Kein Ausschluß des Ehegattenerbrechts
nach § 1933 BGB bei bloßer Anhängigkeit des Scheidungsantrags
BGH, Urteil vom 06.06.1990 - IV ZR 88/89
(Frankfurt)
Fundstellen:
BGHZ 111, 329
NJW 1990, 2382
JZ 1990, 1135
Amtl. Leitsatz:
Für den Ausschluß des
Ehegattenerbrechts ist Voraussetzung, daß das Scheidungsbegehren
rechtshängig, der Scheidungsantrag also zugestellt ist.
Zum Sachverhalt:Die Parteien streiten darüber, ob das
Erbrecht der Kl. als zweiter Ehefrau des Erblassers wegen einer von diesem
eingereichten, aber vor seinem Tod nicht mehr zugestellten
Eheaufhebungsklage und eines hilfsweise gestellten Scheidungsantrages zu
verneinen ist. Für diese Ehe galt der gesetzliche Güterstand. Der Bekl.,
einziges Kind aus der ersten Ehe des Erblassers, ist dessen
testamentarischer Alleinerbe. Der Erblasser starb am 25. 1. 1987. Seine am
2. 1. eingereichte, auf Aufhebung, hilfsweise auf Scheidung der Ehe
gerichtete Klage, wurde der Kl. erst am 2. 2. 1987 zugestellt. Die Kl.
begehrt ihren Pflichtteil. Sie verlangt im Wege der Stufenklage zunächst
Auskunft, und zwar über den Wert des Nachlaßgrundstücks durch Vorlage eines
Sachverständigengutachtens, im übrigen durch Vorlage eines vom Notar
aufgenommenen Verzeichnisses. Der Bekl. meint, die Voraussetzungen des §
1933 BGB für den Ausschluß des Ehegattenerbrechts hätten seit der
Einreichung des Schriftsatzes am 2.1.1987 vorgelegen.
LG und OLG haben demgegenüber die Zustellung der Klage- und Antragsschrift
für erforderlich gehalten. Sie haben deshalb der ersten Stufe der Klage
stattgegeben. Die dagegen gerichtete - zugelassene - Revision des Bekl.
hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet. Das
Ehegattenerbrecht der Kl. und damit ihr Pflichtteilsanspruch sind nicht
ausgeschlossen worden, weil die Aufhebungsklage mit dem darin hilfsweise
enthaltenen Scheidungsantrag vor dem Tod des Erblassers nicht zugestellt
wurde (§§ 2303 II , 1933 BGB, 253 I ZPO). Mit Recht meinen die Vorinstanzen,
die Zustellung i. S. von § 253 I ZPO sei formelle Voraussetzung für das
Eingreifen der Regelung des § 1933 BGB auch nach dessen Neufassung durch das
1. EheRG zum 1. 7. 1977.
1. Das ergibt für die im vorliegenden Fall eingereichte Aufhebungsklage
schon der Wortlaut dieser Bestimmung. Nach ihrem Satz2 gilt der in Satz1 für
den Fall des Scheidungsantrages bestimmte Erbrechtsausschluß ebenso, wenn
der Erblasser auf Aufhebung der Ehe zu klagen berechtigt war und die Klage
erhoben hatte. Satz2 fordert demgemäß ausdrücklich jedenfalls für die
Aufhebungsklage deren Erhebung, also die Zustellung der Klageschrift nach §
253 I ZPO. Der Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Erblassers vom 2.
1. 1987 enthielt in erster Linie den Aufhebungsantrag und dessen Begründung.
Nur hilfsweise, also für den Fall des Mißerfolges der auf § 32 I EheG
gestützten Aufhebungsklage, wurde darin Scheidung der Ehe vor Ablauf der
Trennungsfrist gem. § 1565 II BGB begehrt.
