Anwartschaftsrecht als Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB?

BGH, Urteil v. 21.05.1953 - IV ZR 192/52


Amtlicher Leitsatz

1. Ein aufschiebend bedingtes Eigentumsrecht gibt vor Eintritt der Bedingung noch kein dingliches, gegen jedermann wirkendes Recht zum Besitz.
2. Für den gutgläubigen Erwerb einer aufschiebend bedingt übereigneten Sache ist es erforderlich und genügend, daß der Erwerber zur Zeit der Einigung und Übergabe in gutem Glauben ist.
3. Die Einrede der Arglist kann auch dem Herausgabeanspruch des Eigentümers entgegengesetzt werden.


Fundstellen:

BGHZ 10 , 69
NJW 1953, 1099
LM § 932 BGB Nr. 4
JZ 1954, 40
BB 1953, 513
DB 1953, 531


Zum Sachverhalt:

Die Klägerin hat der Firma A. H. ein Darlehen von 4600 DM zum Ankauf eines jetzt im Besitz des Beklagten befindlichen Personenkraftwagens gewährt. Zur Sicherung des Darlehens übereignete die Firma H. der Klägerin das Fahrzeug. Hierbei wurde vereinbart, daß die Klägerin das Fahrzeug der Firma H. überließ, damit sie es bei sich aufstellen und besichtigen lassen könne. Und zwar sollte die Firma H. das Fahrzeug für die Klägerin unentgeltlich verwahren. Die Klägerin war berechtigt, das Verwahrungsverhältnis jederzeit ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Die Firma H. verpflichtete sich ferner, das Fahrzeug weder zu Vorführungszwecken noch zu anderen Zwecken zu benutzen oder benutzen zu lassen. Sie durfte über das Fahrzeug erst verfügen, wenn ihr der Kraftfahrzeugbrief und eine ausdrückliche Verfügungsermächtigung der Klägerin zugegangen waren. Entgegen diesen Verpflichtungen hat die Firma H. das Fahrzeug an den Beklagten zum Preise von 7418 DM verkauft. Von dem Kaufpreis waren 4000 DM in bar und der Rest durch Warenlieferungen zu Nettopreisen zu begleichen. Bis zur Tilgung des gesamten Kaufpreises sollte das Fahrzeug Eigentum der Verkäuferin bleiben. Der Beklagte verpflichtete sich, bei der Zulassungsstelle schriftlich zu beantragen, daß der Kraftfahrzeugbrief der Verkäuferin ausgehändigt werde. Der Beklagte leistete die im Kaufvertrag vorgesehene Barzahlung an die Firma H. Ein Angestellter der Firma holte in Begleitung des Beklagten das Fahrzeug bei der Herstellerfirma ab. Der Wagen wurde sodann dem Beklagten übergeben. Eine Zulassung des Wagens für den Beklagten ist nicht erfolgt. Der Kraftfahrzeugbrief befindet sich noch im Besitz der Klägerin. Die Klägerin verlangt, nachdem die Firma H. ihren Zahlungsverpflichtungen aus dem Darlehensvertrag nicht nachgekommen ist und in Konkurs geraten ist, die Herausgabe des Wagens von dem Beklagten. Dieser verweigert sie und fordert im Wege der Widerklage von der Klägerin die Vorlage des Kraftfahrzeugbriefs bei der Zulassungsstelle zwecks Zulassung des Wagens auf seinen Namen. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen und dem Begehren des Beklagten hinsichtlich der Vorlage des Kraftfahrzeugbriefs entsprochen. Die Revision führte zur Abweisung der Widerklage, blieb aber wegen der Klage erfolglos.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht hat rechtlich bedenkenfrei das Eigentum der Klägerin an dem streitigen Fahrzeug auf Grund des von ihr mit der Firma H. abgeschlossenen Vertrages, der den Erfordernissen des § 930 BGB entspricht, bejaht. Der Beklagte will zwar die Rechtswirksamkeit der Übereignung an die Klägerin in Zweifel ziehen. Er ist der Ansicht, die Firma H. habe der Klägerin den Wagen nicht übereignen können, weil sie selbst niemals auch nur im mittelbaren Besitz desselben gewesen sei. Das trifft