Zu Nummer 14 – Neufassung des § 321 – Unsicherheitseinrede

Vorbemerkung

Beim gegenseitigem Vertrag sind nach dem Grundsatz des § 320 die im Austauschverhältnis stehenden Leistungen gleichzeitig zu erbringen. Ist aber ein Vertragsteil zur Vorleistung verpflichtet, so erbringt er seine Leistung im Vertrauen auf ein Fortbestehen der Leistungsfähigkeit des anderen Teils. Wird dieses Vertrauen enttäuscht, so stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Rechtsfolge der vorleistungspflichtige Teil die Möglichkeit haben soll, sich dem Risiko des Ausbleibens der Gegenleistung zu entziehen.

Der derzeitige § 321 gibt dem aus einem gegenseitigen Vertrag vorleistungspflichtigen Vertragsteil eine aufschiebende Einrede, wenn die Vermögensverhältnisse des anderen Teils sich nach Vertragsschluss wesentlich verschlechtert haben und dadurch der Anspruch des Vorleistungspflichtigen auf die Gegenleistung gefährdet wird (Unsicherheitseinrede). Der Vorleistungspflichtige kann die ihm obliegende Leistung verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie geleistet wird. An dem geltenden § 321 wird insbesondere in zweierlei Hinsicht Kritik geübt:

Zum einen wird an den Tatbestandsvoraussetzungen bemängelt, dass die Vorschrift den Vorleistungspflichtigen nur schützt, wenn die Vermögensverschlechterung des anderen Teils nach Vertragsschluss eintritt. Ein Schutzbedürfnis des Vorleistungspflichtigen wird auch für den Fall gesehen, dass die Gegenleistung bereits bei Vertragsschluss gefährdet war, ohne dass dies der Vorleistungspflichtige wusste. Teilweise wird eine analoge Anwendung der Vorschrift bejaht, teilweise wird sie abgelehnt (zum Meinungsstand vgl. MünchKomm/Emmerich § 321 Rdn. 5).

Zum anderen lässt § 321 auf der Rechtsfolgenseite die Frage offen, was der Vorleistungspflichtige tun kann, wenn der andere Teil auf die Einrede weder die Gegenleistung erbringt noch Sicherheit für sie leistet. Es muss verhindert werden, dass der Vertrag in einen Schwebezustand gerät. Dies ist insbesondere bei den sog. beständigen Vorleistungspflichten problematisch, bei denen die Fälligkeit der Gegenleistung von der Erbringung der Vorleistung abhängig ist. Hier besteht die Gefahr, dass die Abwicklung des Vertrags auf Dauer in die Schwebe gerät. Der BGH begründet ein Rücktrittsrecht des Vorleistungspflichtigen nach § 242 (BGHZ 11, 80, 88).

Regelungen der Unsicherheitseinrede finden sich in den einheitlichen Kaufrechten und auch in vielen ausländischen Rechtsvorschriften:

Nach Artikel 71 Abs. 2 UN-Kaufrecht kann eine Vertragspartei die Erfüllung ihrer Pflichten dann aufschieben, wenn sich nach Vertragsschluss herausstellt, dass die andere Vertragspartei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird. Das ist auch dann der Fall, wenn eine schlechte Vermögenslage der anderen Vertragspartei zwar bereits bei Vertragsschluss vorhanden war, sich aber erst nachträglich herausgestellt hat. Im Übrigen ist in Artikel 71 Abs. 2 und 3 UN-Kaufrecht das Recht des Käufers geregelt, die Aushändigung abgesandter Waren an den Käufer zu verhindern (Stoppungsrecht).

Besondere Aufmerksamkeit verdient Artikel 83 Abs. 2 des schweizerischen OR, der dem durch die Unsicherheit betroffenen Vertragspartner ein Rücktrittsrecht gibt, wenn „er innerhalb einer angemessenen Frist auf sein Begehren nicht sichergestellt wird“.

Die Neufassung des § 321 enthält verschiedene Änderungen gegenüber dem geltenden Recht. Insbesondere ist den beiden Hauptkritikpunkten an der geltenden Fassung Rechnung getragen. Auch ein Irrtum über die schlechte Vermögenslage des Vorleistungsberechtigten bei Vertragsschluss kann zur Anwendung der Vorschrift führen. Ein ungewisser Schwebezustand bei der Vertragsabwicklung wird dadurch verhindert, dass dem Vorleistungspflichtigen nach § 321 Abs. 2 ein Rücktrittsrecht zusteht.

