Zu § 275 – Ausschluss der Leistungspflicht

Vorbemerkung

Mängel des geltenden Rechts

Nach § 241 Abs. 1 verpflichtet ein Schuldverhältnis den Schuldner, eine Leistung zu bewirken. Die Erfüllung seiner Pflicht kann für den Schuldner mit Schwierigkeiten verbunden sein, die zu der Frage führen, ob es gerechtfertigt ist, den Schuldner an der Verpflichtung festzuhalten. Dabei ergeben sich zunächst zwei Probleme:

1. Welche Erschwernisse muss der Schuldner hinnehmen, so dass er noch an seine Primärleistungspflicht gebunden bleibt? Wann wird er von dieser Pflicht befreit?

2. Wird der Schuldner von der Primärleistungspflicht ohne weiteres (ipso iure) frei oder bedarf es dazu einer Handlung des Schuldners (insbesondere der Erhebung einer Einrede)?

Ist der Schuldner von seiner Primärleistungspflicht befreit, so stellt sich die weitere Frage, ob dies ersatzlos geschieht oder ob an die Stelle der Primärleistungspflicht die Sekundärleistungspflicht tritt, dem Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu leisten. Schließlich kann fraglich sein, ob der Gläubiger auch von sich aus den Übergang auf eine Sekundärleistungspflicht bewirken kann, ohne dass die Voraussetzungen für eine Befreiung des Schuldners von der Primärleistungspflicht vorliegen.

Im geltenden Recht beantwortet § 275 diese Fragen unter 1. und 2: Die Primärleistungspflicht des Schuldners endet erst beim nachträglichen Eintritt von (objektiver oder subjektiver) Unmöglichkeit. Diese selbst wird damit zu einem Zentralbegriff des Rechts der Leistungsstörungen. Auch soll die Primärleistungspflicht ipso iure enden; es bedarf dazu also keiner Berufung des Schuldners auf die Unmöglichkeit. Die sich an § 275 anschließenden Vorschriften über Leistungsstörungen - ein Kernstück des Schuldrechts - beschäftigen sich zu einem Gutteil damit, unter welchen Voraussetzungen die Primärleistungspflicht in eine Sekundärleistungspflicht übergeht.

Der Hauptmangel des geltenden Rechts besteht in der Heraushebung der Unmöglichkeit (neben dem Schuldnerverzug) als eine der beiden Säulen des Rechts der Leistungsstörungen. Hierdurch ist insbesondere die von der h. M. angenommene Regelungslücke entstanden, die üblicherweise durch die im allgemeinen Schuldrecht nicht vorgesehene positive Forderungsverletzung gefüllt wird. Die Fragwürdigkeit der zentralen Rolle der Unmöglichkeit im Bürgerlichen Gesetzbuch ist schon 1907 von Ernst Rabel hervorgehoben worden (Die Unmöglichkeit der Leistung).

Speziell der bisherige § 275 ist insofern missglückt, als er die Frage nach der Befreiung des Schuldners mit dem Vertretenmüssen verknüpft. Richtigerweise ist das Vertretenmüssen für den Fortbestand der Primärleistungspflicht ohne Bedeutung: Was der Schuldner nicht leisten kann, das schuldet er auch nicht, und zwar unabhängig von dem Grund seiner Unfähigkeit.

Man kann § 275 auch nicht in dem Sinn verstehen (und dann für richtig halten wollen), als regele er das vollständige Freiwerden des Schuldners auch von sekundären Leistungspflichten. Denn ein solches Verständnis trifft ebenfalls nicht zu: Etwa erlangte Surrogate für die primär geschuldete Leistung hat der Schuldner auch ohne Vertretenmüssen an den Gläubiger abzuführen (bisheriger § 281).

Verbesserungswürdig ist die Beschränkung des bisherigen § 275 auf die (objektive und subjektive) Unmöglichkeit. Denn diese Beschränkung bringt den wirklichen Anwendungsbereich der Entlastungsregel nur unvollständig zum Ausdruck: Das Vorliegen von echter (physischer) Unmöglichkeit ist durch die Fortschritte der Technik wesentlich eingeengt worden. So kann man heute gesunkene Schiffe auffinden und heben oder Berge versetzen.