2. Aber auch für den hilfsweise, also auflösend bedingt gestellten
Scheidungsantrag gilt nichts anderes. Auch er mußte zugestellt werden. Erst
mit der Zustellung wäre er rechtshängig geworden (Rechtshängigkeit verlangt
BGHZ 99, 304 (307 f.) = NJW 1987, 1764 = LM § 1371 BGB Nr. 10 auch für §
1933 BGB), und hätte die in § 1933 S. 1 BGB genannte Wirkung entfalten
können (§ 262 S. 2 ZPO). Das ergeben (vgl. die Nachw. bei Leipold, in:
MünchKomm, 2. Aufl., § 1933 Rdnr. 5 mit Fußn. 11 und 12 oder bei
Lange-Kuchinke, ErbR, 3. Aufl., § 12 II 2b Fußn. 58 = S. 204; weiter
Soergel-Damrau, BGB, 11. Aufl., § 2077 Rdnr. 4 und Schlüter, ErbR, 12.
Aufl., § 10 II 1b = S. 64) der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der
Zweck dieser Bestimmung.
a) Ihre frühere Fassung vor der Änderung durch das 1. EheRG machte wie die
frühere Fassung des § 2077 BGB für die Scheidungsklage und für die
Aufhebungsklage zur Voraussetzung, daß der Erblasser "die Klage erhoben
hatte". In der jetzigen Fassung der §§ 1933 und 2077 BGB wird diese
Voraussetzung dahin umschrieben, daß der Erblasser "die Scheidung beantragt
oder ihr zugestimmt hatte". Der jetzige Wortlaut beruht nur auf einer durch
das 1. EheRG geänderten Nomenklatur. Er enthält hinsichtlich der formellen
Voraussetzung der Klageerhebung keine sachliche Änderung. Das 1. EheRG hat
lediglich redaktionell durchgängig im BGB und in der ZPO den Begriff
"Scheidungsklage" durch den Begriff "Scheidungsantrag" ersetzt. Das wird
insbesondere an § 622 ZPO deutlich. Dementsprechend ist durch die
Möglichkeit der Zustimmung zum Scheidungsantrag auch die Widerklage auf
Scheidung ersetzt worden. Auch die Zustimmung ist Prozeßhandlung und setzt
demgemäß Rechtshängigkeit voraus (OLG Zweibrücken, OLGZ 1983, 160; BayObLG,
FamRZ 1983, 96). Soweit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung das Gesetz
Rechtsfolgen an die Erhebung der Scheidungsklage knüpfte, heißt es
folgerichtig nach dem 1. 7. 1977 im Gesetz, daß "ein Antrag auf Scheidung
gestellt" (§§ 1389 , 1408 II , 1629 II BGB) oder "die Scheidung beantragt"
ist (§§ 1379 II , 1933 , 2077 BGB). Damit ist weiterhin der Vorgang der
früheren Klageerhebung, also die Zustellung der Antragsschrift, nicht aber
schon deren Einreichung bei Gericht gemeint. Das hat der BGH bereits
mehrfach entschieden (z. B. für § 1408 II, NJW 1985, 315 = LM § 1408 BGB Nr.
1 = FamRZ 1985, 45; NJW-RR 1987, 322 = LM § 1408 BGB Nr. 4 = FamRZ 1987,
365; für § 1379 FamRZ 1983, 350).
Für dieses Verständnis des Wortlauts spricht insbesondere die Gleichsetzung
des Vorganges, daß der "Erblasser die Scheidung beantragt hatte" damit, daß
er die Aufhebungsklage "erhoben hatte" in § 1933 S. 3 und 2077 I 3 BGB.
b) Die Entstehungsgeschichte der Neufassung belegt dieses Ergebnis ebenso. §
1933 BGB in der Fassung des 1. EheRG sollte "die Regelung des geltenden
Rechts im Grundsatz" also die vor dem 1. 7. 1977 "geltende
Regelungsautomatik unter Anpassung an das Zerrüttungsprinzip beibehalten".
Das belegen die Stellungnahme des Bundesrates und der zweite Bericht des
Rechtsausschusses des Bundestages zur Neufassung (BT-Dr 7/650, S. 274 f.
sowie 7/4361, S. 52). Nach den bis zum 1. 7. 1977 geltenden Vorschriften kam
es aber darauf an, daß der Erblasser die Scheidungsklage erhoben hatte,
diese also zugestellt war. Der Scheidungswille mußte durch die Zustellung,
die Vornahme einer Verfahrenshandlung, nach außen deutlich gemacht sein,
wenn er erbrechtlich Bedeutung haben sollte (OLG Bamberg, HEZ 2, 290;
BayObLG, FamRZ 1975, 514 (515); Kregel, in: RGRK, 12. Aufl., § 1933 Rdnr. 3
und Johannsen, in: RGRK, 12. Aufl., § 2077 Rdnr. 2).
