Zu § 210 - Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen
Vorbemerkung
Es stellt sich die Frage, wie sich der Umstand auf den Ablauf der Verjährungsfrist auswirkt, dass die Parteien in Verhandlungen über einen streitigen oder zweifelhaften Anspruch oder über Umstände eintreten, aus denen sich ein Anspruch ergeben kann. Solche Verhandlungen haben den rechtspolitisch erwünschten Zweck, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Es erscheint daher angebracht, die Verhandlungen nicht unter den zeitlichen Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist zu stellen. Dies entspricht auch der Billigkeit; denn der Schuldner, der sich in Verhandlungen mit dem Gläubiger einlässt und diesen damit zunächst von der Klageerhebung abhält, darf nicht nachher die Erfüllung des Anspruchs unter Hinweis auf die auch während der Verhandlungen verstrichene Zeit ablehnen.
Die gleichen Fragen stellen sich, wenn die Parteien für Streit- oder Zweifelsfälle ein Begutachtungs- oder Schlichtungsverfahren vereinbart haben und der Gläubiger diesen Weg beschreitet. Auch hier fragt sich, ob der Schuldner, selbst wenn er sich auf das früher vereinbarte Verfahren nicht einlässt, später unter Hinweis auf die auch im Verfahren verstrichene Frist die Leistung verweigern darf.
Im geltenden Recht sieht § 852 Abs. 2 eine Hemmung der Verjährung vor, solange zwischen dem Ersatzberechtigten und dem Ersatzpflichtigen Verhandlungen über den zu leistenden Schadensersatz schweben. Nach der Rechtsprechung gilt § 852 Abs. 2 nicht nur für den deliktischen Anspruch, sondern auch für konkurrierende vertragliche Ansprüche und Ansprüche aus § 558 (BGHZ 93, 64 ff.). Nach § 651g Abs. 2 Satz 3 ist, wenn der Reisende Ansprüche geltend gemacht hat, die Verjährung gehemmt, bis der Veranstalter die Ansprüche schriftlich zurückweist.
Die Rechtsprechung hat über den Geltungsbereich des § 852 Abs. 2 hinaus die Einrede der Verjährung als treuwidrig (§ 242) nicht gelten lassen, wenn der Gläubiger durch Verhandlungen mit dem Schuldner - oder dessen Versicherung (BGH, VersR 1971, 439 f.) - davon abgehalten worden war, rechtzeitig Klage zu erheben (BGH, VersR 1977, 617 ff., 619 für einen Anspruch aus Verletzung eines Anwaltsvertrags). Mit diesem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sind aber andere Probleme verbunden (vgl. BGHZ 93, 64, 69). Die Gewährung des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung bringt den Nachteil mit sich, jeweils die Frage entscheiden zu müssen, innerhalb welchen Zeitraums vom Ende der Verhandlungen an der Ersatzberechtigte Klage zu erheben hat.
Dem § 852 Abs. 2 steht die Regelung des § 639 Abs. 2 nahe, wonach die Verjährung gehemmt ist, wenn sich der Unternehmer im Einverständnis mit dem Besteller der Prüfung des Vorhandenseins des Mangels oder der Beseitigung des Mangels unterzieht. Die Rechtsprechung wendet diese Vorschrift auch im Kaufvertragsrecht an, wenn die Nachbesserung vertraglich vorgesehen ist (BGHZ 39, 287 ff., 293). Einen etwas anderen Ansatz enthält § 439 Abs. 3 HGB, der mit dem Transportrechtsreformgesetz vom 26. Juni 1998 in das HGB eingefügt worden ist, beim Frachtgeschäft für die Ansprüche aus einer Beförderung. Danach wird die Verjährung nur durch eine schriftliche Erklärung des Berechtigten, mit der dieser Ersatzansprüche erhebt, so lange gehemmt, bis der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt.
Das geltende Verjährungsrecht des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs erkennt eine Unterbrechung der Verjährung nur im Rahmen des § 209 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a durch Anbringung eines Güteantrages bei einer nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anerkannten Gütestelle an. Die Rechtsprechung (BGH NJW 1983, 2075, 2076) sieht aber auch das Verfahren vor einer Gütestelle als "Verhandlung" im Sinne des § 852 Abs. 2 an und meint, dass ein Schuldner, der sich auf die Verhandlungen vor der Gütestelle eingelassen hat, gegen Treu und Glauben verstößt, wenn er sich auf die während des Verfahrens eingetretene Verjährung beruft.
