Verjährungsbeginn nach § 477 BGB bei Holschuld und Annahmeverzug des Käufers 

BGH, Urteil v. 11.10.1995


Amtl. Leitsätze:

1. Hat der Käufer die Kaufsache am Ort der Niederlassung des Verkäufers abzuholen, so ist die Ablieferung der Ware erst mit deren tatsächlicher Übergabe erfolgt (Abgrenzung zu Senat, NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024).
2. Der Annahmeverzug des Käufers mit der Abnahme der Kaufsache steht in einem solchen Falle der Ablieferung nicht gleich.



Fundstellen:

NJW 1995, 3381
LM H. 2/1996 § 477 BGB Nr. 62
MDR 1996, 132
JZ 1996, 257
BB 1995, 2394
DB 1995, 2520
ZIP 1995, 1822


Zum Sachverhalt:

Der Kl., Gesellschafter mehrerer im Mineralölhandel tätiger Kapitalgesellschaften, kaufte von der Bekl. im Oktober 1988 einen Tankzugwagen (Erstzulassung 1975) mit Anhänger (Erstzulassung 1978) zum Preis von zusammen 75350 DM. Die Parteien hatten vereinbart, daß der Tanklastzug am 25. 10. 1988 vom Betriebsgelände der Bekl. abgeholt werden sollte. Dieser Verpflichtung kam der Kl. nicht nach. Er hat in der Folgezeit bestritten, daß zwischen ihm und der Bekl. ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. In einem Vorprozeß ist der Kl. rechtskräftig zur Kaufpreiszahlung und Abnahme des Tanklastzuges verurteilt worden. Daraufhin bezahlte er den Kaufpreis und übernahm vereinbarungsgemäß am 12. 3. 1990 das Fahrzeug, das bis zu diesem Zeitpunkt im Betrieb der Bekl. weiter genutzt worden war. Am 22. 3. 1990 ließ er den Tanklastzug durch einen Kraftfahrzeugsachverständigen untersuchen. Dabei wurden zahlreiche Mängel unter anderem starke Korrosionsschäden am Fahrzeughauptrahmen festgestellt. Der Kl. begehrt die Wandelung des Kaufvertrages und hat mit am 5. 9. 1990 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz, zugestellt am 13. 9. 1990, Klage auf Zahlung von zuletzt noch 70481,60 DM Zug um Zug gegen Rückgabe des Tanklastzuges erhoben. Er hat behauptet, der Tanklastzug sei bereits am 25. 10. 1988 mit Mängeln behaftet und nicht mehr verkehrssicher gewesen. Die Bekl. hat dies bestritten und hilfsweise die Einrede der Verjährung erhoben, weil sich der Kl. seit dem 26. 10. 1988 in Annahmeverzug befunden habe.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. ist ohne Erfolg geblieben. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat einen Wandelungsanspruch des Kl. bejaht und dazu im wesentlichen ausgeführt:
Der Zugwagen des verkauften Tanklastzugs sei infolge massiver Korrosion des Hauptrahmens bereits am 25. 10. 1988, als der Kl. in Annahmeverzug geraten und damit die Preisgefahr auf ihn übergegangen sei, fehlerhaft i.S. des § 459 I BGB gewesen. Aufgrund dieser Rostschäden sei die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs nicht mehr gegeben und mit einem wirtschaftlich zumutbaren Aufwand auch nicht wiederherzustellen gewesen. Die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 477 BGB sei bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen. Die Ablieferung habe erst am 12. 3. 1990 stattgefunden, als der Kl. den Tanklastzug tatsächlich abgenommen habe. Für den vorliegenden Fall einer Holschuld genüge nicht, daß der Verkäufer den Kaufgegenstand zur Abholung bereithalte. Vielmehr müsse der Ablieferungsvorgang zum Schutz des Käufers und im Interesse der Rechtssicherheit nach außen erkennbar dokumentiert werden. Zwar sei der Kl. mit Ablauf des 25. 10. 