Zu § 200 - Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung und aus Gefährdungshaftung
Zu Absatz 1
Der Verjährung für außervertragliche Schadensersatzansprüche kommt in der Praxis eine bedeutende Stellung zu. Dies gilt nicht nur für deliktische Schadensersatzansprüche nach den §§ 823 ff., sondern auch für Ansprüche, die aus Gefährdungshaftungstatbeständen außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs hergeleitet werden. Die Aufklärung der Schadensverläufe und die Feststellung der Person des Ersatzpflichtigen beansprucht oftmals erhebliche Zeit, so dass die Frage der Verjährung im Prozess eine zentrale Bedeutung erlangen kann.
Im geltenden Recht verjähren nach § 852 Abs. 1 Ansprüche auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung an. Ansprüche aus Gefährdungshaftungstatbeständen sind in § 852 Abs. 1 nicht ausdrücklich genannt. Teilweise wird in den Gesetzen, die Gefährdungshaftungstatbestände regeln, für die Verjährung auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs - und damit auch auf § 852 - verwiesen (z. B. in § 14 StVG, § 12 Abs. 3 ProdHaftG; § 17 UmweltHG). Auf andere Tatbestände der Gefährdungshaftung, die eine ausdrückliche Verweisung nicht vorsehen, wird § 852 analog angewandt (vgl. z. B. BGH, NJW 1972, 204, 205 für die Haftung nach § 22 WHG).
§ 852 wird grundsätzlich als gelungen betrachtet. Gewisse Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, dass § 852 für den Beginn der Verjährung auf das subjektive Element der Kenntnis abstellt, hat die Rechtsprechung zufriedenstellend gelöst. Ein Mangel ist jedoch, dass die Tatbestände der Gefährdungshaftung nicht ausdrücklich aufgeführt sind.
Die Vorschrift des neuen § 200 Abs. 1 bestimmt die Dauer der Verjährungsfrist und legt deren Beginn für Ansprüche aus unerlaubter Handlung und aus Gefährdungshaftung fest. Die Regelung entspricht § 852 Abs. 1, bezieht aber in Erweiterung dieser Vorschrift die Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus Gefährdungshaftungstatbeständen mit ein. Davon werden Tatbestände innerhalb und außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfasst (vgl. § 194 Abs. 3). Diese Erweiterung führt zu einer Vereinfachung der Gefährdungshaftungsregelungen. Denn sie macht in diesen Fällen eine Verweisung auf § 200 unnötig. Außerdem spricht für die Erweiterung, dass sowohl die Vorschriften über die Unterbrechung und Hemmung der Verjährung als auch die Normen über die Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Körperschäden auf Gefährdungshaftungstatbestände anzuwenden sind.
Dem Hinweis in der Reformdiskussion, dass die Fristen des bisherigen § 852 Abs. 1 einer Überprüfung bedürfen, ist mit der Verkürzung der absoluten Verjährungsfrist auf zehn Jahre Rechnung getragen. Das entspricht sowohl der Grundlinie des Entwurfs zu der Dauer der regelmäßigen Verjährung (vgl. § 195 Satz 2) als auch dem Produkthaftungsgesetz, das ein Erlöschen des Anspruchs zehn Jahre nach dem Zeitpunkt vorsieht, in dem das fehlerhafte Produkt in den Verkehr gebracht worden ist (§ 13 Abs. 1 ProdHaftG).
Diese Regelung kann für den Gläubiger allerdings dann zu ungünstig sein, wenn es um Ansprüche geht, die sich aus der Verletzung besonders wertvoller Rechtsgüter ergeben. Das ist bei der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit der Fall. Eine Verletzung dieser Rechtsgüter führt nicht selten erst nach vielen Jahren zu erkennbaren Schäden. Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren ist dann zu kurz. Absatz 1 sieht deshalb in diesen Fällen eine kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von 30 Jahren, beginnend mit der Begehung der Handlung oder der Verwirklichung der Gefahr, vor.
Damit kann sich allerdings die Situation ergeben, dass aus derselben unerlaubten Handlung, z. B. aus demselben Verkehrsunfall, folgende Ansprüche je nach Art des verletzten Rechtsguts zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren. Dieses Ergebnis muss aber hingenommen werden. Es hängt mit der dem Absatz 1 zugrundeliegenden Wertung zusammen, die den dort am Ende genannten Rechtsgütern einen besonders hohen Stellenwert zumisst.
Die Schuldrechtskommission hatte darüber hinaus vorgeschlagen, in einem Satz 2 eine Frist von 30 Jahren für die absolute Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung einer Amtspflicht vorzusehen. Eine derartige Privilegierung der Ansprüche aus Amtspflichtverletzung erscheint indes nicht gerechtfertigt. Die von der Schuldrechtskommission zur Begründung angeführte Möglichkeit von Spätschäden ergibt sich auch bei sonstigen Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung. Der Entwurf sieht daher nur eine einheitliche Frist für die absolute Verjährung vor. Diese hat mit zehn Jahren eine angemessene Länge.
