Zu § 314 – Kündigung von Dauerschuldverhältnissen

Vorbemerkung

Bei bestimmten auf Dauer oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum angelegten und allgemein als Dauerschuldverhältnisse bezeichneten Rechtsbeziehungen besteht das Bedürfnis, unter gewissen Voraussetzungen eine vorzeitige Auflösung zu ermöglichen.

Im geltenden Recht gibt es Vorschriften über die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen vor allem in § 554a für die Miete, in § 626 für den Dienstvertrag und in § 723 für die Gesellschaft. In Rechtsprechung und Rechtslehre ist aber seit langem allgemein anerkannt, dass Dauerschuldverhältnisse auch dann aus wichtigem Grund gekündigt werden können, wenn dies weder gesetzlich noch vertraglich vorgesehen ist. Dieser Rechtsgrundsatz ist in seinem Kern zwingendes Recht; auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen kann er nicht eingeschränkt werden (BGH, NJW 1986, 3134).

Dauerschuldverhältnisse unterscheiden sich von den auf eine einmalige Leistung gerichteten Schuldverhältnissen dadurch, dass aus ihnen während der Laufzeit ständig neue Leistungsund Schutzpflichten entstehen und dem Zeitelement eine wesentliche Bedeutung zukommt. Der Begriff des Dauerschuldverhältnisses ist im Anschluss an v. Gierke (Iherings Jahrbücher Bd. 64, S. 355) von Rechtsprechung und Rechtslehre herausgearbeitet worden, seit langem allgemein anerkannt und durch § 10 Nr. 3 sowie § 11 Nr. 1 und Nr. 12 AGBG inzwischen auch in die Gesetzessprache eingegangen. Außer den bereits erwähnten Miet-, Dienst- und Gesellschaftsverträgen zählen zu den gesetzlich geregelten Dauerschuldverhältnissen insbesondere Pacht-, Leih-, Verwahrungs- und Versicherungsverträge. Hinzu kommen atypische Vertragsverhältnisse wie Leasing- und Belegarztverträge sowie weitere nicht normierte Vertragsverhältnisse mit häufig kaufrechtlicher Funktion, darunter als Unterfall die Bezugsverträge. Auch außerhalb von gegenseitigen Verträgen kommen Dauerschuldverhältnisse in Betracht, beispielsweise bei Unterwerfungserklärungen aus Wettbewerbsverhältnissen.

Der für die Kündigung erforderliche wichtige Grund besteht nach der Rechtsprechung, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrags für den Kündigenden unzumutbar machen. Ein Verschulden des anderen Teils ist weder erforderlich noch ausreichend, und ein eigenes Verschulden schließt das Kündigungsrecht nicht unbedingt aus. In der Regel hat der Kündigung eine Abmahnung vorauszugehen, die jedoch entbehrlich ist, wenn ein Erfolg nicht zu erwarten oder das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört ist, dass eine sofortige Beendigung des Vertrags gerechtfertigt erscheint. Insgesamt hat sich die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen auf der Grundlage von Rechtsprechung und Rechtslehre zu einem allgemein anerkannten Rechtsinstitut entwickelt. Insbesondere hat der nicht eindeutige Begriff des Dauerschuldverhältnisses eine für die Verwendung in der Rechtspraxis hinreichende Strukturierung erfahren.

Nachdem bei Dauerschuldverhältnissen die Kündigung aus wichtigem Grund ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz ist und es vor allem zum Anwendungsbereich dieses Grundsatzes und den Voraussetzungen der Kündigung eine im Wesentlichen einheitliche Rechtsprechung gibt, stellt das Fehlen einer allgemeinen gesetzlichen Regelung für die Rechtspraxis keinen nennenswerten Mangel dar. Wie bei den vergleichbar wichtigen, aber nicht kodifizierten Rechtsgrundsätzen und Rechtsinstituten des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, des Verschuldens bei Vertragsanbahnung und der positiven Forderungsverletzung müsste es jedoch als unbefriedigend angesehen werden, wenn für Dauerschuldverhältnisse das Recht der Kündigung aus wichtigem Grund bei einer allgemeinen Überarbeitung und Änderung des Leistungsstörungsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht in das Gesetz aufgenommen würde.