Dass solche Maßnahmen technisch möglich sind, sagt aber noch nicht, dass sie auch geschuldet werden, wo sie eine Voraussetzung für die Leistung bilden. Vielmehr ist hierüber unter rechtlichen Gesichtspunkten durch Auslegung des Versprechens zu entscheiden: Wer bloß eine Maschine zu liefern versprochen hat, braucht zur Erfüllung dieser Lieferungspflicht regelmäßig nicht das Schiff zu heben, mit dem die Maschine versunken ist. Wer dagegen das Schiff zu heben versprochen hat, wird regelmäßig nicht durch Schwierigkeiten entlastet, die dieser Hebung entgegenstellen. Tatsächlich haben sich Praxis und Lehre über die Beschränkung des § 275 (und seiner Folgevorschriften) auf wirkliche Unmöglichkeit längst hinweggesetzt: Die Vorschrift wird auch auf die sog. faktische Unmöglichkeit angewendet; eine weitere Ausdehnung auf die sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit oder das Überschreiten der Opfergrenze ist umstritten. Andere ähnliche Entlastungsgründe, etwa wegen einer Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen oder wegen Mängeln der Geschäftsgrundlage, haben sich bei § 242 angesiedelt.

Fraglich ist weiter die Beschränkung des § 275 auf die nachträgliche Unmöglichkeit. Denn auch eine Leistung, der schon anfänglich ein unüberwindliches Hindernis entgegensteht, braucht der Schuldner nicht zu erbringen. Das geltende Recht erklärt freilich den auf eine anfänglich objektiv unmögliche Leistung gerichteten Vertrag für nichtig, § 306; das bedeutet zugleich eine Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht. Aber wenn - wie geplant - diese Vorschrift gestrichen wird, muss die Befreiung des Schuldners von schon anfänglich unmöglichen Primärleistungspflichten in § 275 geregelt werden. Die Erweiterung der Vorschrift sollte dann aber nicht - wie derzeit § 306 - auf die anfängliche Unmöglichkeit beschränkt bleiben. Ob die Leistung noch einem Dritten möglich ist, kann sinnvollerweise nicht darüber entscheiden, ob gerade der Schuldner sie erbringen muss: Dessen Befreiung sollte vielmehr nur davon abhängen, ob er selbst die Leistung zu erbringen vermag.

Lösungsansatz der Schuldrechtskommission

Die Unmöglichkeit sollte nach dem Vorschlag der Schuldrechtskommission ihre zentrale Position im Recht der Leistungsstörungen verlieren. Stattdessen sollte als Oberbegriff, der alle Arten der Leistungsstörungen umfasst, der Begriff der „Pflichtverletzung“ eingeführt werden (vgl. § 280 KE = RE). Zugleich war die Schuldrechtskommission der Ansicht, dass es auch in Zukunft einer Grenze für die Primärleistungspflicht des Schuldners bedürfe. Die Regelung dieser Grenze sah sie - in Anlehnung an die gewohnte Reihenfolge der Paragraphen - in § 275 KE vor. Dabei stellte die Schuldrechtskommission aber nicht auf die Unmöglichkeit ab. Vielmehr sollte das Schuldverhältnis maßgeblich sein: Dieses müsse die Anstrengungen bestimmen, die der Schuldner zur Erbringung der Leistung zu unternehmen habe. Als Maßstab hierfür sollte wiederum - wie schon in § 241 Abs. 2 Satz 1 KE - „Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses“ dienen. Die als Maßstab auch vorstellbare Unzumutbarkeit sollte aber nach den Vorschlägen der Schuldrechtskommission über die Beachtlichkeit einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 307 KE = § 313 RE) und über ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen (§ 308 KE = § 314 RE) entscheiden.

