Gefährdungshaftung nach StVG: Begriff des "Halters" i.S.v. § 7 StVG; weite Auslegung des Begriffs der "entgeltlichen geschäftsmäßigen Beförderung" i.S.v. § 8a StVG
BGH, Urt. v. 28.5.1991 - VI ZR 291/90
Fundstellen:

BGHZ 114, 348
NJW 1991, 2143


Amtl. Leitsatz:

Im Rahmen des § 8a StVG kommt es für die Frage, ob es sich um eine entgeltliche und geschäftsmäßige Personenbeförderung handelt, nicht zwangsläufig auf die Interessenlage des Halters oder Fahrers, sondern auf die Interessenlage desjenigen an, der die Personenbeförderung übernommen hat.



Der Kläger begehrt den Ersatz des Schadens, den er als Insasse eines Kleinbusses erlitten hat. Er befand sich in diesem Kleinbus zusammen mit Musikerkollegen auf einer Konzerttournee. Auf der Fahrt platzte ein Reifen mit der Folge, daß der Kleinbus von der Fahrbahn abkam und sich überschlug; der Kläger wurde verletzt. Die Erstbeklagte, ein Kfz-Vermietungsunternehmen, ist die Halterin, die Zweitbeklagte der Haftpflichtversicherer des Kleinbusses.
Das Fahrzeug war von dem Konzertagenten F., der die Musikergruppe gegen Umsatzbeteiligung betreute, bei der Erstbeklagten bestellt worden. Der Konzertagent hatte auch für den Fahrer gesorgt. Die Kosten für das Fahrzeug sollten aus den Konzerteinnahmen bestritten, die Auslagen des Konzertagenten gesondert ausgeglichen werden.
Das Landgericht hat die auf den Ersatz des materiellen Schadens des Klägers sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichtete Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die auf den Ausgleich des materiellen Schadens beschränkte Berufung zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache  an das Berufungsgericht.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus Vertrag oder aus unerlaubter Handlung, da sich einVerschulden auf Seiten der Erstbeklagten ebensowie wie ein Verschulden des Fahrers nicht feststellen lasse. Einen Schadensersatzanspruch nach dem Straßenverkehrsgesetz verneint das Berufungsgericht im Hinblick auf § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG. Es unterstellt dabei, daß der Kläger nicht seinerseits (zusammen mit seinen Musikerkollegen) der Mieter des Kleinbusses war, die Beförderung der Gruppe vielmehr in der Hand des Konzertagenten F. lag. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist indes bereits zweifelhaft, ob der Konzertagent den Kläger und dessen Kollegen i.S. von § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG "entgeltlich" befördert hat; denn da die Kosten für den Kleinbus aus den Konzerteinnahmen bestritten werden sollten, seien insoweit wirtschaftliche Interessen des Konzertagenten nicht berührt gewesen. Jedenfalls aber hat der Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht hinreichend dargetan, daß der Konzertagent die Gruppe i.S. des § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG "geschäftsmäßig" befördert habe, nämlich derartige Beförderungen wiederkehrend durchführe.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in jeder Hinsicht stand.
1. Soweit das Berufungsgericht Ansprüche des Klägers aus Vertrag und aus unerlaubter Handlung verneint, nimmt die Revision das Berufungsurteil hin und ist ein Rechtsfehler in der Tat nicht zu erkennen.
2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Haftung der Erstbeklagten - und damit auch der Zweitbeklagten - nach dem Straßenverkehrsgesetz verneint, ist dagegen teilweise von Rechtsfehlern beeinflußt.
a) Zufolge und nach näherer Maßgabe des § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG gilt die Halterhaftung nach § 7 StVG auch gegenüber dem Insassen des Kraftfahrzeuges, "wenn es sich um entgeltliche, geschäftsmäßige Personenbeförderung handelt". Die Halterhaftung ist gewissermaßen das Äquivalent für die Entgeltlichkeit und Geschäftsmäßigkeit der Personenbeförderung (Senatsurteil BGHZ 80,303,306 f. mit Anm. Weber zu LM StVG § 8a Nr. 4). Das bedeutet allerdings nicht, daß der Halter nur dann haftet, wenn gerade er derjenige ist, der die Personenbeförderung, und zwar entgeltlich und geschäftsmäßig, übernommen hat. Es genügt vielmehr, daß es sich überhaupt um eine entgeltliche und geschäftsmäßige Personenbeförderung handelt, daß also, wer immer die Beförderung übernommen hat, diese entgeltlich und geschäftsmäßig betreibt. Insofern entfällt hier die Haftung der Erstbeklagten als der Halterin nicht schon deshalb, weil sie lediglich das Kraftfahrzeug vermietet, nicht jedoch die Beförderung des Klägers und seiner Kollegen übernommen hat. Vielmehr prüft das Berufungsgericht auf dem Boden des von ihm zugrunde gelegten Sachverhalts (s. hierzu näher unten zu b) im Ansatz zu Recht, ob es sich aus der Sicht des Konzertagenten  F. um eine entgeltliche und geschäftsmäßige Personenbeförderung gehandelt hat.