indessen nicht zu. Da ein Angestellter der Firma H. zusammen mit dem Beklagten den Wagen bei der Herstellerfirma abgeholt hat, ist anzunehmen, daß der Angestellte in dem Augenblick, in dem der Wagen ihm von der Herstellerin ausgehändigt wurde, den unmittelbaren Besitz daran für die Firma H. als deren Besitzdiener erworben hat, zumal da die Herstellerin den Besitz an dem Wagen nur der Firma H. übertragen wollte. Diese verlor zwar mit der Übergabe des Wagens an den Beklagten den unmittelbaren Besitz, sie blieb aber mittelbare Besitzerin, weil sie sich das Eigentum vorbehalten hatte (RGZ 54, 396 und 69, 197 ff). Da die Klägerin und die Firma H. sich bereits, bevor der Wagen deren Angestellten von der Herstellerfirma ausgehändigt wurde, darüber einig waren, daß das Eigentum an die Klägerin gemäß dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrage übergehen sollte, so führte diese Einigung, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, in dem Augenblick, in dem die Firma H. Eigentum und Besitz an dem Wagen erlangt hatte, zu einem rechtswirksamen Eigentumsübergang auf die Klägerin (RGZ 109, 167 ff [169]).
II. 1. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten das Recht zugebilligt, der Klägerin gemäß § 986 BGB die Herausgabe des Wagens zu verweigern, weil der Beklagte gegenüber der Klägerin zu seinem Besitze berechtigt sei. Hierbei leitet das Berufungsgericht das Recht zum Besitz aus der Anwartschaft auf das Eigentum an dem Wagen her, die der Beklagte gutgläubig erworben habe. Nach § 986 BGB kann der Besitzer die Herausgabe einer Sache verweigern, wenn er oder der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist. Da die Firma H. auf Grund ihres mit der Klägerin abgeschlossenen Darlehensvertrages dieser gegenüber kein Recht zum Besitz mehr hat, kommt es darauf an, ob der Beklagte ein solches Recht gegenüber der Klägerin besitzt. Das Berufungsgericht will dies bejahen, weil der Beklagte ein aufschiebend bedingtes Eigentumsrecht an dem Wagen erworben habe, bei diesem Erwerb gutgläubig gewesen sei und daher mit Eintritt der Bedingung Eigentümer werden würde, auch wenn er in diesem Augenblick nicht mehr gutgläubig wäre. Das Berufungsgericht will somit einer aufschiebend bedingten Eigentumsübertragung ein dingliches, gegen jedermann wirkendes Recht zum Besitz beimessen. Die Auffassung findet im Gesetz jedoch keine Grundlage. Zwar hat der Eigentümer, wie sich aus dem ihm gemäß § 985 BGB zustehenden Herausgabeanspruch ergibt, ein Recht zum Besitz. Derjenige aber, der unter einer aufschiebenden Bedingung Eigentum erwirbt, ist bis zum Eintritt der Bedingung noch nicht Eigentümer. Der von Blomeyer (NJW 1951, 548) vertretenen Gegenauffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da, wie sich aus den §§ 158, 159 BGB ergibt, ein Eintritt der Bedingung keine rückwirkende Kraft hat (RGRK 10. Aufl, § 159 BGB, Anm S 340, vgl. auch RGZ 59, 367f [371]). Ein Recht des Vorbehaltskäufers zum Besitz läßt sich daher nur aus schuldrechtlichen Vereinbarungen herleiten. Solche bestehen aber, soweit der Beklagte in Frage kommt, nur zwischen ihm und der Firma H. Da diese Vereinbarungen ohne Kenntnis oder Zustimmung der Klägerin getroffen sind, haben sie ihr gegenüber keine Wirkung (vgl. hierzu RGZ 140, 223 ff [228]).