Modell des Entwurfs

Der Ausschluss des primären Leistungsanspruchs nach § 275 Abs. 1 RE

Die Unmöglichkeit sollte nach § 275 Satz 1 KE nicht mehr wie nach dem geltenden § 275 zu einer Leistungsbefreiung kraft Gesetzes führen, sondern eine Einrede begründen. Außerdem sollte die Unmöglichkeit nicht mehr besonders erwähnt werden, um den neuen einheitlichen Pflichtverletzungstatbestand auch sprachlich zu betonen. Der Entwurf folgt der Schuldrechtskommission in ihrer Einschätzung, dass die im Bürgerlichen Gesetzbuch sehr stark betonte Unmöglichkeit im Laufe der Jahre ihre anfangs vorhandene praktische Bedeutung verloren hat. Die heute typischen Leistungsstörungen sind der Verzug und die Schlechterfüllung, denen das Bürgerliche Gesetzbuch keineswegs die ihrer praktischen Bedeutung entsprechende Aufmerksamkeit widmet. Die Unmöglichkeit spielt in der Rechtswirklichkeit heute eine völlig untergeordnete Rolle, der die im Entwurf vorgeschlagene Neuordnung des Leistungsstörungsrechts auch durchweg Rechnung trägt.

Im Gegensatz zur Schuldrechtskommission hält es der Entwurf aber nicht für zweckmäßig, die Unmöglichkeit auch dort nicht gewissermaßen namentlich anzusprechen, wo dies sachlich angebracht ist. Dies erscheint im Gegenteil vielmehr notwendig, um die Sachaussagen des Gesetzes verständlich zu machen. Deshalb soll die Unmöglichkeit im § 275 RE angesprochen werden. Dort geht es um die Befreiung von der Primärleistung wegen ihrer Unmöglichkeit. Anders als die Schuldrechtskommission hält der Entwurf es auch für richtig, im Fall der physischen Unmöglichkeit eine Leistungsbefreiung kraft Gesetzes anzuordnen, wie dies auch im geltenden § 275 der Fall ist, von dem sich § 275 RE aber im Übrigen grundlegend unterscheidet.

Gleichstellung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit

Wie der geltende § 275 und der von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene § 275 KE stellt § 275 RE objektive und subjektive Unmöglichkeit gleich. Dies wird dadurch deutlich, dass § 275 Abs. 1 RE davon spricht, dass die Leistung „für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist“. § 275 Abs. 1 RE ist daher z. B. auch dann anwendbar, wenn die geschuldete Sache einem Dritten gehört, der zu ihrer Veräußerung nicht bereit ist, oder wenn sie gestohlen und die Suche nach dem Dieb aussichtslos ist.

Gleichstellung von nachträglicher und anfänglicher Unmöglichkeit

Anders als der geltende § 275 gilt § 275 Abs. 1 RE nicht nur für die nachträgliche, sondern auch für die anfängliche (objektive oder subjektive) Unmöglichkeit. Dies wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass § 275 Abs. 1 RE davon spricht, dass die Leistung unmöglich „ist“. Demgegenüber heißt es im geltenden § 275 Abs. 1, dass die Leistung unmöglich „wird“. Diese Gleichstellung war auch einer der wesentlichen Änderungsvorschläge der Schuldrechtskommission.

Gleichstellung von nicht zu vertretender und zu vertretender Unmöglichkeit

Im Gegensatz zum Wortlaut der bisherigen §§ 275, 280, aber im Einklang mit der Interpretation dieser Vorschriften durch die herrschende Lehre (BGHZ 68, 377; 97, 181; NJW 1999, 2034; RGZ 160, 263; Staudinger/Löwisch, § 275 Rdn. 56; MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdn. 109; Palandt/Heinrichs, § 275 Rdn. 24; a. M. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 230 ff.; Ulrich Huber, Festschrift für Gaul 1997 S. 238; ders., Leistungsstörungen, Bd. I, S. 120) unterscheidet § 275 Abs. 1 RE nicht zwischen nicht zu vertretender und zu vertretender Unmöglichkeit. Das entspricht auch dem Vorschlag der Schuldrechtskommission und ist als sachgerecht begrüßt worden (Canaris in: Schulze/Schulte-Nölke, S. 42 ff., 54). Denn auch dann, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat – z. B. weil er die verkaufte Sache vor deren Übereignung fahrlässig zerstört hat – ist es sinnlos, dem Gläubiger einen Anspruch zu geben, den der Schuldner nicht erfüllen kann und der sich demgemäss nicht einmal theoretisch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen ließe.

