"Rechtsschutz gegen
Richter": Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), allg.
Justizgewähranspruch und zivilprozessuales Rechtsmittelsystem bei
der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG)
BVerfG, Plenarentscheidung vom 30.4.2003, 1 PBvU 1/02
Fundstellen:
Zitierfähige elektronische Version auf der
website des BVerfG: http://www.bverfg.de/entscheidungen/up20030430_1pbvu000102.html
Printfundstelle noch nicht bekannt
s. dazu auch die
Pressemitteilung des BVerfG Nr. 44/2003 vom 28. Mai 2003
Amtl. Leitsatz:
Zur verfassungsrechtlichen
Gewährleistung fachgerichtlichen Rechtsschutzes bei Verstößen gegen den
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Urteilstenor:
Es verstößt gegen das
Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Artikel 103 Absatz 1 des
Grundgesetzes, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche
Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in
entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt.
Gründe:
Gegenstand des Plenarverfahrens ist die Frage, ob und in welchem Umfang es
das Grundgesetz erfordert, dass Verstöße eines Richters gegen das
grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch
die Fachgerichte selbst behoben werden können.
A. I. Ausgangspunkt des Plenarverfahrens ist eine beim Ersten Senat des
Bundesverfassungsgerichts anhängige Verfassungsbeschwerde (1 BvR 10/99).
Ihr liegt ein Berufungsurteil zu Grunde, durch das nach Auffassung des
Ersten Senats der Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen
Gehörs verletzt wird. Der Bundesgerichtshof hat die von den
Beschwerdeführern gegen das Urteil des Oberlandesgerichts eingelegte
Revision als unzulässig verworfen, weil das Berufungsgericht die Revision
nicht zugelassen habe und die Revisionssumme nicht erreicht sei. Auch als
außerordentliches Rechtsmittel wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit sei die
Revision nicht zulässig (BGH, NJW 1999, S. 290). Gegen beide
Entscheidungen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.
II. 1. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts möchte nicht nur die
Entscheidung des Oberlandesgerichts wegen Verletzung rechtlichen Gehörs
aufheben, sondern der Verfassungsbeschwerde auch stattgeben, soweit sie
sich gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtet. Die Entscheidung
des Bundesgerichtshofs beruht auf den §§ 545 bis 547 der
Zivilprozessordnung in der bis zum 31. Dezember 2001 gültig gewesenen
Fassung und auf der Verneinung der Zulässigkeit eines außerordentlichen
Rechtsbehelfs. Die Beschwerdeführer hatten keine Möglichkeit, die von
ihnen behauptete Verletzung ihrer Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG vor den
Fachgerichten geltend zu machen. Das Fehlen einer gesetzlichen
Rechtsschutzmöglichkeit verletzt nach Auffassung des Ersten Senats den im
Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten verankerten
Justizgewährungsanspruch.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit der Frage fehlender
Rechtsbehelfe bei einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG verschiedentlich
befasst. Es hat zum Teil die Möglichkeit des außerordentlichen
Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde als rechtsstaatlich hinreichend
angesehen, wenn nach der jeweiligen Verfahrensordnung ein Rechtsmittel
gegen die ergangene Entscheidung nicht vorgesehen ist (vgl. BVerfGE 60, 96
[98 f.]). In anderen Fällen hat es die Möglichkeit von Rechtsbehelfen
bejaht, die nicht ausdrücklich in den Prozessordnungen geregelt sind
(Überblick bei Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 22. Aufl., 2001,
Einl. Rn. 103). Dabei geht das Bundesverfassungsgericht von dem Grundsatz
aus, dass Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte tunlichst im Instanzenzug
durch Selbstkontrolle der Fachgerichte behoben werden sollen (vgl. BVerfGE
47, 182 [190 f.]; 73, 322 [327 ff.]; stRspr). In vielen Fällen ist
insbesondere die Zulassung von Gegenvorstellungen gebilligt worden (vgl.
BVerfGE 9, 89 [101, 106 f.]; 73, 322 [326 ff., 329]). Außerdem hat das
Bundesverfassungsgericht neue Rechtsbehelfsmöglichkeiten durch analoge
Anwendung oder extensive Auslegung der Prozessrechtsnormen (so § 513
Abs. 2, § 568 Abs. 2 ZPO a.F., §§ 33 a, 313 a StPO) für nahe liegend
erachtet (vgl. statt vieler BVerfGE 42, 243 [250 f.]; 49, 252 [256]; 60,
96 [98 f.]; 70, 180 [187 ff.]). Die Fachgerichte sind dem im Wesentlichen
gefolgt und haben ihrerseits versucht, neuartige Rechtsbehelfe zu
ermöglichen, etwa der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Rechtsfigur der "greifbaren Gesetzwidrigkeit" (vgl. etwa
BGHZ 119, 372 [374]; 121, 397 [398 f.]; 130, 97 [99]).
Inzwischen hat der Bundesgerichtshof unter Verweis auf die Neuregelung des
Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001
entschieden, dass es ein außerordentliches Rechtsmittel zum
Bundesgerichtshof auch dann nicht gebe, wenn die Entscheidung des
Beschwerdegerichts greifbar gesetzwidrig sei, insbesondere ein
Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletze. In einem solchen Fall
sei die angefochtene Entscheidung durch das Gericht, das sie erlassen hat,
auf Gegenvorstellung hin zu korrigieren (vgl. BGHZ 150, 133). Das
Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auffassung gefolgt und hat
entschieden, dass die gesetzliche Aufzählung der Zuständigkeiten des
Bundesverwaltungsgerichts und die Regelung des Beschwerderechts künftig
eine Befassung mit außerordentlichen Beschwerden nicht mehr zuließen (vgl.
BVerwG, NJW 2002, S. 2657).
b) Nach Auffassung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts fordert
das Grundgesetz bei entscheidungserheblichen Verstößen eines Gerichts
gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör eine fachgerichtliche
Abhilfemöglichkeit. Das Risiko eines unendlichen Rechtswegs sei nicht
gegeben, wenn das Gebot effektiven Rechtsschutzes dahingehend verstanden
und darauf begrenzt werde, dass der Rechtsweg nur für die einmalige
Möglichkeit der Kontrolle eines Rechtsfehlers eröffnet ist. Es sei Aufgabe
des Gesetzgebers, entsprechende Rechtsbehelfe in die Systematik der
geschriebenen Prozessordnungen einzufügen. Der Erste Senat lehnt es mit
Rücksicht auf das Rechtsstaatsprinzip ab, seinerseits Erweiterungen des
ungeschriebenen Rechtsmittelrechts unmittelbar aus der Verfassung
abzuleiten.
