Zu § 323 - Rücktritt wegen nicht oder vertragsgemäß erbrachter Leistung

Zu Absatz 1

§ 323 RE regelt den Rücktritt nur wegen bestimmter Verletzungen von Pflichten aus einem gegenseitigen Vertrag. Es muss sich also um Verträge handeln, bei denen die wechselseitigen Leistungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Für Bürgschaften, Aufträge und andere Verträge, bei denen ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis nicht besteht, gilt § 323 nicht. Hier greifen nur die §§ 275 ff. ein. Nicht erforderlich ist, dass die verletzte Pflicht im Synallagma steht. Damit geht § 323 RE wie § 323 KE über die geltenden §§ 325, 326 hinaus, doch hat die Rechtsprechung durch großzügige Auslegung des derzeitigen § 326 (vgl. BGH, NJW 1988, 1778 ff., s. aber auch BGH, NJW 1990, 2376) und die Zulassung eines Rücktritts wegen positiver Forderungsverletzung die Rücktrittsmöglichkeiten bereits erheblich erweitert und stellt nicht mehr entscheidend auf den synallagmatischen Charakter der verletzten Pflicht ab.

Anders als § 323 KE erfasst § 323 RE nicht jede Pflichtverletzung aus einem gegenseitigen Vertrag. Vielmehr wird hier nur der Rücktritt wegen Verzögerung der Leistung und wegen Schlechtleistung erfasst. Das entspricht hinsichtlich der verletzten Pflicht den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 Satz 1 RE für den Schadensersatz statt der Leistung.

Absatz 1 erfasst zunächst den Fall, dass die Leistung nicht erbracht worden ist. Nichterbringung der Leistung ist hier in gleichem Sinne zu verstehen wie in der parallelen Schadensersatznorm des § 281 Abs. 1 Satz 1 RE. Erfasst ist hier nur die Verzögerung der Leistung. Rein sprachlich könnte der Begriff Nichterbringung der Leistung auch das auf einem der Fälle des § 275 Abs. 1 oder 2 beruhende dauernde Ausbleiben der Leistung erfassen. Dies wird hier aber nicht angesprochen. Das folgt daraus, dass § 326 RE diesen Fall speziell und in einigen Punkten abweichend regelt. § 323 Abs. 1 RE setzt deshalb die Nachholbarkeit der Leistung voraus, weil er eine Fristsetzung verlangt, die bei einer nicht nachholbaren Leistung sinnlos wäre.

§ 323 Abs. 1 RE verzichtet darauf, den Verzug des Schuldners als Voraussetzung für das Rücktrittsrecht des Gläubigers ausdrücklich zu nennen. Es kommt deshalb nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 286 RE vorliegen. Die Leistung muss lediglich fällig und zum vertraglich versprochenen Zeitpunkt nicht erbracht worden sein. Hierzu gelten dieselben Erwägungen, die bereits in der Begründung zu § 281 Abs. 1 Satz 1 RE ausgeführt wurden. Auf die weiteren Merkmale des Verzugs kann verzichtet werden, weil der Rücktritt erst möglich wird, wenn dem Schuldner eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt und diese erfolglos verstrichen ist.