Dass zweifelhaft und streitig sein kann, ob Unmöglichkeit vorliegt (Wilhelm/Deeg, JZ 2001, 225 f.), ändert daran nichts. Dies ist ein reines Beweislastproblem, das nach den für diese geltenden allgemeinen Regeln zu lösen ist. Es stattdessen dadurch bewältigen zu wollen, dass man dem Schuldner zusätzlich zu dem Beweis der Unmöglichkeit hier auch noch den Beweis fehlenden Vertretenmüssens auferlegt, vermengt zu Unrecht eine Frage, die ihren Platz im Rahmen der Schadensersatzproblematik hat, mit der Frage nach dem Bestand der primären Leistungspflicht des Schuldners. Zwar mag man versuchen, die Unterscheidung zwischen nicht zu vertretender und zu vertretender Unmöglichkeit in den bisherigen §§ 275 und 280 de lege lata mit Überlegungen über Beweisschwierigkeiten zu legitimieren, weil diese Unterscheidung sich nun einmal aus dem derzeitigen Text des Gesetzes zu ergeben scheint, doch gibt das keine Veranlassung, die Unterscheidung nun auch noch de lege ferenda als ein generelles Abgrenzungskriterium aufrechtzuerhalten.

Einbeziehung der teilweisen und der zeitweiligen Unmöglichkeit

Wie der geltende § 275 erfasst auch § 275 Abs. 1 RE die Teilunmöglichkeit. Das entspricht der derzeitigen Fassung von § 275 und bedarf daher keiner weiteren Erläuterung. Erfasst wird auch die zeitweilige Unmöglichkeit. Solange diese andauert, ist somit eine Klage auf Erfüllung als derzeit unbegründet abzuweisen (mit einer entsprechend eingeschränkten Rechtskraftwirkung), sofern nicht eine Klage auf zukünftige Leistung erhoben und gemäß § 259 ZPO ausnahmsweise zulässig ist (RGZ 168, 321, 325 f.). Umgekehrt ergibt sich aus dem Wort „solange“ zugleich, dass die Klage von dem Augenblick an begründet ist, in dem das Leistungshindernis wegfällt. Wird also z. B. die Blockade, welche die Lieferung der geschuldeten Ware unmöglich macht, aufgehoben oder taucht die verkaufte Sache, die dem Schuldner gestohlen worden war, wieder auf, hat der Schuldner diese grundsätzlich, d. h. vorbehaltlich der zu erörternden Einschränkungen, an den Gläubiger zu leisten. Dies gilt allerdings nur für den wieder möglich gewordenen Teil der Leistung. Eine vorübergehende Unmöglichkeit kann aber auch dazu führen, dass Teile der Leistung nicht nur vorübergehend unmöglich sind, sondern ganz unmöglich werden. In diesem Fall kann die Leistungspflicht für die (endgültig) unmöglich gewordenen Teile der Leistung nicht mehr aufleben. Ein Beispiel wäre ein Arbeitnehmer, der vorübergehend an der Arbeitserbringung gehindert ist; er muss die verstrichene Zeit nicht nacharbeiten.

Es ist erwogen worden, die Frage der vorübergehenden Unmöglichkeit der Klärung durch die Rechtsprechung zu überlassen. Die Ergebnisse sind aber sachgerecht. Warum sollte z. B. der Erbe eines Kunstwerks, der zu dessen Übereignung an einen Vermächtnisnehmer verpflichtet ist, oder ein Händler, der ein solches verkauft hat, dieses behalten dürfen, wenn er es nach einem Diebstahl wieder zurückerlangt? Diese Fälle sind im geltenden Recht nicht geregelt und führen deshalb zu unklaren Ergebnissen (vgl. MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdn. 51 bis 54). Es erscheint deshalb geboten, sie eindeutig gesetzlich zu regeln.

