Zu Nummer 4 – Änderung des § 241

Zu Buchstabe a – Bildung eines Absatzes 1

Der bisherige Inhalt soll zu einem Absatz 1 werden.

Zu Buchstabe b – Anfügung eines Absatzes 2

Vorbemerkung

Die moderne Schuldrechtslehre unterscheidet zwischen Leistungs- und Schutzpflichten (oder auch weiteren Verhaltenspflichten). Davon zielen die Leistungspflichten regelmäßig auf eine Veränderung der Güterlage des Gläubigers ab. Dagegen sollen die Schutzpflichten nur die gegenwärtige Güterlage jedes an dem Schuldverhältnis Beteiligten vor Beeinträchtigungen bewahren: Dieser soll etwa vor Körperverletzungen oder Vermögensfehldispositionen geschützt werden. Hinsichtlich der Intensität gehen diese Schutzpflichten über die allgemeinen deliktischen Verhaltenspflichten hinaus. Sie verpflichten die Beteiligten zu einem gesteigerten Schutz der Rechtsgüter des jeweils anderen. Die Verletzung von Schutzpflichten erzeugt daher Ansprüche nach dem Recht der Sonderverbindung, verbunden insbesondere mit der Anwendbarkeit von § 278, d. h. einer Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen. Diese Rechtslage wird auch von der Rechtsprechung uneingeschränkt anerkannt.

Solche Schutzpflichten begleiten regelmäßig wirksame Schuldverträge. Die Pflichtverletzung bedeutet dann nach geltendem Recht eine positive Forderungsverletzung. Inhaltlich teils gleiche Schutzpflichten können aber auch unabhängig von Leistungspflichten vorkommen. So liegt es insbesondere beim Verschulden bei Vertragsanbahnung, bei der vertraglichen Schutzwirkung für einen Dritten und bei der Schutzwirkung eines nichtigen Vertrags.

Dabei gibt es freilich zwischen den Leistungs- und den Schutzpflichten nicht überall eine klare Grenze. So kann (etwa bei Bewachungs- oder Beratungsverträgen) der gesteigerte Schutz der Rechtsgüter des anderen Teils Inhalt einer Leistungspflicht sein, oder eine Aufklärungspflicht kann sowohl dem Leistungsinteresse als auch dem Schutzinteresse dienen. Ein Beispiel hierfür bildet die Anleitung über die richtige Bedienung einer Motorsäge: Zweck dieser Aufklärung kann sowohl das Funktionieren der Säge sein als auch Verletzungen des Benutzers (oder auch bloß das Zerstören der Säge) zu verhindern.

Das allgemeine Schuldrecht erwähnt derzeit die Schutzpflichten nicht. Insbesondere beschränkt sich der geltende § 241 ganz auf die Leistungspflichten. Nur vereinzelt werden im besonderen Schuldrecht (etwa in § 618) Schutzpflichten geregelt.

Die von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene Kodifizierung der Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Vorfeld eines Vertrags und während des Vertrags ist unterschiedlich aufgenommen worden. Dies ist teilweise abgelehnt worden (Dauner-Lieb, in: Ernst/Zimmermann, S. 303 ff., 316 ff.; Huber ibid. S, 31, 36, 159; skeptisch Köndgen in: Schulze/Schulte- Nölke, S. 244 ff., 256). Teilweise ist dieser Gedanke aber aus den Gründen begrüßt worden, die die Schuldrechtskommission vorgetragen hat (Fleischer in: Schulze/Schulte-Nölke, aaO, S. 258 ff., 265 ff.; Grigoleit ibid. S. 285 ff., 293 f., 301 mit zum Teil anderen Regelungsvorstellungen). Die Kritik entzündet sich vor allem daran, dass die Regelung zur culpa in contrahendo in § 305 Abs. 2 KE wenig konturenscharf ist.