Es ist erwogen worden, in § 323 Abs. 1 RE ähnlich wie im geltenden § 326 die förmlichen Voraussetzungen des Verzugs zu verlangen. Es würde sich dann aber die Frage stellen, wie sich die regelmäßige Voraussetzung des Verzugs, nämlich die Mahnung (§ 286 Abs. 1 RE) und die nach § 323 Abs. 1 erforderliche Fristsetzung zueinander verhalten. Ähnlich wie im bisherigen § 326 müsste die Mahnung mit der Fristsetzung verbunden werden können. Anderenfalls wäre der Gläubiger gehalten, dem vertragsbrüchigen Schuldner zwei Mal Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben, zunächst durch Mahnung und nachfolgend bei deren Erfolglosigkeit nochmals im Rahmen einer Fristsetzung. Hierfür gibt es keinen sachlichen Grund. Können aber Mahnung und Fristsetzung ohnehin miteinander verbunden werden, dann kann auf das Erfordernis der Mahnung für den Rücktritt verzichtet werden. Eine eigenständige Bedeutung der Mahnung wäre nämlich nicht erkennbar. Vielmehr ist ohnehin - wie in der Begründung zu § 281 Abs. 1 Satz 1 RE bereits ausgeführt - eine Fristsetzung, die einerseits so deutlich ist, dass der Schuldner sich nicht auf die Ausnahmen in § 281 Abs. 1 Satz 2 RE oder in § 323 Abs. 1 a. E. RE berufen kann, andererseits aber keine, auch nicht eine „befristete"; Mahnung darstellt, kaum vorstellbar. Es kommt hinzu, dass auf das Verschulden des Schuldners, das nach § 286 Abs. 4 RE wie bisher Voraussetzung für den Eintritt ist, im Rahmen des § 323 Abs. 1 RE ohnehin nicht abgestellt werden könnte, weil der Rücktritt unabhängig davon möglich sein soll, ob der Schuldner das Ausbleiben der ihm obliegenden Leistung zu vertreten hat. Die sachliche Rechtfertigung für die Rücktrittsmöglichkeit des Gläubigers gemäß § 323 Abs. 1 RE liegt darin, dass der Schuldner die von ihm geschuldete Leistung nicht oder jedenfalls nicht so wie geschuldet erbringt, welchen Grund auch immer dies haben mag. Das rechtfertigt es, allein darauf abzustellen, dass eine dem Schuldner gesetzte angemessene Frist ergebnislos abgelaufen ist.

§ 323 Abs. 1 RE regelt den Rücktritt nicht nur im Fall der Leistungsverzögerung, sondern auch im Fall der Schlechterfüllung. Die Schlechterfüllung bringt die Vorschrift - wie schon § 281 Abs. 1 Satz 1 RE - mit den Worten „nicht vertragsgemäß erbracht" zum Ausdruck. Aus welchen Gründen die Leistung nicht vertragsgemäß ist, ist für die Anwendung von § 323 Abs. 1 RE ebenso wie bei § 323 Abs. 1 KE unerheblich. Die Schlechtleistung kann auf der Verletzung einer Haupt-, sie kann aber auch auf der Verletzung einer Nebenleistungspflicht beruhen. Beides wird gleich behandelt. Maßgeblich ist allein der erfolglose Ablauf einer vom Gläubiger dem Schuldner gesetzten angemessenen Nachfrist.

Dem Wortlaut nach würde § 323 Abs. 1 RE auch den Fall erfassen, dass schlecht geleistet, die Nacherfüllung aber von Anfang an unmöglich ist oder im weiteren Verlauf der Vertragsabwicklung unmöglich wird. Das entspricht aber nicht der Struktur der §§ 323 ff. RE. § 323 setzt, wie sich aus dem Erfordernis der Fristsetzung ergibt, voraus, dass die Leistung nachholbar ist. Eine Fristsetzung ist aber sinnlos, wenn die Nacherfüllung vom Schuldner aus einem der in § 275 RE genannten Gründe nicht erbracht werden kann. Dasselbe gilt, wenn sich während des Laufs einer zunächst gesetzten Nachfrist die Unmöglichkeit herausstellt. Dann kann es für das Rücktrittsrecht des Gläubigers nicht darauf ankommen, dass er aus „formalen"; Gründen den Ablauf der gesetzten Frist abwartet. Die Fälle der Unmöglichkeit sind nach der Struktur der §§ 323 ff. RE in § 326 RE erfasst. Aus diesem Grund ist der Fall, dass die Nacherfüllung von Anfang an unmöglich ist oder später unmöglich wird, in § 326 Abs. 1 Satz 3 RE speziell geregelt. Diese Regelung geht als spezieller der allgemeinen Regelung des § 323 Abs. 1 RE vor, verweist allerdings auf die Rücktrittsmöglichkeit aus § 323 RE, der aber nur entsprechend anwendbar ist. § 326 Abs. 1 Satz 3 RE dient deshalb in erster Linie der Klarstellung, dass auch bei Schlechtleistung im Falle der Unmöglichkeit der Nacherfüllung der Rücktritt möglich ist, sich dies im einzelnen nach § 323 RE richtet und eine in diesem Fall sinnlose Fristsetzung nicht erforderlich ist.