Dogmatisch bedeutet die Einbeziehung der zeitweiligen Unmöglichkeit in § 275 Abs. 1 RE, dass der Anspruch auf Erfüllung dem Grunde nach fortbesteht, aber zwischenzeitlich durch eine Einwendung gehemmt ist. Der Gläubiger gerät durch diese Lösung nicht in eine unzumutbare Schwebesituation. Nach § 326 Abs. 1 Satz 1 RE entfällt nämlich auch seine Leistungspflicht, solange die Unmöglichkeit andauert und der Schuldner daher nach § 275 Abs. 1 RE nicht zu leisten braucht; eine etwa schon erbrachte Leistung kann der Gläubiger nach § 326 Abs. 4 RE zurückverlangen. Wird die Leistung des Schuldners wieder möglich, aktualisiert sich auch die Gegenleistungspflicht des Gläubigers, da dann die Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 RE nicht mehr erfüllt sind und die daraus folgende hemmende Einwendung somit endet. Will der Gläubiger einem solchen Wiederaufleben seiner Leistungspflicht vorbeugen, so kann er grundsätzlich gemäß § 326 Abs. 1 Satz 2 RE zurücktreten. Außerdem kann er nach §§ 280, 283 RE Schadensersatz statt der Leistung verlangen, sofern dem Schuldner der Entlastungsbeweis hinsichtlich des Vertretenmüssens misslingt. Schließlich bleibt ebenso wie nach der derzeit geltenden Rechtslage auch die Lösung, die zeitweilige Unmöglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen als dauernde Unmöglichkeit zu qualifizieren mit der Folge, dass der Gläubiger von seiner Pflicht zur Gegenleistung nach § 326 RE endgültig frei wird. Auf diesem Wege kann auch den legitimen Interessen des Schuldners, dem der Entwurf keine Möglichkeit eröffnet, die Schwebelage von sich aus zu beenden, Rechnung getragen werden.

Vergleich mit den Europäischen Vertragsrechtsprinzipien

Die Principles of European Contract Law und die Principles of International Commercial Contracts enthalten in Art. 9:102 Abs. 2 lit. a bzw. Art. 7.2.2 lit. a ausdrücklich die Kategorie der Unmöglichkeit als Grund für die Befreiung von der primären Leistungspflicht.

Nach lit. b der genannten Artikel entfällt die primäre Leistungspflicht ferner dann, wenn deren Erfüllung dem Schuldner „unreasonable effort or expense“ verursachen würde bzw. für ihn „unreasonably burdensome or expensive“ wäre. Diese Regelungen stellen zwar funktionell eine Parallele zu § 275 Abs. 2 RE dar, bilden aber im Übrigen in jeder Hinsicht ein negatives Gegenbeispiel: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird nicht einmal andeutungsweise angesprochen, geschweige denn, dass der maßgebliche Bezugspunkt – das Gläubigerinteresse – oder der Grad des Missverhältnisses benannt würde. Dennoch ist eine ähnliche Problematik wie in § 275 Abs. 2 RE gemeint, wie die Beispiele in den „Comments“ belegen: Das Heben einer gesunkenen Yacht durch deren Verkäufer, wenn die Kosten hierfür vierzig mal so hoch wie ihr Wert wären (Lando/Beale, aaO, S. 396), bzw. eines gesunkenen Öltankers durch dessen Eigentümer, wenn die Kosten hierfür den Wert des Öls weit übersteigen (UNIDROIT aaO, S. 174).

