Zu § 203 – Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen

Vorbemerkung

Es stellt sich die Frage, wie sich der Umstand auf den Ablauf der Verjährungsfrist auswirkt, dass die Parteien in Verhandlungen über einen streitigen oder zweifelhaften Anspruch oder über Umstände eintreten, aus denen sich ein Anspruch ergeben kann. Solche Verhandlungen haben den rechtspolitisch erwünschten Zweck, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Es erscheint daher angebracht, die Verhandlungen nicht unter den zeitlichen Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist zu stellen. Dies entspricht auch der Billigkeit; denn der Schuldner, der sich in Verhandlungen mit dem Gläubiger einlässt und diesen damit zunächst von der Klageerhebung abhält, darf nicht nachher die Erfüllung des Anspruchs unter Hinweis auf die auch während der Verhandlungen verstrichene Zeit ablehnen.

Die gleichen Fragen stellen sich, wenn die Parteien für Streit- oder Zweifelsfälle ein Begutachtungs- oder Schlichtungsverfahren vereinbart haben und der Gläubiger diesen Weg beschreitet. Auch hier fragt sich, ob der Schuldner, selbst wenn er sich auf das früher vereinbarte Verfahren nicht einlässt, später unter Hinweis auf die auch im Verfahren verstrichene Frist die Leistung verweigern darf.

Im geltenden Recht sieht der bisherige § 852 Abs. 2 eine Hemmung der Verjährung vor, solange zwischen dem Ersatzberechtigten und dem Ersatzpflichtigen Verhandlungen über den zu leistenden Schadensersatz schweben. Nach der Rechtsprechung gilt der bisherige § 852 Abs. 2 nicht nur für den deliktischen Anspruch, sondern auch für konkurrierende vertragliche Ansprüche und Ansprüche aus § 558 (BGHZ 93, 64 ff.). Nach dem bisherigen § 651g Abs. 2 Satz 3 ist, wenn der Reisende Ansprüche geltend gemacht hat, die Verjährung gehemmt, bis der Veranstalter die Ansprüche schriftlich zurückweist.

Die Rechtsprechung hat über den Geltungsbereich des bisherigen § 852 Abs. 2 hinaus die Einrede der Verjährung als treuwidrig (§ 242) nicht gelten lassen, wenn der Gläubiger durch Verhandlungen mit dem Schuldner - oder dessen Versicherung (BGH, VersR 1971, 439 f.) - davon abgehalten worden war, rechtzeitig Klage zu erheben (BGH, VersR 1977, 617 ff., 619 für einen Anspruch aus Verletzung eines Anwaltsvertrags). Mit diesem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sind aber andere Probleme verbunden (vgl. BGHZ 93, 64, 69). Die Gewährung des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung bringt den Nachteil mit sich, jeweils die Frage entscheiden zu müssen, innerhalb welchen Zeitraums vom Ende der Verhandlungen an der Ersatzberechtigte Klage zu erheben hat.

Dem bisherigen § 852 Abs. 2 steht die Regelung des § 639 Abs. 2 nahe, wonach die Verjährung gehemmt ist, wenn sich der Unternehmer im Einverständnis mit dem Besteller der Prüfung des Vorhandenseins des Mangels oder der Beseitigung des Mangels unterzieht. Die Rechtsprechung wendet diese Vorschrift auch im Kaufvertragsrecht an, wenn die Nachbesserung vertraglich vorgesehen ist (BGHZ 39, 287 ff., 293).

Einen etwas anderen Ansatz enthält § 439 Abs. 3 HGB, der mit dem Transportrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1998 (BGBl. I S. 1588) in das HGB eingefügt worden ist, beim Frachtgeschäft für die Ansprüche aus einer Beförderung. Danach wird die Verjährung nur durch eine schriftliche Erklärung des Berechtigten, mit der dieser Ersatzansprüche erhebt, dann aber so lange gehemmt, bis der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt. Eine vergleichbare Lösung gbt es auch im Reiserecht (§ 651g Abs. 2 Satz 3).

