BGHZ 125, 351
NJW 1994, 2769
LM H. 9/1994 § 767 ZPO Nr. 92
MDR 1994, 942
WM 1994, 1185
Beachte: Für die Vorlesung ZPO I sind
nur die fett wiedergegebenen Passeagen von Interesse. Alles weitere
setzt vertiefte Kenntnisse des Zwangsvollstreckungsrechts voraus.
Die Vollstreckungsabwehrklage kann nicht auf
einen Aufrechnungseinwand gestützt werden, der bereits im Vorprozeß
geltend gemacht, dort aber nach § 530 II ZPO nicht zugelassen worden
ist.
Durch Kaufvertrag vom 25. 8. 1983 veräußerten
der Bekl. seinen Geschäftsanteil und der Mitgesellschafter Z einen
halben Geschäftsanteil an der Firma S mbH an den Kl. In § 4 des
Vertrages ist bestimmt, daß die Altgesellschafter einen Fehlbetrag
bar einzuschließen hätten, soweit eine zum 31. 8. 1983 zu erstellende
Zwischenbilanz einen geringeren Gewinn als erwartet ergebe. Da der Kl.
die Zahlung des Kaufpreises verweigerte, hat der Bekl. diesen klageweise
geltend gemacht und vor dem LG Darmstadt am 17. 4. 1984 ein Urteil über
141450 DM nebst Zinsen erstritten. In dem sich anschließenden Berufungsverfahren
hat der Kl. mit einer aus § 4 des Kaufvertrages hergeleiteten Gegenforderung
in Höhe von 141867,68 DM, die ihm am 22. 9. 1984 von der Firma S abgetreten
worden ist, die Aufrechnung erklärt. Das OLG hat den Aufrechnungseinwand
gem. § 530 II ZPO nicht zugelassen und die Berufung durch - rechtskräftig
gewordenes - Urteil vom 25. 4. 1985 zurückgewiesen. Gestützt
auf diesen Aufrechnungseinwand macht der Kl. mit der vorliegenden Vollstreckungsabwehrklage
die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG Darmstadt
vom 17. 4. 1984 geltend.
Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden.
Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision des Kl. hatte
keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat angenommen, eine Vollstreckungsabwehrklage
könne nach § 767 II ZPO nicht auf einen Aufrechnungseinwand gestützt
werden, der - wie hier - vor Schluß der mündlichen Tatsachenverhandlung
im Vorprozeß, in dem der vollstreckbare Zahlungstitel erstritten
worden sei, bestanden habe und gem. § 530 II ZPO nicht zugelassen
worden sei. Hilfsweise hat das BerGer. ausgeführt, die Klage vermöge
auch deshalb keinen Erfolg zu haben, weil nicht festgestellt werden könne,
daß der zur Aufrechnung gestellte Anspruch bestehe. Dessen tatsächliche
Grundlagen seien nicht mehr nachweisbar.
II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen
Nachprüfung stand.
1. Es wird durch seine Hauptbegründung getragen.
Dem BerGer. ist darin beizupflichten, daß der vom Kl. geltend gemachte
Aufrechnungseinwand die Vollstreckungsabwehrklage nicht zu stützen
vermag; er ist unzulässig.
a) § 767 II ZPO verwehrt es dem Schuldner
eines durch Urteil festgestellten Anspruches, die Vollstreckung mit Einwendungen
zu bekämpfen, deren tatsächliche Grundlagen zur Zeit der letzten
Tatsachenverhandlung in dem - zum Titel führenden - Vorprozeß
bereits vorlagen. Das ist bei dem Aufrechnungseinwand nach gefestigter
Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 34, 274 = NJW 1961, 1067 = LM §
767 ZPO Nr. 19; BGHZ 61, 25 (26) = NJW 1973, 1328 = LM § 767 ZPO Nr.
41; BGHZ 100, 222 (225) = NJW 1987, 1691 = LM § 287 BGB Nr. 74; BGHZ
103, 362 (366) = NJW 1988, 2542 = LM § 322 ZPO Nr. 117) der Fall,
wenn sich die beiderseitigen Forderungen - wie hier - zu diesem Zeitpunkt
aufrechenbar gegenüber gestanden haben.
b) Ob der Aufrechnungseinwand aus Unkenntnis seines
Bestehens nicht geltend gemacht oder zwar erhoben wurde, aber aus prozessualen
Gründen - etwa, wie hier, in Anwendung des § 530 II ZPO - unberücksichtigt
geblieben ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Für die wegen
Unkenntnis der Aufrechnungslage versäumte Aufrechnung hat der BGH
dies, woran festzuhalten ist, wiederholt ausgesprochen (so schon BGHZ 34,
274 (279) = NJW 1961, 1067 = LM § 767 ZPO Nr. 19, und Senat, NJW 1968,
885 = LM § 455 BGB Nr. 20 = WM 1968, 447). Gleiches hat aber auch
zu gelten, wenn die Aufrechnung vor dem Schluß der Tatsachenverhandlung
im Vorprozeß erklärt, jedoch nach § 530 II ZPO nicht zugelassen
worden ist. In einem solchen Fall gebietet es der Zweck des § 767
II ZPO, die materielle Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils
gegenüber nachträglichen Einwendungen abzusichern und dessen
Vollstreckung vor Verzögerungen zu schützen, erst recht, dem
Schuldner die Befugnis zu versagen, den Aufrechnungseinwand im Wege der
Vollstreckungsabwehrklage wieder aufzugreifen, um auf diese Weise die Vollstreckbarkeit
des im Erkenntnisverfahren erlassenen Urteils zu bekämpfen, das gerade
den Aufrechnungseinwand durch Nichtzulassung ausgeschaltet hat (i.
