Anwartschaftsrecht des Vormerkungsberechtigten: Deliktischer Schutz
BGH v. 5. April 1991, V ZR 39/90
Fundstelle:

BGHZ 114, 161


Amtl. Leitsatz:

Auch der anwartschaftsberechtigte Käufer eines Grundstücks ist deliktsrechtlich gegen unzulässige Vertiefungen des Nachbargrundstücks geschützt und hat jedenfalls dann einen eigenen Anspruch auf Schadensersatz auch wegen des Substanzschadens, wenn sein Anwartschaftsrecht bei Eintritt der Vertiefungsschäden bestand und feststeht, daß der daraus folgende Schaden allein bei ihm verbleibt.



Zum Sachverhalt:

Mit notariellem Vertrag vom 23. November 1980 kauften die Kläger unter Ausschluß jeder Gewährleistung ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück zum Kaufpreis von 450000 DM, den sie in voller Höhe bezahlten. Zu ihren Gunsten wurde am 28. November 1980 eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen; das Eigentum wurde aufgrund der schon im Kaufvertrag erklärten Auflassung am 24. März 1981 auf sie umgeschrieben.
Das Grundstück liegt auf einem Hügelrücken, der nach Nordwesten stark abfällt. Am Fuß des Hanges befindet sich ein stillgelegter Steinbruch, in dem die Beklagte zu 1 eine Mehrzweckhalle errichten wollte. Zur Anlegung einer etwa 40 q 50 m großen Baugrube wurden am 25. September 1980 und am 3. Oktober 1980 Felsen zur Lockerung gesprengt; rund 11400 cbm wurden abgetragen. Im Frühjahr 1981 traten auf dem Kaufgrundstück Risse und Gebäudesetzungen auf. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Schäden vor dem Eigentumserwerb der Kläger oder erst danach entstanden sind. Mit der Behauptung, ihr Einfamilienhaus sei durch die von der Beklagten zu 1 vorgenommene Vertiefung beschädigt und für Wohnzwecke nicht mehr benutzbar, haben die Kläger von der Beklagten zu 1 und von den früheren Beklagten zu 2 und 3, die als Architekten den Bau der Mehrzweckhalle geplant hatten, Schadensersatz in Höhe von 618996,63 DM (450000 DM Kaufpreis für das Hausgrundstück, 150996,63 DM Finanzierungs- und sonstige Kosten für den Grundstückserwerb, sowie 18000 DM Mietaufwand vom 1. Juli 1981 bis 31. Dezember 1983) verlangt.
Das Landgericht hat den Klageanspruch gegenüber der Beklagten zu 1 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 hat das Oberlandesgericht die Klage, die von den Klägern nunmehr auch auf die Abtretung (8. November 1989) etwaiger Schadensersatzansprüche der früheren Eigentümerin gegen die Beklagte zu 1 gestützt wurde, in Höhe von 150996,63 DM abgewiesen und sie im übrigen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten zu 1 hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht bejaht einen Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 909 BGB.
1. Die Gebäudeschäden seien von der Beklagten zu 1 schuldhaft durch eine unzulässige Vertiefung verursacht worden. Diese Ausführungen werden von der Revision nicht angegriffen, sie sind sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Das Berufungsgericht bejaht eine alleinige Aktivlegitimation der Kläger für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Auf den Zeitpunkt der Vertiefungshandlung komme es hier nicht an, weil Schadensersatzansprüche nicht vor dem Eintritt des schädigenden Erfolges entstünden. Es läßt offen, ob die Gebäudeschäden schon vor der Eigentumsumschreibung am 24. März 1981 eingetreten sind, weil die Kläger jedenfalls bei Schadenseintritt (Frühjahr 1981) Inhaber eines dinglichen Anwartschaftsrechts auf das Grundstückseigentum gewesen seien. Dies rechtfertigt es, sie in gleicher Weise wie den Eigentümer in den Schutzbereich der §§ 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 909 BGB einzubeziehen. Nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises und aufgrund des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses habe die ursprüngliche Eigentümerin auch kein eigenes Sachwertinteresse mehr, der zu leistende Schadensersatz gebühre vielmehr allein den Klägern.
Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Es geht um die Haftung aus der Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 909 BGB). Im Ansatz zu Recht prüft das Berufungsgericht deshalb, ob nach dem Inhalt und Zweck der Norm ein Rechtsschutz, und zwar hinsichtlich der Person des Geschädigten, des geschädigten Rechtsguts sowie der Art und Entstehungsweise der Schädigung, gewährt werden sollte, wie er wegen des behaupteten Schadens in Anspruch genommen wird (BGHZ 63,176,179). Auch der Senat bejaht auf dieser Grundlage dem Grunde nach einen eigenen alleinigen Anspruch der Kläger gegen die beklagte Gemeinde auf Ersatz des noch in Streit befindlichen Schadens (§ 823 Abs. 2 BGB). Auf einen eventuell von der früheren Eigentümerin abgeleiteten Anspruch, den die Beklagte für verjährt hält, kommt es somit nicht an. a) Soweit die Revision versucht, den Schutzbereich des § 909 BGB streng auf den im Grundbuch eingetragenen Eigentümer des Nachbargrundstücks zu begrenzen, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Senat hat zwar ausgeführt, § 909 BGB betreffe den Inhalt des Eigentums und regele die Rechte der Eigentümer von Grundstücken untereinander (BGHZ 12,75,77); nach der Vorstellung des Gesetzes solle die Festigkeit des Bodens eines in fremdem Eigentum stehenden Nachbargrundstücks geschützt werden (BGHZ 103,39,42). Diese Ausführungen dürfen jedoch nicht dahin verstanden werden, § 909 BGB habe einen rein auf den Eigentümer des Nachbargrundstücks bezogenen Schutzbereich. Diese Vorschrift soll vielmehr schon ihrem Wortlaut nach das Nachbargrundstück gegen unzulässige Vertiefungen schützen. Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 909 BGB ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß allein der bei Schadenseintritt eingetragene Eigentümer des Nachbargrundstücks einen Schadensersatzanspruch haben, ein solcher des Anwartschaftsberechtigten dagegen ausgeschlossen sein soll. Soweit es in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Bd. III S. 295/ 296) heißt, die »dolose oder kulpose Übertretung der Vorschrift« sei ein »gegen den Eigentümer sich richtendes Delikt«, läßt sich daraus nichts herleiten, weil die Rechtsfigur des dinglichen Anwartschaftsrechts bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch unbekannt war.
Schon kraft ausdrücklicher Bestimmung genießen neben dem Eigentümer auch Nießbraucher (§ 1065 BGB), Erbbauberechtigte (§ 11 Abs. 1 ErbbauVO) und Dienstbarkeitsberechtigte (§ 1027, § 1090 Abs. 2 BGB) nachbarrechtlichen Schutz im Sinne des § 909 BGB. Ob auch der bloße Besitzer in diesen Schutzbereich einbezogen ist (so z.B. BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 909 Rdn. 8 für den Eigenbesitz; Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 909 Rdn. 4; Soergel/Baur, BGB 12. Aufl. § 909 Rdn. 13; Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. § 909 Rdn. 15; a.A. wohl Palandt/ Bassenge, BGB 50. Aufl. § 909 Rdn. 9), kann hier offenbleiben. Auch die Gesetzesauslegung zum Schutzbereich des § 909 BGB kann nunmehr im Hinblick auf die Person des Ersatzberechtigten nicht daran vorbeigehen, in welchem Umfang Rechtsprechung und Lehre auch dem Inhaber eines Anwartschaftsrechts deliktsrechtlichen Schutz gewähren.