Das italienische Recht enthält in den Artikeln 1559 bis 1570 des Codice civile eine Regelung des Dauerlieferungsvertrags, die sich auf Verträge über „regelmäßig wiederkehrende oder fortgesetzte Leistungen von Sachen gegen Entgelt“ bezieht. Die Dauerlieferungsverträge sind als besonderer Vertragstyp behandelt, können aber zugleich anderen Vertragstypen wie dem Kaufvertrag angehören, deren Vorschriften dann nach Artikel 1570 ergänzend heranzuziehen sind. Da nur Leistungsaustauschverträge mit wiederholter Leistung von Sachen erfasst sind, gelten die Vorschriften der Artikel 1559 ff. für manche wichtige Dauerschuldverhältnisse nicht, insbesondere nicht für Gesellschafts-, Miet-, Dienst- und Arbeitsverträge. Für die Rechtsfolgen bei Störungen des Vertragsverhältnisses sind vor allem Artikel 1564 und 1569 von Bedeutung. Artikel 1564 sieht bei einer nicht unbedeutenden Vertragsverletzung und darauf beruhender Zerstörung des Vertrauensverhältnisses eine Auflösung des Vertrags vor und entspricht der Kündigung aus wichtigem Grund nach deutschem Recht. Demgegenüber betrifft Artikel 1569 die Kündigung unbefristeter Lieferverträge, wobei das Gesetz nur eine sehr allgemein formulierte Rahmenregelung für die Kündigungsmöglichkeit und die Kündigungsfristen zur Verfügung stellt.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Artikel 73 UN-Kaufrecht, der bei einer schwerwiegenden Störung von Sukzessivlieferungsverträgen ein Aufhebungsrecht des beeinträchtigten Teils auch hinsichtlich der noch ausstehenden Leistungen (Artikel 73 Abs. 2) vorsieht, das damit wie eine Kündigung wirkt.

Der Entwurf sieht mit § 314 RE eine allgemeine Vorschrift über die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen vor. Es erscheint geboten, bei einer allgemeinen Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen. Dafür spricht sowohl die erhebliche praktische Bedeutung dieses Rechtsinstituts als auch die seit langem gefestigte Rechtsprechung zu seinem Anwendungsbereich. Der Entwurf übernimmt im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung.

§ 314 RE steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zu zahlreichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze, in denen die Kündigung aus wichtigem Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen besonders geregelt ist. Diese Einzelbestimmungen sollen nicht aufgehoben oder geändert werden, sondern als leges speciales Vorrang vor § 314 RE haben.

Eine Konkurrenz kann ferner zwischen § 313 und § 314 RE bestehen. Hierzu ergibt sich aus § 313 Abs. 3 RE, dass in diesen Fällen die Anpassung des Vertrags Vorrang vor der Kündigung aus wichtigem Grund hat; insoweit geht die Regelung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 RE der Regelung der Kündigung aus wichtigem Grund in § 314 RE vor.

Schließlich können § 314 und § 323 RE konkurrieren. Insoweit verdrängt § 314 RE in seinem Anwendungsbereich den § 323 RE.

Zu Absatz 1

Zu Satz 1

Absatz 1 Satz 1 sieht vor, dass jeder Vertragsteil ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen kann. Das entspricht § 626 Abs. 1, 1. Halbsatz. Auf eine Definition des Begriffs „Dauerschuldverhältnis“ wird verzichtet, weil dies zwangsläufig zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen und möglicherweise künftige Entwicklungen beeinträchtigen würde. Der Begriff kann - wie bisher im AGB-Gesetz - auch ohne eine solche Definition verwendet werden, weil über seinen Inhalt in Rechtsprechung und Rechtslehre seit langem hinreichende Einigkeit besteht. Unterschiedliche Meinungen gibt es im wesentlichen nur zur Behandlung der Ratenlieferungsverträge und zum Darlehensvertrag. Auch die genaue Einordnung und Abgrenzung von Langzeitverträgen ist noch offen. Die Entscheidung hierüber, vor allem zu Verträgen über aufeinanderfolgende gleichartige Leistungen, sowie zu anderen Abgrenzungsfragen soll jedoch weiterhin der Rechtsprechung überlassen bleiben. Das gilt auch für die neuerdings erörterte Frage, ob der Bürge oder Schuldmitübernehmer, der nach der getroffenen Abrede auch für künftig entstehende Verbindlichkeiten einzustehen hat, ein weiteres Anwachsen seiner Schuld durch eine Kündigung aus wichtigem Grund verhindern kann (vgl. Palandt/Heinrichs, Einführung vor § 241 Rdn. 20).