1988 in Annahmeverzug geraten, dadurch allein werde die kurze Verjährungsfrist des § 477 I BGB aber nicht in Gang gesetzt. Durch das bloße wörtliche Angebot des Verkäufers, die Sache stehe zur Abholung bereit, werde für den Käufer weder erkennbar, daß die Gewährleistungsfrist beginne, noch werde er in die Lage versetzt, die Kaufsache zu untersuchen. Schließlich müsse sich der Kl. auch nicht nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei der Tanklastzug bereits am 25. 10. 1988 abgeliefert worden. Jedenfalls sei sein Verhalten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht als treuwidrig zu werten. Im Vorprozeß sei die Bekl. - bzw. die Ehefrau  ihres Inhabers - selbst zunächst davon ausgegangen, daß der Kaufvertrag nicht mit dem Kl. persönlich zustande gekommen sei; dies habe das LG zugunsten des Kl. bestätigt. Erst im zweiten Rechtszug sei der Bekl. zur Abnahme verurteilt worden. Darüber hinaus sei die Bekl. in der Lage gewesen, den Tanklastzug weiter zu nutzen, was sie auch getan habe.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Revision wendet sich nicht gegen die - bedenkenfreie - Feststellung des BerGer., zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs sei der Tanklastzug mit einem erheblichen Mangel behaftet gewesen.
2. Zu Unrecht hält die Revision den Vortrag der Bekl. für übergangen, der Kl. sei der ihn als Vollkaufmann treffenden Rügeobliegenheit nach § 377 I HGB nicht rechtzeitig nachgekommen.
a) Es bedarf keiner Vertiefung, ob die von der Revision angeführte schriftsätzliche Behauptung der Bekl., der Kl. sei Vollkaufmann, im Hinblick auf § 561 I ZPO berücksichtigt werden kann und ob die Bekl. diesen Vortrag nicht mit den - späteren -Schriftsätzen vom 2. 1. 1991 und 9. 1. 1992 fallengelassen hat. Jedenfalls hat sie für diese vom Kl. mit der Begründung, er sei angestellter Stukkateur, bestrittene Tatsache keinen Beweis angetreten. Beweispflichtig für die Kaufmannseigenschaft beider Vertragsparteien im Rahmen des § 377 HGB ist die Bekl. als Verkäuferin (vgl. Baumgärtel/Reinicke, Hdb. der Beweislast im PrivatR IV, § 377 Rdnr. 2; Staub/Brüggemann, in: GroßKomm. z. HGB, 4. Aufl., § 377 Rdnr. 205).
b) Ob der Kl., wie die Revision meint, den Lastzug "in seiner Eigenschaft als Gesellschafter mehrerer Familienunternehmen, insbesondere der P und T-GmbH" gekauft hat, kann dahinstehen. Der Gesellschafter einer GmbH ist nicht selbst Kaufmann. Inhaber des Handelsgewerbes ist die GmbH als juristische Person, nicht deren Gesellschafter (vgl. BGHZ 5, 133 (134) = NJW 1952, 623 = LM § 348 HGB Nr. 1; BGH, NJW-RR 1987, 42 = WM 1986, 939 (unter 2a)).
3. Dem Wandelungsanspruch des Kl. steht auch nicht die von der Bekl. erhobene Einrede der Verjährung aus § 477 I BGB entgegen. Die Revision ist der Ansicht, nicht am Tage der tatsächlichen Übergabe der Kaufsache an den Kl., dem 12. 3. 1990, sondern bereits zum Zeitpunkt der vereinbarten Abholung, dem 25. 10. 1988, habe der Lauf der Verjährungsfrist begonnen, zumal deshalb, weil sich der Kl. in Annahmeverzug befunden habe. Dies folge aus der Senatsentscheidung vom 20. 4. 1988 (NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024), die zwar zum Fall eines Versendungskaufs ergangen sei, deren tragende Gründe aber für den Fall einer Holschuld gleichermaßen zu gelten hätten. Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Die Verjährung des Wandelungsanspruchs beginnt gem. § 477 I BGB mit der Ablieferung der Kaufsache. Grundsätzlich setzt die Ablieferung voraus, daß der Verkäufer die Sache aus seiner Verfügungsgewalt entläßt und die Ware in Erfüllung des Kaufvertrags so in den Machtbereich des Käufers verbracht wird, daß diesem nunmehr anstelle des Verkäufers die Verfügungsmöglichkeit zusteht und ihm ermöglicht wird, die Sache zu untersuchen (st.Rspr., z.B. BGHZ 93, 338 (345f.) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77; BGH, NJW 1993, 2436 = LM H. 11/1993 § 631 BGB Nr. 73 = WM 1993, 1639 (unter II 2b bb)).