Nach § 323 Abs. 1 RE setzt der Rücktritt voraus, dass der Gläubiger dem Schuldner eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese Frist erfolglos verstrichen ist. Die Vorschrift unterscheidet sich deshalb in einem wesentlichen Punkt von dem geltenden § 326. Danach ist neben der Fristsetzung auch eine Ablehnungsandrohung erforderlich. Auf diese zusätzliche Ablehnungsandrohung soll ebenso wie im Zusammenhang mit dem Schadensersatz aus § 281 Abs. 1 Satz 1 RE verzichtet werden. Die Motive sind dieselben, weshalb zunächst auf die zu § 281 Abs. 1 RE erfolgte Begründung Bezug genommen werden kann. Die Ablehnungsandrohung hat sich immer wieder als unberechtigtes Hindernis für den vertragstreuen Gläubiger erwiesen, wie bereits zu § 281 Abs. 1 RE näher ausgeführt.

Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob das Absehen von einer Ablehnungsandrohung und das bloße Bestehen auf einer Fristsetzung die Schwelle für den Rücktritt nicht zu sehr absenkt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Rücktritt anders als früher nicht mehr davon abhängt, dass der Schuldner den Rücktrittsgrund zu vertreten hat. Im Ergebnis ist diese Frage aber zu verneinen. Der Schuldner hat nämlich in der Situation des § 323 Abs. 1 RE eine fällige Leistung zum versprochenen Zeitpunkt nicht erbracht. Wenn er in dieser Lage von dem Gläubiger unter Setzung einer angemessenen Frist zur Leistung aufgefordert wird, muss er damit rechnen, dass diese Aufforderung auch Folgen hat. Es verhält sich hier ganz ähnlich wie mit der Mahnung, die jeder Schuldner auch ohne besonderen Zusatz ernst zu nehmen hat.

Das Verhalten des Gläubigers kann allerdings durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer Fristsetzung aufkommen lassen. Das ist aber nicht die Regel, sondern seltene Ausnahme. Es kann deshalb nicht richtig sei, dass der Gläubiger - wie beispielsweise im Kommissionsentwurf vorgesehen - immer die Ernsthaftigkeit der von ihm ausgesprochenen Fristsetzung darlegen und ggf. auch beweisen muss. Es ist vielmehr Sache des Schuldners, darzulegen und zu beweisen, dass die Fristsetzung seines Gläubigers ausnahmsweise keine Veranlassung gab, mit dem Rücktritt oder dem Schadensersatz zu rechnen. Absatz 1 folgt deshalb dem Regelungsmuster des § 281 Abs. 1 Satz 2 RE und sieht diesbezüglich nur einen als Ausnahme formulierten Zusatz vor („es sei denn";). Der Gläubiger muss lediglich eine Frist setzen. Er braucht keine besondere Ablehnungsandrohung oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Ernsthaftigkeit dieser Fristsetzung zu unterstreichen. Er muss insbesondere auch nicht androhen oder sonst erkennen lassen, ob er Schadensersatz, Rücktritt oder beides in Anspruch zu nehmen gedenkt. Der Schuldner hat lediglich die Möglichkeit darzulegen, dass die konkret ausgesprochene Fristsetzung ihm keine Veranlassung gab, mit dem Rücktritt zu rechnen.

Diese Gestaltung fügt sich auch in die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ein. Diese gibt dem Käufer das Recht, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachbessert bzw. Ersatz liefert. Das erlaubt es zwar, von dem Käufer die Setzung einer Frist zu verlangen. Diese Fristsetzung darf und soll nach dem Entwurf aber nicht zu einer Hürde werden, an der er aus formalen Gründen scheitert. Hieran wird sich die Auslegung und Anwendung der Vorschrift ausrichten müssen.

Nach dem bisherigen § 326 kann der Gläubiger nach erfolgter Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung bei Ausbleiben der Leistung nur noch Sekundäransprüche geltend machen, aber nicht mehr Erfüllung verlangen, § 326 Abs. 1 Satz 2 a. E.. Diese Regelung ist für den Gläubiger ungerecht. Er muss sich in der Sache bereits mit der Fristsetzung für die Sekundäransprüche und gegen den Leistungsanspruch entscheiden, ohne die dafür erforderliche Entscheidungsgrundlage zu haben. Er weiß nicht, wie es nach Ablauf der Frist um die Leistungsfähigkeit des Schuldners bestellt ist. Er kann nicht beurteilen, ob es nach Ablauf der Frist sinnvoll ist, den Schuldner auf Schadensersatz oder auf Erfüllung in Anspruch zu nehmen oder ob es geraten wäre, in diesem Fall vom Vertrag zurückzutreten. Deshalb sieht § 323 Abs. 1 RE hier eine Änderung vor. Der Gläubiger kann auch nach ergebnislosem Ablauf der Frist weiterhin Erfüllung verlangen. Erst mit der gestaltenden Wirkung der Rücktritts- 429 erklärung, die das Schuldverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt, erlischt der Anspruch auf die Leistung. Damit besteht auch insoweit - wie bereits zu § 281 Abs. 3 RE erörtert - eine Parallele zwischen dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und dem Rücktritt.