Der Entwurf hält es für angezeigt, die culpa in contrahendo und die vertraglichen Nebenpflichten im Bürgerlichen Gesetzbuch gesetzlich zu regeln. Sie gehören zum Kernbestand des deutschen Zivilrechts und müssen ihren Platz in der zentralen Kodifikation finden. Allerdings sollte die culpa in contrahendo deutlicher ausdifferenziert werden. Das geschieht in § 311 Abs. 2 und 3 RE.

Zu Absatz 2

Die oben kurz umschriebene Lehre von den Schutzpflichten hat sich allgemein durchgesetzt. Daran soll nichts geändert werden. Dieses geltende Recht soll in einer Ergänzung des § 241 in einem neuen Absatz 2 auch im Gesetzestext klargestellt werden. Dafür spricht zudem, dass ein Sonderfall der isolierten Schutzpflichten - nämlich diejenigen aus Vertragsanbahnung - in § 311 Abs. 2 und 3 gesetzlich erwähnt werden soll.

In dem neuen Absatz 2 wird die „besondere Rücksicht“ betont, zu der das Schuldverhältnis bezogen auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils verpflichten kann. Damit wird angedeutet, dass die gemeinten Schutzpflichten nicht dem entsprechen, was schon nach allgemeinem Deliktsrecht geboten ist. Es soll insbesondere eine Abgrenzung zu den allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflichten angedeutet werden, die keine Sonderverbindung im Sinne eines Schuldverhältnisses schaffen, auf das z. B. § 278 anwendbar ist.

Durch die uneingeschränkte Erwähnung der „Rechtsgüter“ neben den „Rechten“ wird deutlich, dass über den insoweit begrenzten Schutzbereich von § 823 Abs. 1 hinaus auch das bloße Vermögen geschützt sein kann. Bedeutung hat das insbesondere, wenn jemand durch falsche Beratung oder in sonstiger Weise durch die Erzeugung eines unbegründeten Vertrauens zu schädlichen Vermögensdispositionen veranlasst worden ist.

Durch die Bezeichnung „jeder Teil“ oder „der andere Teil“ (statt „Gläubiger“ und „Schuldner“) wird klargestellt, dass da, wo zugleich Leistungspflichten bestehen, die für diese geltende Rollenverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner nicht mit derjenigen bei den Schutzpflichten überein zu stimmen braucht. Insbesondere kann auch der Gläubiger einer Leistungspflicht zugleich Schuldner einer Schutzpflicht sein.

Die Bezugnahme auf „Inhalt und Natur“ des Schuldverhältnisses im Vorschlag der Schuldrechtskommission sollte bedeuten, dass die Schutzpflichten letztlich nach der konkreten Situation zu bestimmen sind. Dabei meint die Bezugnahme auf den „Inhalt“ vor allem das konkret Geregelte, ohne dass eine klare Abgrenzung möglich wäre. Der Begriff „Natur des Schuldverhältnisses“ kommt derzeit schon im Gesetz vor, nämlich etwa in § 269 Abs. 1 BGB und in § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG („Natur des Vertrags“). Er soll eher dasjenige bezeichnen, was unausgesprochen durch den Zweck des Schuldverhältnisses erfordert wird. Der Entwurf meint darauf verzichten können. Der Begriff „Inhalt“ des Schuldverhältnisses sagt alles, was maßgeblich ist. Allerdings sollte in Ergänzung des Vorschlags der Schuldrechtskommission nicht nur von „Rechten und Rechtsgütern“, sondern zusätzlich auch von den „Interessen“ des anderen Teils gesprochen werden, um deutlich zu machen, dass auch Vermögensinteressen sowie andere Interessen wie zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit zu schützen sein können.

Der neue Absatz 2 verzichtet bewusst auf eine Regelung der Frage, ob das die Schutzpflichten erzeugende Schuldverhältnis in jedem Fall auf Gesetz beruht oder auch auf einem wirksamen Rechtsgeschäft beruhen kann. Das ist eine Frage der von der Rechtswissenschaft zu leistenden systematischen Einordnung. Für die Zuständigkeit nach § 29 ZPO soll keine Festlegung getroffen werden.