c) Nach früherem Recht war der Verlust des Erbrechts eine Sanktion gegen
denjenigen Ehegatten, der schuldhaft einen Scheidungs- oder Aufhebungsgrund
gesetzt hatte. Diese Rechtfertigung kann wegen der Einführung des
Zerrüttungsprinzips keine ausschlaggebende Bedeutung mehr haben. Deshalb
hatte der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf ersatzlose Streichung
des § 1933 BGB vorgeschlagen (BT-Dr 7/650, S. 179). Jedoch meinte die
Stellungnahme des Bundesrates (BT-Dr 7/650, S. 274 unter 1. und 3.),
spätestens im Zeitpunkt der Antragstellung oder der Klageerhebung werde
offenkundig, daß das Erbrecht des überlebenden Ehegatten seine innere
Berechtigung verloren habe, der Ausschluß entspreche dem mutmaßlichen Willen
des Erblassers.
Dem wird entgegengehalten, daß dem Prinzip der Gegenseitigkeit der
Erbberechtigung nur ein beiderseitiger Verlust der Erbberechtigung
entsprechen könne oder der Erbrechtsverlust bei von beiden Ehegatten
betriebener Scheidung (Battes, FamRZ 1977, 433 (437, 439); Dieckmann, FamRZ
1979, 389 (396); Leipold, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1933 Rdnr. 2 und 3),
daß weiter für § 1933 es aus tatsächlichen Gründen weitgehend unmöglich sei,
dem erbrechtlichen Willensdogma über eine Auslegungsregel mit
Ausnahmevorbehalt Geltung zu verschaffen (Soergel-Stein, BGB, 11. Aufl., §
1933 Rdnr. 3). Andererseits wird allenthalben die Schwierigkeit gesehen, die
bei einer Verweisung auf die Testiermöglichkeit entstehen. Diese Verweisung
räumt einer möglicherweise - oder sogar typischerweise - vorübergehenden
Konfliktsituation zu große Bedeutung ein (vgl. z. B. BT-Dr 7/650, S. 274
unter 3.; Leipold, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1933 Rdnr. 2 a. E.;
Soergel-Stein, 11. Aufl., § 1933 Rdnr. 3).
Insgesamt legen danach die Überlegungen zur Zweckmäßigkeit dieser Bestimmung
nahe, sie einschränkend, keinesfalls aber in einem weitergehenden Umfang als
die frühere Vorschrift auszulegen. Dann aber kann eine Erweiterung ihres
früheren Geltungsumfanges nicht in Betracht kommen. Diese wäre zwangsläufig
Folge der Meinung, die schon die Einreichung des Scheidungsantrages genügen
lassen will (Soergel-Stein, 11. Aufl., § 1933 Rdnr. 4; Jauernig-Stürner, 4.
Aufl., § 1933 Anm. 1a; Bock, MittRhNotK 1977, 205 (207)). Jene Meinung kann
sich nicht auf § 270 III ZPO stützen. Bei dem Erbrechtsausschluß gem. § 1933
BGB geht es nicht um die Wahrung einer Frist oder die Unterbrechung der
Verjährung, sondern um die materiellrechtliche
Wirkung einer Prozeßhandlung. Für eine analoge Anwendung (dazu BGHZ 105, 140
(143) = NJW 1988, 2734 = LM PflVG 1965 Nr. 61) von § 270 III ZPO ist kein
Raum. Da § 262 ZPO die materiellrechtliche Wirkung von Prozeßhandlungen
regelt, gibt es keine Lücke. Im Hinblick auf die Erörterungen zur
einschränkenden Auslegung sind weder der Sachverhalt noch die Interessenlage
vergleichbar.
3. Weil nach allem schon die formelle Voraussetzung für ein Eingreifen des §
1933 BGB nicht gegeben ist, kann offen bleiben, ob gegen diese Regelung etwa
wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Gegenseitigkeit des Erbberechtigten
verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 3 , 6 , 14 I GG bestehen.
|