Anforderungen an den
Nachweis der testamentarischen Erbfolge bei Nichtauffinden des Testaments;
objektive Feststellungslast
BayObLG, Beschluß v.
1.4.2004 - 1Z BR 013/04
Fundstelle:
BayObLGZ 2004, 91
FamRZ 2005, 138
(Eigener)
Leitsatz:
1. Der Nachweis des
Erbrechts ist im Erbscheinsverfahren grundsätzlich durch Vorlage der
Originalurkunde zu führen (§ 2356 I S. 1 BGB).
2. Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt der allgemein anerkannte
Grundsatz zum Tragen, dass es die Wirksamkeit eines Testaments nicht
berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet
worden, verlorengegangen oder sonst nicht auffindbar ist.
3. In einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit
allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden.
4. Ist im Erbscheinsverfahren nach Durchführung
der gebotenen Ermittlungen die Existenz eines Testaments nicht sicher
festzustellen, so trägt derjenige die Feststellungslast, welcher seinen
Antrag auf das nicht vorhandene Testament stützt.
Gründe:
Die verwitwete Erblasserin ist am 1.2.2002 im Alter von 79 Jahren
verstorben. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind ihre beiden Kinder.
In der Nachlassverhandlung vor dem Nachlassgericht am 18.3.2002 erklärten
die Beteiligten zu 1 und 2, dass eine Verfügung von Todes wegen nicht
vorhanden sei, und versicherten dies an Eides statt. Sie beantragten auf
Grund gesetzlicher Erbfolge die Erteilung eines Erbscheins, wonach die
Erblasserin von den Beteiligten zu 1 und 2 je zur Hälfte beerbt worden ist.
Diesen Erbschein hat das Nachlassgericht am 11.4.2002 antragsgemäß erteilt.
Der Beteiligte zu 1 beantragte mit Schriftsatz vom 27.1.2003 bei dem
Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins. Zur Begründung wurde im
Wesentlichen vorgetragen, der Erbschein sei unrichtig, weil der Beteiligte
zu 1 in einem nicht aufgefundenen Testament der Erblasserin zum alleinigen
Erben eingesetzt worden sei. Die Erblasserin habe von einem ihr bekannten
Bürovorsteher eines Notariats einen Testamentsentwurf fertigen lassen und in
maschinenschriftlicher Form erhalten. Dieser undatierte
maschinenschriftliche Entwurf liegt vor, trägt den Vermerk “muss
handschriftlich errichtet werden“ und ist nicht unterschrieben. Auf der
Grundlage dieses Entwurfs habe die Erblasserin ein handschriftliches
Testament errichtet und darin den Beteiligten zu 1 zu ihrem Alleinerben
eingesetzt.
Das Nachlassgericht wies den Einziehungsantrag mit Beschluss vom 8.7.2003
zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1 wurde mit
Beschluss des LG vom 8.9.2003 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung
wendet sich der Beteiligte zu 1 mit seiner weiteren Beschwerde vom
16.1.2004.
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt, die von dem Beteiligten zu 1
behauptete Errichtung eines handschriftlichen Testaments, aus dem sich nach
dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 dessen Alleinerbenstellung ergeben
solle, sei nicht nachgewiesen. Zwar habe sich die Erblasserin einen
Formulierungsvorschlag in maschinenschriftlicher Form erstellen lassen; es
könne jedoch nicht festgestellt werden, dass die Erblasserin diesen
Formulierungsvorschlag in ein formgültiges handschriftliches Testament
umgesetzt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe keiner der
Beteiligten und Zeugen ein eigenhändig errichtetes Testament der Erblasserin
jemals gesehen. Der Umstand, dass sich der zwischenzeitlich verstorbene
Lebensgefährte der Erblasserin gegenüber der Beteiligten zu 2 dahingehend
geäußert habe, dass das Testament ihrer Mutter in der braunen Mappe oben im
Schrank liege, sie aber “die Ausgeschmierte“ sei, da alles ihr Bruder
bekomme, lasse noch nicht den Schluss zu, dass die Erblasserin ein
eigenhändiges Testament errichtet habe. Tatsächlich sei ein formwirksames
Testament der Erblasserin in der genannten braunen Mappe und auch an anderer
Stelle nicht gefunden worden. Die Erblasserin habe weder gegenüber dem
Verfasser des maschinenschriftlichen Testamentsentwurfs noch einem anderen
Zeugen gegenüber geäußert, dass sie den Testamentsentwurf in ein
handschriftliches Testament umgesetzt habe. Die von der Zeugin Helga S.
geschilderten Äußerungen der Erblasserin, dass der Beteiligte zu 1 einmal
alles bekommen solle, belegten nicht, dass auch ein entsprechendes
formwirksames Testament dieser Äußerung zugrunde gelegen habe; es könne sich
auch lediglich um eine Absichtserklärung der Erblasserin gehandelt haben.