Das bedeutet für den Schuldner eine gewisse Unsicherheit. Bis sich der Gläubiger entschieden hat, muss er sich sowohl auf Erfüllung als auch auf Sekundäransprüche einstellen. Um diese Unsicherheit etwas zu mildern, hatte die Schuldrechtskommission in § 323 Abs. 5 KE vorgeschlagen, dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, den Gläubiger eine Frist zur Ausübung seiner Wahl zu setzen. Diese Frist würde allerdings nach den Vorstellungen der Schuldrechtskommission nicht zu einer Beschränkung der Wahlmöglichkeiten des Gläubigers, sondern lediglich dazu führen, dass der Gläubiger, der sein Wahlrecht nicht ausgeübt hat, nur zurücktreten kann, wenn er dem Schuldner eine erneute Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Der Entwurf übernimmt dieses Modell wie auch schon den § 283 Abs. 4 KE zum Schadensersatz statt der Leistung nicht. Es führt letztlich nicht zu einer Entscheidung. Im Übrigen ist die Unsicherheit dem Schuldner auch zuzumuten. Er ist immerhin vertragsbrüchig und hat in der Rücktrittssituation auch regelmäßig eine Frist zur Nacherfüllung ergebnislos verstreichen lassen. Er muss es deshalb hinnehmen, dass der Gläubiger innerhalb eines gewissen Zeitraums zwischen den verschiedenen Rechtsbehelfen wählen kann. Ähnlich wie beim Schadensersatz ist diese Unsicherheit aber begrenzt. Ist der Gläubiger zurückgetreten, dann ist er - wie ausgeführt - an diese Wahl gebunden. Schließlich kann der Schuldner die Unsicherheit jederzeit dadurch beenden, dass er die geschuldete Leistung erbringt.

Zu Absatz 2

Die Fristsetzung ist sachlich gerechtfertigt und deshalb von § 323 Abs. 1 RE vorgesehen, wenn die Nacherfüllung möglich und der Schuldner grundsätzlich nacherfüllungsbereit ist. Es gibt allerdings Sondersituationen, in denen eine Fristsetzung trotz Nachholbarkeit der Leistung keinen Sinn macht. Diese Fälle werden in § 323 Abs. 2 RE aufgeführt. Sie decken sich im wesentlichen mit den Fällen, in denen nach § 281 Abs. 2 RE eine Fristsetzung auch beim Schadensersatz entbehrlich ist. Eine Abweichung liegt allein in § 323 Abs. 2 Nr. 2 RE, der beim Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 281 RE keine Entsprechung hat.

Nach Nummer 1 ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat. Die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung ist auch in der Auslegung des bisherigen § 326 als Tatbestand anerkannt, in denen eine Fristsetzung 430 entbehrlich ist. Für die Qualifikation eines Verhaltens als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung kann weiterhin auf die zu § 326 bzw. zur positiven Forderungsverletzung im Zusammenhang mit § 326 entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Die Einordnung der Erfüllungsverweigerung als positive Forderungsverletzung oder als Fall des geltenden § 326 wird künftig entbehrlich. Entsprechende Fälle sind auch bislang schon bei der Entbehrlichkeit der Mahnung anerkannt. Der Nummer 1 entspricht deshalb auch § 286 Abs. 2 Nr. 3 RE.

