1. Hat der Käufer die Kaufsache am Ort
der Niederlassung des Verkäufers abzuholen, so ist die Ablieferung
der Ware erst mit deren tatsächlicher Übergabe erfolgt (Abgrenzung
zu Senat, NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024).
2. Der Annahmeverzug des Käufers mit der
Abnahme der Kaufsache steht in einem solchen Falle der Ablieferung nicht
gleich.
NJW 1995, 3381
LM H. 2/1996 § 477 BGB Nr. 62
MDR 1996, 132
JZ 1996, 257
BB 1995, 2394
DB 1995, 2520
ZIP 1995, 1822
Zum Sachverhalt:
Der Kl., Gesellschafter mehrerer im Mineralölhandel
tätiger Kapitalgesellschaften, kaufte von der Bekl. im Oktober 1988
einen Tankzugwagen (Erstzulassung 1975) mit Anhänger (Erstzulassung
1978) zum Preis von zusammen 75350 DM. Die Parteien hatten vereinbart,
daß der Tanklastzug am 25. 10. 1988 vom Betriebsgelände der
Bekl. abgeholt werden sollte. Dieser Verpflichtung kam der Kl. nicht nach.
Er hat in der Folgezeit bestritten, daß zwischen ihm und der Bekl.
ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. In einem Vorprozeß ist der
Kl. rechtskräftig zur Kaufpreiszahlung und Abnahme des Tanklastzuges
verurteilt worden. Daraufhin bezahlte er den Kaufpreis und übernahm
vereinbarungsgemäß am 12. 3. 1990 das Fahrzeug, das bis zu diesem
Zeitpunkt im Betrieb der Bekl. weiter genutzt worden war. Am 22. 3. 1990
ließ er den Tanklastzug durch einen Kraftfahrzeugsachverständigen
untersuchen. Dabei wurden zahlreiche Mängel unter anderem starke Korrosionsschäden
am Fahrzeughauptrahmen festgestellt. Der Kl. begehrt die Wandelung des
Kaufvertrages und hat mit am 5. 9. 1990 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz,
zugestellt am 13. 9. 1990, Klage auf Zahlung von zuletzt noch 70481,60
DM Zug um Zug gegen Rückgabe des Tanklastzuges erhoben. Er hat behauptet,
der Tanklastzug sei bereits am 25. 10. 1988 mit Mängeln behaftet und
nicht mehr verkehrssicher gewesen. Die Bekl. hat dies bestritten und hilfsweise
die Einrede der Verjährung erhoben, weil sich der Kl. seit dem 26.
10. 1988 in Annahmeverzug befunden habe.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Bekl. ist ohne Erfolg geblieben. Die Revision der Bekl. hatte keinen
Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat einen Wandelungsanspruch des
Kl. bejaht und dazu im wesentlichen ausgeführt:
Der Zugwagen des verkauften Tanklastzugs sei infolge
massiver Korrosion des Hauptrahmens bereits am 25. 10. 1988, als der Kl.
in Annahmeverzug geraten und damit die Preisgefahr auf ihn übergegangen
sei, fehlerhaft i.S. des § 459 I BGB gewesen. Aufgrund dieser Rostschäden
sei die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs nicht mehr gegeben und mit einem
wirtschaftlich zumutbaren Aufwand auch nicht wiederherzustellen gewesen.
Die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 477 BGB sei bei Klageerhebung
noch nicht abgelaufen gewesen. Die Ablieferung habe erst am 12. 3. 1990
stattgefunden, als der Kl. den Tanklastzug tatsächlich abgenommen
habe. Für den vorliegenden Fall einer Holschuld genüge nicht,
daß der Verkäufer den Kaufgegenstand zur Abholung bereithalte.
Vielmehr müsse der Ablieferungsvorgang zum Schutz des Käufers
und im Interesse der Rechtssicherheit nach außen erkennbar dokumentiert
werden. Zwar sei der Kl. mit Ablauf des 25. 10. 1988 in Annahmeverzug geraten,
dadurch allein werde die kurze Verjährungsfrist des § 477 I BGB
aber nicht in Gang gesetzt. Durch das bloße wörtliche Angebot
des Verkäufers, die Sache stehe zur Abholung bereit, werde für
den Käufer weder erkennbar, daß die Gewährleistungsfrist
beginne, noch werde er in die Lage versetzt, die Kaufsache zu untersuchen.
