Grund für die Suspendierung des Vertrags geltend gemacht
werden. (2) Eine Vertragspartei kann die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung
nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags, den Rücktritt vom Vertrag oder
seine Suspendierung geltend machen, wenn sie die Unmöglichkeit durch die
Verletzung einer Vertragsverpflichtung oder einer sonstigen, gegenüber einer
anderen Vertragspartei bestehenden internationalen Verpflichtung selbst
herbeigeführt hat.
Artikel 62 Grundlegende Änderung der
Umstände
(1) Eine grundlegende Änderung der beim Vertragsabschluss
gegebenen Umstände, die von den Vertragsparteien nicht vorausgesehen wurde, kann
nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm
geltend gemacht werden, es sei denn a) das Vorhandensein jener Umstände
bildete eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien,
durch den Vertrag gebunden zu sein, und b) die Änderung der Umstände
würde das Ausmass der auf Grund des Vertrags noch zu erfüllenden Verpflichtungen
tiefgreifend umgestalten. (2) Eine grundlegende Änderung der Umstände kann
nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm
geltend gemacht werden, a) wenn der Vertrag eine Grenze festlegt
oder b) wenn die Vertragspartei, welche die grundlegende Änderung der
Umstände geltend macht, diese durch Verletzung einer Vertragsverpflichtung oder
einer sonstigen, gegenüber einer anderen Vertragspartei bestehenden
internationalen Verpflichtung selbst herbeigeführt hat. (3) Kann eine
Vertragspartei nach Absatz 1 oder 2 eine grundlegende Änderung der Umstände als
Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend machen,
so kann sie die Änderung auch als Grund für die Suspendierung des Vertrags
geltend machen.
Artikel 63 Abbruch der diplomatischen oder
konsularischen Beziehungen
Der Abbruch der diplomatischen oder
konsularischen Beziehungen zwischen Parteien eines Vertrags lässt die zwischen
ihnen durch den Vertrag begründeten Rechtsbeziehungen unberührt, es sei denn,
das Bestehen diplomatischer oder konsularischer Beziehungen ist für die
Anwendung des Vertrags unerlässlich.
Artikel 64 Entstehung
einer neuen zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius
cogens)
Entsteht eine neue zwingende Norm des allgemeinen
Völkerrechts, so wird jeder zu dieser Norm im Widerspruch stehende Vertrag
nichtig und erlischt.
Abschnitt 4:
Verfahren
Artikel 65 Verfahren bei Ungültigkeit oder
Beendigung eines Vertrags, beim Rücktritt von einem Vertrag oder bei
Suspendierung eines Vertrags
(1) Macht eine Vertragspartei auf Grund
dieses Übereinkommens entweder einen Mangel in ihrer Zustimmung, durch einen
Vertrag gebunden zu sein, oder einen Grund zur Anfechtung der Gültigkeit eines
Vertrags, zu seiner Beendigung, zum Rücktritt vom Vertrag oder zu seiner
Suspendierung geltend, so hat sie den anderen Vertragsparteien ihren Anspruch zu
notifizieren. In der Notifikation sind die in bezug auf den Vertrag
beabsichtigte Massnahme und die Gründe dafür anzugeben. (2) Erhebt innerhalb
einer Frist, die - ausser in besonders dringenden Fällen - nicht weniger als
drei Monate nach Empfang der Notifikation beträgt, keine Vertragspartei
Einspruch, so kann die notifizierende Vertragspartei in der in Artikel 67
vorgesehenen Form die angekündigte Massnahme durchführen. (3) Hat jedoch eine
andere Vertragspartei Einspruch erhoben, so bemühen sich die Vertragsparteien um
eine Lösung durch die in Artikel 33 der Charta der Vereinten Nationen genannten
Mittel. (4) Die Absätze 1 bis 3 berühren nicht die Rechte oder Pflichten der
Vertragsparteien auf Grund in Kraft befindlicher und für die Vertragsparteien
verbindlicher Bestimmungen über die Beilegung von Streitigkeiten. (5)
Unbeschadet des Artikels 45 hindert der Umstand, dass ein Staat die nach Absatz
1 vorgeschriebene Notifikation noch nicht abgegeben hat, diesen nicht daran,
eine solche Notifikation als Antwort gegenüber einer anderen Vertragspartei
abzugeben, die Vertragserfüllung fordert oder eine Vertragsverletzung
behauptet.
