BGH NJW 1986, 2843 f: Verfälschung des Wechsels, Einwendungsausschluß



Der Zeichner eines Wechsels, der die Betragsangabe in Ziffern und Buchstaben nicht so in den Wechsel eingesetzt hat, daß nichts hinzugeschrieben werden kann (z. B. Weglassen von Füllstrichen), haftet einem gutgläubigen Erwerber des Wechsels nicht wechselmäßig kraft zurechenbar veranlaßten Rechtsschein für die spätere Verfälschung des Wechseltextes (Bestätigung von BGHZ 47, 95 = NJW 1967, 1037).

Zum Sachverhalt:

Die kl. Sparkasse nimmt die Bekl. aus einem von dieser an eigene Order ausgestellten Wechsel in Anspruch, der auf die Firma S gezogen und von der Firma S angenommen worden ist. Die Firma S diskontierte den Wechsel bei der Kl. Der Wechsel ging zu Protest. Die Kl. hat im Wechselprozeß ein Vorbehaltsurteil über 104800 DM nebst Zinsen und Wechselunkosten erstritten. Im Nachverfahren hat die Bekl. 4800 DM nebst Zinsen anerkannt und behauptet, die Firma S habe den auf 4800 DM lautenden Wechsel vor der Diskontierung auf 104800 DM verfälscht. Das LG hat das Vorbehaltsurteil entsprechend dem Anerkenntnis aufrechterhalten und es im übrigen unter Klageabweisung aufgehoben. Berufung und Revision der Kl. blieben erfolglos.

Aus den Gründen:

... I. Nach den tatrichterlichen Feststellungen, die die Revision nicht anzweifelt, ist der Klagwechsel von dem Inhaber der Firma S verfälscht worden. Dieser übersandte der Bekl. den vollständig mit einer Schreibmaschine ausgefüllten Wechsel zur Zeichnung als Ausstellerin. Er lautete in Ziffern und Buchstaben auf 4800 DM. Vor der Betragsangabe in Ziffern: "4800" und in Buchstaben: "VIERTAUSENDACHTHUNDERT" war jeweils links noch ein freier, nicht ausgefüllter Raum, während die Zeilen vom Ende der Beitragsangaben ab mit Doppelstrichen bzw. Punkten ausgefüllt waren. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Bekl. unterzeichnete den Wechsel, ohne die leeren Zeilen vor den Betragsangaben mit Füllstrichen zu versehen und übersandte ihn der Firma S. Deren Inhaber setzte mit der Schreibmaschine vor die Zahl 4800 die Ziffern 1 und 0 sowie einen Punkt, so daß die Angabe des Betrages in Ziffern nunmehr lautete: "104 800. .....". Vor das Zahlwort Viertausendachthundert setzte er das Wort: "HUNDERT". Die Angabe in Buchstaben lautete danach: "HUNDERTVIERTAUSENDACHTHUNDERT======". Sie begann bündig am Anfang der entsprechenden Zeile. Die Verfälschung war für die Kl., der die Firma S den Wechsel zum Diskont einreichte, nicht zu erkennen.

II. Nach Ansicht des BerGer. kommt zwar grundsätzlich eine Haftung der Bekl. für die Verfälschung des Wechsels aus zurechenbar veranlaßtem Rechtsschein in Frage, weil von einem Kaufmann erwartet werden müsse, daß er einen Wechsel nicht nur sorgfältig und vollständig ausfülle, sondern auch die Maßnahmen treffe, die geeignet sind, nachträgliche Veränderungen zu verhindern. Im vorliegenden Falle könne es der Bekl. aber nicht als haftungsbegründend zugerechnet werden, daß ihr Vertreter bei der Unterzeichnung des Wechsels die Lücken vor den Betragsangaben nicht mit Sperrstrichen versehen habe. Diese Angaben hätten sich nicht in der Mitte des jeweiligen schraffierten Feldes befunden, sondern seien deutlich nach links versetzt gewesen, so daß nicht von einer erheblichen, eine Verfälschung besonders begünstigenden Lücke gesprochen werden könne. Jedenfalls habe sich dem Vertreter der Bekl. nicht ohne weiteres der Gedanke aufdrängen müssen, die von ihm nicht selbst geschaffenen Lücken seien für eine Verfälschung besonders anfällig. Die Unterlassung einer vom äußeren Bild her nicht zwingend gebotenen Maßnahme sei um so weniger als Verletzung der Sorgfaltspflicht anzusehen, wenn der Zeichner - wie hier - aufgrund langjähriger, anstandslos abgewickelter Geschäftsbeziehungen keinen Anlaß zu Zweifeln oder übermäßiger Vorsicht gehabt habe. Diesen Darlegungen vermag der Senat nur im Ergebnis zu folgen.