2. Der Sache nach will der Erste Senat die Rechtsprechung beider Senate
des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Grundgesetz keinen Rechtsschutz
gegen den Richter gewährleistet (vgl. BVerfGE 11, 263 [265]; 65, 76 [90];
76, 93 [98]; stRspr), insoweit aufgeben, als es sich um
entscheidungserhebliche Verstöße des Richters gegen das
Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG handelt. Der Erste Senat hat
deshalb gemäß § 48 Abs. 2 GOBVerfG beim Zweiten Senat angefragt, ob dieser
an seiner bisherigen Rechtsauffassung (vgl. BVerfGE 11, 263 [265]; 42, 243
[248]; 49, 329 [340 f.]) festhalte. Dies ist ausweislich des Beschlusses
des Zweiten Senats vom 7. November 2001 der Fall. Der Zweite Senat
bewertet das Fehlen einer fachgerichtlichen Abhilfemöglichkeit bei
entscheidungserheblichen Verstößen gegen das Verfahrensgrundrecht des
Art. 103 Abs. 1 GG nicht als verfassungswidrig. Daraufhin hat der Erste
Senat durch Beschluss vom 16. Januar 2002 gemäß § 16 Abs. 1 BVerfGG das
Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen (BVerfGE 104, 357).
B. Zu dem Vorlagebeschluss des Ersten Senats haben sich das
Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, der Präsident des
Bundesgerichtshofs, die Präsidentin des Bundesfinanzhofs, der Präsident
des Bundesverwaltungsgerichts sowie die Hessische Staatskanzlei geäußert.
Ein verfassungsrechtliches Gebot, bei Gehörsversagungen generell ein
Rechtsmittel an ein Gericht höherer Instanz (iudex ad quem) vorzusehen,
wird in keiner Stellungnahme bejaht. Demgegenüber wird eine Pflicht der
Gerichte zur "Selbstkorrektur" (iudex a quo) ganz überwiegend befürwortet;
dabei werden vielfach die insoweit bereits bestehenden
Rechtsschutzmöglichkeiten etwa in Gestalt einer Gegenvorstellung als
ausreichend angesehen.
I. Nach der Ansicht des Bundesministeriums der Justiz gewährleisten die
derzeitigen fachgerichtlichen Verfahrensordnungen insbesondere nach der
Zivilprozessreform einen nahezu lückenlosen Schutz gegen Verletzungen des
rechtlichen Gehörs. Verbleibende Lücken würden in zunehmendem Maße durch
die Rechtsprechung der Fachgerichte selbst geschlossen. So lege es die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002 (BGHZ 150, 133) nahe,
die Regelungen des Abhilfeverfahrens des § 321 a ZPO n.F. bei allen mit
ordentlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbaren Entscheidungen entsprechend,
gegebenenfalls über § 555 Abs. 1 Satz 1, § 525 Satz 1 ZPO n.F.,
anzuwenden.
II. In den vom Präsidenten des Bundesgerichtshofs übersandten
Stellungnahmen verschiedener Zivilsenate wird einheitlich die Auffassung
vertreten, dass allein die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs ein
(außerordentliches) Rechtsmittel nicht eröffnen könne. Soweit auch nach
neuem Recht ein Rechtsmittel gegen Gehörsverstöße nicht vorgesehen sei,
biete sich eine Abhilfemöglichkeit für den iudex a quo in Analogie zu den
§§ 321 a, 572 ZPO oder durch eine Gegenvorstellung an.
In den Stellungnahmen verschiedener Senate des Bundesfinanzhofs wird
zunächst darauf hingewiesen, dass im finanzgerichtlichen Verfahren die
Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegeben sei, mit der ein
Verfahrensmangel geltend gemacht werden könne (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Soweit darüber hinaus ein Bedürfnis für eine fachgerichtliche
Abhilfemöglichkeit bei Gehörsversagungen bestehe, sei dem durch eine
Gegenvorstellung zum iudex a quo Rechnung zu tragen.
In den Äußerungen der Senate des Bundesverwaltungsgerichts wird zum Teil
der Standpunkt vertreten, dass Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug
fordere und damit auch nicht die Pflicht begründe, gegenüber einem
ansonsten rechtskräftigen Urteil Abhilfemöglichkeiten im Blick auf durch
dieses Urteil verursachte Grundrechtsverletzungen zu schaffen. Jedenfalls
leuchte es kaum ein, dass auch bei schweren Beeinträchtigungen bedeutsamer
Grundrechte die Möglichkeit einer fachgerichtlichen Nachkorrektur von
Verfassungs wegen nicht erforderlich sei, während dies bei Verstößen gegen
Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten sein solle, und zwar
unabhängig von der Schwere des Verstoßes. Zum Teil wird aber auch die
Ausräumung eines Verfassungsverstoßes - wie eines (zumeist
versehentlichen) Gehörsverstoßes - durch das Gericht selbst im Wege der
"Selbstkontrolle" als verfassungsrechtlich zulässig und geboten angesehen.
Demgegenüber bestehe kein verfassungsrechtliches Gebot, in solchen Fällen
zusätzlich die Überprüfung mittels eines "außerordentlichen Rechtsbehelfs"
zu ermöglichen.
III. Nach Ansicht der Hessischen Staatskanzlei besteht ein Bedürfnis nach
einer fachgerichtlichen Abhilfemöglichkeit bei entscheidungserheblichen
Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG angesichts der Neuregelungen im
ZPO-Reformgesetz (§§ 321 a, 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) kaum noch. Unabhängig
davon begegneten Überlegungen zur generellen Notwendigkeit, Möglichkeiten
der fachgerichtlichen "Selbstkorrektur" von Verstößen gegen Art. 103
Abs. 1 GG zu schaffen, schwerwiegenden Bedenken. Dies würde zu einer
erheblichen Mehrbelastung der Gerichte führen. Gleichsam als Kehrseite der
positiven Bewertung unter dem Blickwinkel des Art. 103 Abs. 1 GG wäre auch
eine nicht unerhebliche Verlängerung der Verfahrensdauer, womöglich sogar
eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG, die Folge.
C. Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs
auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem
Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG. Das Plenum gibt
die vom Bundesverfassungsgericht bisher vertretene gegenteilige Auffassung
auf.
I. Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes ist nicht auf Rechtsschutz
gegen Akte der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG
beschränkt, sondern umfassend angelegt. Sie sichert allerdings keinen
Rechtsmittelzug.
1. Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein wesentlicher
Bestandteil des Rechtsstaates (vgl. BVerfGE 88, 118 [123]; 96, 27
[39 f.]). Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den Gerichten nicht
nur gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des
allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Dieser ist Bestandteil des
Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere
Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 99 [107]). Die grundgesetzliche
Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die
Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die
verbindliche gerichtliche Entscheidung.
2. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch in
dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs das Offenstehen des
Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen
behauptete Rechtsverletzungen eröffnet jedoch keinen unbegrenzten
Rechtsweg.
a) Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der
Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet
(vgl. bereits BVerfGE 1, 433 [437]). Wann dies der Fall ist, entscheidet
das Gesetz. Das Risiko eines immerwährenden Rechtswegs besteht nach dem
Grundgesetz nicht, weil es sowohl in Art. 19 Abs. 4 GG als auch im Rahmen
des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nur das Offenstehen des
Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht. Der
Rechtsweg steht für Streitigkeiten zwischen Trägern öffentlicher Gewalt
und Privatpersonen oder zwischen Privatpersonen offen. Dies ermöglicht die
Entscheidung eines unabhängigen Gerichts über Rechte und Pflichten.
Insofern reicht es grundsätzlich aus, ist in einem Rechtsstaat aber auch
als Minimum zu sichern, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit
zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe
des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen
betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben
soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen
Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfGE 54, 277 [291]).
Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert. Ob es
Streitigkeiten gibt, für die aus rechtsstaatlichen Gründen die Überprüfung
durch eine weitere gerichtliche Instanz vorzusehen ist, bedarf im
vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Das Risiko eines Rechtswegs
ohne Ende besteht auch in einem solchen Fall nicht.
b) Die Garantie einer einmaligen gerichtlichen Entscheidung über ein
behauptetes Recht zielt darauf ab, Konflikte um eine mögliche
Rechtsverletzung einer Prüfung und einer bestandskräftigen Entscheidung
zuzuführen. Weiter reicht diese Garantie nicht. Verfassungsrechtlich ist
es nicht geboten, auch den Akt der gerichtlichen Überprüfung selbst
daraufhin kontrollieren zu können, ob in ihm die für den
Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Rechtsnormen nunmehr vom Gericht verletzt
wurden. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nimmt das
verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem bei der Überprüfung
eines Verhaltens ein verbleibendes Risiko falscher Rechtsanwendung durch
das Gericht in Kauf.
c) Dies ist im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht zuletzt deshalb
hinnehmbar, weil durch institutionelle Vorkehrungen und entsprechende
Verfahrensvorgaben Sorge dafür getragen worden ist, dass
Rechtsanwendungsfehler möglichst unterbleiben. Die Unabhängigkeit der
Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) soll sichern, dass die Gerichte ihre
Entscheidung allein an Gesetz und Recht ausrichten. Die
Verfahrensgrundrechte, insbesondere Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103
Abs. 1 GG, sollen gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung
willkürfrei durch eine nach objektiven Kriterien bestimmte Instanz auf
einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage und auf Grund einer
unvoreingenommenen rechtlichen Würdigung unter Einbeziehung des Vortrags
der Parteien ergeht. Überprüfen die unabhängigen Gerichte in diesem Rahmen
einen Vorgang auf rechtliche Fehler und begehen sie dabei keinen neuen
eigenständigen Verstoß gegen die grundgesetzlichen Verfahrensgarantien,
ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn die
gerichtliche Entscheidung nicht mehr durch eine weitere Instanz auf Fehler
hin überprüft werden kann.
3. Im rechtsstaatlichen Kerngehalt unterscheiden sich der allgemeine
Justizgewährungsanspruch und als dessen Spezialregelung die
Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Unterschiede bestehen
hinsichtlich der Anwendungsbereiche.
a) Art. 19 Abs. 4 GG wird in der Rechtsprechung und einem Teil der
Literatur dahingehend verstanden, dass der dort benutzte Begriff der
öffentlichen Gewalt einengend auszulegen und nur auf die vollziehende
Gewalt anzuwenden sei. Dies wird regelmäßig in die Formel gefasst, das
Grundgesetz gewährleiste Rechtsschutz durch den Richter, nicht aber gegen
den Richter (vgl. BVerfGE 15, 275 [280]; 49, 329 [340]; 65, 76 [90] sowie
aus der Literatur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 IV
Rn. 96 [Stand Januar 1985]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz,
6. Aufl., 2002, Art. 19 Rn. 31; Krüger/Sachs, in: Sachs, Grundgesetz,
3. Aufl., 2003, Art. 19 Rn. 120). Der zweite Teil dieser Formel wird
allerdings zunehmend kritisiert (siehe dazu etwa Voßkuhle, Rechtsschutz
gegen den Richter, 1993, S. 158 ff., 176 ff.; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,
Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl. Bd. 1, 1999, Art. 19 Rn. 444 ff.; Krebs,
in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. 1, 5. Aufl., 2000, Art. 19 Rn. 57;
Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 1996, Art. 19 IV Rn. 35;
Ibler, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Art. 19 IV Rn. 90 ff. [Stand
Oktober 2002]). Zur Begründung der Kritik wird unter anderem ausgeführt,
dass der Begriff der öffentlichen Gewalt weit sei und die Rechtsprechung
mitumfasse. Weder die Entstehungsgeschichte noch Sinn und Zweck des
Art. 19 Abs. 4 GG rechtfertigten eine einengende Auslegung unter
Begrenzung auf den Rechtsschutz gegen die vollziehende Gewalt.
b) Die Anrufung des Plenums durch den Ersten Senat gibt keinen Anlass zur
Abweichung von der bisherigen Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG. Die vom
Ersten Senat angestrebte Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung des
Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz bei entscheidungserheblichen
Verletzungen des Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG setzt nicht
voraus, dass der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG neu bestimmt
wird. Denn diese Norm steht der Annahme nicht entgegen, dass der
allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz unter zum Teil anderen
tatbestandlichen Voraussetzungen garantiert (cc). Die einengende Auslegung
des Begriffs der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG (aa) unterliegt
unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit jedenfalls dann keinen Bedenken,
wenn der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz auch in den von
Art. 19 Abs. 4 GG nicht erfassten Fällen ermöglicht, soweit dies
rechtsstaatlich geboten ist (bb).
aa) Ziel der Normierung der Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG war
auf Grund historischer Erfahrungen der Schutz vor dem Risiko der
Missachtung des Rechts durch ein Handeln der Exekutive. Daran knüpft die
Auslegung des hier verwendeten Begriffs der öffentlichen Gewalt im
überwiegenden Teil der Lehre und in der Rechtsprechung an.
