Zu § 311a – Ausschluss der Leistungspflicht bei Vertragsschluss

Vorbemerkung

Aufhebung der bisherigen §§ 306 bis 308

Derzeit regeln die §§ 306 bis 308 den Fall der anfänglichen Unmöglichkeit einer Leistung: § 306 bestimmt, dass ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag nichtig ist; nach § 307 kann eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei zum Ersatz des negativen Interesses (Vertrauensschadens) verpflichtet sein; § 308 macht für den Fall der nur vorübergehenden Unmöglichkeit Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge des § 306. § 309 erweitert die Anwendbarkeit der §§ 306 bis 308 auf Fälle, in denen ein Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.

Die Vorschriften der §§ 306 bis 308 werden allgemein als unsachgemäß angesehen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Nichtigkeitsfolge als auch in Bezug auf die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf das negative Interesse (§ 307). Huber (Gutachten, S. 692, 813 ff.) hat ihre Aufhebung vorgeschlagen. Dem war die Schuldrechtskommission in ihren Vorschlägen gefolgt. Der Entwurf sieht – dem folgend – die Aufhebung der bisherigen §§ 306 bis 309 vor. Die anfängliche objektive Unmöglichkeit soll künftig als Fall der Leistungsstörung nach den allgemeinen Regeln behandelt werden. Von der Rechtsprechung in Anwendung des bisherigen § 306 gelöste Fälle des Versprechens einer Leistung, die nur Aberglaube für möglich halten kann (vgl. LG Kassel, NJW 1985, 1642, LG Kassel, NJW-RR 1988, 1517), rechtfertigen die Beibehaltung dieser Vorschrift nicht; sie dürften (häufig) als sittenwidrig und deshalb nach § 138 als nichtig behandelt werden können.

Nach den neuen Regeln (§ 311a Abs. 2 RE) kann über das nach geltendem Recht im Falle des bisherigen § 306 allein mögliche negative Interesse hinaus Schadensersatz beansprucht werden. Auch hat der Vorwurf gegen den Schuldner nach dem geltenden § 307 Abs. 1 nicht dessen Leistungsunvermögen zum Gegenstand, sondern die unterbliebene Vergewisserung über seine Leistungsmöglichkeit. Gleichwohl sind die Gründe, die gegen eine Beibehaltung der bisherigen Regelung in den §§ 306 bis 309 sprechen, gewichtiger: Der Eintritt der Unmöglichkeit vor oder nach Vertragsschluss kann zufällig und sein genauer Zeitpunkt zuweilen auch schwer beweisbar sein; im Übrigen kennt das geltende Recht bereits eine Haftung auf das volle Interesse in Fällen anfänglich objektiver Unmöglichkeit. Tatsächlich kann die Neuregelung zu Ansprüchen auf Ersatz des positiven Interesses führen, obwohl der Schuldner eigentlich eine vorvertragliche Pflicht zur Prüfung seines Leistungsvermögens verletzt hat. Das ist aber auch schon gegenwärtig nach den §§ 437, 463 und nach der Rechtsprechung in den Fällen der Haftung wegen des Verkaufs technisch unmöglicher Verfahren der Fall.

Vorschlag der Schuldrechtskommission

Für die Haftung des Schuldners bei anfänglich objektiver Unmöglichkeit sollte nach dem Vorschlag der Schuldrechtskommission in Fällen, in denen die Verantwortung des Schuldners allein auf Grund der fehlenden Vergewisserung über seine Leistungsfähigkeit begründet ist, nach §§ 305 Abs. 1 Satz 2, 280 KE gelten, was der BGH (NJW 1988, 2234, 2236) für einen Fall der culpa in contrahendo durch Verletzung der Aufklärungspflicht ausgeführt hat: Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne die Pflichtwidrigkeit des anderen Teils stehen würde. Welcher Schaden dabei erstattungsfähig ist, richtet sich angesichts der Vielgestaltigkeit, in der ein Verschulden bei Vertragsanbahnung in Betracht kommen kann, nach der Ursächlichkeit des schadensstiftenden Verhaltens für den eingetretenen Schaden im Einzelfall. Der Anspruch geht in aller Regel auf Ersatz des sog. negativen Interesses, das allerdings nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt wird, dieses vielmehr im Einzelfall auch übersteigen kann. Der Gläubiger ist deshalb so zu stellen, wie er bei Erfüllung der den Schuldner treffenden Pflichten zur Vergewisserung und Information gestanden hätte. Hätte er dann statt des undurchführbaren Geschäfts ein anderes abgeschlossen, so kann er ersetzt verlangen, was ihm aus diesem Geschäft zugeflossen wäre.