Nummer 2 regelt den Fall des einfachen Fixgeschäftes. Abweichend von dem bisherigen § 361, aber entsprechend § 376 HGB, wird jedoch nicht nur eine Auslegungsregel - „im Zweifel" - formuliert, sondern ein gesetzliches Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung durch Terminüberschreitung. Die Abweichung von der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs dürfte freilich gering sein, da auch das sofortige Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 2 Nr. 2 RE abdingbar ist, jedenfalls in Individualvereinbarungen. Die von der Rechtsprechung zur Bewertung einer Terminangabe als „fix"; im Sinne des bisherigen § 361 verwendete Formel, dass der Vertrag auf Grund der Terminvereinbarung mit der Einhaltung des Leistungstermins „stehen oder fallen"; sollte (RGZ 51, 347 ff.), wird im Entwurf mit der Formulierung festgeschrieben, dass „der andere Teil im Vertrag den Fortbestand seines Erfüllungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Erfüllung gebunden hat". Nach der Rechtsprechung zu den geltenden §§ 361 BGB, 376 HGB muss sich diese Bindung des Erfüllungsinteresses an die Einhaltung eines bestimmten Termins aus dem Vertrag oder aus den objektiven Umständen ergeben (vgl. RGZ aaO „Eine ausdrückliche dahin gehende Vereinbarung ... (oder) aus den Umständen ein Wille in diesem Sinne ..."; vgl. auch BGH, NJW-RR 1989, 1373; BGH, NJW 1990, 2065, 2067). Bei dieser Vorschrift wird davon ausgegangen, dass durch die Bindung des Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung „im Vertrag" auch hinreichend deutlich ist, dass die entscheidenden Umstände für den Schuldner bekannt sein müssen.

Nummer 3 ist als Auffangtatbestand für die in Nr. 1 und 2 nicht erfassten Fälle konzipiert und soll den Gerichten entsprechende Bewertungsspielräume geben. Er deckt auch die bisher in § 326 Abs. 2 geregelten Fälle, soweit nicht das besondere Interesse durch Bestimmung eines Liefertermins oder einer Lieferfrist bereits im Vertrag so herausgehoben worden ist, dass von einem Fixgeschäft ausgegangen werden kann. Allerdings dürfte in den Fällen der bisherigen § 326 Abs. 2 und § 634 Abs. 2 das Interesse des verletzten Gläubigers im Vordergrund stehen. Wird der verspätet gelieferte Dünger für die Feldbestellung unverwendbar (vgl. RG, JW 1920, 47), Saisonware unverkäuflich (BGH LM § 326 (Ed) Nr. 3), ein Exportgeschäft undurchführbar, weil der ausländische Käufer wegen des Lieferverzugs keine Importlizenz mehr bekommen kann (BGH, WM 1957, 1342, 1343 f.), dann wird der Interessewegfall wohl ohne Rücksicht auf die Interessen des säumigen Teils festzustellen sein.

Gewöhnlich werden die Umstände, die eine Fristsetzung nach Abs. 2 entbehrlich machen, gegeben sein, bevor der Gläubiger eine Frist setzt. Es ist allerdings auch möglich, dass der Gläubiger zunächst eine Frist setzt, dann aber beispielsweise der Schuldner die Leistung endgültig und ernsthaft verweigert. Es ist erwogen worden, dies ausdrücklich in dem Sinne zu regeln, dass der Gläubiger dann ungeachtet der noch laufenden Frist sofort zurücktreten kann. Im Entwurf wird von einer Regelung indes abgesehen, weil diese Rechtsfolge selbstverständlich ist.

Zu Absatz 3

Nach dem Wortlaut des geltenden Rechts hätte der Gläubiger in dem Fall, dass vor Fälligkeit eine unbehebbare Leistungshinderung droht oder der Schuldner unmissverständlich und endgültig Leistungsweigerung ankündigt, an sich keine Möglichkeit zum Rücktritt, da eine zu vertretende Verletzung der fraglichen Leistungspflicht noch nicht vorliegt. Um ein unzumutbares Abwarten des Fälligkeitszeitpunktes in solchen Situationen vermeiden zu können, gestatten Rechtsprechung und Literatur seit langem den Rücktritt auch schon vor Fälligkeit. Die dogmatische Grundlage der Rechtsbehelfe bei diesem sog. vorweggenommenen Vertragsbruch ist streitig; überwiegend wird - vor allem im Fall der ernsthaften Erfüllungsweigerung - darin eine positive Forderungsverletzung gesehen. Das Ergebnis entspricht der Regelung in den einheitlichen Kaufrechten - früher Artikel 76 EKG, jetzt Artikel 72 Abs. 1 UNKaufrecht.

