BGHZ 124, 52
LM H. 3/1994 § 823 (Aa) BGB Nr. 151
MDR 1994, 140
JZ 1994, 464
FamRZ 1994, 154
BGHZ 124, 52
Wird Sperma, das der Spender hat einfrieren
lassen, um sich für eine vorhersehbare Unfruchtbarkeit die Möglichkeit
zu erhalten, eigene Nachkommen zu haben, durch das Verschulden eines anderen
vernichtet, dann steht dem Spender unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung
ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.
Der damals 31 Jahre alte Kl. unterzog sich im Jahre
1987 wegen eines Harnblasenkarzinoms einer Operation, von der er wußte,
daß sie zu seiner Zeugungsunfähigkeit führen werde. Um
sich die Möglichkeit zu erhalten, einmal eigene Kinder zu haben, ließ
er vor der Operation in der Universitätsklinik der Bekl. von ihm stammendes
Sperma in einer Kryokonserve einlagern. Da die Lagerungskapazität
der Bekl. begrenzt ist, fragte sie bei dem Kl. mit Schreiben vom 19. 1.
1989 an. ob er an einer weiteren Konservierung interessiert sei; sie kündigte
in diesem Schreiben die Vernichtung der Spermakonserven an, wenn sie nicht
innerhalb von vier Wochen eine gegenteilige Mitteilung des Kl. erhalte.
Der Kl. antwortete daraufhin in einem eingeschriebenen Brief vom 26. 1.
1989, daß er die weitere Konservierung wünsche. Dieses Schreiben
ging zwar bei der Bekl. ein, gelangte aber aus nicht mehr aufklärbaren
Gründen nicht zu der bei der Bekl. über den Kl. geführten
Akte. Die Spermakonserve wurde deshalb am 29. 5. 1989 vernichtet. Als sich
der Kl., der im März 1989 geheiratet hatte, mit seiner Ehefrau den
Wunsch nach einem gemeinsamen Kind erfüllen wollte, erfuhr er von
der Bekl., daß in der Zwischenzeit sein Sperma vernichtet worden
war. Mit der Klage verlangt der Kl. von der Bekl. die Zahlung eines angemessenen
Schmerzensgeldes, das mindestens 25000 DM betragen soll. Hierzu macht er
geltnd, seine Ehefrau hätte durch eine Insemination mit dem konservierten
Sperma ohne weiteres ein Kind empfangen können. Sein Eigentum an dem
Sperma werde von seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht überlagert,
so daß ihm in Parallele zu der zum Ehrenschutz entwickelten Rechtsprechung
des BGH eine Geldentschädigung zustehe. Außerdem könne
er aus dem Gesichtspunkt der Körperverletzung ein Schmerzensgeld
verlangen; die Vernichtung der Sperma-Krykokonserve habe bei ihm zu psychosomatischen
Störungen geführt. Die Bekl., die nicht bestreitet, daß
es durch eine Sorgfaltspflichtverletzung in ihrem Bereich zu der Vernichtung
des Spermas gekommen ist, hat ihre Verpflichtung zur Erstattung der Kosten
anerkannt, die dem Kl. durch die Konservierung entstanden sind. Sie hält
sich jedoch nicht für verpflichtet, an den Kl. ein Schmerzensgeld
zu zahlen. Hierzu macht sie geltend, daß selbst dann, wenn die Entscheidungsfreiheit
über das "Ob" und "Wann" der Fortpflanzung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
zugeordnet werde, dem Kl. ein Anspruch auf eine Entschädigung in Geld
nicht zustehe, weil sie nur fahrlässig, nicht aber zielgerichtet in
dieses Recht eingegriffen habe.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat die
Berufung des Kl. zurückgewiesen. Die - zugelassene - Revision des
Kl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Nach Auffassung des BerGer. steht dem Kl. gegen
die Bekl. weder ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach §
847 I BGB noch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.
Aus dem Gesichtspunkt der Körperverletzung
scheitere ein Schmerzensgeldanspruch schon im Ansatz, weil die behaupteten
psychosomatischen Störungen nicht auf einem Eingriff in die körperliche
Befindlichkeit des Kl. beruhten. Eine Gesundheitsverletzung i. S. von §
847 I BGB sei gleichfalls zu verneinen; seelische Beeinträchtigungen,
wie sie der Kl. geltend mache, könnten nicht als Gesundheitsverletzung
qualifiziert werden; der Kl. habe auch nicht schlüssig vorgetragen,
daß die behaupteten psychosomatischen Störungen den Heilungsverlauf
der Krebserkrankung ungünstig beeinflußt hätten. Auch das
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. sei nicht verletzt. Allerdings
habe die Vernichtung des Spermas die Freiheit des Kl. verletzt zu entschieden,
ob, wie und wann sein Sperma zur Befruchtung eingesetzt werde. Diese Freiheit
werde jedoch vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das nur den Bestand
der Rechtsposition schütze, nicht umfaßt; das allgemeine Persönlichkeitsrecht
gewähre einen Integritäts-, nicht aber einen Aktivitätsschutz.
