BGHZ 114, 161
Amtl. Leitsatz:
Auch der anwartschaftsberechtigte Käufer eines Grundstücks ist deliktsrechtlich gegen unzulässige Vertiefungen des Nachbargrundstücks geschützt und hat jedenfalls dann einen eigenen Anspruch auf Schadensersatz auch wegen des Substanzschadens, wenn sein Anwartschaftsrecht bei Eintritt der Vertiefungsschäden bestand und feststeht, daß der daraus folgende Schaden allein bei ihm verbleibt.
Mit notariellem Vertrag vom
23. November 1980 kauften die Kläger unter Ausschluß jeder Gewährleistung
ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück zum Kaufpreis von
450000 DM, den sie in voller Höhe bezahlten. Zu ihren Gunsten wurde
am 28. November 1980 eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen;
das Eigentum wurde aufgrund der schon im Kaufvertrag erklärten Auflassung
am 24. März 1981 auf sie umgeschrieben.
Das Grundstück liegt
auf einem Hügelrücken, der nach Nordwesten stark abfällt.
Am Fuß des Hanges befindet sich ein stillgelegter Steinbruch, in
dem die Beklagte zu 1 eine Mehrzweckhalle errichten wollte. Zur Anlegung
einer etwa 40 q 50 m großen Baugrube wurden am 25. September 1980
und am 3. Oktober 1980 Felsen zur Lockerung gesprengt; rund 11400 cbm wurden
abgetragen. Im Frühjahr 1981 traten auf dem Kaufgrundstück Risse
und Gebäudesetzungen auf. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese
Schäden vor dem Eigentumserwerb der Kläger oder erst danach entstanden
sind. Mit der Behauptung, ihr Einfamilienhaus sei durch die von der Beklagten
zu 1 vorgenommene Vertiefung beschädigt und für Wohnzwecke nicht
mehr benutzbar, haben die Kläger von der Beklagten zu 1 und von den
früheren Beklagten zu 2 und 3, die als Architekten den Bau der Mehrzweckhalle
geplant hatten, Schadensersatz in Höhe von 618996,63 DM (450000 DM
Kaufpreis für das Hausgrundstück, 150996,63 DM Finanzierungs-
und sonstige Kosten für den Grundstückserwerb, sowie 18000 DM
Mietaufwand vom 1. Juli 1981 bis 31. Dezember 1983) verlangt.
Das Landgericht hat den
Klageanspruch gegenüber der Beklagten zu 1 dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt und die Klage gegen die Beklagten zu 2 und
3 abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 hat das Oberlandesgericht
die Klage, die von den Klägern nunmehr auch auf die Abtretung (8.
November 1989) etwaiger Schadensersatzansprüche der früheren
Eigentümerin gegen die Beklagte zu 1 gestützt wurde, in Höhe
von 150996,63 DM abgewiesen und sie im übrigen dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten zu 1 hatte keinen
Erfolg.
Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht bejaht
einen Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB
i.V.m. § 909 BGB.
1. Die Gebäudeschäden
seien von der Beklagten zu 1 schuldhaft durch eine unzulässige Vertiefung
verursacht worden. Diese Ausführungen werden von der Revision nicht
angegriffen, sie sind sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Das Berufungsgericht
bejaht eine alleinige Aktivlegitimation der Kläger für den geltend
gemachten Schadensersatzanspruch. Auf den Zeitpunkt der Vertiefungshandlung
komme es hier nicht an, weil Schadensersatzansprüche nicht vor dem
Eintritt des schädigenden Erfolges entstünden. Es läßt
offen, ob die Gebäudeschäden schon vor der Eigentumsumschreibung
am 24. März 1981 eingetreten sind, weil die Kläger jedenfalls
bei Schadenseintritt (Frühjahr 1981) Inhaber eines dinglichen Anwartschaftsrechts
auf das Grundstückseigentum gewesen seien. Dies rechtfertigt es, sie
in gleicher Weise wie den Eigentümer in den Schutzbereich der §§
823 Abs. 2 in Verbindung mit § 909 BGB einzubeziehen. Nach vollständiger
Zahlung des Kaufpreises und aufgrund des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses
habe die ursprüngliche Eigentümerin auch kein eigenes Sachwertinteresse
mehr, der zu leistende Schadensersatz gebühre vielmehr allein den
Klägern.