(1) Im Anschluss an die Vorgängervorschriften des § 182 der
Paulskirchen-Verfassung und des Art. 107 der Weimarer Reichsverfassung sah
der Herrenchiemseer Entwurf zum Grundgesetz in Art. 138 zunächst vor, dass
gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen könne, "wer sich durch eine
Anordnung oder durch die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde in seinen
Rechten verletzt oder mit einer ihm nicht obliegenden Pflicht beschwert
glaubt". Dieser Entwurf verfolgte das Ziel, nicht der Exekutive allein die
Kontrolle der Verwaltung zu überlassen. Vielmehr sollte gesichert werden,
dass es gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Verwaltung gibt. In den
Beratungen zum Grundgesetz wurde diese Einengung allerdings kritisiert. So
wurde die Forderung formuliert, wirklich oder vermeintlich rechtswidrige
Eingriffe des Staates in die Rechts- und Freiheitssphäre müssten umfassend
einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden (vgl. die Nachweise bei
Voßkuhle, a.a.O., S. 151 ff.; siehe ferner JöR N.F., Bd. 1, 1951,
S. 183 ff.).
Art. 19 Abs. 4 GG hat dies so nicht aufgenommen, ist aber doch weiter
formuliert als der Herrenchiemseer Entwurf. Die ausdrückliche Bezugnahme
auf die Verwaltung ist entfallen. Ob die offenere Formulierung dahingehend
zu verstehen ist, dass in Art. 19 Abs. 4 GG keine Einschränkung auf die
vollziehende Gewalt erfolgen sollte, ist den Materialien zum Grundgesetz
allerdings nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Insofern lässt die
Entstehungsgeschichte Raum für unterschiedliche Auslegungen. Die
Rechtsprechung und die herrschende Meinung im Schrifttum haben die Norm im
Anschluss an die historische Stoßrichtung der Rechtsschutzgewährung stets
in der einengenden Weise der Beschränkung auf die vollziehende Gewalt
ausgelegt. Dem ist das Bundesverfassungsgericht gefolgt und hat betont,
die Bedeutung der Gewährleistung bestehe vornehmlich darin, die
"Selbstherrlichkeit" der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger zu
beseitigen (vgl. BVerfGE 10, 264 [267]; 35, 263 [274]). Durch Art. 19
Abs. 4 GG in dieser Auslegung wird gesichert, dass gegenüber Akten der
Exekutive stets ein unabhängiges Gericht zur Prüfung einer geltend
gemachten Rechtsverletzung einzuschalten ist. Sehen die Prozessordnungen
allerdings eine weitere gerichtliche Instanz vor, so sichert Art. 19
Abs. 4 GG die Effektivität des Rechtsschutzes auch insoweit (vgl. BVerfGE
96, 27 [39]; stRspr).
(2) Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der öffentlichen Gewalt
allerdings nicht auf die Exekutive im organisatorischen Sinne begrenzt. Es
hat den Rechtsschutz auch für den Fall eröffnet, dass das Handeln einer
nicht zur Exekutive gehörenden, aber auch nicht in richterlicher
Unabhängigkeit handelnden Instanz als rechtswidrig angegriffen wird. So
zählt das Bundesverfassungsgericht Akte des Rechtspflegers ebenso zur
öffentlichen Gewalt gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 101, 397 [407])
wie die Justizverwaltungsakte der Kostenbeamten in den Geschäftsstellen
der Gerichte (vgl. BVerfGE 28, 10 [14 f.]). Zur Ausübung öffentlicher
Gewalt gehören ebenfalls Anordnungen der Staatsanwaltschaft als
Strafverfolgungsbehörde (vgl. BVerfGE 103, 142 [156]).
Als öffentliche Gewalt im Verständnis des Art. 19 Abs. 4 GG werden auch
die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen
Tätigkeit auf Grund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig
werden (vgl. BVerfGE 96, 27 [39 ff.]; 104, 220 [231 ff.]). In diesen
Fällen handeln die Gerichte zwar in voller richterlicher Unabhängigkeit,
aber nicht in ihrer typischen Funktion als Instanzen der unbeteiligten
Streitentscheidung. Vielmehr nehmen sie auf Antrag eigenständig einen
Eingriff vor, der aber, auch soweit er funktional Ausübung vollziehender
Gewalt ist, im Interesse eines besonderen rechtsstaatlichen Schutzes nicht
der Exekutive oder jedenfalls nicht ihr allein überlassen wird (vgl.
BVerfGE 103, 142 [151]). Die Besonderheit gegenüber der
spruchrichterlichen Tätigkeit wirkt sich in der Möglichkeit spezifischer
verfahrensrechtlicher Regeln für solche Entscheidungen aus, so häufig im
Ausschluss rechtlichen Gehörs. Umso wichtiger ist die Garantie einer
anschließenden gerichtlichen Kontrolle der Maßnahme unter Gewährung
rechtlichen Gehörs. Dies garantiert Art. 19 Abs. 4 GG.
bb) Die Ausweitung der Anwendung des Art. 19 Abs. 4 GG sichert aber nicht
auch Rechtsschutz gegenüber behaupteten Verletzungen der
Verfahrensgrundrechte des Grundgesetzes durch ein Gericht. Kann dieser
über den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in Fällen verwirklicht
werden, in denen Rechtsschutz rechtsstaatlich geboten ist, besteht
insoweit von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, die enge Auslegung des
Art. 19 Abs. 4 GG aufzugeben.