Der Kl. könne sich auch nicht auf ein "Recht auf Familienplanung"
berufen; ein solches Recht könne nicht anerkannt werden. Im übrigen
fehle es, da die Vernichtung der Spermakonserve nur auf einem fahrlässigen
Verhalten der Bediensteten der Bekl. beruhe, an einem zielgerichteten Eingriff
in die Rechtsposition des Kl. Auch aus diesem Grund scheide die Zubilligung
einer Geldentschädigung aus.
II. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen
Überprüfung nicht stand.
1. Die Revision beanstandet nicht die Überlegungen,
mit denen das BerGer. wegen der behaupteten psychosomatischen Störungen
und seelischen Beeinträchtigungen eine Körper- und Gesundheitsverletzung
und damit einen Schmerzensgeldanspruch des Kl. schon deshalb aus §
847 I BGB verneint. Insoweit sind auch Rechtsfehler nicht erkennbar.
2. Der Schmerzensgeldanspruch des Kl. ist aber
wegen der schuldhaften Vernichtung seines Spermas begründet.
a) Nach nicht unbestrittener, aber weit überwiegender
Auffassung wird ein Körperteil, der vom Körper abgetrennt wird,
zu einer Sache mit der Folge, daß sich das Recht des Betroffenen
an seinem Körper in Sacheigentum am abgetrennten Körperteil umwandelt
(vgl. etwa Kregel, in: RGRK, 12. Aufl., § 90 Rdnr. 2; Holch, in: MünchKomm,
3. Aufl., § 90 Rdnr. 21; Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., §
90 Rdnr. 3; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 90 Rdnr. 15; Taupitz,
JZ 1992, 1089 (1092); a. A. Bernat, Rechtsfragen medizinisch assistierter
Zeugung, 1989, S. 115; Forkel, JZ 1974, 593). Teilweise wird die Auffassung
vertreten, daß dies auch für das konservierte Sperma zu gelten
habe (vgl. Holch, in: MünchKomm und Palandt/Heinrichs, jeweils aaO).
Dieser Meinung ist auch das BerGer. Danach würde sich die Vernichtung
des Spermas des Kl. nicht als Körperverletzung darstellen, an die
§ 847 BGB Schmerzensgeldansprüche knüpft.
Diese Betrachtung erscheint dem Senat indes zu
eng. Der Senat hat den Begriff der Körperverletzung i. S. von §§
832 I, 847 I BGB weit ausgelegt. Er versteht das Recht am eigenen Körper
als gesetzlich ausgeformten Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
und erblickt eine Verletzung des Körpers, die § 823 I BGB ausdrücklich
neben der Verletzung der Gesundheit erwähnt, in jedem unbefugten,
weil von der Einwilligung des Rechtsträgers nicht gedeckten Eingriff
in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (vgl. Senat,
NJW 1980, 1452 (1453), insoweit in BGHZ 76, 259 nicht abgedruckt). Schutzgut
des § 823 I BGB ist nicht die Materie, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld
der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert
ist (RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 9). Die Vorschrift des § 823
I BGB schützt den Körper als Basis der Persönlichkeit.
Angesichts der heutigen medizinsichen Möglichkeiten
gewinnt das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgendes Selbstbestimmungsrecht
des Rechtsträgers für das Schutzgut Körper eine zusätzliche
Bedeutung. Der medizinische Fortschritt läßt es zu, dem Körper
Bestandteile zu entnehmen und sie ihm später wieder einzugliedern.