Zu Satz 2

Nur allgemein formuliert ist auch - wie in § 626 Abs. 1 - der für eine Kündigung erforderliche wichtige Grund. Regelmäßig wird es sich hier um die Verletzung von Pflichten aus dem Vertrag handeln, einschließlich der Verletzung von Schutzpflichten, jedoch kann der Kündigungsgrund auch in anderen Umständen liegen. Ein Verschulden des anderen Teils ist wie bisher weder erforderlich noch ausreichend. Ebenso soll es dabei verbleiben, dass Störungen aus dem eigenen Risikobereich grundsätzlich kein Kündigungsrecht begründen. Entscheidend für die Kündigungsberechtigung ist letztlich, ob dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine sofortige Beendigung des Vertrags zugebilligt werden muss. Dabei wird in Übereinstimmung mit § 626 Abs. 1 darauf abgestellt, dass eine Abwägung der Interessen beider Vertragsteile notwendig ist, die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags für den Kündigenden also für sich allein nicht genügt.

Das ermöglicht es auch, den Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps in ausreichendem Umfang Rechnung zu tragen. So werden z. B. im Bereich des Versicherungsvertragsrechts für verschiedene Vertragstypen unterschiedliche Anforderungen an das Gewicht des „wichtigen Grundes“ gestellt. Vor allem im Bereich der substitutiven Krankenversicherung, für die § 178i Abs. 1 VVG die ordentliche Kündigung durch den Versicherer ausschließt, sind strenge Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung zu stelllen. Insoweit soll eine Änderung der derzeitigen Rechtslage nicht eintreten.

Zu Absatz 2

Ebenso wie der Rücktritt nach § 323 RE soll die Kündigung aus wichtigem Grund bei Verletzung von Pflichten aus einem Vertrag und damit auch bei Schutzpflichtverletzungen grundsätzlich erst nach Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach Abmahnung zulässig sein. Auch für die Voraussetzungen, unter denen es einer Fristbestimmung oder Abmahnung nicht bedarf, wird durch die Bezugnahme auf § 323 Abs. 2 RE die gleiche Regelung wie beim Rücktritt getroffen. Damit wird insoweit ebenfalls die bisherige Rechtsprechung in das Gesetz übernommen.

Zu Absatz 3

Absatz 3 sieht vor, dass die Kündigung innerhalb einer angemessenen Zeit seit Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat und folgt damit ebenfalls der bisherigen Rechtsprechung. Maßgebend sind zwei Erwägungen: Zum einen soll der andere Teil in angemessener Zeit Klarheit darüber erhalten, ob von der Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird, und zum anderen kann nach längerem Abwarten nicht mehr angenommen werden, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wirklich unzumutbar ist. Abgelehnt ist damit eine Regelung, die in Anlehnung an § 626 Abs. 2 sowie §§ 6, 24 und 70 VVG und weitere Spezialvorschriften eine bestimmte Kündigungsfrist vorsieht; Dauerschuldverhältnisse sind zu vielgestaltig, als dass für alle Arten die gleiche Frist vorgeschrieben werden könnte. Soweit ein Bedürfnis für bestimmte Fristen besteht, soll dies weiterhin Spezialregelungen für einzelne Dauerschuldverhältnisse vorbehalten bleiben.

Zu Absatz 4

Absatz 4 stellt – ähnlich wie § 325 RE für den Rücktritt – klar, dass die Kündigung die nach – anderen Vorschriften (insbesondere nach den §§ 280, 281 RE) bestehenden Möglichkeiten, Schadensersatz (statt der Leistung) zu verlangen, unberührt lässt.