Die Regelung des bisherigen § 309 in Verbindung mit § 307 würde danach überflüssig. Kenntnis oder Kennenmüssen des Gläubigers von einer anfänglichen Leistungsunmöglichkeit des Schuldners oder Gesetzwidrigkeit des Vertrags - derzeit § 307 Abs. 1 Satz 2 - begründet ein Mitverschulden an einem Schaden, der aus dem Ausbleiben der Leistung entsteht. Der bisherige § 308 würde auch im Anwendungsbereich des bisherigen § 309 - der ohnehin nur klarstellende Funktion hat (Palandt/Heinrichs, § 309 Rdn. 1) - entbehrlich.

Modell des Entwurfs

Der Entwurf folgt der Schuldrechtskommission im Ansatz. Im Unterschied zu deren Vorschlag hält er eine gesetzliche Klarstellung, dass der bisherige § 306 nicht mehr gilt, für angezeigt. Außerdem soll gesetzlich geregelt werden, dass der Schuldner auf das positive Interesse haftet, wenn er den Vertrag abschließt, obwohl er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass die Leistung objektiv unmöglich ist.

Zu Absatz 1

Nach § 311a Abs. 1 RE steht es der Gültigkeit eines Vertrags nicht entgegen, dass die Leistung für den Schuldner oder für jedermann schon bei Vertragsschluss unmöglich ist. Diese Bestimmung, deren Formulierung bewusst an Art. 4.102 der Principles of European Contract Law angelehnt ist, hat lediglich klarstellenden Charakter. Die Schuldrechtskommission hat, wie ausgeführt, die schlichte Aufhebung für ausreichend erachtet. Der Entwurf hält die Aufnahme einer klarstellenden Regelung in das Gesetz für zweckmäßig, weil sich die Abkehr von dem bisherigen § 306 nicht von selbst versteht und die Rechtslage daher ausdrücklich aus dem Gesetz hervorgehen sollte (so auch U. Huber, ZIP 2000, 2149; Canaris in: Schulze/ Schulte-Nölke, S. 45 ff. 63 bei Fn. 68).

Die Anordnung der Wirksamkeit des Vertrags in § 311a Abs. 1 RE steht nicht in Widerspruch zu § 275 Abs. 1 RE. Allerdings gilt diese Vorschrift auch für die anfängliche Unmöglichkeit. Ein Anspruch auf die Primärleistung kommt daher hier von vornherein nicht in Betracht. Das ist jedoch keineswegs dogmatisch unvereinbar mit der Wirksamkeit des Vertrags, sondern bedeutet lediglich, dass hier ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht entsteht, was seit langem eine anerkannte dogmatische Kategorie darstellt. Dieser bildet die Grundlage für einen etwaigen Surrogationsanspruch nach § 285 RE und vor allem für die Ersatzansprüche nach § 311a Abs. 2 RE.

Dass der Vertrag aus einem anderen Grund als wegen der Unmöglichkeit als solcher nichtig oder anfechtbar ist, schließt § 311a Abs. 1 RE nicht aus. Verstößt der Vertrag also z. B. gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134, so ändert § 311a Abs. 1 RE nichts an seiner Nichtigkeit. Es ist erwogen worden, in noch engerer Anlehnung an Art. 4.102 Principles of European Contract Law zu formulieren: „Ein Vertrag ist nicht allein deshalb ungültig, weil ...“. Davon ist aber abgesehen worden, weil die hier gewählte Formulierung den im deutschen Recht üblichen Heilungsregelungen entspricht, die insoweit dasselbe aussagen und stets in diesem Sinne verstanden worden sind (vgl. z. B. Artikel 231 § 7 Abs. 1 EGBGB). Was die Schadensersatzpflicht für den Fall, dass eine Partei den Verstoß gegen § 134 zu vertreten hat, angeht, so entfällt zwar zugleich mit dem bisherigen § 306 zwangsläufig die Anspruchsgrundlage des bisherigen § 309. Das ändert aber im Ergebnis wenig, weil an deren Stelle ein Anspruch aus culpa in contrahendo (§§ 241 Abs. 2, 280 RE) tritt. Zweifelhaft ist lediglich, ob dieser ebenso wie nach dem bisherigen § 309 in Verbindung mit dem bisherigen § 307 Abs. 1 Halbsatz 2 der Höhe nach durch das positive Interesse begrenzt wird. Die rigide Regelung des bisherigen § 309 in Verbindung mit dem bisherigen § 307 Abs. 1 Satz 2, wonach die Ersatzpflicht entfällt, wenn der andere Teil die Gesetzeswidrigkeit kennen muss, wird durch die flexiblere Regelung des § 254 BGB ersetzt.