Zu Absatz 4

Zu Satz 1

Absatz 4 Satz 1 regelt den Fall, dass der Schuldner einer teilbaren Leistung nicht mit der ganzen Leistung, sondern lediglich mit einzelnen Teilen säumig geblieben ist. In einem solchen Fall kann der Gläubiger nicht auf die Alternative beschränkt sein, entweder den Vertrag ganz aufzuheben oder den Vertrag ganz durchzuführen. Oft ist es die sinnvollere Lösung, den Vertrag auf die durchführbaren oder durchgeführten Teile zu beschränken. Bei Sukzessivlieferungsverträgen ist eine solche Beschränkung bzw. Beschränkbarkeit des Rücktritts anerkannte Regel. Andererseits kann es auch Fälle geben, in denen dem Gläubiger eine Beschränkung auf die teilweise Durchführung des Vertrags nicht zugemutet werden kann.

Der Regelung dieser Fälle dient § 323 Abs. 4 Satz 1 RE. Dabei stellt sich die Frage, ob die Leistung von einzelnen Teilen einer teilbaren Leistung zu einer Minderung der Gegenleistung führen oder ob die Möglichkeit eines Teilrücktritts eröffnet werden soll. Minderung wegen einer nur teilweisen Leistungsstörung hätte der Regelung des § 323 Abs. 1 Halbsatz 2 des geltenden Rechts, Rücktritt vom ganzen Vertrag oder nur vom gestörten Teil je nach Ausmaß der Interesseverletzung hätte der Regelung der §§ 325 Abs. 1 Satz 2, 326 Abs. 1 Satz 3 des geltenden Rechts sowie der grundsätzlichen Wertung bei der Störung einzelner Raten in Sukzessivlieferungsverträgen entsprochen. Der Entwurf hat sich für den Grundsatz des Teilrücktritts entschieden, wobei durch die Einführung des Wortes „nur" deutlich gemacht wird, dass grundsätzlich bei Teilstörungen auch nur Teilrücktritt möglich sein soll. Wenn der Gläubiger an der möglichen bzw. bereits erbrachten Teilleistung auf Grund der Störung einer oder mehrerer anderer Teilleistungen oder Leistungsteile kein Interesse mehr hat, kann er vom ganzen Vertrag zurücktreten. Das entspricht den bisherigen §§ 325 Abs. 1 Satz 2, 326 Abs. 1 Satz 3.

Zu Satz 2

Während Absatz 4 Satz 1 sich auf die teilweise Nichterfüllung bezieht, damit die Teilbarkeit der Leistung und die Begrenzung der Leistungsstörung auf einen bestimmten Leistungsteil voraussetzt, betrifft Absatz 4 Satz 2 die Schlechtleistung. Hier ergibt sich eine vergleichbare Fragestellung. Auch in diesem Fall ist die Leistung nicht vollständig ausgeblieben. Sie ist aber auch nicht vertragsgemäß. Es stellt sich daher die Frage, welche Rechte dem Gläubiger zustehen sollen, wenn die Leistung schlecht, also zum Beispiel die gekaufte und gelieferte Sache mangelhaft ist und der Verkäufer nicht nacherfüllt. Die Schuldrechtskommission hatte für solche Fälle eine unterschiedliche Behandlung je nach dem vorgeschlagen, ob der Mangel die ganze Leistung erfasst oder nur einzelne Teile hiervon. Im ersteren Fall sollte nach § 323 Abs. 1 Satz 1 KE der Rücktritt vom ganzen Vertrag ohne Weiteres nach erfolgloser Fristsetzung möglich sein. Im zweiten Fall hingegen nach § 323 Abs. 1 Satz 3 KE nur, wenn der Gläubiger an der teilweise mangelhaften Leistung kein Interesse mehr hat. Diesem Modell folgt der Entwurf nicht. Man wird zwar gelegentlich unterscheiden können, ob ein Mangel die ganze Leistung erfasst oder nur einzelne Teile hiervon. In aller Regel wird aber die teilweise von der vollständig schlechten Leistung kaum abgrenzbar sein.

Es besteht in diesen Fällen gewöhnlich auch kein Grund, den Gläubiger am Vertrag teilweise festzuhalten, wenn die Leistung Mängel aufweist. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn die Pflichtverletzung unerheblich und damit das Leistungsinteresse des Gläubigers im Grunde nicht gestört ist. § 323 Abs. 1 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 2 RE schreibt deshalb vor, dass der Gläubiger bei Schlechtleistung des Schuldners nach erfolgloser Fristsetzung grundsätzlich auch vom ganzen Vertrag soll zurücktreten können. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Bei einer unerheblichen Pflichtverletzung kann der Gläubiger dann gar nicht vom Vertrag zurücktreten, also weder vom ganzen Vertrag noch von Teilen desselben.