Schließlich müsse sich der Kl. auch nicht nach Treu und Glauben
so behandeln lassen, als sei der Tanklastzug bereits am 25. 10. 1988 abgeliefert
worden. Jedenfalls sei sein Verhalten unter Berücksichtigung der besonderen
Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht als treuwidrig zu werten.
Im Vorprozeß sei die Bekl. - bzw. die Ehefrau ihres Inhabers
- selbst zunächst davon ausgegangen, daß der Kaufvertrag nicht
mit dem Kl. persönlich zustande gekommen sei; dies habe das LG zugunsten
des Kl. bestätigt. Erst im zweiten Rechtszug sei der Bekl. zur Abnahme
verurteilt worden. Darüber hinaus sei die Bekl. in der Lage gewesen,
den Tanklastzug weiter zu nutzen, was sie auch getan habe.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen
Nachprüfung stand.
1. Die Revision wendet sich nicht gegen die -
bedenkenfreie - Feststellung des BerGer., zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
sei der Tanklastzug mit einem erheblichen Mangel behaftet gewesen.
2. Zu Unrecht hält die Revision den Vortrag
der Bekl. für übergangen, der Kl. sei der ihn als Vollkaufmann
treffenden Rügeobliegenheit nach § 377 I HGB nicht rechtzeitig
nachgekommen.
a) Es bedarf keiner Vertiefung, ob die von der
Revision angeführte schriftsätzliche Behauptung der Bekl., der
Kl. sei Vollkaufmann, im Hinblick auf § 561 I ZPO berücksichtigt
werden kann und ob die Bekl. diesen Vortrag nicht mit den - späteren
-Schriftsätzen vom 2. 1. 1991 und 9. 1. 1992 fallengelassen hat. Jedenfalls
hat sie für diese vom Kl. mit der Begründung, er sei angestellter
Stukkateur, bestrittene Tatsache keinen Beweis angetreten. Beweispflichtig
für die Kaufmannseigenschaft beider Vertragsparteien im Rahmen des
§ 377 HGB ist die Bekl. als Verkäuferin (vgl. Baumgärtel/Reinicke,
Hdb. der Beweislast im PrivatR IV, § 377 Rdnr. 2; Staub/Brüggemann,
in: GroßKomm. z. HGB, 4. Aufl., § 377 Rdnr. 205).
b) Ob der Kl., wie die Revision meint, den Lastzug
"in seiner Eigenschaft als Gesellschafter mehrerer Familienunternehmen,
insbesondere der P und T-GmbH" gekauft hat, kann dahinstehen. Der Gesellschafter
einer GmbH ist nicht selbst Kaufmann. Inhaber des Handelsgewerbes ist die
GmbH als juristische Person, nicht deren Gesellschafter (vgl. BGHZ 5, 133
(134) = NJW 1952, 623 = LM § 348 HGB Nr. 1; BGH, NJW-RR 1987, 42 =
WM 1986, 939 (unter 2a)).
3. Dem Wandelungsanspruch des Kl. steht auch nicht
die von der Bekl. erhobene Einrede der Verjährung aus § 477 I
BGB entgegen. Die Revision ist der Ansicht, nicht am Tage der tatsächlichen
Übergabe der Kaufsache an den Kl., dem 12. 3. 1990, sondern bereits
zum Zeitpunkt der vereinbarten Abholung, dem 25. 10. 1988, habe der Lauf
der Verjährungsfrist begonnen, zumal deshalb, weil sich der Kl. in
Annahmeverzug befunden habe. Dies folge aus der Senatsentscheidung vom
20. 4. 1988 (NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024),
die zwar zum Fall eines Versendungskaufs ergangen sei, deren tragende Gründe
aber für den Fall einer Holschuld gleichermaßen zu gelten hätten.
Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Die Verjährung des Wandelungsanspruchs
beginnt gem. § 477 I BGB mit der Ablieferung der Kaufsache. Grundsätzlich
setzt die Ablieferung voraus, daß der Verkäufer die Sache aus
seiner Verfügungsgewalt entläßt und die Ware in Erfüllung
des Kaufvertrags so in den Machtbereich des Käufers verbracht wird,
daß diesem nunmehr anstelle des Verkäufers die Verfügungsmöglichkeit
zusteht und ihm ermöglicht wird, die Sache zu untersuchen (st.Rspr.,
z.B. BGHZ 93, 338 (345f.) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77;
BGH, NJW 1993, 2436 = LM H. 11/1993 § 631 BGB Nr. 73 = WM 1993, 1639
(unter II 2b bb)).
aa) Beim Versendungskauf erfolgt die Ablieferung
regelmäßig zwar noch nicht durch die Übergabe an den Beförderer
(RGZ 92, 271 (273)), wohl aber dadurch, daß dem Käufer die Ware
vertragsgemäß am Bestimmungsort zur sofortigen Abholung zur
Verfügung gestellt wird (Senat, NJW 1958, 750 = LM Art. 27 EGBGB Nr.