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat den aus dem Rechtsstaatsprinzip in
Verbindung mit den Grundrechten folgenden allgemeinen
Justizgewährungsanspruch zunächst als Grundlage des Rechtsschutzes in
zivilrechtlichen Streitigkeiten anerkannt, für die Art. 19 Abs. 4 GG nicht
anwendbar ist (vgl. BVerfGE 88, 118 [123]; 93, 99 [107]; 97, 169 [185]).
Auf diesem Wege wird gesichert, dass ein Gericht verbindlich über das
Bestehen von Rechten und Pflichten in einer zivilrechtlichen Angelegenheit
entscheidet.
(2) Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht Rechtsschutz aber auch in
weiteren Fällen, in denen dies rechtsstaatlich geboten ist. So liegt es
bei der erstmaligen Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein
Gericht.
Die Verfahrensgrundrechte, insbesondere die des Art. 101 Abs. 1 und des
Art. 103 Abs. 1 GG, sichern in Form eines grundrechtsgleichen Rechts die
Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards. In einem Rechtsstaat gehört
zu einer grundrechtlichen Garantie die Möglichkeit einer zumindest
einmaligen gerichtlichen Kontrolle ihrer Einhaltung. Allenfalls im
Interesse des Schutzes besonders hochrangiger Rechtsgüter kann die
Verfassung Ausnahmen vorsehen, wie es in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG
geschehen ist (vgl. BVerfGE 30, 1).
Die das gerichtliche Verfahren betreffenden Verfahrensgrundrechte können
nicht durch einen Träger der vollziehenden Gewalt verletzt werden, denn
sie sind ausschließlich an die Gerichte adressiert (vgl. BVerfGE 101, 397
[404 f.]). Wird Art. 19 Abs. 4 GG einengend dahin ausgelegt, dass er den
Rechtsschutz gegen richterliche Akte nicht umfasst, verbleibt dort ein
Rechtsschutzdefizit, das aber durch den allgemeinen
Justizgewährungsanspruch behoben wird. Er ermöglicht Rechtsschutz
hinsichtlich der gerichtlichen Verfahrensdurchführung, soweit durch sie
die Verfahrensgrundrechte verletzt sein können. Andernfalls bliebe eine
Verletzung dieser Grundrechte ohne verfassungsrechtlich gesicherte
Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe.
cc) Art. 19 Abs. 4 GG steht nicht entgegen, denn es heißt dort nicht, dass
Rechtsschutz "nur" in seinem Rahmen garantiert sei. Auch die
Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ergibt nichts für einen Ausschluss
weiter gehenden Rechtsschutzes (siehe oben aa). Die Verfolgung des mit der
einengenden Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG von der Rechtsprechung und
herrschenden Meinung im Schrifttum verbundenen rechtsstaatlichen Ziels,
den endlosen Rechtsweg auszuschließen, darf nicht dazu führen, dass
rechtlicher Schutz auch insoweit verweigert wird, als gar kein unendlicher
Rechtsweg droht. Dieses Risiko besteht bei der Anwendung des allgemeinen
Justizgewährungsanspruchs nicht, weil er - ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG -
nur das Offenstehen des Rechtswegs garantiert, also die Öffnung des
Zugangs zum Gericht (siehe oben 2 a).
4. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem näher
auszuformen und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen für
Rechtsmittel und Rechtsbehelfe festzulegen. Die Verfahrensordnung ist so
auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen
Rechtsuchenden besteht, aber auch Rechtssicherheit hergestellt wird (vgl.
BVerfGE 88, 118 [123 f.]; 93, 99 [107 f.]).
Abwägung und Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen können bei
der vorläufigen Rechtsschutzgewährung anders erfolgen als bei der
endgültigen. Auch darf der Gesetzgeber differenzierend berücksichtigen, ob
die angegriffene Maßnahme von der Exekutive oder der Judikative ausgeht.
So muss Rechtsschutz gegen Akte eines Richters nicht zwingend zur
Befassung einer höheren Instanz führen, sofern die rechtsstaatlich
notwendige Kontrolle des behaupteten Verfahrensfehlers anderweitig in
hinreichender Weise gesichert werden kann.
II. Der Vorlagebeschluss des Ersten Senats ist auf Rechtsschutz gegen die
behauptete Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt. Die
Besonderheiten dieses Verfahrensgrundrechts wirken sich auf die
Rechtsschutzgarantie aus.
1. Das Grundgesetz sichert rechtliches
Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des
Art. 103 Abs. 1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales
Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches
Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des
Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist (vgl. BVerfGE 55, 1 [6]). Seine
rechtsstaatliche Bedeutung ist auch in dem Anspruch auf ein faires
Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention
sowie in Art. 47 Abs. 2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt. Der
Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein,
sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen,
um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu
können (vgl. BVerfGE 9, 89 [95]). Rechtliches Gehör sichert den Parteien
ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge,
dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch
gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und
Anträgen gehört werden.
Dementsprechend bedeutsam für den Rechtsschutz ist die Möglichkeit der
Korrektur einer fehlerhaften Verweigerung rechtlichen Gehörs. Erst die
Beseitigung eines solchen Fehlers eröffnet das Gehörtwerden im Verfahren.
Dann steht der Weg zum Gericht nicht nur formal offen. Dies schafft einen
wesentlichen Teil der Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber es den
Beteiligten zumutet, die Entscheidung gegebenenfalls ohne weitere
Korrekturmöglichkeit hinzunehmen (siehe oben I 2 b). Nicht nur die
individualrechtssichernde, sondern auch die über den Einzelfall
hinausreichende objektivrechtliche Bedeutung der Gehörsgarantie ist eine
wesentliche Grundlage der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und der
Erwartung an die Bürger, sich zur Streitbeilegung auf das
Gerichtsverfahren einzulassen.
Art. 103 Abs. 1 GG steht daher in einem funktionalen Zusammenhang mit der
Rechtsschutzgarantie (vgl. BVerfGE 81, 123 [129]). Diese sichert den
Zugang zum Verfahren, während Art. 103 Abs. 1 GG auf einen angemessenen
Ablauf des Verfahrens zielt: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch
substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im
Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine
Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen.