Artikel 66 Verfahren zur gerichtlichen oder
schiedsgerichtlichen Beilegung oder zum Vergleich
Ist innerhalb von
zwölf Monaten nach Erhebung eines Einspruchs keine Lösung nach Artikel 65 Absatz
3 erzielt worden, so sind folgende Verfahren anzuwenden: a) jede Partei
einer Streitigkeit über die Anwendung oder Auslegung des Artikels 53 oder 64
kann die Streitigkeit durch eine Klageschrift dem Internationalen Gerichtshof
zur Entscheidung unterbreiten, sofern die Parteien nicht vereinbaren, die
Streitigkeit einem Schiedsverfahren zu unterwerfen; b) jede Partei einer
Streitigkeit über die Anwendung oder Auslegung eines sonstigen Artikels des
Teiles V dieses Übereinkommens kann das im Anhang zu dem Übereinkommen
bezeichnete Verfahren durch einen diesbezüglichen Antrag an den Generalsekretär
der Vereinten Nationen einleiten.
Artikel 67 Urkunden zur
Ungültigerklärung oder Beendigung eines Vertrags, zum Rücktritt von einem
Vertrag oder zur Suspendierung eines Vertrags
(1) Die Notifikation
nach Artikel 65 Absatz 1 bedarf der Schriftform. (2) Eine Handlung, durch die
ein Vertrag auf Grund seiner Bestimmungen oder nach Artikel 65 Absatz 2 oder 3
dieses Übereinkommens für ungültig erklärt oder beendet wird, durch die der
Rücktritt vom Vertrag erklärt oder dieser suspendiert wird, ist durch eine den
anderen Vertragsparteien zu übermittelnde Urkunde vorzunehmen. Ist die Urkunde
nicht vom Staatsoberhaupt, Regierungschef oder Aussenminister unterzeichnet, so
kann der Vertreter des die Urkunde übermittelnden Staates aufgefordert werden,
seine Vollmacht vorzulegen.
Artikel 68 Rücknahme von
Notifikationen und Urkunden nach den Artikeln 65 und 67
Eine
Notifikation oder eine Urkunde nach den Artikeln 65 und 67 kann jederzeit
zurückgenommen werden, bevor sie wirksam wird.
Abschnitt 5: Folgen der Ungültigkeit, der Beendigung oder der
Suspendierung eines Vertrages
Artikel 69 Folgen der
Ungültigkeit eines Vertrags
(1) Ein Vertrag, dessen Ungültigkeit auf
Grund dieses Übereinkommens festgestellt wird, ist nichtig. Die Bestimmungen
eines nichtigen Vertrags haben keine rechtliche Gültigkeit. (2) Sind jedoch,
gestützt auf einen solchen Vertrag, Handlungen vorgenommen worden, a) so
kann jede Vertragspartei von jeder anderen Vertragspartei verlangen, dass diese
in ihren gegenseitigen Beziehungen soweit wie möglich die Lage wiederherstellt,
die bestanden hätte, wenn die Handlungen nicht vorgenommen worden wären; b)
so werden Handlungen, die vor Geltendmachung der Ungültigkeit in gutem
Glauben vorgenommen wurden, nicht schon durch die Ungültigkeit des Vertrags
rechtswidrig. (3) In den Fällen des Artikels 49, 50, 51 oder 52 findet Absatz
2 keine Anwendung in bezug auf die Vertragspartei, welcher der Betrug, die
Bestechung oder der Zwang zuzurechnen ist. (4) Ist die Zustimmung eines
bestimmten Staates, durch einen mehrseitigen Vertrag gebunden zu sein, mit einem
Mangel behaftet, so finden die Absätze 1 bis 3 im Verhältnis zwischen diesem
Staat und den Vertragsparteien Anwendung.