Anders liegt es freilich hinsichtlich der Frage, ob der Schuldner nach § 119 Abs. 2 mit der Begründung anfechten kann, das Leistungshindernis sei ihm unbekannt gewesen und stelle eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne dieser Vorschrift dar. Tatbestandlich ist das keineswegs von vornherein ausgeschlossen, weil z. B. die Tatsache, dass eine Sache nicht dem Verkäufer, sondern einem Dritten gehört, durchaus als verkehrswesentliche Eigenschaft qualifiziert werden kann. Es ist erwogen worden, klarzustellen, dass die Unkenntnis eines anfänglichen Leistungshindernisses den Schuldner nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 berechtigt. Davon ist jedoch abgesehen worden. Eine solche Klarstellung ist unnötig. Anerkanntermaßen ist eine Anfechtung durch den Schuldner unzulässig, wenn sie nur das Ziel haben kann, sich etwaigen Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüchen zu entziehen (BGH, NJW 1988, 2598).

Zu Absatz 2

Zu Satz 1

Welche Rechtsfolge es hat, wenn ein Vertrag auf eine von vornherein unmögliche Leistung gerichtet ist, regelt § 311a Abs. 2 RE. Dabei wird ausdrücklich ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, also auf das positive Interesse gewährt. Das ist erforderlich, weil sich aus der Verletzung einer vorvertraglichen Informationspflicht nach den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts nun einmal grundsätzlich nur ein Anspruch auf das negative Interesse ergibt, wohingegen der Entwurf einen Anspruch auf das positive Interesse als die angemessene Rechtsfolge ansieht. Eine solche Klarstellung erscheint angezeigt, zumal die Schuldrechtskommission in ihrem Bericht (S. 146) nur den Ersatz des negativen Interesses für möglich gehalten hat, wie oben ausgeführt.

Dogmatisch gesehen folgt der Anspruch auf das positive Interesse aus der Nichterfüllung des – nach § 311a Abs. 1 RE wirksamen – Leistungsversprechens und nicht etwa aus der Verletzung der – nach § 275 RE ausgeschlossenen – Leistungspflicht. Aus diesem Grund werden die Rechtsfolgen in § 311a auch eigenständig geregelt. Gegen diese Lösung ist eingewandt worden, dass sich das positive Interesse mitunter nicht bestimmen lasse (Dauner- Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, Anmerkungen und Fragen zur konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, 2001, S. 52). Das ist indes eher selten und keine Besonderheit des § 311a RE. Jedenfalls spricht das nicht dagegen, einen solchen Anspruch zu gewähren, zumal die Ermittlung des Schadens in der Mehrzahl der Fälle keine Schwierigkeiten bereitet.

Alternativ erhält der Gläubiger einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach Maßgabe von § 284 RE. Das entspricht dem Bestreben, die anfängliche Unmöglichkeit hinsichtlich der Rechtsfolgen genauso zu behandeln wie die nachträgliche. Ist dem Gläubiger indes z. B. wegen seines Vertrauens auf den Vertrag, dessen Erfüllung sich als unmöglich erweist, ein anderes lukrativeres Geschäft entgangen, so erhält er den darin liegenden Verlust nach der derzeitigen Fassung von § 311a Abs. 2 RE nicht ersetzt. Dies entspricht der geltenden Regelung in § 307. Danach erhält er das negative Interesse nur bis zur Grenze des positiven ersetzt, wobei er letzteres nach § 311a Abs. 2 RE ohnehin verlangen kann.