Zu Absatz 1

Zu Satz 1

Die Neufassung lehnt sich an den bisherigen § 321 an, bezieht aber den Fall mit ein, dass der Vorleistungspflichtige sich über eine bereits bei Vertragsschluss vorhandene schlechte Vermögenslage des Vorleistungsberechtigten geirrt hat. Wenn die h. M. eine analoge Anwendung des geltenden § 321 auf diesen Fall ablehnt, so beruft sie sich hierfür auf den Wortlaut der Vorschrift. Dass der Vorleistungspflichtige auch in diesem Fall des Schutzes bedarf, wird grundsätzlich nicht bestritten; er wird auf die Möglichkeit der Anfechtung verwiesen. Es muss aber verhindert werden, dass § 321 dem Vorleistungspflichtigen die Möglichkeit gibt, Vorleistungsverpflichtungen, die er ungeprüft eingegangen ist, nachträglich über die in § 119 gegebenen Möglichkeiten hinaus zu beseitigen. Satz 1 verlangt daher, dass die Gefährdung der Gegenleistung erst nach Vertragsschluss erkennbar wird. Neben der erst nachträglich eingetretenen Gefährdung sind dann nur solche anfänglichen Risiken erfasst, die der Vorleistungspflichtige bei einer gebotenen Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten nicht erkennen konnte.

Im Gegensatz zu dem derzeitigen § 321 braucht nach der Neufassung des § 321 Abs. 1 die Gefährdung der Gegenleistung nicht auf schlechten Vermögensverhältnissen zu beruhen. Auch sonstige drohende Leistungshindernisse (z. B. auf Grund von Export- oder Importverboten, Kriegsereignissen, Zusammenbrüchen von Zulieferern, krankheitsbedingten Ausfällen zur Leistung notwendiger Mitarbeiter oder des Schuldners selbst) können für den Vorleistungspflichtigen ein Risiko bedeuten, das ein Eingreifen des § 321 rechtfertigt. Bliebe in diesen Fällen dem Vorleistungspflichtigen der Weg über § 321 versperrt, könnte er nur über einen Rücktritt wegen drohenden Vertragsbruchs die Gefährdung der Gegenleistung zu vermeiden versuchen.

Voraussetzung für ein Eingreifen des Satzes 1 soll wie bisher sein, dass der Anspruch auf die Gegenleistung gefährdet wird. Das kann auch in den Fällen angenommen werden, in denen zwar nicht das Ausbleiben der Gegenleistung droht, wohl aber eine zu erwartende vertragswidrige Beschaffenheit von einigem Gewicht. Nach Satz 1 muss wie im geltenden Recht die Gefährdung der Gegenleistung tatsächlich gegeben sein. Es reicht nicht aus, dass der Vorleistungsberechtigte in zurechenbarer Weise den Anschein einer Gefährdung der Gegenleistung gesetzt hat (so aber zu Artikel 73 EKG: OLG Hamm, NJW 1984, 1307 f.). Vielfach wird allerdings in den wichtigsten Fällen der Leistungsgefährdung, d. h. der Kreditunwürdigkeit, der Anschein das Ereignis bewirken: Wer den Anschein der Kreditunwürdigkeit setzt, wird oft tatsächlich kreditunwürdig werden. Im Übrigen kommt es für den Nachweis der Gefährdung der Gegenleistung nach der Rechtsprechung weniger auf die - schwer beurteilbare - Gesamtlage beim Vorleistungsberechtigten an, als vielmehr auf bestimmte signifikante Vorkommnisse, so z. B. Zwangsvollstreckungsmaßnahrnen (BGH, WM 1958, 1545, 1546), Austeilung ungedeckter Schecks (BGH, WM 1961, 1372), Ablehnung eines in Aussicht gestellten Kredits (BGH, NJW 1964, 99). Es ist dagegen nicht gerechtfertigt, als Folge eines durch bloßen Anschein begründeten Leistungsverweigerungsrechts den Vorleistungsberechtigten vielleicht gerade erst leistungsunfähig werden zu lassen. Das Risiko, eine Leistungsgefährdung zu Unrecht anzunehmen, muss beim Vorleistungspflichtigen bleiben; verweigert er die Vorleistung auf Grund falscher Annahmen, begeht er selbst eine Pflichtverletzung. Ein entschuldbarer Irrtum kann für das Vertretenmüssen im Falle eines Schadensersatzanspruchs von Bedeutung werden.