Die Tatsache, dass die Erblasserin die in dem Testamentsentwurf
dokumentierte Absicht aufgegeben habe, ihrem Lebensgefährten ein Vermächtnis
zuzuwenden, und ihm statt dessen bereits zu Lebzeiten ein anderes Grundstück
als Schenkung zugewandt habe, lasse es ohne weiteres als möglich erscheinen,
dass die Erblasserin ihre ursprüngliche Absicht auch in anderer Beziehung
geändert und beschlossen habe, von dem Testamentsentwurf insgesamt keinen
Gebrauch mehr zu machen. Da sich auch sonst keine hinreichenden
Anhaltspunkte für die Errichtung eines formwirksamen Testaments durch die
Erblasserin ergeben hätten, könne von der Existenz eines solchen bei der
Entscheidung nicht ausgegangen werden.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 I FGG, §
546 ZPO) stand.
a) Gemäß § 2355, § 2356 I Satz 1 BGB ist zum Nachweis eines
testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde
vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird (vgl. Palandt/Edenhofer
BGB 63. Aufl. § 2356 Rn. 9). Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt
der allgemein anerkannte Grundsatz zum Tragen, dass es die Wirksamkeit eines
Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des
Erblassers vernichtet worden, verlorengegangen oder sonst nicht auffindbar
ist (BayObLG FamRZ 1986, 1043/1044 und FamRZ 1990, 1162/1163). In
einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen
zulässigen Beweismitteln bewiesen werden (BayObLG aaO). An den
Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen (BayObLG FamRZ 1990,
1162/1163 und FamRZ 2001, 771/772; OLG Köln NJW-RR 1993, 970; OLG
Zweibrücken FamRZ 2001, 1313/1314; Palandt/Edenhofer § 2255 Rn. 12;
Staudinger/Baumann BGB 13. Aufl. § 2255 Rn. 31).
Grundlage dieser hohen Beweisanforderungen ist die für die Errichtung
eines Testaments gem. §§ 2231 ff. BGB geltende Formstrenge. Durch die
Formvorschriften für die Testamentserrichtung verfolgt das Gesetz
verschiedene Zwecke: Die einzuhaltenden Förmlichkeiten sollen den Erblasser
dazu veranlassen, sich selbst klar darüber zu werden, welchen Inhalt seine
Verfügung von Todes wegen haben soll, und seinen Willen möglichst deutlich
zum Ausdruck zu bringen. Sie sollen außerdem dazu dienen, Vorüberlegungen
und Entwürfe von der maßgebenden Verfügung exakt abzugrenzen. Die
Eigenhändigkeit eines Testaments soll nach der Wertung des Gesetzes außerdem
eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens bieten. Alle
diese Formzwecke sollen in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, verantwortliches
Testieren zu fördern und Streitigkeiten der Erbprätendenten über den Inhalt
letztwilliger Verfügungen hintan zu halten (BGHZ 80, 242/246; BayObLG
FamRZ 2001, 771/772).
b) Die Frage, ob der Erblasser ein formgültiges Testament errichtet hat und
welchen Wortlaut es enthält, liegt auf tatsächlichem Gebiet. Die hierzu vom
Gericht der Tatsacheninstanz getroffenen Feststellungen können im Verfahren
der weiteren Beschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob es den
maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12 FGG, § 2358 I BGB) und
bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände
berücksichtigt, hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und
Verfahrensvorschriften sowie gegen die Denkgesetze oder gegen feststehende
Erfahrungssätze verstoßen und ob es die Beweisanforderungen zu hoch oder zu
niedrig angesetzt hat (st. Rspr. des Senats, vgl. BayObLG FamRZ 1992, 1206
und FamRZ 2001, 771/773).
c) Die Sachverhaltsermittlung und die Beweiswürdigung des LG sind frei von
derartigen Rechtsfehlern. Das LG hat auf der Grundlage der erhobenen Beweise
im Einzelnen dargelegt, warum es sich von der von dem Beteiligten zu 1
behaupteten Existenz eines ihn begünstigenden Testaments der Erblasserin
nicht überzeugen konnte. Es hat grundsätzlich alle wesentlichen Umstände
berücksichtigt und an die Beweisanforderungen angesichts einer nicht
vorhandenen Testamentsurkunde den gebotenen strengen Maßstab angesetzt.
Nachdem keiner der vernommenen Zeugen eine Äußerung der Erblasserin bekundet
hat, wonach sie den von ihr erholten Testamentsentwurf in ein
handschriftliches Testament umgesetzt habe, wird die Beweiswürdigung des LG
auch nicht dadurch erschüttert, dass es das Vorbringen des Beteiligten zu 1,
die Erblasserin habe ihm von der Errichtung eines eigenhändigen Testaments
auf der Grundlage des Testamentsentwurfs berichtet, nicht berücksichtigt
hat.
d) Ist im Erbscheinsverfahren nach Durchführung der gebotenen
Ermittlungen die Existenz eines Testaments nicht sicher festzustellen, so
trägt derjenige die Feststellungslast, welcher seinen Antrag auf das nicht
vorhandene Testament stützt (vgl. BayObLGZ 1977, 59/63; BayObLG FamRZ
2001, 945/946; Palandt/Edenhofer § 2255 Rn. 12). Auch dies hat das LG seiner
Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt und infolgedessen ebenso wie das
Nachlassgericht dem auf das nicht vorhandene Testament gestützten
Einziehungsantrag des Beteiligten zu 1 nicht stattgegeben.
3. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, da sich
die Kostenfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Die Erstattungsanordnung
beruht auf § 13a I Satz 2 FGG.
Die Festsetzung des Geschäftswerts nach § 131 II, § 30 I, § 31 I KostO
erfolgt in Übereinstimmung mit der Entscheidung des LG.
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