Zu Absatz 1
Zu Satz 1
Absatz 1 übernimmt die Regelung des § 439 Abs. 3 HGB in
das allgemeine Verjährungsrecht. Künftig soll deshalb nur noch eine
schriftliche Erklärung des Berechtigten, mit der dieser einen Anspruch erhebt,
die Verjährung dieses Anspruchs hemmen. Der Entwurf entscheidet sich damit -
anders als der Vorschlag der Schuldrechtskommission - gegen eine
Verallgemeinerung des § 852 Abs. 2, dem zufolge jegliches "Schweben" von
Verhandlungen über einen Anspruch oder - nach dem Kommissionsentwurf - auch nur
über Umstände, aus denen sich ein Anspruch ergeben kann, Auswirkungen auf den
Lauf der Verjährungsfrist hat. Gegen diese Verallgemeinerung des § 439 Abs. 3
HGB liegt der Einwand nahe, damit werde die Vielgestaltigkeit der Art und
Weise, wie über streitige und zweifelhafte Ansprüche verhandelt werden kann,
nicht hinreichend Rechnung getragen. Außerdem könnte die weniger gewandte
Partei durch die Einführung einer Schriftform benachteiligt werden.
Daran ist sicher richtig, dass § 210 Abs. 1 nicht sämtliche
Formen von Verhandlungen, wie sie im täglichen Leben vorkommen, abdeckt. Das
ist aber zum einen auch heute bereits im Anwendungsbereich des § 439 Abs. 3 HGB
der Fall. Zum anderen stellt sich die Frage, ob wirklich jede Form des Kontakts
zwischen den Parteien bereits einen Einfluss auf den Lauf der Verjährung haben
muss. Erhebliche Unsicherheiten können die Folge sein: So fragt sich, wann von
"Verhandlungen" gesprochen werden kann und wann sie enden. Letzteres ist
besonders unklar bei einem schlichten "Einschlafen" der Gespräche ohne
eindeutige Erklärung eines Beteiligten über das Ende seiner
Verhandlungsbereitschaft. Auch können einmal beendete Verhandlungen wieder
aufgenommen werden. Alle diese Fragen würden bei einer Vorschrift, die den
bisherigen § 852 Abs. 2 verallgemeinert, angesichts der deutlichen Verkürzung
der allgemeinen Verjährungsfrist auf drei Jahre eine erheblich größere
Bedeutung erlangen, als dies derzeit im Deliktsrecht der Fall ist. Deshalb wäre
gerade wegen der Vielgestaltigkeit der Art und Weise von "Verhandlungen" mit
einer nicht zu unterschätzenden Unsicherheit über den Lauf von
Verjährungsfristen in der Praxis zu rechnen.
Der Entwurf gibt deshalb einer Lösung den Vorzug, die für die Hemmung durch Verhandlungen einen eindeutigen und für beide Parteien leicht feststellbaren Anfangs- und Endzeitpunkt beschreibt. Damit wird in vielen Fällen die erste Kontaktaufnahme zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem zwar nicht erfasst. Das ist aber nicht weiter problematisch. Es obliegt stets dem Berechtigten, die Verjährung seiner Ansprüche im Auge zu behalten. Für die Hemmung (bisher Unterbrechung) der Verjährung verlangte und verlangt das Gesetz von dem Berechtigten auch im übrigen bestimmte Maßnahmen zur Geltendmachung seines Anspruchs, die zum Teil sogar noch weitergehenden Formerfordernissen genügen müssen (Klageerhebung z. B.). Dem Berechtigten wird daher nach § 210 Abs. 1 neu nur zugemutet, auch während des Laufs von Verhandlungen, die nicht durch eine schriftliche Erklärung seinerseits in Gang gekommen sind, die Verjährung seines Anspruchs im Auge zu behalten. Der Berechtigte kann sich bei einer schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs seinerseits dann aber auch sicher sein, dass sein Anspruch solange nicht verjährt, bis er von dem Verpflichteten die schriftliche Ablehnung seines Begehrens erhalten hat. Er muss sich deshalb nicht ständig fragen, ob ein bestimmtes Verhalten des Verpflichteten als ein Ende der Verhandlungsbereitschaft verstanden werden könnte oder ob bzw. in welchem Zeitpunkt eine ausbleibende Antwort auf sein Begehren bereits das Ende der Verhandlungen darstellt.