3 (unter VIII); BGHZ 93, 338 (345) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB
Nr. 77 m.w. Nachw.; Soergel/Huber,BGB, 12. Aufl., § 477 Rdnr. 33);
daß der Käufer die Sache tatsächlich abholt, ist nicht
erforderlich.
bb) Bei der Holschuld liegt es im Ausgangspunkt
anders: Während beim Versendungskauf die Verfügungsmacht des
Verkäufers bereits durch die Auslieferung an den Beförderer gelockert
wird und er die Verfügungsmöglichkeit verliert, wenn der Käufer
in Stand gesetzt wird, die Ware abzuholen, ändert sich bei der Holschuld
durch die Mitteilung des Verkäufers, die Ware stehe zur Abholung bereit,
noch nichts, was nach außen hin objektiv erkennbar wäre (zu
diesem Erfordernis vgl. BGHZ 93, 338 (346) = NJW 1985, 1333 = LM §
459 BGB Nr. 77). Gleichwohl ist bei der Frage der Ablieferung im Falle
einer Holschuld zu differenzieren (so auch Soergel/Huber, § 477 Rdnrn.
41f.):
aaa) Hat der Käufer - wie in dem Fall, der
dem Senatsurteil vom 20. 4. 1988 (NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr.
45 = WM 1988, 1024) zugrunde lag - die Ware bei einem Dritten (dort dem
Lagerhalter) abzuholen, so ist die tatsächliche Situation und die
Interessenlage bei der Holschuld nicht anders als beim Versendungskauf,
weil sich im einen wie im anderen Fall der Verkäufer seiner Verfügungsgewalt
entäußert und es der Käufer in der Hand hat, sich einseitig
Besitz zu verschaffen. Dann - und nur dann - bedarf es gegebenenfalls der
zusätzlichen Püfung, ob eine Ablieferung auch vorliegt, wenn
der Verkäufer den Dritten anweist, die Ware bei Vorleistungspflicht
des Käufers nur gegen Zahlung des Kaufpreises herauszugeben (Senat,
NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024 (unter II 3);
zust. Soergel/Huber, § 477 Rdnrn. 35f.; Erman/Grunewald, BGB, 9. Aufl.,
§ 477 Rdnr. 9; abl. Tiedtke,EWiR 1988, 665; ders., NJW 1988, 2578
(2580f.); Reinicke/Tiedtke, KaufR, 5. Aufl., S. 146f.).
bbb) Hat die Abholung der Kaufsache dagegen -
wie im vorliegenden Fall - am Ort der Niederlassung des Verkäufers
zu erfolgen, so fällt die Ablieferung (erst) mit der tatsächlichen
Übergabe zusammen, weil der Verkäufer bis dahin seine Verfügungsmacht
an der Ware nie aufgegeben hat (ebenso Soergel/Huber, § 477 Rdnr.
41; Tiedtke, NJW 1988, 2578 (2579)). Der Verkäufer muß bei der
Auslieferung an den Käufer mitwirken. Die Aufforderung, die bereitgestellte
Ware abzuholen, bereitet die Ablieferung vor, vollzieht sie aber nicht
(a.A. Erman/Grunewald, § 477 Rdnr. 9, die auf den vereinbarten Abholtermin
abstellt). Das vertragswidrige Verhalten des Kl., der den Tanklastzug nicht
zum vereinbarten Zeitpunkt abgeholt hat, verzögert zwar den Verjährungsbeginn
und erschwert die Erreichung des Zwecks des § 477 BGB, die Abwicklung
von Kaufverträgen zu beschleunigen. Dieser Zweck findet aber in dem
Erfordernis eines objektiv erkennbaren Ablieferungsvorgangs seine Grenze
(BGHZ 93, 338 (346) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77). Wegen
der insoweit fehlenden Entäußerung auf Seiten des Verkäufers
kommt es hier nicht auf den im Senatsurteil vom 20. 4. 1988 (NJW 1988,
2608 (unter II 2) = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024) erörterten
Gesichtspunkt an, daß es nicht im Belieben desjenigen Käufers,
an dem es allein liege, sich in den Besitz der Kaufsache zu setzen, stehen
dürfe, durch Verzögerung der vertraglich geschuldeten Leistung
den Verjährungsbeginn hinauszuschieben. Darüber hinaus werden
schutzwürdige Interessen des Verkäufers nicht tangiert: Wäre
die Abholung früher als tatsächlich geschehen erfolgt, so wäre
er auch früher mit einer eventuellen Mängelrüge des Käufers
konfrontiert worden. Der Verkäufer kann den Käufer in Annahmeverzug
setzen und die daraus folgenden Rechte geltend machen. Schließlich
hat er die Möglichkeit, den Käufer auf Abnahme und Zahlung zu
verklagen (vgl. auch Tiedtke, NJW 1988, 2578f.).
