Nichtübereinstimmung des Willens infolge des Gebrauchs eines einem Telegraphenschlüssel entnommenen Phantasiewortes, den jede Partei einen anderen Sinn unterlegt.
Der Fall betrifft eine ähnliche Problematik wie Ihering's berühmter "Speisekartenfall" (vgl. hierzu etwa Medicus AT Rn. 324 ff). Es geht um einen sog. "Totaldissens", d.h. um die Konstellation, daß aufgrund der unterschiedlichen (objektivierten) Empfängerhorizonte der Vertragsschließenden kein normativer Konsens der Erklärungen zu erreichen ist. In den (seltenen) Fällen dieser Art ist auch ein (anfechtbarer) Vertragsschluß zu verneinen, sondern nur noch eine Haftung aus c.i.c. (unter Anrechnung des Verschuldens von Mittelspersonen nach § 278 BGB!) zu prüfen.
"Die Beklagten hatten an R. zu New York am 16.
April 1902 geschrieben, daß sie 6-8 Tonnen Weißmetall..., welche
ohne jede Garantie, nach Angabe ihrer Lieferanten bei Bestellung des Materials
enthalten müßten circa 86 Prozent Zinn, 7 ½ bis 8 Prozent
Antimon, 7 ½ bis 8 Prozent Kupfer, freibleibend offerieren könnten
fob Hamburg netto Kasse zum Preise von 188,75 Mark und daß sie feste
Kabelordner erbäten. R. war nach der Feststellung des Berufungsgerichts
von den Beklagten nicht ständig damit betraut, für sie Handelsgeschäfte
zu vermitteln.
Die Beklagten bedienten sich seiner nur gelegentlich
zur Vermittlung von Verkäufen in New York, sie hatten ihm weder allgemein,
noch in dem hier streitigen Falle irgend eine Vertretungsmacht übertragen.
R. trat in Unterhandlungen mit P. in New York - dem Rechtsvorgänger
des Klägers -.
Das Berufungsgericht nimmt als bewiesen an: R.
habe dem P. erklärt, daß er von den Beklagten beauftragt sei,
eine Partie Weißmetall zu verkaufen, und daß die Beklagten
die in ihrem Briefe vom 16. April angegebene Zusammensetzung garantierten;
er habe ferner bei der Unterredung, in der man zum Abschlusse gelangte,
dem P. den Brief der Beklagten vom 16. April gezeigt und diesen Brief,
den weder P. noch die Zeugin T. wegen Unkenntnis der deutschen Sprache
lesen konnten, fälschlich in das Englische dahin übersetzt, die
Beklagten wollten die Garantie für die fragliche Gehaltsangabe übernehmen,
während diese die Garantie in Wahrheit abgelehnt hätten. ..
Zwischen R. und den Beklagten war " Semilodei"
als Kabelwort für die Erklärung einer festen Bestellung auf das
freibleibende Angebot der Beklagten vom 16. April vereinbart. R. hatte
dieses Kabelwort dem P. mitgeteilt und dahin erläutert, das brauche
er nur den Beklagten zu kabeln, dann sei der Vertrag unter den verabredeten
Bedingungen perfekt. Demzufolge hat P. am 6. Mai an die Beklagten das Kabeltelegramm
gerichtet: "Accept R.'s Semilodei."...
Nach telegraphischen Zwischenverhandlungen über
die Menge und über Zahlung des ganzen Kaufpreises gegen die Konnossemente
nahmen die Beklagten durch Kabeltelegramm das Angebot des P. in dessen
Kabeltelegramm vom 6. Mai an.
Nach Verschiffung der Ware und Einlösung
der Konnossemente durch P. wurde entdeckt, daß infolge des
Verhaltens des R. der Käufer glaubte, mit Garantie gekauft zu haben,
während die Beklagten - die Verkäufer - der Meinung waren, ohne
Garantie verkauft zu haben.
Zur Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises
führt das Berufungsgericht aus: der Grund für die Tatsache, daß
von den Parteien übereinstimmende Vertragserklärungen trotz nicht
erzielter Willenseinigung über den wichtigen Punkt der Garantieübernahme
abgegeben seien, liege darin, daß die Beklagten die von R. übermittelte
Offerte richtig übermittelt glaubten, während sie unrichtig übermittelt
war, und daß sie infolge dieses Irrtums auch über den Inhalt
ihrer eigenen Erklärung im Irrtume gewesen seien. Werde die Sache,
was in erster Reihe anzunehmen sei, so aufgefaßt, daß die Beklagten
durch Annahme des Drahtangebotes des P. erklärt hätten, sie wollten
zu den von R. dem P. mitgeteilten Bedingungen verkaufen, so seien sie über
den Inhalt ihrer Erklärung im Irrtume gewesen und hätten danach
ihre Vertragserklärung anfechten können. Hätten die Beklagten
aber durch Annahme jener Drahtofferte erklärt, unter den Bedingungen
ihrer an R. geschriebenen Mitteilung verkaufen zu wollen, so würde
ihnen die Anfechtung auch aus § 120 B.G.B. zustehen. Die nach beiden
Auffassungen zulässige Anfechtung wegen Irrtums über den Inhalt
ihrer Vertragserklärungen hätten die Beklagten rechtzeitig durch
den Brief vom 15. Juni 1902 erklärt, worin sie dem P., nachdem dieser
ihnen den wirklichen Sachverhalt mitgeteilt hatte, erklärten, irgend
eine etwa von R. geleistete Garantie gehe sie nichts an; der von diesem
angeblich geschlossene Vertrag binde sie nicht. Aus der Richtigkeit des
hiernach von den Beklagten angefochtenen Vertrages ergebe sich die Begründetheit
des Anspruches auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz der von
P. auf die Ware verwendeten Unkosten...
Die Revision rügt, das Berufungsgericht nehme
zu Unrecht an, daß die Beklagten wegen Irrtums angefochten hätten.