Sowohl der Anspruch auf Schadensersatz als auch der Anspruch auf Aufwendungsersatz sind verschuldensabhängig. Daran ist vor allem von U. Huber Kritik geübt worden (Leistungsstörungen Bd. I S. 122; ders., in: Ernst/Zimmermann, 31, 87, 104 und ZIP 2000, 2273, 2278). Diese Kritik überzeugt nicht. Das Garantieprinzip führt zu Ergebnissen, die unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten keinesfalls zu überzeugen vermögen, während sich das Verschuldensprinzip sowohl durch höhere rechtsethische Überzeugungskraft als auch durch größere Flexibilität auszeichnet. So ist es z. B. nicht einzusehen, warum der Verkäufer eines abhanden gekommenen Kunstwerks dem Käufer auch dann auf das positive Interesse haften soll, wenn das Abhandenkommen für ihn schlechterdings unerkennbar war. Ebenso wenig leuchtet es ein, dass der Verpächter eines Grundstücks, der als solcher im Grundbuch eingetragen ist, dem Pächter vielleicht für Jahrzehnte Schadensersatz statt der Leistung zu zahlen hat, wenn sich herausstellt, dass auf Grund eines jüngeren Testaments in Wahrheit nicht er, sondern ein anderer der Erbe und damit Eigentümer des Grundstücks ist; zwar ergibt sich diese Rechtsfolge derzeit noch unmittelbar aus § 541 in Verbindung mit § 538 Abs. 1 Alt. 1, doch erhöht das ihren Gerechtigkeitsgehalt nicht, sondern zeigt nur, dass hier Korrekturbedarf besteht.

Anders als die Schuldrechtskommission geht der Entwurf davon aus, dass sich das Pflichtenprogramm des Schuldners vor Vertragsschluss anders gestaltet als nach Vertragsschluss. Vorher geht es nämlich im Wesentlichen um Informationspflichten, nachher dagegen um Pflichten bezüglich des Leistungsgegenstandes selbst. Deshalb wird die Schadensersatzpflicht für anfängliche Unmöglichkeit jetzt nicht mehr als bloßer Unterfall eines allgemeinen Tatbestandes der Pflichtverletzung behandelt wie in den Vorschlägen der Schuldrechtskommission. Sie beruht vielmehr auf eigenständigen Anspruchsvoraussetzungen, die der Eigentümlichkeit dieser Konstellation als Informations- und Irrtumsproblematik Rechnung tragen. Demgemäss stellt § 311a Abs. 2 RE darauf ab, ob der Schuldner die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste. Die Beweislast soll wie in § 280 Abs. 1 Satz 2 RE insoweit umgekehrt sein. Das entspricht dem allgemeinen Prinzip, wonach bei Schadensersatzansprüchen aus Schuldverhältnissen grundsätzlich vermutet wird, dass der Schuldner den Grund für die aus seinem Bereich stammende Störung zu vertreten hat.

Daraus folgt, dass es sich bei § 311a Abs. 2 RE um eine eigene Anspruchsgrundlage und nicht etwa lediglich um einen Unterfall des allgemeinen Pflichtverletzungstatbestandes des § 280 RE handelt. Das wird mittelbar dadurch bestätigt, dass in § 311a Abs. 2 RE – anders als in den §§ 281 bis 283 RE – nicht auf § 280 RE Bezug genommen wird.

Es ist erwogen worden, auch den Fall zu regeln, dass der Schuldner seine Unkenntnis von der Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. Für solche Fälle hatte Canaris (in: Schulz/Schulte- Nölke, S. 44 ff., 66 ff.) eine entsprechende Anwendung von § 122 befürwortet. Der Entwurf hält das für einen gangbaren Lösungsansatz. Dieser soll aber nicht gesetzlich festgeschrieben werden, weil dazu auch die Regelung des § 119 Abs. 2 überprüft werden müsste, was den Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens sprengen würde. Diese Frage soll deshalb der Rechtsprechung überlassen bleiben, die sie aber im Sinne von Canaris lösen könnte.

Zu Satz 2

§ 311a Abs. 2 Satz 2 RE verweist zunächst auf § 281 Abs. 1 Satz 3 RE. Auch die anfängliche Unmöglichkeit kann sich auf einen Teil der Leistung beschränken. Dann stellt sich für den Umfang des Schadensersatzanspruchs die bereits in § 281 Abs. 1 Satz 3 RE geregelte Frage, unter welchen Voraussetzungen Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt werden kann. Auch bei der Schlechtleistung kann ein Fall einer bereits bei Vertragsschluss vorliegenden Unmöglichkeit der Nacherfüllung gegeben sein. Auch in diesen Fällen ist gemäß § 311a Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 281 Abs. 1 Satz 3 RE der Interessefortfall auf Seiten des Gläubigers maßgeblich dafür, ob Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangt werden kann. Schließlich ist aus denselben Gründen, wie zu § 283 Satz 2 RE erläutert, auch § 281 Abs. 4 in Bezug zu nehmen.