Daß im Rahmen des § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG die Frage der Entgeltlichkeit und Geschäftsmäßigkeit der Personenbeförderung aus der Sicht desjenigen zu beantworten ist, der die Personenbeförderung übernommen hat, wird bereits durch den Wortlaut der Vorschrift nahegelegt. Danach ist die Haftung des Halters nicht davon abhängig, daß es sich für ihn um einen entgeltlichen und geschäftsmäßigen Vorgang handelt, sondern genügt, daß die Personenbeförderung entgeltlich und geschäftsmäßig erfolgt. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht dafür, daß sich das Merkmal der Entgeltlichkeit und Geschäftsmäßigkeit der Beförderung nicht zwangsläufig auf den Halter, sondern auf denjenigen bezieht, unter dessen Regie die Beförderung stattfindet. Die Erstreckung der Gefährdungshaftung des Halters auf die Insassen des Kraftfahrzeuges ist vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Kraftfahrzeuges für die Personenbeförderung mit einem Seitenblick auf die Rechtstellung des Reisenden im Eisenbahnverkehr vorgenommen worden (vgl. Krumme/Steffen, StVG § 8a Rdn. 1). Das deutet darauf hin, daß der Gesetzgeber den Beförderungsvorgang als solchen im Blick hatte und, soweit im weitesten Sinne im Rahmen einer wirtschaftlichen Betätigung erfolgend, von der Gefährdungshaftung erfaßt sehen wollte. Darüber hinaus hatte § 8a StVG eine Anpassung der Halterhaftung an die Tatbestände einer nach dem Personenbeförderungsgesetz genehmigungspflichtigen Personenbeförderung zum Ziel (s. Senatsurteil aaO S. 307 m. w.Nachw.). Wenn auch dieses Ziel nicht vollständig erreicht worden ist, das Personenbeförderungsgesetz in der schließlich Gesetz gewordenen Fassung vielmehr schon die bloß geschäftsmäßige Personenbeförderung der Genehmigungspflicht unterwirft (s. § 1 Abs. 1 PBefG), so spricht doch die zunächst beabsichtigte Synchronisierung der beiden Regelungsbereiche dafür, daß für die Frage, ob die Halterhafung eingreift, ebenso wie im Rahmen des Personenbeförderungsgesetzes auf die Zweckrichtung der Personenbeförderung aus der Sicht des Befördernden abzustellen ist. Allein dies wird auch dem Sinn und Zweck des § 8a StVG gerecht. Die Vorschrift ist, wie bereits ausgeführt, das Pendant zu der Entgeltlichkeit und Geschäftsmäßigkeit der Beförderung (s. abermals Senatsurteil aaO S. 306 f.): Wenn das Kraftfahrzeug zur entgeltlichen und geschäftsmäßigen Personenbeförderung eingesetzt wird, soll dem Insassen - anders als bei Mitnahme aus reiner Gefälligkeit - die Gefährdungshaftung nach § 7 StVG nach näherer Maßgabe des § 8a Abs. 1 StVG zugutekommen. Dieser Zusammenhang läßt sich aber sinnvoll nur aus dem Beförderungsverhältnis heraus beurteilen. Ob die Personenbeförderung entgeltlich und geschäftsmäßig erfolgt, bestimmt sich naturgemäß nach der Interessenlage desjenigen, der für die Beförderung verantwortlich ist. Die Stellung als Halter oder Fahrer des Kraftfahrzeuges als solche sagt insoweit nichts aus. Im übrigen greift die Halterhaftung auch außerhalb von § 8a StVG unabhängig davon ein, ob der Einsatz des Kraftfahrzeuges konkret im Interesse des Halter liegt oder nicht.