III. Bei der unerlaubten Veränderung des Klagewechsels durch die Erhöhung der Wechselsumme um 100000 DM, die nach der Begebung des Wechsels durch die Bekl. vom Inhaber der Firma S vorgenommen worden ist, handelt es sich um eine Verfälschung des durch die ursprüngliche Betragsangabe gem. Art. 1 Nr. 2 WG festgelegten Wechseltextes, die nach Art. 69 WG zu beurteilen ist. Danach haftet, wer seine Unterschrift vor der Änderung auf den Wechsel gesetzt hat, nach dem ursprünglichen Text (Art. 69 S. 2 WG), wer nachher unterschrieben hat, nach dem veränderten. Nach dem Gesetz trägt also die Gefahr der Fälschung grundsätzlich der Erwerber des Wechsels (Art. 7, 69 WG). Die Frage, ob trotzdem eine Haftung aus zurechenbar veranlaßtem Rechtsschein in Betracht kommt, wenn der Zeichner den Wechsel lückenhaft oder ohne Füllstriche ausfüllt, und dadurch die Fälschung erleichtert, hat der Senat im Urteil vom 13. 2. 1967 (BGHZ 47, 95 (99) = NJW 1967, 1037) verneint. Ein Grundsatz, jeder Wechselzeichner habe durch geeignete Vorkehrungen (Striche, Ausfüllung oder Vermeidung von Lücken) bei Vermeidung wechselmäßiger Haftung dafür zu sorgen, daß der Wechsel nicht leicht verfälscht werden könne, sei nicht anzuerkennen. Bei jedem Fälschungseinwand wäre sonst die Haftung danach zu beurteilen, ob sich die Fälschung bei genügender Sorgfalt hätte vermeiden lassen, wenn z. B. längere Striche gemacht und keine Lücken offengelassen worden wären. Die gesetzliche Regelung könne nicht dadurch beseitigt werden, daß eine den Schutz des Art. 69 WG nicht verdienende verkehrswidrige Mitveranlassung der Täuschung des Dritten angenommen werde, wenn der Geber den Wechsel zeichne, obwohl er mangels ausreichender Füllstriche oder infolge offener Räume für eine Fälschung besonders geeignet sei. Das Gesetz suche den Schutz des Wechselverkehrs dadurch zu erreichen, daß es Urkundenfälschungen unter Strafe stelle. Der Wechselzeichner, der ausreichende Füllstriche mache, handle in seinem Interesse, um die oft schwierig nachzuweisende Fälschung zu verhüten. Durch die Unterlassung dieser Maßnahme verursache er aber im Falle der Fälschung nicht - unter Verstoß gegen die ihm obliegende, im Verkehr erforderliche Sorgfalt - die Täuschung gutgläubiger Dritter, so daß ihm der Schutz des Art. 69 WG wegen veranlaßten Rechtsscheins versagt bleiben müsse.
Mit seiner gegenteiligen Auffassung folgt das BerGer. der im neueren wechselrechtlichen Schrifttum (Rehfeldt, JuS 1963, 148; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen PrivatR, 1971, S. 247 f.; Deubner, NJW 1967, 1464; Hueck-Canaris, Recht der Wertpapiere, 11. Aufl., S. 142; Rehfeldt-Zöllner, WertpapierR, 12. Aufl., S. 67; Thomsen, Die Einwendungslehre im englischen und deutschen WechselR, 1977, S. 276 f.; Koller, WM 1981, 217; Baumbach-Hefermehl, WG und ScheckG, 15. Aufl., Art. 69 WG Rdnrn. 8 f., anders noch in der 13. Aufl., Art. 69 WG Rdnr. 5) vertretenen Meinung, Art. 69 S. 2 WG schließe eine Haftung wegen zurechenbar veranlaßten Rechtsscheins nicht aus, wenn der Zeichner durch "verkehrswidrige" Ausfüllung des Wechsels (z. B. Unterlassung von Füllstrichen) ein erhöhtes und vermeidbares Verfälschungsrisiko hervorgerufen habe. Im Wechselrecht seien zum Schutze des Verkehrs Einwendungen gegenüber einem gutgläubigen Erwerber in weitem Umfange ausgeschlossen, wenn der Zeichner durch seine Unterschrift den Rechtsschein wechselmäßiger Haftung in zurechenbarer Weise veranlaßt habe. Es bestehe kein Grund, den Verfälschungseinwand gegenüber anderen Gültigkeitseinwendungen zugunsten des Zeichners in seinem Verhältnis zum gutgläubigen Erwerber zu privilegieren (Baumbach-Hefermehl, Art. 69 WG Rdnr. 12).
Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen; er hält demgegenüber an seiner Rechtsauffassung im Urteil vom 16. 2. 1967 (BGHZ 47, 95, 99 = NJW 1967, 1037) fest. Die im Schrifttum befürwortete Haftung des Wechselzeichners aus zurechenbar veranlaßtem Rechtsschein bei Verfälschung des Wechsels ist durch Art. 69 WG ausgeschlossen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung haftet der Wechselzeichner nicht für Verfälschungen des Wechseltextes, die nach seiner Unterschrift von einem Dritten vorgenommen worden sind. Der Grund für diese Regelung liegt darin, daß man für Wechselfälschungen nicht aufzukommen braucht, weil man den Schein des gefälschten Papierinhalts nicht veranlaßt hat (Jacobi, WechselR und ScheckR, 1956, S. 500). Das Wechselrecht schützt das Vertrauen auf die Echtheit einer Wechselzeichnung und die Unverfälschtheit des Textes nicht, wie Art. 7, 69 WG zeigen (Baumbach-Hefermehl, Art. 17 WG Rdnr. 38). Mit diesem Grundsatz läßt sich die Rechtsscheinhaftung für einen verfälschten Wechseltext wegen verkehrswidriger Ausfüllung der Wechselurkunde nicht vereinbaren. Das Schrifttum rechtfertigt die Anwendung des Rechtsscheinprinzips im Bereich von Art. 69 WG mit der Erwägung, daß die ursprüngliche Bedeutung dieser Vorschrift darin liege, den Fortbestand des Wechselrechts trotz nachträglicher Veränderung der Wechselurkunde zu sichern (vgl. Baumbach-Hefermehl, Art. 69 WG Rdnr. 7 a. E. m. w. Nachw.). Daran ist richtig, daß durch Art. 69 S. 2 WG die zur Zeit der Geltung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung umstrittene Frage, ob der Zeichner nach einer Verfälschung überhaupt noch nach dem früheren Text haftet, in dem Sinne entschieden worden ist, daß die Haftung nach dem ursprünglichen Text weiterbesteht. Aber die Genfer Wechselrechtskonferenz hat nicht nur dieses Problem entscheiden, sondern allgemein die Haftung nur für den Inhalt des Wechsels zur Zeit der Unterzeichnung festlegen wollen und das Gesetz entsprechend gefaßt (Liesecke, WM 1972, 1207; Hupka, Das Einheitliche WechselR der Genfer Verträge, S. 24, 25). Gerade im Interesse der Rechtssicherheit im internationalen Rechtsverkehr und im Interesse der Rechtseinheit in der Anwendung von Gesetzen, die ein wichtiges Bindeglied im zwischenstaatlichen Handelsverkehr bilden, erscheint es geboten, sich bei derartigen internationalen Regelungen an den eindeutigen Gesetzeswortlaut zu halten, da andernfalls der mit dieser internationalen Gesetzgebung erstrebte Zweck gefährdet würde (BGHZ 10, 149 (155) = NJW 1953, 1508). In der Tat wird Art. 69 WG international keineswegs einheitlich in dem eingeschränkten Sinne der neueren Lehre verstanden (vgl. die Nachw. bei Liesecke, WM 1972, 1207; Kapfer, WG und ScheckG, 7. Aufl., Art. 69 E 10 für das Österreichische Recht). Die für die Rechtfertigung der Rechtsscheinhaftung angestellte Erwägung, es gebe keinen Grund für die Privilegierung des Fälschungseinwands gegenüber anderen Gültigkeitseinwendungen, ist deshalb nicht stichhaltig, weil der Gesetzgeber diese Frage in Art. 69 WG anders entschieden hat.