2. Wird das Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, so
geschieht dieser Fehler unabhängig von dem Anlass, der zur Einleitung des
Gerichtsverfahrens geführt hat, und damit von den für den Ausgangskonflikt
maßgebenden Rechtsnormen. Die Anrufung des Gerichts zielt auf die
Kontrolle der Beachtung dieser Normen. Das Verfahrensgrundrecht enthält
nicht etwa dafür einen Maßstab, wohl aber für die Rechtmäßigkeit des
richterlichen Verhaltens bei der Verfahrensdurchführung.
3. Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von
gerichtlichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch
die Fachgerichte erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die
Effektivität des Rechtsschutzes. Dieses Ziel wird am wirkungsvollsten
durch eine möglichst sach- und zeitnahe Behebung von Gehörsverstößen
erreicht, die von den Fachgerichten ohne weitere Umwege geleistet werden
kann.
4. Der Justizgewährungsanspruch sichert Rechtsschutz gegen die Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz, also
auch dann, wenn das Verfahrensgrundrecht erstmalig in einem
Rechtsmittelverfahren verletzt wird.
Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nicht allein deshalb,
weil eine Partei schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit
gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Art. 103 Abs. 1 GG enthält weiter
gehende Garantien als die, sich irgendwie zur Sache einlassen zu können,
so beispielsweise den Schutz vor einer Überraschungsentscheidung (vgl.
BVerfGE 84, 188 [190]; 86, 133 [144 f.]). Hat die Partei sich in einer
Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vortragen können, was mit Blick
auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz
auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher
Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante
Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren
Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die
Garantie rechtlichen Gehörs verletzt. Gäbe es gegen diese neue und
eigenständige Verletzung keinen Rechtsschutz, bliebe die Beachtung des
Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG kontrollfrei.
Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das
auch zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts
führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung
getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts in
der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler
entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige
gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen.
5. Stets aber genügt die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei
einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen
Kontrolle zu unterziehen. Begeht das Rechtsbehelfsgericht einen Fehler im
Zuge der Überprüfung, ob Art. 103 Abs. 1 GG bei der vorangegangenen
gerichtlichen Verfahrensdurchführung beachtet worden ist, führt dies nicht
zur erneuten Eröffnung des Rechtswegs. Auch hier gilt, dass ein Risiko
fehlerhafter Überprüfung hinzunehmen ist. Das gebotene Mindestmaß an
Rechtsschutz ist jedenfalls gewahrt. Nunmehr darf das Gebot der
Rechtssicherheit Vorrang haben, das ebenso wie der
Justizgewährungsanspruch seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip hat (vgl.
BVerfGE 60, 253 [267]). Daher ist ein endloser Rechtsweg auch dann nicht
zu erwarten, wenn Rechtsschutz gegen die Verletzung des
Verfahrensgrundrechts in einer Rechtsbehelfsinstanz eingeräumt wird.
III. Bei der Ausgestaltung des
Rechtsbehelfssystems hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum.
Rechtsschutz unter Einschluss des Schutzes vor Verletzungen des Art. 103
Abs. 1 GG ist in erster Linie in der Fachgerichtsbarkeit zu gewähren. Dies
gilt grundsätzlich auch insoweit, als die Bürger ihre Rechte zusätzlich
mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgen können.
1. Der Gesetzgeber kann die Prüfung einer behaupteten Verletzung des
Art. 103 Abs. 1 GG im allgemeinen Rechtsmittelsystem oder im Rahmen eines
Sonderrechtsbehelfs vorsehen. Bei der Ausgestaltung sind die Interessen
anderer Verfahrensbeteiligter und insbesondere die Belange der
Rechtssicherheit zu berücksichtigen.
a) Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, die Anrufung einer weiteren Instanz
vorzusehen. Die Besonderheit des auf die Überprüfung der Beachtung von
Art. 103 Abs. 1 GG gerichteten Rechtsschutzes erlaubt es ihm vielmehr, von
der Eröffnung des Rechtsmittelzugs Abstand zu nehmen, sofern er eine
angemessene Kontrolle der Verletzung des Verfahrensgrundrechts anderweitig
vorsieht. Dafür kommt auch ein Rechtsbehelf an das Gericht in Betracht,
dessen Verfahrenshandlung als fehlerhaft gerügt wird (iudex a quo), sofern
auf diese Weise der Mangel effektiv beseitigt werden kann.
Der Grundgedanke einer Befassung des iudex a quo liegt schon den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Möglichkeit einer
Selbstkontrolle der Fachgerichtsbarkeit im Wege einer Gegenvorstellung zu
Grunde (vgl. BVerfGE 9, 89 [107]; 63, 77 [79]; 73, 322 [327]). Auch nach
den im vorliegenden Verfahren eingeholten Stellungnahmen bedarf es zur
Klärung der Fehlerhaftigkeit der Anwendung des Verfahrensgrundrechts nicht
zwingend der Einräumung einer Rechtsschutzmöglichkeit bei einem anderen
oder gar höheren Gericht. Wird der Rechtsbehelf zum iudex a quo eröffnet,
erfolgt die Überprüfung durch die mit der Sache schon vertraute Instanz,
und es ist möglich, unmittelbar nach der Feststellung eines Fehlers das
bisher unterbliebene rechtliche Gehör zu gewähren und das Verfahren auf
dieser Grundlage fortzusetzen.
b) Dem Gesetzgeber steht bei der näheren Ausgestaltung des Rechtsbehelfs
und seiner Folgen ein Spielraum offen, bei dessen Ausfüllung auch die
Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten und Anforderungen an die
Funktionsfähigkeit der Gerichte zu beachten sind.
Der Gesetzgeber darf den Rechtsbehelf auf die Überprüfung des nach
Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich Gebotenen beschränken, muss also
nicht auch die Überprüfung verfahrensrechtlicher Regeln ermöglichen, die
in den Verfahrensordnungen über den verfassungsrechtlichen Mindestschutz
hinaus eingerichtet sind. Die verschiedenen betroffenen Interessen sind
bei den formellen Anforderungen des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, so
hinsichtlich der Festlegung der für die Einlegung maßgebenden Frist und
besonderer Anforderungen an die Rüge. Gleiches gilt für Regeln über den
Eintritt und die Reichweite von Rechtskraft und Vollstreckbarkeit. Unter
Abwägung der betroffenen Interessen ist auch zu klären, welche
verfahrensrechtlichen Möglichkeiten die anderen Verfahrensbeteiligten nach
einer erfolgreichen Gehörsrüge haben. Ist die behauptete Rechtsverletzung
im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgt, darf die Nachholung
des rechtlichen Gehörs im Hauptsacheverfahren vorgesehen werden, sofern
dadurch keine unzumutbaren Nachteile für die Rechtsverfolgung im Übrigen
zu erwarten sind. Der Gesetzgeber darf auch Vorkehrungen gegen die
missbräuchliche Nutzung des Rechtsbehelfs vorsehen. Allerdings darf eine
tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle nicht in einer dem
Rechtsschutzsuchenden unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu
rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 [123 f.];
101, 397 [408]).
2. Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt in erster Linie den
Fachgerichten anvertraut. Bei entscheidungserheblichen Verstößen gegen
Art. 103 Abs. 1 GG muss die gebotene Abhilfemöglichkeit daher
grundsätzlich bei den Fachgerichten eingerichtet werden, auch wenn
zusätzlich eine Rechtsverfolgung mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde
möglich ist.
a) Die Verfassungsbeschwerde führt nur unter engen Voraussetzungen zur
Überprüfung einer Rechtsverletzung. Insbesondere ist die Annahme der
Verfassungsbeschwerde Voraussetzung der Überprüfung eines
Grundrechtsverstoßes.
aa) Die Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum
fachgerichtlichen Verfahren, der sich diesem in gleicher Funktion ohne
weiteres anschlösse. Vielmehr ist sie eine besondere Vorkehrung zur
Durchsetzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, mithin ein
außerordentlicher Rechtsbehelf, mit dem der Träger des vermeintlich
verletzten Rechts Eingriffe der öffentlichen Gewalt abwehren kann (vgl.
BVerfGE 94, 166 [213 f.]; stRspr). Als Teil der Rechtsschutzgewährleistung
sind Verfassungsbeschwerden von anderer Qualität als die an die
Fachgerichte adressierten Rechtsbehelfe. Dies zeigt sich nicht nur an dem
besonderen Prüfungsmaßstab und an den Annahmevoraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG. Verfassungsbeschwerden hindern den Eintritt der
Rechtskraft der angegriffenen Entscheidungen nicht (vgl. BVerfGE 93, 381
[385]); auch können Verfassungsbeschwerdeverfahren regelmäßig erst zu
einem Zeitpunkt eingeleitet werden, in dem das fachgerichtliche Verfahren
seinen Abschluss gefunden hat und die Phase der Vollstreckung oder des
Vollzugs eröffnet ist. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren setzt das
fachgerichtliche Verfahren nicht einfach fort. Es dient nur der
Überprüfung auf Verfassungsverstöße. Die Prüfungsintensität ist
eingeschränkt (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; stRspr). Bei Feststellung
eines Grundrechtsverstoßes führt die verfassungsgerichtliche Kontrolle
grundsätzlich zur Zurückverweisung der Entscheidung an das Fachgericht
(siehe § 95 Abs. 2 in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), nicht
etwa zur Ersetzung seiner mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht.
bb) Eine Besonderheit der Verfassungsbeschwerde ist in ihrer gegenwärtigen
Ausgestaltung der Grundsatz der Subsidiarität. Diesem in § 90 Abs. 2
BVerfGG unter Nutzung der Ermächtigung des Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG
verankerten Prinzip liegt eine doppelte Erwägung zu Grunde. Der
Beschwerdeführer muss selbst das ihm Mögliche tun, damit eine
Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder
beseitigt wird. Das Subsidiaritätsprinzip enthält zugleich eine
grundsätzliche Aussage über das Verhältnis der Fachgerichte zum
Bundesverfassungsgericht. Nach der verfassungsrechtlichen
Kompetenzverteilung obliegt zunächst den Fachgerichten die Aufgabe, die
Grundrechte zu wahren und durchzusetzen. Nur unter den engen
Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kann der Grundsatz der
Subsidiarität durchbrochen werden. In dieser Konkretisierung des
Verhältnisses von Grundsatz und Ausnahme spiegelt sich die Bedeutung
wider, die das Grundgesetz der fachgerichtlichen Rechtsprechung auch für
die Einhaltung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen beimisst (vgl.
BVerfGE 49, 252 [258]).
cc) Auch die Kriterien für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde zur
Entscheidung (§ 90 Abs. 2, § 93 a BVerfGG in Verbindung mit Art. 94 Abs. 2
GG; vgl. auch BVerfGE 90, 22 [24 ff.]; 96, 245 [248 ff.]) verdeutlichen,
dass das Bundesverfassungsgericht einen Rechtsschutz besonderer Art
gewährt. Die gesetzlichen Annahmevoraussetzungen belassen dem Gericht
einen Spielraum bei der Auslegung und Anwendung der für die
Annahmeentscheidung maßgebenden, ausfüllungsfähig formulierten
Rechtsbegriffe. Eine Annahme ist gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG nur geboten,
wenn der Verfassungsbeschwerde grundsätzliche verfassungsrechtliche
Bedeutung zukommt oder die Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte
angezeigt ist, namentlich wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung
der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entstünde. Die
Annahme ist nicht angezeigt, wenn die geltend gemachte Verletzung von
Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten kein besonderes Gewicht hat
und den Beschwerdeführer nicht in existentieller Weise betrifft (vgl.
BVerfGE 90, 22 [25 f.]; 96, 245 [248 ff.]).
Der durch die Justizgewährungsgarantie gebotene Rechtsschutz vor den
Fachgerichten beschränkt sich demgegenüber nicht auf besonders gewichtige
Fehler oder Situationen existentiellen Betroffenseins, sondern erfasst
Rechtsbeeinträchtigungen jeglicher Art (vgl. BVerfGE 101, 397 [409]). In
der Fachgerichtsbarkeit spielen vergleichbare Gesichtspunkte, wie sie für
die Annahme einer Verfassungsbeschwerde vorgesehen sind, nur bei der
Befassung einer weiteren überprüfenden Instanz eine Rolle, etwa für die
Berufung oder Revision (vgl. etwa § 511 Abs. 4, § 543 Abs. 2 ZPO n.F.;
§ 124 Abs. 2, § 132 Abs. 2 VwGO), nicht aber für die Eröffnung des
Rechtswegs als solchen.