Soweit der Senat in seinem in BGHZ 80,303 veröffentlichten Urteil ausgeführt hat, das Gesetz bestimme in § 8a StVG eine Ausnahme von dem Grundsatz der Haftungsfreistellung gegenüber Kfz-Insassen nur dann, "wenn die Beförderung wirtschaftlichen Interessen des Fahrers oder Halters dient, diese also den eigentlichen Grund für die Personenbeförderung darstellten", hängt das damit zusammen, daß in dem damals zu entscheidenden Fall Halter, Fahrer und Beförderer personengleich waren. Fallen sie auseinander, kommt es aus den dargelegten Gründen darauf an, ob die Beförderung aus der Sicht desjenigen, der die Beförderung übernommen hat, entgeltlich und geschäftsmäßig ist. Der abweichenden Auffassung von Schloen (in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 13. Aufl. Rdn. 766) vermag der Senat nicht beizutreten.
b) Vorliegend ist nach dem revisionsrechtlich zugrundeliegenden Sachverhalt davon auszugehen, daß es der Konzertagent  F. übernommen hat, für die Beförderung des Klägers und seiner Kollegen Sorge zu tragen, und er zu diesem Zwecke den Kleinbus gemietet und einen Fahrer beauftragt hat. Damit kommt es darauf an, ob es sich aus der Sicht des Konzertagenten F. um eine entgeltliche und geschäftsmäßige Personenbeförderung gehandelt hat.
aa) Die von dem Berufungsgericht offengelassene Frage, ob der Konzertagent F. i.S. des § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG entgeltlich gehandelt hat, ist nach dem Sach- und Streitstand zu bejahen. Der Begriff der Entgeltlichkeit i.S. des § 8a StVG ist weit auszulegen (Senatsurteile vom 26. November 1968 - VI ZR 205/68 - VersR 1969,161 und vom 14. Mai 1981  BGHZ 80,303,306). Es genügt jedweder auch nur mittelbar erstrebte wirtschaftliche Vorteil (Senatsurteil BGHZ aaO m. w.Nachw.). Von daher steht hier - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - der Annahme einer i.S. von § 8a Abs. 1 StVG "entgeltlichen" Personenbeförderung nicht entgegen, daß die Mietwagenkosten aus den Konzerteinnahmen bestritten und die Auslagen des Konzertagenten F. gesondert ausgeglichen werden sollten. Die Beförderung der Musikergruppe an die Orte, an denen sie auftreten sollte, diente der Erzielung von Konzerteinnahmen, aus denen dem Konzertagenten eine Provision zustand, und stellte die Leistungsfähigkeit und den Service der Agentur unter Beweis. Das reicht aus, um die Personenbeförderung aus der Sicht des Konzertagenten F. als entgeltlich erscheinen zu lassen.
bb) Zu der weiteren Frage, ob der Konzertagent F. auch geschäftsmäßig i.S. des § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG gehandelt hat, geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß Geschäftsmäßigkeit zu bejahen ist, wenn Personenbeförderungen gleicher Art wiederholt werden sollen und sich als dauernder oder wiederkehrender Teil der geschäftlichen Betätigung darstellen (vgl. Senatsurteil BGHZ 80,303,305). Die Revision rügt indes mit Erfolg, daß das Berufungsgericht für ein in diesem Sinne geschäftsmäßiges Verhalten des Konzertagenten F. hinreichende Darlegungen vermißt. Der Kläger hat durch das Zeugnis des Konzertagenten unter Beweis gestellt, daß dieser regelmäßig gegen Entgelt Tourneen organisiere, eigenverantwortliche Transporte von Musikern zur Beförderung von Konzertort zu Konzertort durchführe, im Streitfall nicht erstmals ein Fahrzeug für Musiker angemietet habe und dies auch künftig im Rahmen seiner Konzertagententätigkeit tun werde. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers, wenn es verlangt, daß der Kläger konkrete Beispiele für derartige Betätigungen des Konzertagenten F. in anderen Fällen hätte vortragen müssen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, wenn diese Einzelheiten für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung sind (BGH, Urteil vom 12. Juli 1984 - VII ZR 123/83 - NJW 1984,2888,2889; vgl. auch Senatsurteil vom 23. Oktober 1990 - VI ZR 329/89 - VersR 1991,341,342). So ist es hier in Bezug auf das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit i. S. des § 8a StVG. Bestätigt der Konzertagent F., was der Kläger durch dessen Zeugnis unter Beweis stellt, und verdienen seine Angaben Glauben, ist Geschäftsmäßigkeit i.S. von § 8a StVG zu bejahen.