Zu Absatz 1

Nach Absatz 1 ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, wenn die Leistung dem Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Unmöglich meint, wie sich aus Absatz 2 ergibt, nur die objektive oder subjektive „wirkliche“ Unmöglichkeit, nicht dagegen die faktische Unmöglichkeit, die Regelungsgegenstand des § 275 Abs. 2 RE ist. Eine Leistung ist in diesem Sinne objektiv unmöglich, wenn sie von niemandem erbracht werden kann. Dies kann auf Grund von tatsächlichen Umständen der Fall sein. Möglich ist aber auch die rechtliche Unmöglichkeit, etwa bei einem Arbeitsverbot (BAG, NJW 1995, 1774, 1775). Ist die Durchführbarkeit der Leistung theoretisch, aber nur mit einem völlig unverhältnismäßigen Aufwand möglich, liegt kein Fall des Absatzes 1, sondern ein Fall des Absatzes 2 vor. Entsprechendes gilt für das Unvermögen. Dem Schuldner ist die Leistung nur unmöglich, wenn er die Leistung auch durch Beschaffung oder Wiederbeschaffung nicht erbringen kann. Ist er nicht leistungsfähig, könnte er seine Leistungsfähigkeit aber durch Wiederbeschaffung wiederherstellen, liegt kein Unvermögen vor (vgl. BGH, NJW 1988, 699, 700). Ist dem Schuldner die Wiederbeschaffung der Leistung zwar theoretisch möglich, aber nur mit völlig indiskutablem Aufwand, liegt kein Fall des Absatzes 1, sondern ein Fall des Absatzes 2 vor. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass der Schuldner im ersten Fall kraft Gesetzes von der Leistung befreit ist, im zweiten dagegen eine Einrede erheben muss. Weitere Unterschiede ergeben sich nicht.

Zu Absatz 2

Der Regelung von § 275 Abs. 1 RE, die als Einwendung ausgestaltet ist, wird in Absatz 2 ein Leistungsverweigerungsrecht, das seiner Rechtsnatur nach eine bloße Einrede darstellt, an die Seite gestellt.

Zu Satz 1

Tatbestandlich und funktionell werden mit Absatz 2 zwei unterschiedliche Fallgruppen erfasst. Zunächst bezieht sich die Vorschrift auf die sogenannte faktische oder auch praktische Unmöglichkeit. Mit diesem Begriff bezeichnet man Fälle, in denen die Behebung des Leistungshindernisses zwar theoretisch möglich wäre, die aber kein vernünftiger Gläubiger ernsthaft erwarten kann. Das immer wieder zitierte Schulbeispiel ist der geschuldete Ring auf dem Grund des Sees (Beispiel nach Heck, Grundriss des Schuldrechts, § 28).

Nicht erfasst werden von Absatz 2 Satz 1 dagegen die Fälle der sogenannten „wirtschaftlichen“ oder „sittlichen“ Unmöglichkeit oder der „Unerschwinglichkeit“ im Sinne der bloßen Leistungserschwerung für den Schuldner. Diese Fallgruppen sind im geltenden Recht nicht gesetzlich geregelt und nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. jetzt § 313 RE) zu behandeln. Das ist zwar nicht immer so gesehen worden (anders z. B. RGZ 100, 129; 100, 134; 101, 74; 101, 79), aber seit den zwanziger Jahren herrschende Meinung (RGZ 103, 3; 168, 65, 73; MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdn. 33; Palandt/Heinrichs, § 275 Rdn. 12; U. Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 3 III 4 S. 118). Daran ändert Absatz 2 Satz 1 nichts. Dies folgt daraus, dass Absatz 2 Satz 1 allein auf das Leistungsinteresse des Gläubigers abstellt und die eigenen Interessen des Schuldners, um deren Berücksichtigung es in diesen Fällen typischerweise geht, nicht in den Blick nimmt. Das ist auch nicht Zweck des § 275 Abs. 2 Satz 1 RE, der das Entfallen der Primärleistungspflicht zum Gegenstand hat. Dies ist vielmehr Gegenstand des § 313 RE über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auch Fälle der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen lassen sich nicht mit § 275 Abs. 2 Satz 1 RE, sondern nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen.

Nach Absatz 2 Satz 1 darf der Schuldner die Primärleistung verweigern, wenn deren Erbringung einen unverhältnismäßigen Aufwand verlangt. Mit Aufwand werden sowohl Aufwendungen in Geld als auch Tätigkeiten und ähnliche persönliche Anstrengungen erfasst. Dies folgt daraus, dass Absatz 2 Satz 3, der für den Fall des Vertretenmüssens eine Verschärfung des Maßstabs bestimmt, bewusst, um gerade dies deutlich zu machen, von „Anstrengungen“ spricht. Der Aufwand ist allein an dem Leistungsinteresse des Gläubigers zu messen, nicht am Verhältnis dieses Aufwands zu den eigenen Interessen des Schuldners, also etwa zu 295 dem Vertragspreis oder eben auch zu persönlichen Belangen wie Gewissensbedenken, familiären Belastungen usw.. Die eigenen Interessen des Schuldners bleiben allerdings, vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 2, nicht immer völlig unberücksichtigt. Sie können vielmehr, wie dargelegt, nach anderen Vorschriften, insbesondere nach § 313 RE, zu berücksichtigen sein.

