Scheidung durch einseitige Verstoßung („talaq“) vor deutschen Gerichten: Scheidungsstatut, inländisches Scheidungsmonopol der Gerichte (Art. 17 II EGBGB) und ordre public (Art. 6 EGBGB)

AG Kulmbach, Urt. v. 28.10.2003 - 1 F  512/00


Fundstelle:

IPRax 2004, 529 m. Anm. Unberath aaO S. 515 ff
JuS 2004, 726


(Eigene) Leitsätze:

1. Sieht das Scheidungsstatut eine Privatscheidung vor, so kann diese im Inland nicht wirksam ohne gerichtliche Mitwirkung vorgenommen werden (Art. 17 Abs. 2 EGBGB). Die Scheidung ist vor deutschen Gerichten durch ein Gestaltungsurteil auszusprechen.
2. Ein nur dem Ehemann zustehendes Recht zu einseitiger willkürlicher Ehescheidung widerspricht zumindest dann nicht dem deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB), wenn die Ehe im konkreten Fall auch nach deutschem materiellem Recht auf Antrag des Ehemanns geschieden werden müßte.


Tatbestand:

Die Parteien haben am 08.02.1994 vor dem Standesbeamten in Tahkal/Peshawar (Pakistan) die Ehe geschlossen.
Zunächst besaßen sie beide die afghanische Staatsangehörigkeit. Der Antragsteller hat im Laufe des Verfahrens die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Aus der Ehe der Parteien sind keine Kinder hervorgegangen.
Die Parteien leben seit dem 30.05.1997 getrennt. Der Scheidungsantrag wurde am 19.05.2003 zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Amtsgerichts Kulmbach.
Die Antragsgegnerin hat sich zum Scheidungsantrag nicht geäußert. Dieser wurde ihr öffentlich zugestellt.
Die Eheschließung und die Staatsangehörigkeit des Antragstellers wurden durch öffentliche Urkunde nachgewiesen, die Staatsangehörigkeit der Antragsgegnerin durch die Vorlage entsprechender Kopien.
Das Gericht hat den Antragsteller gemäß § 613 I 1. Halbsatz ZPO angehört.
Im Übrigen wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf das weitere schriftsätzliche Parteivorbringen und die Feststellungen zum gerichtlichen Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Scheidungsantrag ist zulässig. Das Amtsgericht Kulmbach ist gemäß § 606 a Nr. 4 ZPO international und gemäß § 606 II 2 ZPO örtlich zuständig.

II. Die Scheidung richtet sich gemäß Art. 17 I i.V.m. Art. 14 I Nr. l EGBGB nach afghanischem Recht. Der hierbei durchgeführte talaq führt vorliegend zur Begründetheit des Scheidungsantrags.
Der Antragsteller hat am 01.01.1998 die Antragsgegnerin verstoßen und die in Pakistan lebende Ehefrau hiervon benachrichtigt. Am 29.09.1998 hat er eine in Pakistan vorbereitete Scheidungserklärung unterschrieben.
Zwar ist nach afghanischem Recht für den Ehemann nur eine Privatscheidung vorgesehen. Dieser hat das OLG München aber durch Beschluss vom 18.02.2000 die Anerkennung versagt. Dem Erfordernis des Art. 17 II EGBGB ist jedoch dann Genüge getan, wenn die Scheidung auf der Grundlage des talaq durch das Gericht durch Gestaltungsurteil vorgenommen wird.
Wie aus dem Rechtsgutachten des Instituts für internationales Recht der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 20.05.2003 hervorgeht, sieht die überwiegende Auffassung in der Scheidung durch talaq vor einem deutschen Gericht jedenfalls dann keinen Verstoß gegen die Grundsätze des deutschen Rechts (den ordre public aus Art. 6 EGBGB), wenn im konkreten Einzelfall auch bei Anwendung deutschem Rechts die Scheidung ausgesprochen werden müsste. In einem solchen Fall verlangt der ordre public nicht, dem Mann das Scheidungsrecht zu versagen, weil es der Frau nicht im gleichen Umfang zur Verfügung steht.
Nachdem im vorliegenden Fall . auch bei Anwendung deutschen Rechts auch die Ehe zu scheiden wäre, verstößt die Anwendung afghanischem Familienrechts nicht gegen Grundsätze des deutschen Rechts. Daher bestehen keine Bedenken, eine Scheidung auf der Grundlage eines talaq vorzunehmen. Die Ehe wird dann aufgrund afghanischem Rechts durch ein Gestaltungsurteil eines deutschen Gerichts geschieden.
Nach afghanischem Recht besteht kein Erfordernis der vorherigen Anhörung der Ehefrau. Vorliegend ist der Scheidungsantrag öffentlich zugestellt worden. Die Antragsgegnerin konnte daher im Scheidungstermin nicht angehört werden. Nachdem die Antragsgegnerin im Ausland lebt und Bemühungen über die Dauer von zwei Jahren fehlschlugen, ihr auf behördlichem Weg den Scheidungsantrag zuzustellen, wurden alle Möglichkeiten erschöpft, der Antragsgegnerin rechtliches Gehör zu gewähren. Daher ist der Grundsatz des Art. 103 I GG in ausreichender Weise gewahrt worden.
II. Versorgungsausgleich.
Der Versorgungsausgleich unterliegt gemäß Art. 17 I i.V.m. Art. 14 I Nr. l EGBGB ebenfalls afghanischem Recht. Demnach ist ein Versorgungsausgleich im vorliegenden Fall nicht durchzuführen, da ein solcher dem afghanischen Recht unbekannt ist.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 a I ZPO.