Zu § 282 - Schadensersatz statt der Leistung

Vorbemerkung

Der Übergang vom Anspruch auf die Primärleistung zu einem diese Leistung ersetzenden Schadensersatzanspruch kann einem dringenden Interesse des Gläubigers entsprechen:
Häufig wird dieser sich die ausgebliebene Primärleistung anderswo besorgen müssen; auch lässt sich ein auf Geld gerichteter Schadensersatzanspruch regelmäßig leichter vollstrecken als der Anspruch auf eine bestimmte Primärleistung. Andererseits aber kann der Übergang zum Schadensersatzanspruch den Schuldner schwer belasten: Dieser mag schon erhebliche Anstrengungen gemacht haben, um den Gegenstand seiner Primärleistungspflicht herzustellen oder zu beschaffen; solche Anstrengungen können nutzlos werden. Zudem kann der Schadensersatzanspruch lästiger sein als der Anspruch auf die Primärleistung. Daher muss der Übergang auf den Schadensersatzanspruch an besondere Voraussetzungen geknüpft werden. Detailprobleme ergeben sich zusätzlich, wenn der Schuldner schon eine Teilleistung erbracht hat: Soll der Gläubiger dann nur wegen des Restes Schadensersatz verlangen oder soll er die Teilleistung zurückweisen können? Weitere Probleme ergeben sich hinsichtlich der Bindung des Gläubigers an seine Erklärung, auf den Schadensersatzanspruch übergehen zu wollen: Soll dem Gläubiger noch eine Rückkehr zum Primärleistungsanspruch offen stehen?

Das geltende Recht kennt für den Übergang zum Schadensersatz unterschiedliche Regelungen je nachdem, ob es sich bei der Primärleistung um eine einseitige Verbindlichkeit handelt oder um eine Verbindlichkeit, die im Gegenseitigkeitsverhältnis eines Vertrags steht. Den allgemeinen Vorschriften in den derzeitigen §§ 280, 286 Abs. 2, 283 gehen für gegenseitige Verträge die Regelungen in §§ 325, 326 vor. Aus allen genannten Vorschriften kann man nach geltendem Recht für den Übergang zum Schadensersatzanspruch drei Lösungswege entnehmen:

- In §§ 280 Abs. 1, 325 Abs. 1 wird der Primärleistungsanspruch regelmäßig bei Unmöglichkeit der Leistung ohne weiteres durch den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ersetzt. Das ist auch unproblematisch, weil der Schuldner die Primärleistung ohnehin nicht mehr erbringen kann.
- In den §§ 280 Abs. 2, 325 Abs. 1 Satz 2 (Teilunmöglichkeit) und in §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 (Schuldnerverzug) wird der Übergang zum Schadensersatzanspruch daran geknüpft, dass das Interesse des Gläubigers an der noch möglichen Primärleistung nicht oder nicht mehr besteht.
- Ohne Unmöglichkeit oder Interessewegfall dagegen kommt der Gläubiger zu einem Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung allgemein nur nach § 283: Er muss zunächst ein rechtskräftiges Urteil auf die Primärleistung erwirken und dann dem Schuldner eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung setzen; erst deren fruchtloser Ablauf erzeugt den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, wenn sich der Schuldner nicht exkulpieren kann. Im Rahmen gegenseitiger Verträge führt beim Verzug mit einer Hauptleistungspflicht ebenfalls der erfolglose Ablauf einer Nachfrist mit Ablehnungsandrohung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 326 Abs. 1).

Das geltende Recht ist mit seinen vielen Differenzierungen unübersichtlich. Abgesehen von den Fällen der Unmöglichkeit bringt es eine einfache Lösung nur für die - allerdings praktisch weitaus wichtigsten - Fälle des Verzugs mit einer im vertraglichen Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptpflicht. Im übrigen ist das geltende Recht für den Gläubiger verhältnismäßig ungünstig. Denn der Weg über § 283 ist regelmäßig umständlich, langwierig und kostspielig, zudem mit den Mängeln der Ablehnungsandrohung belastet (vgl. dazu noch weiter unten). Der Weg über § 286 Abs. 2 ist für den Gläubiger riskant: Darüber, ob die Primärleistung infolge des Verzugs für ihn wirklich kein Interesse mehr hat, wird sich oft streiten lassen. Der Gläubiger geht also ein erhebliches Risiko ein, wenn er sich auf den Standpunkt eines solchen Interessewegfalls stellt. Dazu steht in Widerspruch, dass § 326 Abs. 1 dem Gläubiger einen weitaus einfacheren Weg bietet.