Artikel 70
Folgen der Beendigung eines Vertrags
(1) Sofern der Vertrag nichts
anderes vorsieht oder die Vertragsparteien nichts anderes vereinbaren, hat die
nach den Bestimmungen des Vertrags oder nach diesem Übereinkommen eingetretene
Beendigung des Vertrags folgende Wirkungen: a) sie befreit die
Vertragsparteien von der Verpflichtung, den Vertrag weiterhin zu erfüllen; b)
sie berührt nicht die vor Beendigung des Vertrags durch dessen Durchführung
begründeten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und ihre dadurch
geschaffene Rechtslage. (2) Kündigt ein Staat einen mehrseitigen Vertrag oder
tritt er von ihm zurück, so gilt Absatz 1 in den Beziehungen zwischen diesem
Staat und jeder anderen Vertragspartei vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der
Kündigung oder des Rücktritts an.
Artikel 71 Folgen der
Ungültigkeit eines Vertrags, der im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des
allgemeinen Völkerrechts steht
(1) Im Fall eines nach Artikel 53
nichtigen Vertrags haben die Vertragsparteien a) soweit wie möglich die
Folgen von Handlungen zu beseitigen, die, gestützt auf eine zu der zwingenden
Norm des allgemeinen Völkerrechts im Widerspruch stehende Bestimmung,
vorgenommen wurden, und b) ihre gegenseitigen Beziehungen mit der
zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts in Einklang zu bringen. (2) Im
Fall eines Vertrags, der nach Artikel 64 nichtig wird und erlischt, hat die
Beendigung folgende Wirkungen: a) Sie befreit die Vertragsparteien von
der Verpflichtung, den Vertrag weiterhin zu erfüllen; b) sie berührt
nicht die vor Beendigung des Vertrags begründeten Rechte und Pflichten der
Vertragsparteien und ihre dadurch geschaffene Rechtslage; solche Rechte,
Pflichten und Rechtslagen dürfen danach jedoch nur insoweit aufrechterhalten
werden, als ihre Aufrechterhaltung als solche nicht im Widerspruch zu der neuen
zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht.
Artikel 72 Folgen der Suspendierung eines Vertrags
(1)
Sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht oder die Vertragsparteien nichts
anderes vereinbaren, hat die nach den Bestimmungen des Vertrags oder nach diesem
Übereinkommen erfolgte Suspendierung des Vertrags folgende Wirkungen: a)
sie befreit die Vertragsparteien, zwischen denen der Vertrag suspendiert
ist, in ihren gegenseitigen Beziehungen während der Suspendierung von der
Verpflichtung, den Vertrag zu erfüllen; b) sie berührt anderweitig die
durch den Vertrag zwischen den Vertragsparteien begründeten Rechtsbeziehungen
nicht. (2) Während der Suspendierung haben sich die Vertragsparteien aller
Handlungen zu enthalten, die der Wiederanwendung des Vertrags entgegenstehen
könnten.
Teil VI Verschiedene
Bestimmungen
Artikel 73 Fälle der Staatennachfolge,
der Verantwortlichkeit der Staaten und des Ausbruchs von
Feindseligkeiten
Dieses Übereinkommen lässt Fragen unberührt, die
sich hinsichtlich eines Vertrags aus der Nachfolge von Staaten, aus der
völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates oder aus dem Ausbruch von
Feindseligkeiten zwischen Staaten ergeben können.
Artikel
74 Diplomatische und konsularische Beziehungen und der Abschluss von
Verträgen
Der Abbruch oder das Fehlen diplomatischer oder
konsularischer Beziehungen zwischen zwei oder mehr Staaten steht dem Abschluss
von Verträgen zwischen diesen Staaten nicht entgegen. Der Abschluss eines
Vertrags ist als solcher ohne Wirkung in bezug auf diplomatische oder
konsularische Beziehungen.
Artikel 75 Fall eines
Angreiferstaats
Dieses Übereinkommen berührt keine mit einem Vertrag
zusammenhängenden Verpflichtungen, welche sich für einen Angreiferstaat infolge
von Massnahmen ergeben können, die auf den Angriff des betreffenden Staates hin
im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen getroffen
wurden.
Teil VII Depositär, Notificationen,
Berichtigungen und Registrierung
Artikel 76 Depositär
von Verträgen
(1) Der Depositär eines Vertrags kann von den
Verhandlungsstaaten im Vertrag selbst oder in sonstiger Weise bestimmt werden.
Einzelne oder mehrere Staaten, eine internationale Organisation oder der
leitende Verwaltungsbeamte einer internationalen Organisation können Depositär
sein. (2) Die Aufgaben des Depositärs haben internationalen Charakter; der
Depositär ist verpflichtet, diese Aufgaben unparteiisch wahrzunehmen.