Dagegen wendet sich die
Revision ohne Erfolg.
Es geht um die Haftung aus
der Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 909 BGB). Im Ansatz zu Recht
prüft das Berufungsgericht deshalb, ob nach dem Inhalt und Zweck der
Norm ein Rechtsschutz, und zwar hinsichtlich der Person des Geschädigten,
des geschädigten Rechtsguts sowie der Art und Entstehungsweise der
Schädigung, gewährt werden sollte, wie er wegen des behaupteten
Schadens in Anspruch genommen wird (BGHZ 63,176,179). Auch der Senat bejaht
auf dieser Grundlage dem Grunde nach einen eigenen alleinigen Anspruch
der Kläger gegen die beklagte Gemeinde auf Ersatz des noch in Streit
befindlichen Schadens (§ 823 Abs. 2 BGB). Auf einen eventuell von
der früheren Eigentümerin abgeleiteten Anspruch, den die Beklagte
für verjährt hält, kommt es somit nicht an. a) Soweit die
Revision versucht, den Schutzbereich des § 909 BGB streng auf den
im Grundbuch eingetragenen Eigentümer des Nachbargrundstücks
zu begrenzen, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Senat hat zwar ausgeführt,
§ 909 BGB betreffe den Inhalt des Eigentums und regele die Rechte
der Eigentümer von Grundstücken untereinander (BGHZ 12,75,77);
nach der Vorstellung des Gesetzes solle die Festigkeit des Bodens eines
in fremdem Eigentum stehenden Nachbargrundstücks geschützt werden
(BGHZ 103,39,42). Diese Ausführungen dürfen jedoch nicht dahin
verstanden werden, § 909 BGB habe einen rein auf den Eigentümer
des Nachbargrundstücks bezogenen Schutzbereich. Diese Vorschrift soll
vielmehr schon ihrem Wortlaut nach das Nachbargrundstück gegen unzulässige
Vertiefungen schützen. Auch aus der Entstehungsgeschichte des §
909 BGB ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß allein der
bei Schadenseintritt eingetragene Eigentümer des Nachbargrundstücks
einen Schadensersatzanspruch haben, ein solcher des Anwartschaftsberechtigten
dagegen ausgeschlossen sein soll. Soweit es in den Motiven zum Bürgerlichen
Gesetzbuch (Bd. III S. 295/ 296) heißt, die »dolose oder kulpose
Übertretung der Vorschrift« sei ein »gegen den Eigentümer
sich richtendes Delikt«, läßt sich daraus nichts herleiten,
weil die Rechtsfigur des dinglichen Anwartschaftsrechts bei Erlaß
des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch unbekannt war.
Schon kraft ausdrücklicher
Bestimmung genießen neben dem Eigentümer auch Nießbraucher
(§ 1065 BGB), Erbbauberechtigte (§ 11 Abs. 1 ErbbauVO) und Dienstbarkeitsberechtigte
(§ 1027, § 1090 Abs. 2 BGB) nachbarrechtlichen Schutz im Sinne
des § 909 BGB. Ob auch der bloße Besitzer in diesen Schutzbereich
einbezogen ist (so z.B. BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 909 Rdn. 8 für
den Eigenbesitz; Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 909 Rdn. 4; Soergel/Baur,
BGB 12. Aufl. § 909 Rdn. 13; Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. §
909 Rdn. 15; a.A. wohl Palandt/ Bassenge, BGB 50. Aufl. § 909 Rdn.
9), kann hier offenbleiben. Auch die Gesetzesauslegung zum Schutzbereich
des § 909 BGB kann nunmehr im Hinblick auf die Person des Ersatzberechtigten
nicht daran vorbeigehen, in welchem Umfang Rechtsprechung und Lehre auch
dem Inhaber eines Anwartschaftsrechts deliktsrechtlichen Schutz gewähren.