aa) Beim Versendungskauf erfolgt die Ablieferung regelmäßig zwar noch nicht durch die Übergabe an den Beförderer (RGZ 92, 271 (273)), wohl aber dadurch, daß dem Käufer die Ware vertragsgemäß am Bestimmungsort zur sofortigen Abholung zur Verfügung gestellt wird (Senat, NJW 1958, 750 = LM Art. 27 EGBGB Nr. 3 (unter VIII); BGHZ 93, 338 (345) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77 m.w. Nachw.; Soergel/Huber,BGB, 12. Aufl., § 477 Rdnr. 33); daß der Käufer die Sache tatsächlich abholt, ist nicht erforderlich.
bb) Bei der Holschuld liegt es im Ausgangspunkt anders: Während beim Versendungskauf die Verfügungsmacht des Verkäufers bereits durch die Auslieferung an den Beförderer gelockert wird und er die Verfügungsmöglichkeit verliert, wenn der Käufer in Stand gesetzt wird, die Ware abzuholen, ändert sich bei der Holschuld durch die Mitteilung des Verkäufers, die Ware stehe zur Abholung bereit, noch nichts, was nach außen hin objektiv erkennbar wäre (zu diesem Erfordernis vgl. BGHZ 93, 338 (346) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77). Gleichwohl ist bei der Frage der Ablieferung im Falle einer Holschuld zu differenzieren (so auch Soergel/Huber, § 477 Rdnrn. 41f.):
aaa) Hat der Käufer - wie in dem Fall, der dem Senatsurteil vom 20. 4. 1988 (NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024) zugrunde lag - die Ware bei einem Dritten (dort dem Lagerhalter) abzuholen, so ist die tatsächliche Situation und die Interessenlage bei der Holschuld nicht anders als beim Versendungskauf, weil sich im einen wie im anderen Fall der Verkäufer seiner Verfügungsgewalt entäußert und es der Käufer in der Hand hat, sich einseitig Besitz zu verschaffen. Dann - und nur dann - bedarf es gegebenenfalls der zusätzlichen Püfung, ob eine Ablieferung auch vorliegt, wenn der Verkäufer den Dritten anweist, die Ware bei Vorleistungspflicht des Käufers nur gegen Zahlung des Kaufpreises herauszugeben (Senat, NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024 (unter II 3); zust. Soergel/Huber, § 477 Rdnrn. 35f.; Erman/Grunewald, BGB, 9. Aufl., § 477 Rdnr. 9; abl. Tiedtke,EWiR 1988, 665; ders., NJW 1988, 2578 (2580f.); Reinicke/Tiedtke, KaufR, 5. Aufl., S. 146f.).
bbb) Hat die Abholung der Kaufsache dagegen - wie im vorliegenden Fall - am Ort der Niederlassung des Verkäufers zu erfolgen, so fällt die Ablieferung (erst) mit der tatsächlichen Übergabe zusammen, weil der Verkäufer bis dahin seine Verfügungsmacht an der Ware nie aufgegeben hat (ebenso Soergel/Huber, § 477 Rdnr. 41; Tiedtke, NJW 1988, 2578 (2579)). Der Verkäufer muß bei der Auslieferung an den Käufer mitwirken. Die Aufforderung, die bereitgestellte Ware abzuholen, bereitet die Ablieferung vor, vollzieht sie aber nicht (a.A. Erman/Grunewald, § 477 Rdnr. 9, die auf den vereinbarten Abholtermin abstellt). Das vertragswidrige Verhalten des Kl., der den Tanklastzug nicht zum vereinbarten Zeitpunkt abgeholt hat, verzögert zwar den Verjährungsbeginn und erschwert die Erreichung des Zwecks des § 477 BGB, die Abwicklung von Kaufverträgen zu beschleunigen. Dieser Zweck findet aber in dem Erfordernis eines objektiv erkennbaren Ablieferungsvorgangs seine Grenze (BGHZ 93, 338 (346) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77). Wegen der insoweit fehlenden Entäußerung auf Seiten des Verkäufers kommt es hier nicht auf den im Senatsurteil vom 20. 4. 