Das geltende Verjährungsrecht des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs erkennt eine Unterbrechung der Verjährung nur im Rahmen des bisherigen § 209 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a durch Anbringung eines Güteantrags bei einer nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anerkannten Gütestelle an. Die Rechtsprechung (BGH, NJW 1983, 2075, 2076) sieht aber auch das Verfahren vor einer Gütestelle als „Verhandlung“ im Sinne des bisherigen § 852 Abs. 2 an und meint, dass ein Schuldner, der sich auf die Verhandlungen vor der Gütestelle eingelassen hat, gegen Treu und Glauben verstößt, wenn er sich auf die während des Verfahrens eingetretene Verjährung beruft.

Zu Satz 1

Mit Satz 1 wird – in Entsprechung zu dem von der Schuldrechtskommission vorgeschlagenen § 216 Abs. 1 KE – der Rechtsgedanke des bisherigen § 852 Abs. 2 als allgemeine Regelung übernommen. Wie der BGH (BGHZ 93, 64, 69) mit Recht ausgeführt hat, handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgedanken. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist, wie der BGH (aaO) ebenfalls ausführt, eine Hemmungsregelung entsprechend dem geltenden § 852 Abs. 2 einer Regelung vorzuziehen, die nach Verhandlungen die Einrede der Verjährung als unzulässige Rechtsausübung zurückweist.

Der Begriff „Anspruch" ist hier nicht im Sinne einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage, sondern weiter im Sinne eines aus einem Sachverhalt hergeleiteten Begehrens auf Befriedigung eines Interesses zu verstehen. In der Regel wird man auch unter Berücksichtigung von § 213 RE davon ausgehen können, dass bei Verhandlungen über einen vertraglichen Anspruch auch möglicherweise konkurrierend oder alternativ gegebene Ansprüche aus Delikt oder absolutem Recht erfasst werden. Dabei braucht das Begehren nicht besonders beziffert oder konkretisiert zu sein, wie ebenfalls aus der Formulierung "oder die den Anspruch begründenden Umstände“ folgt.

Es wird davon abgesehen, Beginn und Ende der Verhandlungen besonders zu beschreiben oder eine Schriftform festzulegen. Die Art und Weise, wie über streitige oder zweifelhafte Ansprüche verhandelt werden kann, ist so vielgestaltig, daß sie sich einer weitergehenden Regelung entzieht. Es ist erwogen worden, durch Anlehnung an das Modell des § 439 HGB größere Klarheit zu schaffen. Dieser Gedanke ist aber auf breite Kritik gestoßen. Im Vordergrund stand der Gesichtspunkt, dass sich Verhandlungen nicht in ein Schema von schriftlichen Erklärungen pressen ließen (Mansel in: Ernst/Zimmermann, S. 333, 398).

In der Diskussion der verschiedenen Modelle hat sich gezeigt, dass insbesondere das Ende von Verhandlungen bei einem schlichten „Einschlafen“ der Gespräche ohne eindeutige Erklärung eines Beteiligten über das Ende seiner Verhandlungsbereitschaft als problematisch angesehen wird (z. B. Mansel wie vor). Auch diesbezüglich wird von einer gesetzlichen Festschreibung abgesehen und die Lösung im Einzelfall der Rechtsprechung überlassen, so wie es auch bei dem bisherigen § 852 Abs. 2 der Fall ist. Diese hat auch für den Fall des Einschlafens eine befriedigende Lösung gefunden: Schlafen die Verhandlungen ein, so endet die Hemmung nach dem bisherigen § 852 Abs. 2 in dem Zeitpunkt, in dem der nächste Schritt nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen wäre (BGH, NJW 1986, 1337, 1338). Das gilt auch hier.

Zu Satz 2

Da das Ende der Verhandlungen für den Gläubiger überraschend eintreten kann, ist in Satz 2 eine besondere Ablaufhemmung vorgesehen: Die Verjährung tritt frühestens zwei Monate nach dem Ende der Verhandlungen ein. Diese kurze Mindestfrist bis zum Eintritt der Verjährung genügt, da der Gläubiger bereits mit der Durchsetzung des Anspruchs befasst ist. Auch insoweit wird dem Vorschlag der Schuldrechtskommission gefolgt (§ 217 Abs. 1 Satz 2 KE).