Das Anwartschaftsrecht
ist ein dem Volleigentum wesensähnliches Recht, eine selbständig
verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum
Vollrecht nur noch von der Eintragung in das Grundbuch abhängt, die
der Veräußerer grundsätzlich nicht mehr verhindern kann
(BGHZ 83,395,399). In bestimmten Teilbereichen wird das Anwartschaftsrecht
wie ein Vollrecht behandelt; z.B. wird es nicht durch Abtretung (§§
398,413 BGB), sondern durch Auflassung nach § 925 BGB übertragen
(BGHZ 49, 197,202 ff.). Für die Haftung im deliktischen Bereich
ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als ein »sonstiges
Recht« im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt (vgl. für
das Vorbehaltseigentum BGH, Urt. vom 25. Januar 1957, VI ZR 319/55, WM
1957,514; BGHZ 55,20,25 ff.). Diese Rechtsfortbildung trägt mit
Recht dem Umstand Rechnung, daß im Falle mehraktiger Eigentumsübertragung
der objektive Sachwert bereits auf zwei Personen verteilt ist, die beide
- wenngleich in unterschiedlicher Weise - unmittelbar sachzuständig
sind. Ohne die Einbeziehung des Anwartschaftsberechtigten in den Schutzbereich
des § 823 BGB würde diese Bestimmung den von ihr angestrebten
Schutz teilweise verfehlen, weil sie den bereits vom Eigentümer zugunsten
des Anwärters abgespalteten Vermögenswert nicht erfaßte.
Die Lage ist insoweit vergleichbar mit den Fällen, in denen ein bestimmter
Interessengehalt des Eigentums zugunsten eines Nießbrauchers, Erbbauberechtigten
oder Dienstbarkeitsberechtigten abgespalten ist.
Für den Bereich
des durch Vorbehaltseigentum begründeten Anwartschaftsrechts haben
Rechtsprechung (vgl. schon RGZ 170,1,6) und Lehre den deliktsrechtlichen
Schutz des Vorbehaltskäufers auch gegen Eingriffe in die Sachsubstanz
anerkannt. Streit besteht nur darüber, ob der Anwartschaftsberechtigte
vor Beendigung der Schwebezeit allein oder nur als Gesamtberechtigter neben
dem Vorbehaltsverkäufer (etwa § 432 BGB analog) Ersatz beanspruchen
kann und wie sich dieser Anspruch der Höhe nach berechnet (vgl. etwa
Baur, Sachenrecht 15. Aufl. § 59 V 5; BGB-RGRK/Pikart 12. Aufl. §
929 Rdn. 77; Brox JuS 1984,657 unter III 3 b; Eichenhofer AcP 185,162,189
ff.; Erman/Weitnauer, BGB 8. Aufl. § 455 Rdn. 36; Flume AcP 161,399
ff.; Gernhuber, Bürgerliches Recht 2. Aufl. § 13 4; Hagen, Die
Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik S. 265 ff.; Hübner
NJW 1980,729,733; Jauernig/Teichmann, BGB 4. Aufl. § 823 II A 5 d
cc; MünchKomm/ Westermann 2. Aufl. § 455 Rdn. 55; Palandt/Bassenge,
BGB 50. Aufl. § 929 Rdn. 43; Raiser, Dingliche Anwartschaften S. 102;
Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht 4. Aufl. S. 335 ff.; Schlegelberger/Hefermehl,
HGB 4. Aufl. Anh. zu § 368 Rdn. 60; Schwerdtner Jura 19980,661,666;
Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung Bd. I §
11 V 3b; Soergel/Mühl, BGB 12. Aufl. § 929 Rdn. 78; Soergel/Zeuner,
BGB 11. Aufl. § 823 Rdn. 50; Staudinger/Honsell, BGB 12. Aufl. §
455 Rdn. 37; Wieling, Sachenrecht I § 17 III 2a). Es sind keine Gründe
dafür ersichtlich, die dingliche Anwartschaft des Inhabers einer Auflassungsvormerkung
in bezug auf den deliktsrechtlichen Schutz vor Substanzschäden grundsätzlich
anders zu behandeln als die Anwartschaftsberechtigung auf der Grundlage
eines Eigentumsvorbehalts. Im Bereich des nachbarrechtlichen Schutzes
gegen unzulässige Vertiefungen grenzt aber grundsätzlich §