Das Anwartschaftsrecht ist ein dem Volleigentum wesensähnliches Recht, eine selbständig verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum Vollrecht nur noch von der Eintragung in das Grundbuch abhängt, die der Veräußerer grundsätzlich nicht mehr verhindern kann (BGHZ 83,395,399). In bestimmten Teilbereichen wird das Anwartschaftsrecht wie ein Vollrecht behandelt; z.B. wird es nicht durch Abtretung (§§ 398,413 BGB), sondern durch Auflassung nach § 925 BGB übertragen (BGHZ 49, 197,202 ff.). Für die Haftung im deliktischen Bereich ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als ein »sonstiges Recht« im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (vgl. für das Vorbehaltseigentum BGH, Urt. vom 25. Januar 1957, VI ZR 319/55, WM 1957,514; BGHZ 55,20,25 ff.). Diese Rechtsfortbildung trägt mit Recht dem Umstand Rechnung, daß im Falle mehraktiger Eigentumsübertragung der objektive Sachwert bereits auf zwei Personen verteilt ist, die beide - wenngleich in unterschiedlicher Weise - unmittelbar sachzuständig sind. Ohne die Einbeziehung des Anwartschaftsberechtigten in den Schutzbereich des § 823 BGB würde diese Bestimmung den von ihr angestrebten Schutz teilweise verfehlen, weil sie den bereits vom Eigentümer zugunsten des Anwärters abgespalteten Vermögenswert nicht erfaßte. Die Lage ist insoweit vergleichbar mit den Fällen, in denen ein bestimmter Interessengehalt des Eigentums zugunsten eines Nießbrauchers, Erbbauberechtigten oder Dienstbarkeitsberechtigten abgespalten ist.
Für den Bereich des durch Vorbehaltseigentum begründeten Anwartschaftsrechts haben Rechtsprechung (vgl. schon RGZ 170,1,6) und Lehre den deliktsrechtlichen Schutz des Vorbehaltskäufers auch gegen Eingriffe in die Sachsubstanz anerkannt. Streit besteht nur darüber, ob der Anwartschaftsberechtigte vor Beendigung der Schwebezeit allein oder nur als Gesamtberechtigter neben dem Vorbehaltsverkäufer (etwa § 432 BGB analog) Ersatz beanspruchen kann und wie sich dieser Anspruch der Höhe nach berechnet (vgl. etwa Baur, Sachenrecht 15. Aufl. § 59 V 5; BGB-RGRK/Pikart 12. Aufl. § 929 Rdn. 77; Brox JuS 1984,657 unter III 3 b; Eichenhofer AcP 185,162,189 ff.; Erman/Weitnauer, BGB 8. Aufl. § 455 Rdn. 36; Flume AcP 161,399 ff.; Gernhuber, Bürgerliches Recht 2. Aufl. § 13 4; Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik S. 265 ff.; Hübner NJW 1980,729,733; Jauernig/Teichmann, BGB 4. Aufl. § 823 II A 5 d cc; MünchKomm/ Westermann 2. Aufl. § 455 Rdn. 55; Palandt/Bassenge, BGB 50. Aufl. § 929 Rdn. 43; Raiser, Dingliche Anwartschaften S. 102; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht 4. Aufl. S. 335 ff.; Schlegelberger/Hefermehl, HGB 4. Aufl. Anh. zu § 368 Rdn. 60; Schwerdtner Jura 19980,661,666; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung Bd. I § 11 V 3b; Soergel/Mühl, BGB 12. Aufl. § 929 Rdn. 78; Soergel/Zeuner, BGB 11. Aufl. § 823 Rdn. 50; Staudinger/Honsell, BGB 12. Aufl. § 455 Rdn. 37; Wieling, Sachenrecht I § 17 III 2a). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, die dingliche Anwartschaft des Inhabers einer Auflassungsvormerkung in bezug auf den deliktsrechtlichen Schutz vor Substanzschäden grundsätzlich anders zu behandeln als die Anwartschaftsberechtigung auf der Grundlage eines Eigentumsvorbehalts. Im Bereich des nachbarrechtlichen Schutzes gegen unzulässige Vertiefungen grenzt aber grundsätzlich § 909 BGB die rechtmäßige von der rechtswidrigen Benutzung eines Grundstücks ab und entscheidet damit zwangsläufig über den Anwendungsbereich des § 823 BG B. Daraus folgt, daß im allgemeinen die nachbarrechtliche Regelung für Grundstücksvertiefungen (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB) einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen desselben Sachverhalts vorgeht (vgl. RG JW 1936,804 Nr. 16; Senatsurteile vom 28. Januar 1970, V ZR 7/67, NJW 1970,608; v. 5. März 1971, V ZR 168/68, LM BGB § 909 Nr. 12; BGB-RGRK/Steffen 12. Aufl. § 823 Rdn. 17). Dann aber muß auch der Anwartschaftsberechtigte in den Schutzbereich des § 909 mit einbezogen werden, wenn der deliktsrechtliche Schutz des Anwartschaftsinhabers in diesem Teilbereich nicht leerlaufen soll. b) Die Kläger waren bei Eintritt der Schäden am Haus Inhaber eines Anwartschaftsrechts, weil ihnen das Grundstück bereits aufgelassen war und zu ihren Gunsten eine Auflassungsvormerkung bestand (BGHZ 83,395,399; 89,41,44; 106,108,111), mithin von einem mehraktigen Entstehungstatbestand des Vollrechts (Eigentum) schon so viele Erfordernisse erfüllt waren, daß von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der Veräußerer nicht mehr einseitig zerstören konnte (BGHZ 45,186,188; 49, 197,201). Es kann deshalb - wie beim Anwartschaftsrecht auf der Grundlage eines Eigentumsvorbehalts während der Schwebezeit - nur noch darum gehen, bestimmte Konkurrenzprobleme zu lösen, die sich daraus ergeben, daß neben dem Anwartschaftsberechtigten auch der eingetragene Grundstückseigentümer haftungsrechtlich geschützt ist. Insoweit bietet der vorliegende Fall aber keine besonderen Probleme, da jedenfalls feststeht, daß der Schaden allein bei den Klägern verbleibt, weil sie nach Gefahrübergang (§ 446 Abs. 1 BGB) im Zusammenhang mit dem vereinbarten Gewährleistungsausschluß keine Möglichkeit haben, Ersatz für die Vertiefungsschäden von ihrer Verkäuferin zu erlangen. Hier kommt hinzu, daß diese nach endgültigem Verlust ihres Eigentums keinerlei Sachwertinteresse mehr haben kann. Entgegen der Auffassung der Revision fallen deshalb hier Anspruchsberechtigung und Schaden nicht auseinander, so daß nicht etwa erst über eine sogenannte Drittschadensliquidation der Verkäuferin ein tragbares Ergebnis erreicht werden könnte. Kann der Geschädigte - wie hier - aus eigenem Recht gegen den Schädiger vorgehen, so würden die Interessen der Kläger sogar beeinträchtigt werden, wenn auch die Verkäuferin noch in der Lage wäre, den Schaden der Käufer als Drittschaden zu liquidieren (vgl. auch Hagen aaO S. 117 und S. 269; BGH, Urt. vom 9. Juli 1979, II ZR 202/77, VersR 1979,906,907). Aus den obigen Ausführungen folgt zugleich, daß es für den hier allein geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht darauf ankommen kann, daß die Beklagte zu 1 die Vertiefungshandlung noch vor Abschluß des Kaufvertrages vornehmen ließ und möglicherweise ein Stützverlust für das Nachbargrundstück schon zu einem Zeitpunkt eintrat, in dem die Kläger noch nicht Anwartschaftsberechtigte waren. Entscheidend ist vielmehr, daß sie bei Auftreten der Gebäudeschäden im Frühjahr 1981 diese Rechtsstellung hatten. Sie waren deshalb in den Schutzbereich des § 909 BGB einbezogen und machen mit Recht einen aus der Vertiefung ihnen allein entstandenen Schaden geltend.