Gerade in dem praktisch wichtigen Fall des Kaufvertrags kann eine hinreichend klare Abgrenzung zwischen § 323 Abs. 4 Satz 1 und 2 RE allerdings auf Schwierigkeiten stoßen, weil sich gerade hier die Leistungsdefizite ähneln. So macht es für den Käufer kaum einen Unterschied, ob ihm von den gekauften 100 Flaschen Wein nur 90 geliefert werden, oder ob er zwar 100 Flaschen erhält, von denen aber in 10 Flaschen sich statt des erwarteten Weins nur noch eine Art Essig befindet, weil der Korkverschluss undicht war. In beiden Fällen erhält er nur 90 brauchbare Flaschen. Deshalb enthält im Kaufrecht § 434 Abs. 3 RE eine Sonderregelung, die den Begriff des Sachmangels auch auf die Lieferung einer anderen als die gekaufte oder einer zu geringen Menge erstreckt. Das hat auch Auswirkungen auf das Rücktrittsrecht: Wegen der einheitlichen Behandlung derartiger Fälle im Kaufrecht richtet sich die Rücktrittsmöglichkeit des Käufers wegen eines Sachmangels stets nach § 437 Nr. 2 Fall 1 in Verbindung mit § 323 Abs. 4 Satz 2 RE. § 323 Abs. 4 Satz 1 RE ist beim Kaufvertrag deshalb insoweit nicht anwendbar, als ein Sachmangel im Sinne des § 434 RE vorliegt.

Zu Absatz 5

Absatz 5 betrifft die Verantwortung des Gläubigers für die Pflichtverletzung. Im geltenden Recht bleibt der von einer Leistungsstörung des Schuldners betroffene Gläubiger an den Vertrag gebunden - und zur Erbringung seiner eigenen Leistung verpflichtet -, wenn er die Unmöglichkeit der Leistung durch den Schuldner zu vertreten hat, bisheriger § 324 Abs. 1 Satz 1. Der Entwurf verallgemeinert und erweitert diese Lösung, die für den Sonderfall der Unmöglichkeit in § 326 Abs. 2 Satz 1 RE übernommen wird. Die Gläubigerverantwortung sollte auch dann, wenn die Nichtleistung des Schuldners auf anderen Umständen als den in § 275 RE genannten beruht, nicht unberücksichtigt bleiben.

§ 323 Abs. 5 RE nimmt dem Gläubiger das Rücktrittsrecht in den Fällen, in denen er für den Rücktrittsgrund allein oder doch jedenfalls weit überwiegend verantwortlich ist sowie dann, wenn der Gläubiger sich in Annahmeverzug befindet und ihm deshalb das Risiko einer ausbleibenden Leistung zugewiesen werden muss. Bei dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung kann die Mitverantwortung des Gläubigers über eine Kürzung des Anspruchs gemäß § 254 angemessen berücksichtigt werden. Bei dem Gestaltungsrecht „Rücktritt" ist dies nicht ohne Weiteres möglich. Hier gibt es nur die Möglichkeit, das Rücktrittsrecht insgesamt auszuschließen und den Gläubiger so an dem Vertrag und auch an der Verpflichtung zur Erbringung der Gegenleistung festzuhalten. Diese Folge sieht der Entwurf, anders als die Vorschläge der Schuldrechtskommission in § 323 Abs. 3 Nr. 3 KE, allerdings nicht schon bei einer „überwiegenden" Mitverantwortung des Gläubigers als gerechtfertigt an. Vielmehr muss der Gläubiger zumindest „weit" überwiegend für die Entstehung des Rücktrittsgrundes mit verantwortlich sein. Damit soll ein Grad der Mitverantwortung umschrieben werden, der über § 254 auch einen Schadensersatzanspruch ausschließen würde. Damit werden auch insoweit der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und das Rücktrittsrecht gleich behandelt.

Absatz 5 bezieht sodann den Fall mit ein, dass der nicht vom Schuldner zu vertretende, den Gläubiger an sich zum Rücktritt berechtigende Umstand im Annahmeverzug des Gläubigers eingetreten ist. Damit wird der Gedanke des bisherigen § 324 Abs. 2 auch für die Fälle außerhalb der Unmöglichkeit übernommen und mit dem Annahmeverzug dem Gläubiger die Gegenleistungsgefahr auch insoweit auferlegt.