909 BGB die rechtmäßige von der rechtswidrigen Benutzung eines
Grundstücks ab und entscheidet damit zwangsläufig über den
Anwendungsbereich des § 823 BG B. Daraus folgt, daß im allgemeinen
die nachbarrechtliche Regelung für Grundstücksvertiefungen (§
823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB) einem Anspruch aus § 823 Abs. 1
BGB wegen desselben Sachverhalts vorgeht (vgl. RG JW 1936,804 Nr. 16; Senatsurteile
vom 28. Januar 1970, V ZR 7/67, NJW 1970,608; v. 5. März 1971, V ZR
168/68, LM BGB § 909 Nr. 12; BGB-RGRK/Steffen 12. Aufl. § 823
Rdn. 17). Dann aber muß auch der Anwartschaftsberechtigte in den
Schutzbereich des § 909 mit einbezogen werden, wenn der deliktsrechtliche
Schutz des Anwartschaftsinhabers in diesem Teilbereich nicht leerlaufen
soll. b) Die Kläger waren bei Eintritt der Schäden am Haus Inhaber
eines Anwartschaftsrechts, weil ihnen das Grundstück bereits aufgelassen
war und zu ihren Gunsten eine Auflassungsvormerkung bestand (BGHZ 83,395,399;
89,41,44; 106,108,111), mithin von einem mehraktigen Entstehungstatbestand
des Vollrechts (Eigentum) schon so viele Erfordernisse erfüllt waren,
daß von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen
werden kann, die der Veräußerer nicht mehr einseitig zerstören
konnte (BGHZ 45,186,188; 49, 197,201). Es kann deshalb - wie beim Anwartschaftsrecht
auf der Grundlage eines Eigentumsvorbehalts während der Schwebezeit
- nur noch darum gehen, bestimmte Konkurrenzprobleme zu lösen, die
sich daraus ergeben, daß neben dem Anwartschaftsberechtigten auch
der eingetragene Grundstückseigentümer haftungsrechtlich geschützt
ist. Insoweit bietet der vorliegende Fall aber keine besonderen Probleme,
da jedenfalls feststeht, daß der Schaden allein bei den Klägern
verbleibt, weil sie nach Gefahrübergang (§ 446 Abs. 1 BGB) im
Zusammenhang mit dem vereinbarten Gewährleistungsausschluß keine
Möglichkeit haben, Ersatz für die Vertiefungsschäden von
ihrer Verkäuferin zu erlangen. Hier kommt hinzu, daß diese nach
endgültigem Verlust ihres Eigentums keinerlei Sachwertinteresse mehr
haben kann. Entgegen der Auffassung der Revision fallen deshalb hier Anspruchsberechtigung
und Schaden nicht auseinander, so daß nicht etwa erst über eine
sogenannte Drittschadensliquidation der Verkäuferin ein tragbares
Ergebnis erreicht werden könnte. Kann der Geschädigte - wie hier
- aus eigenem Recht gegen den Schädiger vorgehen, so würden die
Interessen der Kläger sogar beeinträchtigt werden, wenn auch
die Verkäuferin noch in der Lage wäre, den Schaden der Käufer
als Drittschaden zu liquidieren (vgl. auch Hagen aaO S. 117 und S. 269;
BGH, Urt. vom 9. Juli 1979, II ZR 202/77, VersR 1979,906,907). Aus den
obigen Ausführungen folgt zugleich, daß es für den hier
allein geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht darauf ankommen kann,
daß die Beklagte zu 1 die Vertiefungshandlung noch vor Abschluß
des Kaufvertrages vornehmen ließ und möglicherweise ein Stützverlust
für das Nachbargrundstück schon zu einem Zeitpunkt eintrat, in
dem die Kläger noch nicht Anwartschaftsberechtigte waren. Entscheidend
ist vielmehr, daß sie bei Auftreten der Gebäudeschäden
im Frühjahr 1981 diese Rechtsstellung hatten. Sie waren deshalb in
den Schutzbereich des § 909 BGB einbezogen und machen mit Recht einen
aus der Vertiefung ihnen allein entstandenen Schaden geltend.