Der Senat hält es weiterhin für richtig, daß ein Grundsatz, jeder Wechselzeichner habe durch geeignete Vorkehrungen (Striche usw.) bei Vermeidung wechselrechtlicher Haftung dafür zu sorgen, daß der Wechsel nicht leicht verfälscht werden könne, nicht anzuerkennen ist. Ein wechselrechtlicher Grundsatz dieses Inhalts würde, worauf schon in der Entscheidung des RG (RGZ 8, 42 (44)) hingewiesen worden ist, das Prinzip, daß der Fälschungseinwand gegen jeden Wechselinhaber wirkt, wesentlich durchbrechen, denn es müßte in jedem Falle geprüft werden, ob der Wechsel mit der erforderlichen Sorgfalt zur Verhütung der Fälschung ausgefüllt worden ist. Daß dies in der Praxis wegen den Abgrenzungsschwierigkeiten zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde, zeigt die Entscheidung des BerGer., daß es sich im vorliegenden Falle nicht um eine erhebliche, eine Verfälschung besonders begünstigende Lücke vor den Betragsangaben gehandelt habe, die die Bekl. bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt mit Strichen hätte ausfüllen müssen. Angesichts des Umstands, daß die Ergänzungen der Betragsangaben in dem frei gebliebenen Raum ohne Schwierigkeiten so angebracht werden konnten, daß die Verfälschung nicht zu erkennen war, ist die gegenteilige Entscheidung bei konsequenter Anwendung des Rechtsscheinprinzips ebenso denkbar, wenn nicht naheliegender. Der Hinweis der Kl., daß im Scheckverkehr schon seit langem die Verpflichtung besteht, den Scheckbetrag in Ziffern und Buchstaben so einzusetzen, daß nichts hinzugeschrieben werden kann (Nr. 3 der Bedingungen für den Scheckverkehr, abgedr. bei Baumbach-Hefermehl, Bankbedingungen 7) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Verpflichtung im Scheckverkehr beruht auf vertraglicher Grundlage durch Einbeziehung der Scheckbedingungen in den Scheckvertrag zwischen der bezogenen Bank und dem Scheckaussteller. Diese Möglichkeit scheidet beim Wechsel naturgemäß aus.
Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Zeichner eines Wechsels das Risiko der Nichtbeweisbarkeit der Verfälschung des Wechseltextes trägt. Gem. § 440 II ZPO hat, wenn die Echtheit der Namensunterschrift feststeht, die über der Unterschrift stehende Schrift die Vermutung der Echtheit für sich. Der Zeichner eines Wechsels muß daher für seine Behauptung, der Wechseltext sei verfälscht, vollen Beweis erbringen. Gelingt ihm dies nicht, steht gem. § 416 ZPO fest, daß die Wechselerklärungen von dem Aussteller abgegeben worden sind. Durch diese Beweislastregelung wird der gutgläubige Wechselerwerber, für den die Verfälschung nicht erkennbar ist, in weitem Umfange vor dem Fälschungseinwand geschützt, weil es in diesen Fällen für den Zeichner meist schwierig sein wird, den Fälschungsnachweis zu führen. Die Bedürfnisse des Wechselverkehrs erfordern daher nicht unabweisbar die Rechtsscheinhaftung des Zeichners, der den Wechsel nicht "fälschungssicher" ausstellt. Hinzu kommt, worauf der Senat schon in seinem früheren Urteil hingewiesen hat, daß es mit Rücksicht auf die Beweislast im eigenen Interesse des Zeichners liegt, Verfälschungen des Wechsels durch Ausfüllen der freien Räume zu erschweren. Schon deshalb werden die Fälle, in denen ein Wechsel in fälschungserleichternder Weise ausgestellt wird, selten sein.
Nach allem gibt es keine Gründe, die eine Änderung der langjährigen Rechtsprechung des Senats als unabweisbar notwendig erscheinen lassen. Im Interesse der Rechtssicherheit sieht sich der Senat deshalb nicht in der Lage, sie aufzugeben. Im vorliegenden Fall kommt es somit auf die vom BerGer. erörterten Fragen, ob die Bekl. den Wechsel verkehrswidrig ausgefüllt hat oder nicht, nicht an, weil für sie keine Verpflichtung bestand, die frei gebliebenen Räume durch Füllstriche zu blockieren. Anders könnte es möglicherweise sein, wenn der Vertreter der Bekl. nach den Umständen mit der Verfälschung des Wechsels hätte rechnen müssen. Dies war jedoch hier nicht der Fall, da nach der Feststellung des BerGer. aufgrund langjähriger, anstandslos abgewickelter Geschäftsbeziehungen kein Anlaß zu Zweifeln oder übermäßiger Vorsicht hinsichtlich einer Verfälschung des Wechsels durch die Firma S bestand.