Zu § 276 – Verantwortlichkeit für eigenes Verschulden

Vorbemerkung

Das Vertretenmüssen ist ein zentraler Begriff des Leistungsstörungsrechts. Bewirkt der Schuldner die geschuldete Leistung nicht oder verletzt er sonst eine vertragliche Pflicht, so kommen Rechte des Gläubigers in Betracht, die den Schuldner erheblich belasten können. Dies gilt insbesondere für den Übergang von der Primärleistungspflicht auf eine Sekundärleistungspflicht; vor allem eine Pflicht zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens kann weit schwerer wiegen als die Primärleistungspflicht. Ähnliche Belastungen können sich aus einer Pflicht zum Ersatz von Verzögerungsschäden und aus einer Haftungsverschärfung ergeben, wie sie bisher in den §§ 276, 287 geregelt sind. Auch Schadensersatzansprüche wegen Schutzpflichtverletzungen können den Schuldner erheblich belasten. Daher liegt es nahe, diese Rechtsfolgen an eine besondere Verantwortlichkeit des Schuldners zu knüpfen, nämlich an das Vertretenmüssen.

Der bisherige § 276 Abs. 1 Satz 1 sieht unter dem Vorbehalt einer abweichenden Bestimmung vor, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Die Vorschrift drückt mit dieser Einschränkung das Verschuldensprinzip aus. Die übrigen Teile des § 276 ergänzen dieses Prinzip in Einzelheiten; Ausnahmen finden sich erst in anderen Vorschriften. Diese übrigen Teile des bisherigen § 276 sollen unverändert bleiben. Ergänzungen werden mit dem Entwurf lediglich in § 276 Abs. 1 Satz 1 vorgesehen.

Derzeit stehen sich für die Vertragshaftung zwei Systeme gegenüber (vgl. Zweigert/Kötz, S. 484 ff., 501 ff.): Das angloamerikanische Recht geht von einer Garantiehaftung des Versprechenden aus, so dass es auf dessen Verschulden prinzipiell nicht ankommt; doch können bestimmte Leistungshindernisse als außerhalb dieser Garantie liegend angenommen werden. Dagegen legen die kontinentalen Rechte - unter ihnen auch das Bürgerliche Gesetzbuch - regelmäßig das Verschuldensprinzip zugrunde; ausnahmsweise lassen sie aber eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung eintreten. Insbesondere das Einheitliche Kaufgesetz (EKG) ging in Art. 74 vom angloamerikanischen System einer durch Verschuldenselemente gemilderten Garantiehaftung aus. Gleiches gilt jetzt für Art. 79 des UN-Kaufrechts. Auch die Principles of European Contract Law gehen in 9.501 (1) von einer „obligation de résultat“ aus (Lando in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 61 ff., 74 f.). Im Ergebnis bleiben die beiden Systeme freilich nicht weit voneinander entfernt (Zweigert/Kötz aaO S. 510 f.; Schlechtriem/Stoll, Art. 79 Rdn. 9).

Zu Absatz 1

Zu Satz 1

Der Entwurf behält das bewährte Verschuldensprinzip des bisherigen § 276 bei. Die vorgenommenen Änderungen beziehen sich allein auf eine ausführlichere Formulierung der Abweichungen, die in dem bisherigen Wortlaut nur durch den Halbsatz „sofern nicht ein anderes bestimmt ist“ angedeutet werden. Neben der „anderen Bestimmung" soll auch „der sonstige Inhalt des Schuldverhältnisses" einen anderen Haftungsmaßstab ergeben können. Damit soll der Rechtsanwender außer auf „Bestimmungen" (durch Gesetz oder Rechtsgeschäft) auch auf andere Umstände hingewiesen werden, die im Einzelfall für einen abweichenden Haftungsmaßstab sprechen können. Erwähnt wird weiter die „Natur der Schuld“.
Durch „insbesondere“ ergänzt werden zwei Fallgruppen, in denen ein sich aus dem Schuldverhältnis ergebender abweichender Haftungsmaßstab eine Rolle spielen kann.