Zu Absatz 1

Der Entwurf folgt weithin Erwägungen, wie sie im geltenden Recht überwiegend zu § 326 angestellt worden sind:
Der Grundsatz wird in Absatz 1 ausgesprochen: Der Gläubiger soll dem Schuldner (selbstverständlich nach Fälligkeit des Primärleistungsanspruchs) eine angemessene Frist für die Leistung bestimmen. Dabei ist davon auszugehen, dass hinsichtlich der Einzelheiten das zu § 326 Entwickelte fortgeführt wird: Auch die Bestimmung einer unangemessen kurzen Frist ist regelmäßig nicht völlig unwirksam. Vielmehr setzt sie die angemessene Frist in Lauf, wenn nicht der Gläubiger deutlich gemacht hat, dass es ihm gerade auf die Kürze der Frist ankommt (vgl. etwa MünchKomm/ Emmerich § 326 Rn. 43 mit Belegen). Dies wird in Satz 2 ausdrücklich klargestellt. Dabei wird auch der Fall mit einbezogen, dass der Gläubiger in seiner Aufforderung die Fristsetzung verabsäumt hat. Es wäre unangemessen, in solchen Fällen der Aufforderung ihre Wirkung zu versagen. Im übrigen ist zu berücksichtigen, dass eine solche Regelung beim Rücktritt jedenfalls vom Kaufvertrag aufgrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zwingend geboten ist. Die Richtlinie verbietet eine Regelung, nach der der Käufer seiner Rechte nur deshalb verlustig geht, weil er in seiner Aufforderung die Fristsetzung vergessen hat.

Im Gegensatz zu den geltenden §§ 283 Abs. 1 Satz 1, 326 Abs. 1 Satz 1 soll diese Fristsetzung jedoch nicht mit einer Ablehnungsandrohung verbunden werden müssen. Denn dieses Erfordernis des geltenden Rechts ist offenbar wenig praktikabel, wie die zahlreich vorkommenden unwirksamen Fristsetzungen insbesondere bei § 326 zeigen. Es leuchtet auch wenig ein, dass der Gläubiger zu einer Zeit, zu der er die Leistung noch verlangt, bereits deren Ablehnung androhen soll, zumal gegenüber einem Schuldner, der zu dieser Leistung vielleicht gar nicht bereit ist. Näher läge im Fall des § 282 (wo ja Rücktritt nicht in Betracht kommt) allenfalls die Drohung, Schadensersatz verlangen zu wollen.

Die Schuldrechtskommission hatte noch einen Satz 2 in dem Absatz 1 vorgeschlagen. Danach sollte dann, wenn die Leistung in der Rückgewähr eines bestimmten Gegenstandes besteht, die Fristsetzung allein nicht genügen. Vielmehr sollte weiter erforderlich sein, dass der Gläubiger das Interesse an der Rückgewähr verloren hat. Damit sollte vor allem an den Rückgabeanspruch des Vermieters nach § 556 gedacht werden. Es sollte vermieden werden, dass der Mieter, der die Mietsache auch nach einer angemessenen Frist nicht zurückgibt, dem Vermieter Schadensersatz statt der Rückgabe leisten muss, was auf einen Ersatz des Wertes der Mietsache (gegen deren Übereignung) hinausliefe. Ähnliche Fälle lassen sich etwa bei Ansprüchen aus § 812 denken. Mit der von der Schuldrechtskommission vorgeschlagenen Formulierung ergeben sich jedoch Probleme in Fällen, in denen von einem fortbestehenden Interesse des Gläubigers an der Rückgewähr auszugehen ist und dennoch die Möglichkeit gegeben sein muss, zu einem Schadensersatzanspruch zu gelangen. Zum Beispiel kann der Verleiher eines Buches an dessen Rückgabe in höchstem Maße interessiert sein. Auch wenn er wegen dieses Interesses mehrere Versuche, vielleicht auch im Wege der Zwangsvollstreckung, unternimmt, das Buch zurückzubekommen, und damit erfolglos bleibt, kann weiter von einem fortbestehenden Interesse an der Rückgabe ausgegangen werden. Dennoch muss dem Verleiher schließlich die Möglichkeit gegeben werden, zum Schadensersatz überzugehen. Nach dem Vorschlag der Schuldrechtskommission für einen Satz 2 wäre ihm dies unmöglich. Die Fälle eines "Zwangsverkaufs" einer zurückzugebenden Sache an den Schuldner, an welche die Schuldrechtskommission gedacht hatte, sollten zwar tatsächlich vermieden werden. Es dürfte sich aber zum einen um recht theoretische Fallgestaltungen handeln. Zum anderen dürften seltene Missbrauchsfälle mit § 242 zu bewältigen sein.