Die mit der Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG verbundene Erwartung
an die Bürger, dass sie dem staatlichen Rechtsschutzsystem vertrauen,
bezieht Streitigkeiten ein, die aus objektiver Warte als wenig gewichtig
erscheinen mögen. Auch Rechtsfehler, die eine Angelegenheit ohne
grundsätzliche oder existentielle Bedeutung betreffen, können aus der
Sicht des Bürgers sehr bedeutsam sein. Dementsprechend sehen die
fachgerichtlichen Verfahrensordnungen vor, dass alle behaupteten
Rechtsverletzungen, ihre Entscheidungserheblichkeit vorausgesetzt, in die
richterliche Prüfung einbezogen werden.
b) Macht der Gesetzgeber durch Einführung des Subsidiaritätsgrundsatzes
und des Annahmeverfahrens für Verfassungsbeschwerden von der Ermächtigung
des Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG Gebrauch, gestaltet er zugleich das
Verhältnis von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit. Dies ist durch §§ 90
Abs. 2, 93 a BVerfGG geschehen. Schutz vor Verletzungen des Art. 103
Abs. 1 GG ist daher in erster Linie in der Fachgerichtsbarkeit zu
gewähren.
IV. Den für den Rechtsschutz bei der Verletzung des Verfahrensgrundrechts
des Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen genügt
das Rechtsschutzsystem gegenwärtig nur teilweise.
1. Die Rechtsordnung entspricht dem Erfordernis fachgerichtlicher
Kontrolle, soweit Rügen der Verletzung des Verfahrensgrundrechts noch im
allgemeinen Rechtsmittelsystem geltend gemacht werden können. Dadurch kann
ein erheblicher Teil möglicher Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG einer
fachgerichtlichen Prüfung zugeführt werden. Zusätzlich sind besondere zur
Überprüfung geeignete Rechtsbehelfe geschaffen worden, etwa befristete
Anhörungsrügen (vgl. § 321 a ZPO, §§ 33 a, 311 a StPO). Die Behandlung
dieser Rechtsbehelfe steht nicht im Ermessen des Gerichts. Sie führt im
Falle der Zulässigkeit der Rechtsbehelfe zur Prüfung der Rechtsverletzung
und gegebenenfalls zur Nachholung des rechtlichen Gehörs.
2. Um Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen, sind von der
Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts
außerordentliche Rechtsbehelfe geschaffen worden (siehe oben A II 1 a).
Diese genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die
Rechtsmittelklarheit nicht. Die Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen
Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger
erkennbar sein.
a) Wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz der
Rechtssicherheit. Er wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts unter
anderem in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Das rechtsstaatliche
Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns
führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung
gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (vgl. BVerfGE 49, 148
[164]; 87, 48 [65]). Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels soll
dem Bürger insbesondere die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen
Voraussetzungen es zulässig ist. Sind die Formerfordernisse so kompliziert
und schwer zu erfassen, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsuchende
werde sich in zumutbarer Weise darüber Aufklärung verschaffen können,
müsste die Rechtsordnung zumindest für eine das Defizit ausgleichende
Rechtsmittelbelehrung sorgen (vgl. BVerfGE 93, 99 [108]). Diese kann aber
zuverlässig nur erteilt werden, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen des
jeweiligen Rechtsbehelfs in der Rechtsordnung geregelt sind.
b) Die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit sind
bei den zur Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG gegenwärtig
verfügbaren außerordentlichen Rechtsbehelfen nicht erfüllt. Infolgedessen
gibt es erhebliche Unsicherheiten bei der Entscheidung über die Frage, ob
erst ein außerordentlicher Rechtsbehelf oder sogleich die
Verfassungsbeschwerde einzulegen ist. Zur Vermeidung von Rechtsverlusten
werden daher häufig beide Rechtsbehelfe parallel eingelegt. Derartige
Zwänge illustrieren die rechtsstaatlichen Defizite der außerordentlichen
Rechtsbehelfe. Zugleich führen sie zu einer unnötigen Belastung der Bürger
und der Gerichte.
3. Die dargestellten rechtsstaatlichen Defizite schließen es aus, dass das
Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde von
der vorherigen erfolglosen Einlegung solcher außerordentlicher
Rechtsbehelfe abhängig macht. Derartige Rechtsbehelfe gehören nicht zu dem
Rechtsweg, dessen Erschöpfung § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG fordert. Soweit
die bisherige Praxis des Bundesverfassungsgerichts dies anders gesehen
hat, kann daran nicht festgehalten werden.
Dies führt allerdings nicht dazu, dass nunmehr eine Verfassungsbeschwerde
regelmäßig ohne vorherige fachgerichtliche Überprüfung der Verletzung
rechtlichen Gehörs zur Entscheidung angenommen werden kann. Sonst würde
das System der Zuordnung von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit
beeinträchtigt, das auf dem Subsidiaritätsgrundsatz aufbaut. Um den
Rechtsschutz der Bürger nicht in einer rechtsstaatswidrigen Weise zu
verkürzen, hat das Bundesverfassungsgericht allerdings in Fällen, in denen
der Weg zu den Fachgerichten wegen des Fehlens eines entsprechenden
Rechtsbehelfs gar nicht eröffnet war, bisher unter bestimmten
Voraussetzungen eine Verfassungsbeschwerde trotz fehlender
fachgerichtlicher Entscheidung über die behauptete Versagung des
rechtlichen Gehörs für zulässig gehalten.
Diese Praxis widerspricht der Aufgabenverteilung zwischen Fach- und
Verfassungsgerichtsbarkeit. Sie kann nur noch für eine Übergangszeit
hingenommen werden. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31. Dezember
2004 eine Lösung zu finden, soweit dies nicht schon durch das
Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 geschehen ist. Bis zur
gesetzlichen Neuregelung bleibt es bei der gegenwärtigen Rechtslage.
Sollte der Gesetzgeber keine rechtzeitige Neuregelung treffen, ist das
Verfahren auf Antrag vor dem Gericht fortzusetzen, dessen Entscheidung
wegen einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
angegriffen wird. Der Antrag ist binnen 14 Tagen seit Zustellung der
Entscheidung zu stellen.
Die Entscheidung ist mit 10 : 6 Stimmen ergangen.
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