Zunächst ist die Übernahme einer Garantie angesprochen. Gedacht ist dabei etwa an die Eigenschaftszusicherungen bei Kauf, Miete, Werkvertrag und ähnlichen sich auf eine Sache beziehenden Verträgen. Insbesondere im Kaufrecht soll die Eigenschaftszusicherung künftig keine eigenständige Bedeutung mehr haben. Der bisherige § 463 Satz 1 soll als überflüssig und womöglich sogar irreführend gestrichen werden. Inhaltlich bedeutet die Zusicherung einer Eigenschaft die Übernahme einer Garantie für das Vorhandensein dieser Eigenschaft verbunden mit dem Versprechen, für alle Folgen ihres Fehlens (ohne weiteres Verschulden) einzustehen. Eine auf die Übernahme einer Garantie abstellende Formulierung enthalten deshalb jetzt auch die §§ 442 Abs. 1 und 444 RE. Dass der Schadensersatzanspruch des Käufers wegen der Lieferung einer mangelhaften Sache durch den Verkäufer jetzt gemäß § 437 Nr. 3 in Verbindung mit § 280 RE stets von einem Vertretenmüssen des Verkäufers abhängig ist, bedeutet aber nicht, dass der Zusicherung von Eigenschaften künftig keine Bedeutung mehr zukäme. Vielmehr wird nur die den Schadensersatzanspruch – neben dem Fall der Arglist – auf diesen Fall beschränkende Vorschrift des § 463 aufgegeben und die Haftung des Verkäufers nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht vorgesehen. Damit stellt sich die Frage nach Zusicherungen nur an anderer Stelle, nämlich bei dem Vertretenmüssen des Schuldners (Verkäufers). Im Rahmen von § 276 Abs. 1 Satz 1 RE wird also künftig auch für das Kaufrecht zu prüfen sein, ob der Schuldner eine Garantie übernommen hat, also zum Beispiel ob ein Verkäufer das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften der von ihm verkauften Sache zugesichert hat. Mit dem Entwurf ist also im Kaufrecht keineswegs die Haftung für zugesicherte Eigenschaften abgeschafft, sondern nur an anderer, besser passender Stelle geregelt.

Die zweite in § 276 Abs. 1 Satz 1 besonders herausgehobene Fallgruppe ist die Übernahme eines Beschaffungsrisikos. Das hängt zusammen mit der Aufhebung des bisherigen § 279. Wegen der näheren Gründe für die Aufhebung kann auf die Erläuterung zu dieser Vorschrift Bezug genommen werden. Sie betrifft derzeit den Fall der Gattungsschuld, also einen der Fälle, in denen der Schuldner regelmäßig die Beschaffung des versprochenen Leistungsgegenstandes verspricht. Die nun vorgesehene Ergänzung in § 276 Abs. 1 Satz 1 RE verallgemeinert dies auf andere Beschaffungsrisiken und macht gleichzeitig deutlich, worauf es im Einzelfall nur ankommen kann, nämlich auf den Inhalt einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung.

Aufgegeben wird auch die (schon im geltenden Recht in § 279 zu enge) Bezugnahme auf das Unvermögen; das Vertretenmüssen bei Übernahme eines Beschaffungsrisikos erfasst deshalb auch Verzögerungen bei der Beschaffung. Im Übrigen führt dies aber nicht schlechthin zu einer Garantiehaftung des Schuldners, sondern nur zu einer Haftung für die Überwindung von Beschaffungshindernissen.

Schließlich erwähnt § 276 Abs. 1 Satz 1 RE noch die „Natur der Schuld“, aus der sich ein anderer Haftungsmaßstab ergeben kann. Gedacht ist hier in erster Linie an die Geldschuld. Damit soll der allgemein anerkannte Grundsatz angesprochen werden, dass der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat.

Zu Satz 2

Satz 2 entspricht dem bisherigen § 276 Abs. 1 Satz 2.

Zu den Absätzen 2 und 3

Absatz 2 entspricht dem bisherigen § 276 Abs. 1 Satz 2. Die Fahrlässigkeitsdefinition soll in einem eigenen Absatz verselbständigt werden. Absatz 3 entspricht dem bisherigen § 276 Absatz 2.