Insbesondere wird diese Verpflichtung nicht davon berührt, dass ein Vertrag
zwischen einzelnen Vertragsparteien nicht in Kraft getreten ist oder dass
zwischen einem Staat und einem Depositär über die Erfüllung von dessen Aufgaben
Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind.
Artikel 77
Aufgaben des Depositärs
(1) Sofern der Vertrag nichts anderes
vorsieht oder die Vertragsstaaten nichts anderes vereinbaren, hat ein Depositär
insbesondere folgende Aufgaben: a) Die Urschrift des Vertrags und die dem
Depositär übergebenen Vollmachten zu verwahren; b) beglaubigte
Abschriften der Urschrift sowie weitere Texte des Vertrags in den nach dem
Vertrag erforderlichen zusätzlichen Sprachen zu erstellen und sie den
Vertragsparteien und den Staaten zu übermitteln, die berechtigt sind,
Vertragsparteien zu werden; c) Unterzeichnungen des Vertrags
entgegenzunehmen sowie alle sich auf den Vertrag beziehenden Urkunden,
Notifikationen und Mitteilungen entgegenzunehmen und zu verwahren; d) zu
prüfen, ob die Unterzeichnung und jede sich auf den Vertrag beziehende Urkunde,
Notifikation oder Mitteilung in guter und gehöriger Form sind, und, falls
erforderlich, den betreffenden Staat darauf aufmerksam zu machen; e) die
Vertragsparteien sowie die Staaten, die berechtigt sind, Vertragsparteien zu
werden, von Handlungen, Notifikationen und Mitteilungen zu unterrichten, die
sich auf den Vertrag beziehen; f) die Staaten, die berechtigt sind,
Vertragsparteien zu werden, von dem Zeitpunkt zu unterrichten, zu dem die für
das Inkrafttreten des Vertrags erforderliche Anzahl von Unterzeichnungen oder
von Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunden vorliegt oder
hinterlegt wurde; g) den Vertrag beim Sekretariat der Vereinten Nationen
registrieren zu lassen; h) die in anderen Bestimmungen dieses
Übereinkommens bezeichneten Aufgaben zu erfüllen. (2) Treten zwischen einem
Staat und dem Depositär über die Erfüllung von dessen Aufgaben
Meinungsverschiedenheiten auf, so macht dieser die Unterzeichnerstaaten und die
Vertragsstaaten oder, wenn angebracht, das zuständige Organ der internationalen
Organisation darauf aufmerksam.
Artikel 78 Notifikationen
und Mitteilungen
Sofern der Vertrag oder dieses Übereinkommen nichts
anderes vorsieht, gilt für Notifikationen und Mitteilungen, die ein Staat auf
Grund dieses Übereinkommens abzugeben hat, folgendes: a) ist kein
Depositär vorhanden, so sind sie unmittelbar den Staaten zu übersenden, für die
sie bestimmt sind; ist ein Depositär vorhanden, so sind sie diesem zu
übersenden; b) sie gelten erst dann als von dem betreffenden Staat
abgegeben, wenn sie - je nach Lage des Falles - der Staat, dem sie übermittelt
werden, oder der Depositär empfangen hat; c) werden sie einem Depositär
übermittelt, so gelten sie erst in dem Zeitpunkt als von dem Staat, für den sie
bestimmt sind, empfangen, zu dem dieser nach Artikel 77 Absatz 1 lit. e von dem
Depositär unterrichtet wurde.