Das gilt beispielsweise für zur Eigentransplantation bestimmte Haut-
oder Knochenbestandteile, für die zur Befruchtung entnommene Eizelle
und für die Eigenblutspende. Werden dem Körper Bestandteile entnommen,
um mit ihm nach dem Willen des Rechtsträgers zur Bewahrung der Körperfunktionen
oder zu ihrer Verwirklichung später wieder vereinigt zu werden, dann
führt eine Betrachtung, nach der § 823 I BGB die körperliche
Integrität in Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsträgers
umfassend schützt, zu dem Ergebnis, daß diese Bestandteile auch
während ihrer Trennung vom Körper aus der Sicht des Schutzzweckes
der Norm mit diesem weiterhin eine funktionale Einheit bilden. Damit erscheint
es geboten, eine Beschädigung oder Vernichtung solcher ausgegliederten
Körperbestandteile als Körperverletzung i. S. von §§
823 I, 847 I BGB zu werten.
Anders liegen die Dinge, wenn die ausgegliederten
Körperbestandteile nicht nach dem Willen des Rechtsträgers dazu
bestimmt sind, seinem Körper wieder eingeglieder zu werden. Für
solche Fälle der endgültigen Trennung bleibt es dabei, daß
die abgetrennten Körperbestandteile mit der Abtrennung ihre Zuordnung
zum Schutzgut Körper verlieren und zu Sachen im Rechtssinn werden;
dies deshalb, weil hier der Gedanke, nach dem das Selbstbestimmungsrecht
des Rechtsträgers den Körper und seine ausgegliederten Bestandteile
weiterhin als eine funktionale Einheit erscheinen läßt, nicht
zum Tragen gelangt. Das gilt insbesondere für gespendete Organe, die
nach dem Willen des Spenders dazu bestimmt sind, einer anderen Person implantiert
zu werden, oder für fremdbestimmte Blutspenden. In solchen Fällen
können zwar auch Entschädigungsansprüche entstehen, wenn
die Spende gegen den ausdrücklichen oder stillschweigend erklärten
Willen des Spenders verwendet oder vernichtet wird, weil auch das Sacheigentum
hier von dem Persönlichkeitsrecht überlagert wird (vgl. Bernat,
S. 115; Coester-Waltjen, Verh. d. 56. DJT, Bd. I Teil B S. 32; Deutsch,
MDR 1985, 179; VersR 1985, 1004; NJW 1986, 1974; Giesen, FamRZ 1970, 569;
Heldrich, JuS 1969, 461; Laufs, JZ 1986, 772; Püttner/Brühl,
JZ 1987, 532; Taupitz, JZ 1992, 1093); dies aber nur unter den besonderen,
für die Fälle einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
entwickelten einschränkenden Voraussetzungen.
b) Auf dem Boden dieser Erwägungen stellt
das konservierte Sperma, das nach dem Willen des Rechtsträgers dazu
bestimmt ist, zu seiner Fortpflanzung verwendet zu werden, einen Sonderfall
dar. Einerseits ist das Sperma endgültig vom Körper des Rechtsträgers
getrennt, andererseits ist es dazu bestimmt, eine körpertypische Funktion,
die der Fortpflanzung des Rechtsträgers, zu erfüllen. Jedenfalls
wenn wie hier die Spermakonserve die verlorene Fortpflanzungsfähigkeit
substituieren soll, hat sie für die körperliche Integrität
des Rechtsträgers und die in dieser begriffene personale Selbstbestimmung
und Selbstverwirklichung nach Gewicht und Inhalt keine geringere Bedeutung
als die Eizelle oder andere körperliche Bestandteile, die nach dem
zuvor Gesagten auch nach ihrer Entnahme aus dem Körper von dessen
Schutz durch die §§ 823 I, 847 I BGB erfaßt sind. Ebenso
wie die zur Befruchtung entnommene und zur Reimplantation bestimmte Eizelle
verkörpert das konservierte Sperma für seinen Rechtsträger
die im Streitfall einzige Möglichkeit, seine körperlichen Funktionen
zur Hervorbringung von Nachkommen, denen er seine genetischen Erbinformationen
weitergibt, zur Geltung zu bringen. Dieser Gleichartigkeit und Gleichwertigketi
im deliktischen Schutzbedürfnis ebenso wie im deliktischen Schutzzweck
muß nach Auffassung des Senats auch in den deliktsrechtlichen Folgen
Rechnung getragen werden. Sollte gleichwohl das konservierte Sperma selbst
in Fällen wie diesem allein deshalb, weil es nicht in den Körper
des Rechtsträgers zurückkehrt, tatbestandlich in dem Schutzgut
der körperlichen Integrität nach Maßgabe dieser Vorschriften
nicht erfaßt sein, so sind diese jedenfalls unter den genannten
Voraussetzungen entsprechend anzuwenden. Zu solcher die §§ 823
I, 847 I BGB erweiternden Rechtsanwendung auch in diesem Fall legitimiert
das Persönlichkeitsrecht des Rechtsträgers, das durch die Vernichtung
der Spermakonserve nicht anders und nicht geringer betroffen ist als das
Persönlichkeitsrecht der Frau durch die Vernichtung einer ihrem Körper
entnommenen und zur Reimplantation bestimmten Eizelle. Ebenso wie der betroffenen
Frau in jenem Fall, so steht dem Kl. hier auf der Grundlage des §
847 I BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.
3. Zur Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes
bedarf es keiner weiteren tatrichterlichen Feststellungen; die für
die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Beurteilungselemente sind
unstreitig. Für die Bestimmung des Schmerzensgeldes kommt es nicht
darauf an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit der die Ehefrau des
Kl. ein Kind bekommen hätte, wenn eine Insemination mit dem Sperma
des Kl. vorgenommen worden wäre. Entscheidend ist die Belastung, der
der Kl. ausgesetzt ist, weil er die einzige ihm noch verbliebene Chance
verloren hat, mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Kind zu haben. Diese Belastung
wiegt schwer. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß
die Vernichtung des Spermas auf einem Versehen beruht, das den Bediensteten
der Bekl. im Zuge von Bemühungen unterlaufen ist, die gerade darauf
gerichtet waren, das Selbstbestimmungsrecht des Kl. zu wahren. In Würdigung
dieser Umstände hält der Senat ein Schmerzensgeld von 25000 DM
für angemessen.