Erg. ebenso: Baumbach/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., § 767 Rdnr. 53; Zöller/Herget,
ZPO, 18. Aufl., § 767 Rdnr. 12; Schmidt-v. Rhein, in: AK-ZPO, §
767 Rdnr. 14; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 767 Anm. D IIIb 1; Rosenberg/Schwab/Gottwand,
ZPR, 15. Aufl., § 105 III 2a a. E.; OLG Düsseldorf, MDR 1983,
586; wohl auch BAG NJW 1956, 1007 = AP § 767 Nr. 1 a. E. m. zust.
Anm. Wieczorek).
Soweit die Revision zur Rechtfertigung ihrer gegenteiligen
Auffassung auf den in der Rechtsprechung des BGH immer wieder betonten
Grundsatz hinweist, daß durch § 767 II ZPO Einwendungen (nur)
dann ausgeschlossen werden, wenn sie objektiv in der nach § 767 II
ZPO maßgeblichen letzten Tatsachenverhandlung hätten geltend
gemacht werden können, und daraus folgert, eine nach § 530 II
ZPO nicht zugelassene Aufrechnung habe objektiv nicht geltend gemacht werden
können, verkennt sie den Aussageinhalt des erwähnten Grundsatzes.
Die objektive Möglichkeit, den Aufrechnungseinwand geltend zu machen,
besteht schon dann, wenn der Einwand überhaupt in den Prozeß
eingeführt und dem Gericht zur Entscheidung unterbreitet werden kann.
Scheitert er bei der Prüfung seiner Zulässigkeit, so ändert
das nichts daran, daß die Möglichkeit bestand, ihn zu erheben.
Es ist im übrigen keine Besonderheit des Aufrechnungseinwandes, daß
er zunächst die Hürde der Zulässigkeit überwinden muß.
Das hat er mit Klage und Widerklage gemein. Wird der Einwand, wie hier,
mangels Sachdienlichkeit nicht zugelassen, so erschöpft sich andererseits
auch die Wirkung der Entscheidung im Zulässigkeitsbereich. Das bedeutet,
daß hier der Kl. - Bekl. im Vorprozeß - die Forderung "behalten"
hat. Bei derartiger Fallgestaltung treten, wie in der Literatur zutreffend
betont wird, materiellrechtliche Wirkungen der im Prozeß erklärten
Aufrechnung nicht ein, sei es, daß der materiellrechtliche Teil der
Aufrechnungserklärung als durch die prozessuale Zulassung des Einwandes
aufschiebend bedingt angesehen wird, sei es, daß er gem. §
139 BGB durch die Nichtzulassung des prozessualen Einwandes seine Wirkung
verliert (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 145 Rdnr. 55
(56); Grunsky, JZ 1965, 391 (397); ders., Grundlage des VerfahrensR, 2.
Aufl., § 15 III, IV). Bedenken dagegen, die Nichtzulassung des
Aufrechnungseinwandes im Erkenntnisverfahren im Verfahren über die
Vollstreckungsabwehrklage fortwirken zu lassen, erweisen sich mithin als
ungerechtfertigt.
2. Scheitert hiernach die vom Kl. erhobene Vollstreckungsabwehrklage
bereits dann, daß der geltend gemachte Aufrechnungseinwand unzulässig
ist, kommt es auf die Hilfsbegründung, mit der das BerGer. das Bestehen
des zur Aufrechnung gestellten Anspruches verneint hat, und die hiergegen
gerichteten Revisionsangriffe nicht mehr an.
Da das BerGer. den Aufrechnungseinwand des
Kl. einerseits als unzulässig und andererseits - hilfsweise - auch
als unbegründet behandelt hat, erscheint jedoch folgender Hinweis
angezeigt: Während die Verneinung der Zulässigkeit den Kl. nicht
hindert, den zur Aufrechnung gestellten Anspruch erneut gerichtlich geltend
zu machen, würde ihm die Möglichkeit hierzu durch ein Erkenntnis,
daß der Gegenanspruch unbegründet sei, als Folge der in §
322 II ZPO geregelten weitergehenden Rechtskraftwirkung abgeschnitten.
Diese Vorschrift findet entgegen ihrem Wortlaut auch in Fällen der
vorliegenden Art, in denen nicht der Bekl., sondern der (Vollstreckungsabwehr-)
Kl. den Aufrechnungseinwand erhebt, zumindest entsprechende Anwendung (BGH,
NJW 1968, 156 = LM § 546 ZPO Nr. 62 = WM 1967, 1218 (1219)). Die Häufung
formeller und sachlicher Entscheidungsgründe ist hier aber unschädlich.
Anders als bei Urteilen, in denen die Frage zur Zulässigkeit der Aufrechnung
mit der Erwägung offengelassen wird, der zur Aufrechnung gestellte
Gegenanspruch sei jedenfalls unbegründet (vgl. hierzu Senat, NJW 1961,
1862 (L) = LM § 33 ZPO Nr. 5; RGZ 132, 305 (306)), führt die
Entscheidung des BerGer. im konkreten Fall nicht zu Unklarheiten über
den Umfang der Rechtskraft. Da das BerGer. in den Gründen des angefochtenen
Urteils nicht etwa nur Bedenken gegenüber der Zulässigkeit
des Aufrechnungseinwandes angedeutet, sondern die Zulässigkeit bestimmt
verneint und hierauf die Entscheidung in erster Linie gestützt hat,
sind die zusätzlichen Ausführungen zur Begründetheit der
Aufrechnung als unverbindlich zu betrachten und so zu behandeln, als wären
sie überhaupt nicht vorhanden (Senat, NJW 1984, 128 = LM §
322 ZPO Nr. 98 = WM 1983, 688 (689)).