Der Begriff "Anspruch" ist in Absatz 1 Satz 1 nicht im
Sinne einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage, sondern weiter im Sinne
eines aus einem Sachverhalt hergeleiteten Begehrens auf Befriedigung eines
Interesses zu verstehen. In der Regel wird man auch unter Berücksichtigung von §
216 davon ausgehen können, dass bei Verhandlungen über einen vertraglichen
Anspruch auch möglicherweise konkurrierend oder alternativ gegebene Ansprüche
aus Delikt oder absolutem Recht erfasst werden.
Die
Vorschrift kommt auch zum Tragen, wenn die Parteien eines Vertrages zunächst
stillschweigend einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung oder eine
vergleichbare Maßnahme verabredet hatten und zwischen ihnen Unklarheiten über
deren Fortdauer eingetreten sind. Ein Beispiel hierfür ist der Verkauf eines
Grundstücks, dessen Vollzug im Grundbuch sich wegen zu bewirkender Löschungen
erheblich verzögert. Hier wird zwar regelmäßig bis zum Abschluss des
Grundbuchvollzuges auf die Einrede der Verjährung verzichtet worden sein. Treten
Zweifel hierüber auf, kann jeder Teil durch schriftliche Geltendmachung seiner
Ansprüche gegenüber dem anderen eine Hemmung herbeiführen, die dann so lange
dauert, bis der andere Teil die Erfüllung schriftlich ablehnt.
Zu Satz 2
Satz 2 übernimmt § 439 Abs. 3 Satz 2 HGB und bestimmt, dass eine weitere Erklärung des Berechtigten, mit der dieser denselben Anspruch erneut geltend macht, keine erneute die Verjährung hemmende Wirkung hat. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass der Berechtigte durch einfache Erklärung die Verjährung stets aufs Neue hemmen und den Verpflichteten so dazu zwingen kann, immer wieder mit einer schriftlichen Erklärung, den Anspruch abzulehnen, reagieren zu müssen.
Zu Absatz 2
Für vereinbarte Begutachtungs- oder Schlichtungsverfahren und für das Verfahren nach § 640 muss dasselbe gelten wie für tatsächliche Verhandlungen. Satz 1 sieht deshalb auch für diesen Fall eine Hemmung der Verjährung vor. Eine Notwendigkeit, auch hier - wie in Absatz 1 allgemein - für den Beginn und das Ende formalisierte Erklärungen zu verlangen, besteht nicht. Die Einleitung und das Ende eines derartigen Verfahrens lassen sich in aller Regel ohne besondere Schwierigkeiten feststellen.
Zu Absatz 3
Da das Ende der Verhandlungen für den Berechtigten überraschend eintreten kann, ist in Absatz 3 - wie in § 204 Abs. 5 - eine Mindestfrist bis zum Eintritt der Verjährung vorgesehen. Da der Berechtigte bereits mit der Durchsetzung des Anspruchs befasst ist, kann diese Frist auf zwei Monate beschränkt werden. Diese Regelung bezieht sich, wie mit der Aufnahme in einen eigenen Absatz klargestellt ist, auf beide vorhergehenden Absätze.
Schließlich hatte die Schuldrechtskommission in einem weiteren Absatz noch vorgeschlagen, eine Hemmung der Verjährung während des Laufs von Fristen vorzusehen, deren Setzung gesetzlich vorgeschrieben wird. Die Kommission sah das Problem, dass sich die "Angemessenheit" der Frist in § 283 Abs. 1 und § 323 Abs. 1 darauf bezieht, dass die Frist für den Schuldner nicht zu kurz ist, die Interessen des Gläubigers dabei aber keine Rolle spielen. Die Notwendigkeit für eine solche Regelung entfällt aber schon deshalb, weil der Entwurf hier von einem anderen Modell ausgeht und auf das Erfordernis einer Fristsetzung in den genannten Vorschriften verzichtet.