2. Hat somit der Beklagte der Klägerin gegenüber kein Recht zum Besitz, so folgt hieraus jedoch noch nicht, daß die Klägerin auf Grund ihres Eigentums berechtigt ist, von dem Beklagten die Herausgabe des Wagens zu verlangen. Für die Entscheidung ist wesentlich, ob der Beklagte ein Anwartschaftsrecht auf das Eigentum an dem Wagen erworben hatte. Hierfür ist wiederum von Bedeutung, ob er in dem maßgeblichen Zeitpunkt gutgläubig war. Das hängt aber davon ab, ob für den guten Glauben der Zeitpunkt der Übergabe des Wagens entscheidend war. Dem Beklagten ist der Wagen von der Firma H. übergeben worden. Nach dem von ihm unterzeichneten Kaufvertrag waren sich beide darüber einig, daß nach Begleichung des Kaufpreises das Eigentum an dem Wagen auf den Beklagten übergehen soll. Nach § 932 BGB wird durch eine derart erfolgte Veräußerung der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn der Wagen, wie dies hier der Fall ist, dem Veräußerer nicht gehört, es sei denn, daß der Erwerber zu der Zeit, zu der er nach § 929 BGB das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. Der Kommentar der Reichsgerichtsräte (Anm 4 zu § 932 BGB) leitet bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Übertragung des Eigentums aus dem Wortlaut des § 932 BGB die Notwendigkeit her, daß der gute Glaube des Erwerbers noch in dem Zeitpunkt vorhanden ist, in dem die Bedingung oder die Frist sich erfüllt. Da der Beklagte vor vollständiger Begleichung des Kaufpreises, von der der Eigentumsübergang abhängig gemacht ist, Kenntnis von dem Eigentum der Klägerin erhalten hat, würde ihm hiernach der erforderliche gute Glaube fehlen. Die Auffassung des Kommentars der Reichsgerichtsrate wird jedoch zu Recht von dem überwiegenden Teil der Rechtsprechung und Rechtslehre abgelehnt (vgl. insbes HRR 1931, 1314, OLG 33, 272; Staudinger-Kober Anm 32 zu § 932; Planck-Brodmann 5 Aufl Anm 1a zu § 932, S 468, Enneccerus-Wolff 9. Aufl zu § 69 Anm 15 S 220 im Gegensatz zu früheren Auflagen -; Düringer-Hachenburg 3. Aufl Anm 25 vor § 366 HGB, Gadow in RGRK z HGB § 366 Anm 27 S 438, Staub 14 Aufl Anm 27 zu § 366, S 418). § 929 BGB stellt den Übergang des Eigentums auf Übergabe und Einigung ab, die, ohne daß es irgendwelcher weiteren Willensäußerungen bedarf, einen Erwerb des Eigentums zur Folge haben. Wenn daher § 932 BGB von der Zeit spricht, zu der der Erwerber nach »diesen Vorschriften« das Eigentum erwerben würde, so ist damit in Wirklichkeit nichts anderes als der Zeitpunkt gemeint, in dem Übergabe und Einigung erfolgt sind. Das ergibt sich auch aus den §§ 933 und 934 BGB, in denen es für den guten Glauben nicht auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Eigentums, sondern auf den der Übergabe oder des Besitzerwerbs abgestellt wird, wenn der Veräußerer einen Anspruch auf Herausgabe des bei einem Dritten befindlichen Fahrzeuges hat, diesen Anspruch an den Erwerber unter Vorbehalt des Eigentums bis zur Bezahlung des Kaufpreises abtritt und der Dritte daraufhin das Fahrzeug an den gutgläubigen Erwerber herausgibt, so wird der Erwerber, auch wenn er danach das Nichteigentum des Veräußerers erfährt, mit Eintritt der Bedingung Eigentümer, da er zur Zeit des Besitzerwerbs im guten Glauben war (§ 934 BGB). Der Erwerber, dem das Fahrzeug unmittelbar vom Veräußerer übergeben wird, könnte sich nach der Gegenmeinung nicht darauf berufen, daß er im Zeitpunkt des Besitzerwerbs im guten Glauben war. Dies Ergebnis zeigt daß die Gegenauffassung nicht zutreffen kann. Die Hinausschiebung des Zeitpunkts des Eigentumserwerbs durch Vereinbarung einer Bedingung oder Frist muß daher für das Vorhandensein des guten Glaubens ohne Bedeutung sein. Das Berufungsgericht hat einen guten Glauben des Beklagten sowohl an das Eigentum wie an die Veräußerungsbefugnis der Firma H. bejaht. Die Revision glaubt eine Verkennung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit rügen zu können. Die Rüge ist nicht begründet. Denn wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, hat das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf abgestellt, ob der Beklagte bei dem Erwerb des Fahrzeugs die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt und unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Falle jedem hätte ein leuchten müssen. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, z. B. RGZ 141, 131 und 166, 101 sowie der des Senats (IV ZR 170/ 52). Wie das Berufungsgericht hierbei die einzelnen Umstände gewürdigt hat, insbesondere die Tatsache, daß der Beklagte sich den Kraftfahrzeugbrief nicht hat vorlegen lassen, ist grundsätzlich eine Frage tatsächlicher Art (vgl. die Entscheidungen des erkennenden Senats IV ZR 48/52 und 170/52 und die dort angeführte Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Obersten Gerichtshofs). Diese Frage unterliegt daher nur insoweit einer Nachprüfung in der Revisionsinstanz, als gegen Verfahrensvorschriften, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen ist. Was die Revision in dieser Hinsicht vorträgt, rechtfertigt aber nicht die Bejahung eines derartigen Verstoßes (wird weiter ausgeführt). Allerdings ist die Bedingung für den Erwerb des Eigentums, auf das der Beklagte ein Anwartschaftsrecht hat, durch ihn bisher noch nicht eingetreten. Denn der Beklagte hat von dem vereinbarten Kaufpreis von 7418 DM erst 4620.71 DM beglichen. Der Beklagte hat jedoch behauptet, daß er auch den Restbetrag beglichen hätte, wenn ihn das schwebende Verfahren hieran nicht gehindert hätte. Die Klägerin hat dem nicht widersprochen. Infolgedessen muß angenommen werden, daß der Beklagte unverzüglich nach Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits den noch ausstehenden Teil des Kaufpreises begleichen wird, auch ein Hindernis gegen die Erfüllung des Kaufvertrages auf seiten des Konkursverwalters der Firma H., sofern überhaupt der Konkurs noch nicht beendet sein sollte, nicht bestehen wird. Mit der Begleichung des restlichen Kaufpreises würde der Beklagte Eigentümer des streitigen Fahrzeugs werden und berechtigt sein, dieses von der Klägerin wieder zurückzuverlangen, wenn er es jetzt etwa an sie herausgeben müßte. Unter diesen Umständen verstößt aber das Verlangen der Klägerin auf Herausgabe des Fahrzeugs gegen Treu und Glauben. Wie allgemein anerkannt, gilt der Grundsatz von Treu und Glauben auch auf dem Gebiete des Sachenrechts jedenfalls, soweit es sich um schuldrechtsähnliche Ansprüche wie z. B. bei dem Herausgabeanspruch des Eigentümers gegenüber dem Besitzer handelt (vgl. OGHBZ in RdL 1950, 331) und die dort angeführte Rechtsprechung). Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen. Ist somit das Verlangen der Klägerin auf Herausgabe des Fahrzeugs auf Grund der von dem Beklagten erhobenen Einrede der Arglist nicht berechtigt, so hat aber andererseits der Beklagte, solange er nicht Eigentümer des Fahrzeugs ist, keinen Anspruch auf Herausgabe oder Vorlage des Kraftfahrzeugbriefs bei der Zulassungsstelle. Denn ein derartiger Anspruch kann bis zum Erwerb des Eigentums an dem Fahrzeug seine Rechtsgrundlage nur in den vertraglichen Vereinbarungen des Beklagten mit der Firma H. finden. Diese Vereinbarungen haben aber, wie bereits oben ausgeführt, der Klägerin gegenüber keine Wirkung.


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