b) Ob ein Annahmeverzug des Käufers die unterbliebene
Ablieferung zu ersetzen vermag, hat der Senat in BGHZ 93, 338 (347f.) =
NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77 offengelassen. Die Frage ist,
wie das BerGer. zu Recht ausgeführt hat, zu verneinen. Das Gesetz
knüpft an einen Annahmeverzug des Gläubigers verschiedene für
ihn ungünstige Rechtsfolgen (§§ 300-304, 324 II BGB), bestimmt
aber nicht, daß die Verjährungsfrist zu laufen beginnt (ebenso
Soergel/Huber, § 477 Rdnr. 40; Tiedtke,NJW 1988, 2578 (2579)). Dies
ist nicht unbillig, weil der Käufer dann, wenn er mit der Abholung
der Ware in Annahmeverzug gerät, zugleich zu eigenen Lasten die Untersuchungsmöglichkeit
hinauszögert. Dies tut er regelmäßig nicht in der Absicht,
den Beginn der Verjährungsfrist hinauszuschieben. Dies ist nur Folge,
nicht aber Zweck seines Verhaltens (Tiedtke, NJW 1988, 2578 (2579)). Auch
für die Vorschrift des § 377 HGB, die den Begriff der Ablieferung
inhaltsgleich wie § 477 BGB verwendet (BGHZ93, 338 (345) = NJW 1985,
1333 = LM § 459 BGB Nr. 77), ist seit jeher einhellige Meinung, daß
ein Annahmeverzug des Käufers noch nicht die Rügeobliegenheit
auslöst, dies vielmehr nur durch die tatsächliche Ablieferung
geschieht (RGZ 5, 28 (32); 99, 56 (59); Staub/Brüggemann, §
377 Rdnr. 30; Heymann/Emmerich, HGB, § 377 Rdnr. 12; Schlegelberger/Hefermehl,
HGB, 5. Aufl., § 377 Rdnr. 16).
c) Schließlich muß sich der Kl. auch
nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben so behandeln lassen, als
sei der Tanklastzug bereits am 25. 10. 1988 abgeliefert worden. Dabei kann
dahinstehen, ob die auf Rechtsgeschäfte zugeschnittene Vorschrift
des § 162 BGB auf den Realakt der Ablieferung überhaupt angewendet
werden kann (offengelassen in Senat, NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB
Nr. 45 = WM 1988, 1024 (unter II 4)) oder ob bei der Feststellung einer
Ablieferung auch der allgemeine Grundsatz des § 242 BGB herangezogen
werden kann und muß (so Senat,NJW 1958, 750 = LM Art. 27 EGBGB Nr.
3 (unter VIII)). Es bedarf auch keiner grundsätzlichen Beurteilung,
ob sich der in Annahmeverzug befindliche Käufer mit seiner Berufung
auf die fehlende Ablieferung treuwidrig verhält (verneinend Tiedtke,
NJW 1988, 2578 (2579f.)). Denn die vom BerGer. festgestellten - oben (I)
wiedergegebenen - besonderen Umstände stehen der Annahme einer Treuwidrigkeit
des Kl. entgegen. Dagegen hat die Revision nichts vorgebracht.
d) Da der Lauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist
erst mit der tatsächlichen Übernahme des Tanklastzugs am 12.
3. 1990 begonnen hat, wurde die Verjährung durch Zustellung des Schriftsatzes
vom 5. 9. 1990 - wie das BerGer. zutreffend und von der Revision insoweit
unbeanstandet festgestellt hat - noch rechtzeitig (§ 270 III ZPO)
unterbrochen.