Zu Nummer 21 Zu Artikel 1 Abs. 1 Nr. 6 (§ 275 Abs. 2, § 276 BGB)
Zu Artikel 1 Abs. 1 Nr. 9 (§ 280 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1, 2 BGB)
Zu Artikel 1 Abs. 1 Nr. 13 (§ 311a BGB)
Zu Artikel 1 Abs. 1 Nr. 15 (§ 326 BGB)

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der Entwurf insbesondere in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGBRE den Besonderheiten des Arbeitsrechts bereits weitgehend Rechnung trägt. Es können allerdings Zweifel hinsichtlich der Reichweite des § 275 Abs. 2 Satz 3 BGB-RE aufkommen. Das Vertretenmüssen des Schuldners ist im Regelfall eines der Kriterien, anhand derer das Maß der dem Schuldner nach § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB-RE zuzumutenden Anstrengungen zu beurteilen ist. Das sollte sich aber nicht auf die in erster Linie arbeitsrechtlichen Besonderheiten Rechnung tragende Bestimmung des § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB-RE beziehen, weil etwa auch der Arbeitnehmer, der seine Erkrankung zu vertreten hat, nicht zur Arbeitsleistung gezwungen werden kann. Das Vertretenmüssen spielt in diesem Fall vielmehr eine Rolle für das Schicksal der Gegenleistung (Entgeltfortzahlung). Satz 3 dieser Vorschrift erscheint bei erneuter Prüfung doch geeignet, hieran Zweifel zu wecken. Es erscheint daher vorzugswürdig, diesen Satz ersatzlos zu streichen. Es ergibt sich dann im Rahmen des § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB-RE aus allgemeinen Grundsätzen, dass im Regelfall dem Schuldner, der das Leistungshindernis zu vertreten hat, in größerem Umfang Anstrengungen zugemutet werden können als einem sonstigen Schuldner. Es handelt sich ohnehin nur um ein Beispiel für die maßgeblichen Kriterien. Es spricht aber nach Ansicht der Bundesregierung vieles dafür, den Besonderheiten des Arbeitsrechts in folgender Hinsicht besser Rechnung zu tragen:

§ 326 Abs. 1 BGB-RE übernimmt den allgemeinen Grundsatz des geltenden Rechts, nach dem der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung verliert, wenn ihm die Leistung unmöglich wird. Das bedeutet für das Arbeitsrecht, dass der Arbeitnehmer den Anspruch auf Arbeitsentgelt verliert, wenn ihm nach Begründung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitsleistung ganz oder teilweise unmöglich wird, ohne dass ihn oder den Arbeitgeber daran ein Verschulden trifft (§§ 275 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB – Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“).

Von diesem Grundsatz abweichende Regelungen enthält das geltende Dienstvertragsrecht in den §§ 615, 616 BGB. Darüber hinaus ist die ständige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in Fortführung der Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsarbeitsgerichts davon ausgegangen, dass die vom Gesetzgeber des BGB im Jahre 1900 geschaffenen allgemeinen Vorschriften über die Unmöglichkeit (§§ 275 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB) und die besonderen Vorschriften über den Annahmeverzug des Dienstberechtigten (§ 615 BGB) den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses nicht immer gerecht werden (BAG vom 8. Februar 1957 – 1 AZR 338/55 – AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; vom 22. Dezember 1980 – 1 ABR 2/79 – AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 853/93 – AP Nr. 56 zu § 615 BGB). Die Rechtsprechung hat in dem Zusammenwirken von Unternehmer und Belegschaft eine soziale Arbeits- und Betriebsgemeinschaft gesehen und deshalb von den Regelungen des BGB (§§ 275 Abs. 1, 323 Abs. 1, § 615 BGB) abweichende Grundsätze zur Zahlung des Arbeitsentgelts aufgestellt.

Es sollte deshalb sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts weiterhin zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet ist, wenn er das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Die Rechtsprechung sollte diesen Grundsatz wie bisher konkretisieren und den Besonderheiten der denkbaren Fallgestaltungen Rechnung tragen.

Dazu könnte § 615 BGB ergänzt werden. Nach Artikel 1 Abs. 1 Nr. 36 sollte daher folgende neue Nummer 36a eingefügt werden:

„36a. Dem § 615 wird folgender Satz angefügt:

,Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.‘“

Die Bundesregierung hat im Anschluss an die vom Bundesrat angesprochenen Bedenken, die Löwisch in NZA 2001, 465 ff., erhoben hat, geprüft, ob sich bei der Regelung der Folgen von Pflichtverletzungen im Hinblick auf Arbeitnehmer Änderungen ergeben. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dies im Grundsatz nicht der Fall ist, weil die neuen Vorschriften den von der Rechtsprechung zum geltenden Recht entwickelten Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung künftig eine tragfähige Grundlage geben. Sie stellen sie nicht nur nicht in Frage, sie bestätigen sie vielmehr. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Haftung des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis auf Seiten des Arbeitgebers das Betriebsrisiko zu berücksichtigen. Während dies früher nur bei gefahrengeneigter Tätigkeit galt, ist dies nach einem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 21. September 1994 (NJW 1995, 210, 212) auch bei anderen dienstlichen bzw. betrieblichen Tätigkeiten anzunehmen. In welchem Umfang der Arbeitnehmer haftet, richtet sich danach im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalls ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrengeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikogruppe enthalten ist, gegebenenfalls auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers (BAG – GS –, NJW 1995, 210, 213; BGH, NJW 1996, 1532). Diese Rechtsprechung wird bisher auf § 254 BGB gestützt. Daran ändern die Vorschläge des Entwurfs nichts. Sie bieten der Rechtsprechung vielmehr eine bessere Absicherung dieser Judikatur. Nach § 276 Abs. 1 BGB-RE kann sich nämlich eine mildere Haftung (auch des Arbeitnehmers) aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben. Auch wenn die Rechtsprechung dieses Ergebnis bisher aus § 254 BGB ableitet, begründen die von der Rechtsprechung berücksichtigten Umstände weniger ein Mitverschulden des Arbeitgebers, als vielmehr eine vertragliche Haftungsbeschränkung zugunsten des Arbeitnehmers. Diese wird – anders als früher – jetzt in § 276 Abs. 1 BGB-RE ausdrücklich angesprochen, so dass die Rechtsprechung nicht mehr auf den an sich nicht recht passenden § 254 BGB ausweichen muss. Es bleibt ihr aber unbenommen, bei der bisherigen dogmatischen Begründung der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung zu bleiben.

Des ungeachtet wird die Bundesregierung im weiteren Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens nochmals prüfen, ob die einschlägigen Vorschriften, namentlich § 276 BGB-RE, den vorstehend beschriebenen Regelungswillen des Gesetzgebers hinreichend deutlich und anwendungssicher zum Ausdruck bringen. Dazu gehört auch die Frage, ob die bisherige differenzierte Anwendung der Beweislastregelung des § 282 BGB durch die Rechtsprechung des BAG auch nach der Erstreckung der Vorschrift auf die Schlechterfüllung (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB-RE) fortgeführt werden kann. Das soll sichergestellt werden. Sie wird gegebenenfalls Ergänzungen des Entwurfstextes vorschlagen, um sicherzustellen, dass der arbeitsrechtliche Besitzstand ungeschmälert erhalten bleibt.