Zu Absatz 2

Absatz 2 regelt in zwei Fällen Ausnahmen von dem Grundsatz des Absatzes 1: Unnötig ist die Fristsetzung zunächst bei offensichtlicher Erfolglosigkeit der Fristbestimmung. Solche Erfolglosigkeit ist insbesondere anzunehmen bei einer für den Schuldner unüberwindbaren Leistungserschwernis (bis hin zur Unmöglichkeit) oder bei einer ernsthaften Erfüllungsverweigerung. Dabei soll es genügen, dass die Offensichtlichkeit gerade für den Gläubiger besteht, der ja auch die Fristsetzung vorzunehmen hat; überflüssig ist also eine Offensichtlichkeit für jedermann. Ein weiterer, ausdrücklich angesprochener Fall ist die Rechnung, die der Schuldner nach Ablauf von 30 Tagen immer noch nicht bezahlt hat.

Zweitens ist nach Absatz 2 eine Fristsetzung unnötig, wenn besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Es soll also nicht einfach entsprechend dem bisherigen § 286 Abs. 2 auf den Wegfall des Gläubigerinteresses abgestellt werden. Denn vielfach wird dieses Interesse nicht völlig weggefallen, sondern nur gemindert sein. Dann soll das Bedürfnis des Gläubigers nach sofortigem Schadensersatz gegenüber dem Interesse des Schuldners daran abgewogen werden, sich durch nachträgliche Erbringung der Leistung noch vor der Schadensersatzpflicht zu schützen.

Zu Absatz 3

Zu Satz 1

Auf das Interesse des Gläubiger stellt Absatz 3 Satz 1 für die Problematik der Teilleistung ab. Hat der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse, so kann er bei einer nicht vollständigen Leistung Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen. Allerdings geht es hier nicht einfach um das Interesse an der Leistung, sondern um dasjenige an vollständiger Leistung. Dieser Maßstab wird schon nach geltendem Recht in § 280 Abs. 2 (zudem in §§ 325 Abs. 1 Satz 2, 326 Abs. 1 Satz 3) angelegt. Satz 1 erwähnt die "nicht vollständige Leistung". Damit ist nicht die qualitative Teilleistung (also die Schlechtleistung) gemeint. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs Teilleistung, der durch § 266 in dieser Richtung festgelegt ist.

Zu Satz 2

Ebenso wie in dem derzeitigen § 280 Abs. 2 Satz 2 wird in Satz 2 für die Rückgewähr der schon erbrachten Teilleistung auf das Rücktrittsrecht verwiesen. Von dieser Verweisung ist freilich § 349 auszunehmen: Das Rückgewährschuldverhältnis entsteht in § 282 Abs. 3 ja nicht durch eine (rechtsgestaltende) Rücktrittserklärung des Gläubigers, sondern durch die (bloß feststellende) Erklärung seines Nichtinteresses an der Teilleistung.

Zu Absatz 4

Absatz 4 regelt das Recht des Gläubigers, zwischen der Leistung selbst und dem diese ersetzenden Schadensersatz zu wählen. Der Gläubiger soll an sein Schadensersatzverlangen ohne weiteres gebunden sein, also nicht mehr auf den Leistungsanspruch zurückgreifen dürfen.
Die Schuldrechtskommission hatte vorgeschlagen, den Anspruch auf die Leistung erst in dem Zeitpunkt auszuschließen, in dem der Gläubiger den Schadensersatz erhalten hat. Ihr ist die jetzt in den Entwurf aufgenommene Regelung unnötig hart erschienen: Es könne - so die Kommission - ja ungewiss sein, ob es dem Gläubiger gelingt, die Leistung anderswo zu beschaffen. Doch sollte nach diesem Vorschlag der Schuldner, der ja an einer Klärung der Rechtslage interessiert sein kann, dem Gläubiger eine Frist für die Ausübung des Wahlrechts setzen können. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist sollte der Schuldner noch die Möglichkeit zur Primärleistung haben; will der Gläubiger dann doch noch den Schadensersatz, sollte er dem Schuldner eine Frist setzen müssen.

Die Schuldrechtskommission hat selbst eingeräumt, dass die Regelung der wechselseitigen Fristsetzungen recht kompliziert klinge. Das ist sie jedenfalls für den geschäftlich nicht erfahrenen Vertragspartner auch. Sie erscheint deshalb kaum handhabbar. Auf sie kann verzichtet werden, wenn nicht auf den Erhalt des Schadensersatzes, sondern auf das Schadensersatzverlangen des Gläubigers abgestellt wird. Das ist auch nicht unnötig hart: Der Gläubiger mag sich vor der Geltendmachung eines Anspruchs überlegen, was er will bzw. was seinen Interessen am ehesten entspricht.