Das UN-Kaufrecht verlangt für die Unsicherheitseinrede nicht ausdrücklich, dass der Berechtigte vorleistungspflichtig sein muss. Es besteht allerdings kein Anlass, vom Wortlaut des derzeitigen § 321 in diesem Punkt abzugehen. Für Zug um Zug zu erbringende Leistungen bedarf es der Unsicherheitseinrede grundsätzlich nicht. Soweit der Vorleistungspflichtige bei Zug um Zug zu erbringenden Leistungen nicht erst die eigentliche Leistung zurückhalten, sondern bereits Vorbereitungshandlungen einstellen will, besteht ein Regelungsbedürfnis nicht; bei großzügigem Verständnis können im Einzelfall auch leistungsvorbereitende Handlungen als Vorleistung angesehen werden.

Zu Satz 2

Satz 2 lässt das Leistungsverweigerungsrecht nach Satz 1 entfallen, wenn die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie geleistet wird. Dies entspricht der derzeitigen Regelung in § 321 a. E.

Es kann daran gedacht werden, ob die Unsicherheitseinrede auch dann eingeschränkt werden oder entfallen soll, wenn die Leistungsgefährdung beim Vorleistungsberechtigten vom Vorleistungspflichtigen zu vertreten ist. Eine solche Einschränkung, wie sie für das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 5 RE vorgesehen ist, erscheint angesichts der nur aufschiebenden, aber nicht auflösenden Wirkung der Unsicherheitseinrede als zu weitgehend. In extremen Fällen kann die Berufung auf die Unsicherheitseinrede rechtsmissbräuchlich sein.

Den Vorschlag von Huber, die Unsicherheitseinrede auch dann entfallen zu lassen, wenn der Vorleistungsberechtigte die Gegenleistung Zug um Zug gegen die Vorleistung anbietet, übernimmt der Entwurf nicht. Ein solches Angebot allein darf die Unsicherheitseinrede nicht ausschließen. Vielmehr hat die erhobene Unsicherheitseinrede zur Folge, dass der Vorleistungsberechtigte die ihm geschuldete Leistung Zug um Zug gegen die Gegenleistung oder Sicherheitsleistung verlangen kann. Die Vorleistungspflicht entfällt. Nach der unveränderten Regelung der §§ 320 Abs. 1 Satz 1, 322 Abs. 1 ist die Vorleistung nur Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung zu erbringen (so schon RG 51, 170, 172). Daneben besteht für den Vorleistungsberechtigten die Möglichkeit, die Unsicherheitseinrede durch Sicherheitsleistung zu entkräften.

Zu Absatz 2

Zur Verhinderung eines Schwebezustandes nach Erheben der Unsicherheitseinrede sieht Absatz 2 ein Rücktrittsrecht des Vorleistungspflichtigen vor. Es folgt dem Nachfristmodell: Der Rücktritt setzt voraus, dass der Vorleistungspflichtige dem Vorleistungsberechtigten zur Bewirkung der Gegenleistung oder zur Leistung der Sicherheit Zug um Zug gegen die Vorleistung eine angemessene Frist gesetzt hat. Hierdurch wird die Rechtsprechung des BGH im Gesetz festgeschrieben, nach der ein solches Rücktrittsrecht sich aus § 242 ergibt. Vorbild ist im Übrigen die entsprechende Regelung in Artikel 83 Abs. 2 des schweizerischen OR.

Der Entwurf sieht nicht vor, neben der Unsicherheitseinrede dem Vorleistungspflichtigen im Unsicherheitsfall als weitere Rechtsfolge einen Anspruch auf die Gegenleistung oder auf Sicherheitsleistung Zug um Zug gegen die von ihm zu bewirkende Leistung zu geben. Eine solche Regelung würde zwar das Problem des Schwebezustandes bei der Vertragsabwicklung vermeiden: Der Vorleistungspflichtige könnte auf Erfüllung klagen oder nach § 323 RE vom Vertrag zurücktreten. Sie ließe aber die Interessen des Vorleistungsberechtigten unberücksichtigt. Möglicherweise hat der Vorleistungsberechtigte so kalkuliert, dass er die Mittel für die Gegenleistung erst aus der Verwendung der Vorleistung erlangen will: Der vorleistungsberechtigte Käufer oder Werkbesteller will sich den Kaufpreis oder den Werklohn durch Benutzung der Kaufsache oder des Werkes verdienen; der vorleistungsberechtigte Verkäufer oder Werkunternehmer will den Kaufpreis oder Werklohn zur Beschaffung der Kaufsache oder zur Herstellung des Werkes verwenden. Es sollte dem Vorleistungsberechtigten selbst überlassen bleiben, ob er sein Recht zur Vorleistung aufgeben will, um die Durchführung des Vertrags zu retten. Die Interessen des Vorleistungspflichtigen sind durch die Unsicherheitseinrede und ein Rücktrittsrecht gewahrt.