Dieser Angriff ist gerechtfertigt. Zur Anfechtungserklärung wegen
Irrtums genügt, aber ist auch nötig der Wille, das Geschäft
wegen jenes Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen. Die Anfechtungserklärung
erfordert danach als Mindestes Kenntnis der Möglichkeit eines Anfechtungsgrundes
- hier Kenntnis der Möglichkeit eines Willensmangels -. Durch die
Briefe vom 15. Juni und 21. Mai haben indes die Beklagten die Garantiezusage,
auf die Von P. hingewiesen worden war, lediglich deshalb als unwirksam
bezeichnet, weil dem R. die Vertretungsmacht zur Übernahme einer solchen
Garantie gefehlt habe. Die Bezeichnung einer Garantiezusage als unwirksam,
da dem Vermittler die Vertretungsmacht fehlte, enthält keine auch
nur fürsorgliche Anfechtung der Zusage oder des Vertrages wegen eines
angeblichen Willensmangels - hier wegen eines Irrtums über den Inhalt
der Erklärung - in der Person des angeblich Nichtvertretenen. Der
Erwägungsgrund, aus dem das Berufungsgericht zur Richtigkeit des Vertrages
und zur Zuerkennung des Bereicherungsanspruches der Kläger gelangt,
ist danach nicht haltbar.
Nach dem festgestellten Sachverhältnis kann
indes die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus anderen rechtlichen Gründen
aufrecht erhalten werden. P. hat in seinem Telegramme vom 6. Mai erklärt
"Semilodei"; die Beklagten haben durch ihre Telegramme angenommen die Erklärung
"Semilodei". Semilodei ist indes an sich nur ein inhaltsloses Phantasiewort.
Die Erklärung dieses Wortes ist, für sich allein betrachtet,
die Erklärung eines inhaltlosen Nichts; gleiches gilt von der Annahme
der Erklärung "Semilodei". Für P. war die Erklärung des
Wortes "Semilodei" die Erklärung eines Kaufangebotes mit Garantiezusage;
für die Beklagten war sie die Erklärung eines Kaufangebotes ohne
Garantiezusage, und danach ihre Annahme der Erklärung "Semilodei"
die Erklärung der Annahme eines Kaufangebotes ohne Garantiezusage.
Diese Verschiedenheit hatte ihren Grund in den unrichtigen Mitteilungen
des R. an P. Nach den rechtlich einwandfreien Ausführungen des Berufungsgerichtes
hatte R. keine Vertretungsmacht der Beklagten; die Beklagten haften daher
aus diesem rechtlichen Gesichtspunkte nicht für dessen unrichtige
Übermittelung ihres freibleibenden Angebotes. Zuungunsten des P. kann
nicht gesagt werden, er habe sich durch den Gebrauch des von der Beklagten
gewählten Phantasiewortes das angeeignet, was die Beklagten damit
bezeichnen wollten, und habe dies daher mit dem Erfolge gegen sich gelten
zu lassen, daß der Vertrag ohne Garantiezusage zustande gekommen
wäre. Aber auch die Auffassung zuungunsten der Beklagten ist abzulehnen,
sie hätten mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß
R. ihren Vorschlag unrichtig mitgeteilt und P. durch die Erklärung
"Semilodei" ein Kaufangebot anderen Inhaltes als das von ihnen an R. überschriebene
erklärt habe, und sie hätten danach durch die Annahme der Erklärung
"Semilodei" erklärt, allerdings nicht erklären wollen, das Kaufangebot
anzunehmen, wie es von P. auf Grund der Mitteilungen des R. gestellt worden
sei. Darum sind die beiden Auffassungen nicht haltbar, womit das Berufungsgericht
zur Annahme eines äußerlich zustande gekommenen, von den Beklagten
nur wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärung anfechtbaren
Vertrages mit der Garantiezusage gelangt ist.
Vielmehr liegt infolge des Gebrauches des Phantasiewortes
"Semilodei" zur Erklärung beider Vertragsteile der eigenartige Fall
vor: äußerlich stimmen die Erklärungen des P. und der Beklagten
überein; jener bietet "Semilodei" an, diese nehmen "Semilodei" an:
in Wahrheit hat aber doch jeder Teil damit etwas anderes im rechtsgeschäftlichen
Verkehre erklärt: P. ein Kaufangebot mit Garantiezusage, die Beklagten
eine Annahme eines solchen ohne Garantiezusage. Danach decken sich die
Erklärung des Kaufangebotes und die Erklärung seiner Annahme
nicht. Die Parteien haben sich über den Punkt der Garantiezusage nicht
geeinigt. Diesen Punkt hat das Berufungsgericht als "wichtigen" bezeichnet,
und es kann seinem Bedenken unterliegen, daß die Parteien ohne eine
Bestimmung über diesen Punkt den Kaufvertrag nicht geschlossen hätten.
Deshalb ist wegen fehlender Willensübereinstimmung ein Vertrag überhaupt
nicht zustande gekommen. Von dieser Grundlage aus ist der Anspruch auf
Herausgabe des Kaufpreises mit Zinsen vom Tage der Zahlung an nach den
Grundsätzen von der ungerechtfertigten Bereicherung begründet."...