Die Regelung des § 275 Abs. 2 Satz 1 RE findet eine gewisse Parallele in den Vorschriften der geltenden §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 3, 651c Abs. 2 Satz 2. Diese Vorschriften stellen Ausprägungen eines allgemeinen Rechtsgedankens dar (BGHZ 62, 388, 393 f.; NJW 1988, 699, 700), den § 275 Abs. 2 Satz 1 RE hier zur Geltung bringt. Von den genannten Vorschriften unterscheidet sich § 275 Abs. 2 Satz 1 RE indes dadurch, dass er die beiden Kriterien bezeichnet, die bei jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung von ausschlaggebender Bedeutung sind: Die Bezugsgröße zum ersten, die hier im Interesse des Gläubigers an der Leistung besteht, und den Grad des Missverhältnisses zum zweiten, das „grob“ sein muss. Dass es auf das Gläubigerinteresse ankommt, entspricht auch der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Lehre (BGH NJW 1995, 1836 f.; NJW 1996, 3269 f.; NJW-RR 1997, 1450, 1451; Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, § 5 VII 1; MünchKomm/Grunsky, § 251 Rdn. 15). Das Missverhältnis muss also ein besonders krasses, nach Treu und Glauben untragbares Ausmaß erreichen. Das legitimiert sich vor allem daraus, dass der Gläubiger bei vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit seinen Anspruch ersatzlos verliert. Demgegenüber muss er im Falle des § 251 Abs. 2 grundsätzlich, d. h. abgesehen von den Fällen des § 253, lediglich hinnehmen, dass er statt Naturalersatz eine – den Wertverlust voll ausgleichende – Entschädigung in Geld erhält. In den Fällen des bisherigen § 633 Abs. 2 Satz 3 verliert er nur den Anspruch auf Beseitigung des Mangels, nicht aber die Ansprüche auf Wandelung und Minderung nach dem bisherigen § 634, mit deren Hilfe er sein finanzielles Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung regelmäßig im wesentlichen wahren kann. Bei vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit erhält der Gläubiger zwar einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280, 283 RE, doch wäre es paradox, wenn er deshalb leichter von seinem Primäranspruch auf Erfüllung befreit würde.

Zu Satz 2

Absatz 2 Satz 2 trifft eine Sonderregelung für den Fall einer Leistung, die in der Person des Schuldners zu erbringen ist. Dies betrifft vor allem Arbeits- und Dienstverträge. Hierzu können aber auch Werkverträge oder Geschäftsbesorgungsverträge gehören. In diesen Fällen sollen nicht nur objektive, sondern auch auf die Leistung bezogenene persönliche Umstände des Schuldners berücksichtigt werden und zur Unmöglichkeit führen können. Dies ist geboten, weil die Leistung selbst auf die Person des Schuldners ausgerichtet ist. Solche Umstände sind also, anders als in den Fällen des Absatz 2 Satz 1, nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen, sondern schon unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalls der Primärleistungspflicht nach § 275 RE.