Artikel 79 Berichtigung von
Fehlern im Text oder in den beglaubigten Abschriften von
Verträgen
(1) Kommen die Unterzeichnerstaaten und die Vertragsstaaten
nach Festlegung des authentischen Textes eines Vertrags übereinstimmend zu der
Ansicht, dass er einen Fehler enthält, so wird dieser, sofern die genannten
Staaten nicht ein anderes Verfahren zur Berichtigung beschliessen, wie folgt
berichtigt: a) Der Text wird entsprechend berichtigt und die Berichtigung
von gehörig ermächtigten Vertretern paraphiert; b) über die vereinbarte
Berichtigung wird eine Urkunde errichtet oder werden mehrere Urkunden
ausgetauscht oder c) ein berichtigter Text des gesamten Vertrags wird
nach demselben Verfahren hergestellt wie der ursprüngliche Text. (2) Ist für
einen Vertrag ein Depositär vorhanden, so notifiziert dieser den
Unterzeichnerstaaten und den Vertragsstaaten den Fehler und den
Berichtigungsvorschlag und setzt eine angemessene Frist, innerhalb welcher
Einspruch gegen die vorgeschlagene Berichtigung erhoben werden kann. Ist nach
Ablauf dieser Frist a) kein Einspruch erhoben worden, so nimmt der
Depositär die Berichtigung am Text vor und paraphiert sie; ferner fertigt er
eine Niederschrift über die Berichtigung an und übermittelt von dieser je eine
Abschrift den Vertragsparteien und den Staaten, die berechtigt sind,
Vertragsparteien zu werden; b) Einspruch erhoben worden, so teilt der
Depositär den Unterzeichnerstaaten und den Vertragsstaaten den Einspruch
mit. (3) Die Absätze 1 und 2 finden auch Anwendung, wenn der Text in zwei
oder mehr Sprachen als authentisch festgelegt wurde und sich ein Mangel an
Übereinstimmung herausstellt, der nach einhelliger Auffassung der
Unterzeichnerstaaten und der Vertragsstaaten behoben werden soll. (4) Der
berichtigte Text tritt ab initio an die Stelle des mangelhaften Textes, sofern
die Unterzeichnerstaaten und die Vertragsstaaten nichts anderes
beschliessen. (5) Die Berichtigung des Textes eines registrierten Vertrags
ist dem Sekretariat der Vereinten Nationen zu notifizieren. (6) Wird in einer
beglaubigten Abschrift eines Vertrags ein Fehler festgestellt, so fertigt der
Depositär eine Niederschrift über die Berichtigung an und übermittelt den
Unterzeichnerstaaten und den Vertragsstaaten von dieser je eine
Abschrift.
Artikel 80 Registrierung und Veröffentlichung
von Verträgen
(1) Verträge werden nach ihrem Inkrafttreten dem
Sekretariat der Vereinten Nationen zur Registrierung beziehungsweise Aufnahme in
die Akten (filing and recording) und zur Veröffentlichung übermittelt. (2)
Ist ein Depositär bestimmt, so gilt er als befugt, die in Absatz 1 genannten
Handlungen vorzunehmen.
Teil VIII
Schlussbestimmungen
Artikel 81
Unterzeichnung
Dieses Übereinkommen liegt für alle Mitgliedstaaten
der Vereinten Nationen, einer ihrer Sonderorganisationen oder der
Internationalen Atomenergie-Organisation, für Vertragsparteien des Statuts des
Internationalen Gerichtshofs und für jeden anderen Staat, den die
Generalversammlung der Vereinten Nationen einlädt, Vertragspartei des
Übereinkommens zu werden, wie folgt zur Unterzeichnung auf: bis zum 30. November
1969 im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich
und danach bis zum 30. April 1970 am Sitz der Vereinten Nationen in New
York.
Artikel 82 Ratifikation
Dieses
Übereinkommen bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden beim
Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.
Artikel
83 Beitritt
Dieses Übereinkommen steht jedem Staat zum Beitritt
offen, der einer der in Artikel 81 bezeichneten Kategorien angehört. Die
Beitrittsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen
hinterlegt.
Artikel 84 Inkrafttreten
(1) Dieses
Übereinkommen tritt am dreissigsten Tag nach Hinterlegung der
fünfunddreissigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. (2) Für
jeden Staat, der nach Hinterlegung der fünfunddreissigsten Ratifikations oder
Beitrittsurkunde das Übereinkommen ratifiziert oder ihm beitritt, tritt es am
dreissigsten Tag nach Hinterlegung seiner eigenen Ratifikationsoder
Beitrittsurkunde in Kraft.
Artikel 85 Authentische
Texte
Die Urschrift dieses Übereinkommens, dessen chinesischer,
englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermassen
verbindlich ist, wird beim Generalsekretär der Vereinten Nationen
hinterlegt.
Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten, von ihren
Regierungen hierzu gehörig befugten Bevollmächtigten dieses Übereinkommen
unterschrieben.
Geschehen zu Wien am 23. Mai
1969.
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