Auslegung von Willenserklärungen nach dem Empfängerhorizont (§ 157 BGB) bei Dialektsprache ("Porto - Bordeaux")


AG Stuttgart-Bad Cannstatt v. 16.3.2012 - 12 C 3261/11


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Leitsatz:

Versteht der Empfänger eine undeutlich gesprochene Erklärung falsch, so geht dies grundsätzlich zu Lasten des Erklärenden, der das Risiko dafür trägt, dass der Empfänger seine Worte auch erfassen kann.


Zentrale Probleme:

Der Fall ging durch die Tagespresse (s. etwa hier) und ist ein klassisches Beispiel für einen Inhaltsirrtum, der nach § 119 I BGB zur Anfechtung berechtigen würde. Warum diese hier nicht in Betracht kam, lässt sich aus dem kurzen § 495a ZPO-Urteil des AG nicht erschließen, wahrscheinlich wurde sie nicht oder nicht rechtzeitig (§ 121 BGB) erklärt (so genügt etwa das bloße Bestreiten der Wirksamkeit oder der Existenz eines Vertrags nicht den Anforderungen einer Anfechtungserklärung i.S.v. § 143 I BGB. Diese muss - wenn auch laienhaft - zum Ausdruck bringen, dass das Rechtsgeschäft wegen eines Willensmangels nicht gelten soll, s. dazu etwa BGHZ 91, 324 unter II.). Eine Anfechtung wäre wahrscheinlich auch wirtschaftlich uninteressant gewesen: Die Bekl. hätte dann nach § 122 I BGB den Vertrauensschaden der Klägerin ersetzen müssen. Wenn diese als Agent gehandelt hat und damit der Fluggesellschaft ihrerseits des Entgelt geschuldet hätte und keine Stornomöglichkeit gehabt hätte, bestünde dieser Vertrauensschaden in der Höhe des von ihr verauslagten Ticketpreises (den sie hier über §§ 675, 670 BGB als Aufwendungsersatz aus der Geschäftsbesorgung geltend gemacht hat).

©sl 2012


Entscheidungsgründe:

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
 
Die Klägerin hat den streitgegenständlichen Anspruch schlüssig begründet.
  
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß den §§ 675, 670 BGB in Höhe von 294,- EUR.
 
Die Beklagte hat ausgeführt, dass sie einen Flug nach Porto und nicht nach Bordeaux buchen wollte.
 
Den Vortrag der Klägerseite, die aus Sachsen stammende Beklagte habe den Zielort so undeutlich genannt, man habe vor verbindlicher Einbuchung des Fluges in korrekter hochdeutscher Sprache zwei mal die Flugroute , insbesondere Abflug- und Zielort genannt, die Beklagte habe die Flugstrecke daraufhin bestätigt und die Buchung verbindlich getätigt, wurde von Beklagtenseite nicht bestritten.
 
Zwischen den Parteien kam insoweit ein wirksamer Reisevermittlungsvertrag mit dem Flugziel Bordeaux zustande.
 
Dass die Klägerin das Reiseziel falsch verstanden hat, geht zu Lasten der Beklagten.
 
Versteht der Empfänger eine undeutlich gesprochene Erklärung falsch, so geht dies grundsätzlich zu Lasten des Erklärenden, der das Risiko dafür trägt, dass der Empfänger seine Worte auch erfassen kann. (Beck-​OK/Wendtland, § 130 Rn. 28).
 
Die gilt hier umso mehr als von Seiten der Klägerin unwidersprochen, mehrmals das Flugziel Bordeaux genannt worden ist.
 
Der Anspruch wurde auch der Höhe nach schlüssig dargelegt, so dass die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen war.