Schulbeispiel ist der Fall der Sängerin, die sich weigert aufzutreten, weil ihr Kind lebensgefährlich erkrankt ist. In diesem Fall geht es um die Rücksichtnahme auf das Schuldnerinteresse, das in Absatz 2 Satz 2 in bewusster Abgrenzung zu Absatz 1 Satz 1 und zu § 313 RE gerade auch maßgeblich sein soll. In diesem Fall liegt kein Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern Unmöglichkeit vor (für diesen Fall auch: MünchKomm/Emmerich, § 275 Rdn. 39). Ebenfalls nach Absatz 2 Satz 2 zu lösen ist schließlich auch der Fall des Arbeitnehmers, der seine Arbeit nicht verrichten möchte, weil er in der Türkei zum Wehrdienst einberufen ist und bei Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls mit der Todesstrafe rechnen muss. Das BAG hat diesen Fall „analog § 323 BGB“ behandelt und der subjektiven Unmöglichkeit „gleichgestellt“ (NJW 1983, 2782, 2784). Nach Absatz 2 Satz 2 ist das weiterhin möglich, weil es hier um die Berücksichtigung des Schuldnerinteresses bei einer in der Person des Schuldners zu erbringenden Leistung geht. Genauso liegt es in anderen Fällen, in denen dem Schuldner die Leistungspflicht unter Beachtung des Leistungsinteresses des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Beispiele sind während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche, notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger, Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen.

Zu Satz 3

Absatz 2 Satz 3 bestimmt, dass bei der Konkretisierung des Missverhältnisses zu berücksichtigen ist, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Daraus folgt, dass von ihm erhöhte Anstrengungen zu dessen Überwindung zu erwarten sind, wenn er es zu vertreten hat. Hat der Schuldner also z. B. auf Grund eines schuldhaften Irrtums oder gar in Kenntnis der Rechtslage den Vertragsgegenstand an einen Dritten übereignet, so muss er diesem für dessen Rückerwerb in aller Regel wesentlich mehr als den Marktpreis bieten, um in den Genuss der Befreiung von seiner primären Leistungspflicht zu gelangen. Ähnlich liegt es im geltenden Recht bei der Auslegung von § 633 Abs. 2 Satz 3 (BGH, NJW 1995, 1836, 1837; 1996, 3269, 3270) und zu dem von dem BGH aus den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 3 entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken (NJW 1988, 699, 700; vgl. auch BGHZ 62, 388, 393 f.).

Den Umkehrschluss, dass der Schuldner überhaupt keine Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses zu unternehmen braucht, wenn er dieses nicht zu vertreten hat – wie das von manchen Autoren für den geltenden § 275 postuliert wird (z. B. U. Huber, Leistungsstörungen Bd. I, § 3 I 6 S. 74, 75) - erlaubt § 275 Abs. 2 Satz 3 RE dagegen nicht. Vielmehr ist diese Frage, wie es in der Vorschrift heißt, nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu beantworten. So muss der Schuldner sich in dem erwähnten Beispiel auch dann, wenn ihn kein Verschulden trifft, immerhin bemühen, den Vertragsgegenstand von dem Dritten zurückzuerwerben, und diesem zumindest den Marktpreis, u. U. aber auch einen darüber liegenden Preis bieten. Denn auch wenn er sich in einem unverschuldeten Irrtum befunden und daher die verkehrserforderliche Sorgfalt nicht außer Acht gelassen hat, hat er doch objektiv seine Pflicht aus dem Schuldverhältnis nicht erfüllt, so dass das Leistungshindernis auf einem in seiner Sphäre liegenden Mangel beruht. Indes sind die Bemühungen und Aufwendungen, die von ihm zu erwarten sind, grundsätzlich geringer, als wenn er das Leistungshindernis zu vertreten hat, so dass die Unterscheidung jedenfalls sinnvoll ist.

Die Grundsätze gelten sowohl in den Fälle des Absatzes 2 Satz 1 als auch in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2.

Zu Absatz 3

§ 275 RE bestimmt in beiden Varianten, also sowohl bei der Befreiung kraft Gesetzes nach Absatz 1 als auch bei der Einrede nach Absatz 2, nur die Folge der Unmöglichkeit für die Primärleistung. Dies kann und soll aber nicht bedeuten, dass der Fortfall der Primärleistungspflicht die einzige Rechtsfolge ist. Wenn der Umstand, der zur Leistungsbefreiung führt, vom Schuldner zu vertreten ist, so ist dieser zum Schadensersatz verpflichtet. Dies regeln die §§ 280, 283 bis 285 und 311a RE. Auf diesen Zusammenhang weist Absatz 3 zur Klarstellung hin, ohne dies aber selbst unmittelbar zu regeln.