1988 (NJW 1988, 2608 (unter II 2) = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024) erörterten  Gesichtspunkt an, daß es nicht im Belieben desjenigen Käufers, an dem es allein liege, sich in den Besitz der Kaufsache zu setzen, stehen dürfe, durch Verzögerung der vertraglich geschuldeten Leistung den Verjährungsbeginn hinauszuschieben. Darüber hinaus werden schutzwürdige Interessen des Verkäufers nicht tangiert: Wäre die Abholung früher als tatsächlich geschehen erfolgt, so wäre er auch früher mit einer eventuellen Mängelrüge des Käufers konfrontiert worden. Der Verkäufer kann den Käufer in Annahmeverzug setzen und die daraus folgenden Rechte geltend machen. Schließlich hat er die Möglichkeit, den Käufer auf Abnahme und Zahlung zu verklagen (vgl. auch Tiedtke, NJW 1988, 2578f.).
b) Ob ein Annahmeverzug des Käufers die unterbliebene Ablieferung zu ersetzen vermag, hat der Senat in BGHZ 93, 338 (347f.) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77 offengelassen. Die Frage ist, wie das BerGer. zu Recht ausgeführt hat, zu verneinen. Das Gesetz knüpft an einen Annahmeverzug des Gläubigers verschiedene für ihn ungünstige Rechtsfolgen (§§ 300-304, 324 II BGB), bestimmt aber nicht, daß die Verjährungsfrist zu laufen beginnt (ebenso Soergel/Huber, § 477 Rdnr. 40; Tiedtke,NJW 1988, 2578 (2579)). Dies ist nicht unbillig, weil der Käufer dann, wenn er mit der Abholung der Ware in Annahmeverzug gerät, zugleich zu eigenen Lasten die Untersuchungsmöglichkeit hinauszögert. Dies tut er regelmäßig nicht in der Absicht, den Beginn der Verjährungsfrist hinauszuschieben. Dies ist nur Folge, nicht aber Zweck seines Verhaltens (Tiedtke, NJW 1988, 2578 (2579)). Auch für die Vorschrift des § 377 HGB, die den Begriff der Ablieferung inhaltsgleich wie § 477 BGB verwendet (BGHZ93, 338 (345) = NJW 1985, 1333 = LM § 459 BGB Nr. 77), ist seit jeher einhellige Meinung, daß ein Annahmeverzug des Käufers noch nicht die Rügeobliegenheit auslöst, dies vielmehr nur durch die tatsächliche  Ablieferung geschieht (RGZ 5, 28 (32); 99, 56  (59); Staub/Brüggemann, § 377 Rdnr. 30; Heymann/Emmerich, HGB, § 377 Rdnr. 12; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, 5. Aufl., § 377 Rdnr. 16).
c) Schließlich muß sich der Kl. auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei der Tanklastzug bereits am 25. 10. 1988 abgeliefert worden. Dabei kann dahinstehen, ob die auf Rechtsgeschäfte zugeschnittene Vorschrift des § 162 BGB auf den Realakt der Ablieferung überhaupt angewendet werden kann (offengelassen in Senat, NJW 1988, 2608 = LM § 477 BGB Nr. 45 = WM 1988, 1024 (unter II 4)) oder ob bei der Feststellung einer Ablieferung auch der allgemeine Grundsatz des § 242 BGB herangezogen werden kann und muß (so Senat,NJW 1958, 750 = LM Art. 27 EGBGB Nr. 3 (unter VIII)). Es bedarf auch keiner grundsätzlichen Beurteilung, ob sich der in Annahmeverzug befindliche Käufer mit seiner Berufung auf die fehlende Ablieferung treuwidrig verhält (verneinend Tiedtke, NJW 1988, 2578 (2579f.)). Denn die vom BerGer. festgestellten - oben (I) wiedergegebenen - besonderen Umstände stehen der Annahme einer Treuwidrigkeit des Kl. entgegen. Dagegen hat die Revision nichts vorgebracht.
d) Da der Lauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist erst mit der tatsächlichen Übernahme des Tanklastzugs am 12. 3. 1990 begonnen hat, wurde die Verjährung durch Zustellung des Schriftsatzes vom 5. 9. 1990 - wie das BerGer. zutreffend und von der Revision insoweit unbeanstandet festgestellt hat - noch rechtzeitig (§ 270 III ZPO) unterbrochen.



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