Zu Absatz 2
Absatz 2 regelt die Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit. Das geltende Recht kennt keine spezielle Regelung der Verjährungsfrist für derartige Ansprüche. Zumeist wird ein deliktischer Anspruch gegeben sein, so dass nach geltendem Recht § 852 Abs. 1 eingreift. Danach verjährt der Anspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an.
Gemäß Absatz 2 findet auf die Verjährung der genannten Ansprüche Absatz 1 entsprechende Anwendung. Soweit die Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung oder Gefährdungshaftung folgen, sind sie zwar bereits ohnehin von Absatz 1 erfasst. Die in Absatz 2 vorgesehene Regelung trägt aber dem Bedürfnis Rechnung, diese Ansprüche ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund, auf dem sie beruhen, einer einheitlichen und ihrer Bedeutung entsprechenden Verjährung zu unterwerfen. Das gilt insbesondere für vertragliche Ansprüche, für die die dreijährige, mit der Verletzung einer vertraglichen (Schutz-)Pflicht beginnende Verjährungsfrist des § 195 Satz 1 viel zu kurz wäre. Auch diese Ansprüche sollen wie Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder Gefährdungshaftung kenntnisabhängig in drei Jahren verjähren. Wegen der besonders großen Gefahr spät auftretender Schäden bei Verletzung dieser Rechtsgüter soll im übrigen die absolute Verjährung der genannten Schadensersatzansprüche unabhängig von ihrem Rechtsgrund erst nach 30 Jahren eintreten, was ebenfalls durch die Verweisung auf Absatz 1 erreicht wird. Absatz 2 weicht nur in einem Punkt von Absatz 1 ab: die absolute Verjährung beginnt nicht mit der Begehung der Handlung oder der Verwirklichung der Gefahr, sondern knüpft für den Verjährungsbeginn an die allgemeinen Vorschriften an. Damit wird regelmäßig die Verletzung einer (Schutz-)Pflicht aus einem Schuldverhältnis maßgeblich sein, § 198 Abs. 3. Dies dient dem Gleichlauf mit den allgemeinen Verjährungsvorschriften.
Die aufgeführten Gründe für diese Regelung treffen auch auf die Verletzung der Freiheit zu. Allerdings ist der Nachteil bei Freiheitsentziehungen für den Verletzten häufig sofort spürbar. Es entstehen deshalb schleichende Kausalverläufe mit Spätschäden in der Regel nicht. Eine absolute Verjährungsfrist von dreißig Jahren könnte daher bei Freiheitsentziehungen unangemessen erscheinen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass immerhin auch bei einer Freiheitsberaubung psychische Schäden denkbar sind, die sich erst viel später auswirken können.
Zu Absatz 3
Die deliktische Verjährung soll auch für Unterlassungsansprüche wegen Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 genannten Rechte oder Rechtsgüter gelten. Solche Unterlassungsansprüche bereiten in der Regel dieselben Aufklärungsschwierigkeiten wie Schadensersatzansprüche aus derartigen Verletzungen. Es soll deshalb auch genau die gleiche Verjährungsregelung gelten.
Die Schuldrechtskommission hatte darüber hinaus in einem weiteren Absatz die Übernahme des bisherigen § 852 Abs. 3 vorgeschlagen. Diese Vorschrift betrifft den Bereicherungsausgleich nach Ablauf der Verjährungsfrist und bestimmt, dass der Verpflichtete, der durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Berechtigten etwas erlangt hat, auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet ist. Wie der BGH in BGHZ 71, 86, 99 ausführt, ist der deliktische "Bereicherungsanspruch" dogmatisch ein Schadensersatzanspruch, der nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt ist. Demnach wird bislang in § 852 Abs. 3 nur der Umfang der deliktischen Verschuldenshaftung nach Eintritt der Verjährung geregelt. Mithin verjährt ohne eine dem § 852 Abs. 3 entsprechende Vorschrift der deliktische "Bereicherungsanspruch" gemäß Absatz 1 in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Die Schuldrechtskommission wollte dem Verletzten mit ihrem Vorschlag für einen Absatz 2 über die Grenze der relativen Verjährungsfrist hinaus bis zum Eintritt der absoluten Verjährung den Anspruch gegen den Ersatzpflichtigen auf Herausgabe des Erlangten erhalten. Nachdem die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß § 195 einheitlich - auch für gesetzliche, auch für auf Bereicherungsrecht beruhende Ansprüche - auf drei Jahre reduziert worden ist, erscheint diese Privilegierung des aus einer unerlaubten Handlung folgenden Bereicherungsanspruchs nicht mehr gerechtfertigt. Der Verletzte hat in der kenntnisabhängig beginnenden Frist von drei Jahren ausreichend Gelegenheit zur Geltendmachung auch seiner Herausgabeansprüche.