Ein Ausschluß der freien Willensbestimmung
liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, einen Willen frei und unbeeinflußt
von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend
gewonnenen Einsichten zu handeln.
NJW 1996, 918
LM H. 4/1996 § 104 BGB Nr. 11
MDR 1996, 348
DB 1996, 518
WM 1996, 104
Zum Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Kreditvertrages. Die bekl. Bank gewährte dem Kl. ein Darlehen über 123000 DM zur Finanzierung einer Eigentumswohnung. Der Kl., für den seit Juni 1992 wegen erheblicher Minderbegabung bei bestehendem Analphabetismus ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten bestellt ist, behauptet, er sei bei Abschluß des Kreditvertrages im Februar 1990 geschäftsunfähig gewesen; wegen geistiger Behinderung sei er nicht in der Lage, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Die Vorinstanzen haben seine Klage, die Nichtigkeit des Kreditvertrages festzustellen, abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat zur Begründung der Klageabweisung
ausgeführt: Der Vortrag des Kl. rechtfertige nicht den Schluß,
er sei geschäftsunfähig. Es könne dahinstehen, ob die erhebliche
Minderbegabung des Kl. bereits als krankhafte Störung der Geistestätigkeit
einzustufen sei. Weder aus dem von ihm vorgelegten Bericht der Amtsärztin
noch aus seinem sonstigen Vorbringen sei zu entnehmen, daß er sich
im Jahre 1990 aufgrund Minderbegabung in einem die freie Willensbestimmung
ausschließenden Zustand befunden habe. Zwar werde im amtsärztlichen
Bericht Geschäftsunfähigkeit des Kl. bejaht. Dies beruhe auf
einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung. Der Kl. gehe seit Jahren
einer geregelten Tätigkeit als Bauhelfer nach, könne seinen Willen
kundtun und sei in der Lage, die von der Betreuung ausdrücklich ausgenommenen
Geschäfte des täglichen Lebens zu bewältigen. Daß
ihm die Einsicht in die rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge
des abgeschlossenen Vertrages fehle, sei ohne Belang. Eine auf schwierige
Geschäfte beschränkte relative Geschäftsunfähigkeit
sei abzulehnen.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
1. Von der Zulässigkeit der Feststellungsklage
nach § 256 I ZPO ist das BerGer. allerdings zu Recht auch insoweit
ausgegangen, als der Kl. auf Rückzahlung bereits erbrachter Zins-
und Tilgungsleistungen hätte klagen können. Zwar fehlt es im
allgemeinen an dem erforderlichen Feststellungsinteresse, soweit eine Leistungsklage
möglich ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt aber nicht ausnahmslos.
Wenn eine Feststellungsklage zur endgültigen Erledigung der aufgetretenen
Streitpunkte führt, bestehen gegen die Zulässigkeit keine Bedenken
(Senat, NJW 1995, 2219 = LM H. 11/1995 § 9 (Cg) AGBG Nr. 27 = WM 1995,
1219 (1220); NJW 1995, 2221 = LM H. 11/1995 § 9 (Cg) AGBG Nr. 28 =
WM 1995, 1264 (1266)). So liegt der Fall hier.
2. Die Ausführungen zur Begründetheit
der Feststellungsklage halten den Angriffen der Revision dagegen nicht
stand. Sie rügt zu Recht, daß das BerGer. kein Sachverständigengutachten
zu der Frage eingeholt hat, ob die freie Willensbestimmung des Kl. bei
Abschluß des Kreditvertrages infolge krankhafter Störung der
Geistestätigkeit ausgeschlossen war.
a) Das BerGer. hat dahinstehen lassen, ob die
erhebliche Minderbegabung des Kl. bereits als krankhafte Geistesstörung
anzusehen ist. Für die Revision ist deshalb davon auszugehen.
b) Den für Geschäftsunfähigkeit
nach § 104 Nr. 2 BGB weiter erforderlichen Ausschluß freier
Willensbestimmung meint das BerGer. weder dem Vortrag des Kl. noch dem
vorgelegten Bericht der Amtsärztin entnehmen zu können. Dem kann
nicht gefolgt werden.
aa) Ein Ausschluß der freien Willensbestimmung
liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflußt
von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend
gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine
freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher
Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist
oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen
werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter
Personen den Willen übermäßig beherrschen (BGH, NJW 1953,
1342 = LM § 739 ZPO Nr. 2; NJW 1970, 1680 (1681) = LM § 104 BGB
Nr. 7; WM 1984, 1063 (1064)). Substantiiert dargelegt ist ein solcher Ausschluß
nach allgemeinen Grundsätzen, wenn das Gericht auf der Grundlage des
Klägervorbringens zu dem Ergebnis kommen muß, die Voraussetzungen
des § 104 Nr. 2 BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des
Vortrags kommt es nicht an (BGH, NJW-RR 1993, 189; NJW 1995, 1958 (1959)
= LM H. 10/1995 § 89b HGB Nr. 103).
bb) Gemessen darin ist das Vorbringen des Kl.
jedenfalls unter Berücksichtigung des von ihm vorgelegten amtsärztlichen
Berichts noch hinreichend substantiiert. Der Kl. hat ausdrücklich
behauptet, er sei "nicht dazu in der Lage, seine Entscheidungen von vernünftigen
Erwägungen abhängig zu machen". Bei Abschluß des Vertrages
habe er nicht einmal den Sachverhalt erfassen können, sondern ganz
unter dem Einfluß seines Bruders gestanden. Das BerGer. sei in seinem
Beschluß, durch den Prozeßkostenhilfe verweigert wurde, fälschlich
davon ausgegangen, daß er "in der Lage sei, seinen Willen frei zu
betätigen". Dieses im Berufungsurteil nicht angesprochene, unter Sachverständigenbeweis
gestellte Vorbringen erfüllt das Tatbestandsmerkmal "Ausschluß
der freien Willensbestimmung", zumal der amtsärztliche Bericht Beispiele
für völlig unvernünftiges Verhalten des Kl. enthält.
Danach hat er, obwohl Analphabet, mindestens zweimal teure Lexika gekauft.
Hinzu kommt, daß die Amtsärztin den
Kl. nach Untersuchung als "geschäftsunfähig" bezeichnet hat.
Daß sie die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB verkannt hat
und nur relative Geschäftsunfähigkeit des Kl. gegeben ist, ist
ihrem Bericht nicht zu entnehmen. Darin heißt es vielmehr ohne Einschränkung,
der Kl. sei "nicht in der Lage, aufgrund des oben genannten mangelnden
Kritikvermögens seine finanziellen Angelegenheiten sowie Rechtsangelegenheiten
selbst zu besorgen." Entgegen der Ansicht des BerGer. besagt es insoweit
nichts, daß der Kl. seinen Willen kundtun kann. Im Rahmen des §
104 Nr. 2 BGB kommt es auf die freie Willensbestimmung, nicht auf die Möglichkeit
der Willenskundgabe an. Daß der Kl. seit Jahren als Bauhelfer berufstätig
ist und geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens von
der angeordneten Betreuung ausgenommen sind, mag seine absolute Geschäftsunfähigkeit
zwar, ohne sie auszuschließen, weniger wahrscheinlich machen. Auf
die Wahrscheinlichkeit kommt es für die Schlüssigkeit des Klägervorbringens
jedoch, wie dargelegt, nicht an.