"Schicksal" der materiell-rechtlichen Aufrechnung bei Nichtzulassung im Prozeß
Präklusion des Aufrechnungseinwands im Zwangsvollstreckungsrecht

BGH, Urteil v. 30.03.1994  - VIII ZR 132/92 (Frankfurt a. M.)


Fundstellen:

BGHZ 125, 351
NJW 1994, 2769
LM H. 9/1994 § 767 ZPO Nr. 92
MDR 1994, 942
WM 1994, 1185

Beachte: Für die Vorlesung ZPO I sind nur die fett wiedergegebenen Passeagen von Interesse. Alles weitere setzt vertiefte Kenntnisse des Zwangsvollstreckungsrechts voraus.



Amtl. Leitsatz:

Die Vollstreckungsabwehrklage kann nicht auf einen Aufrechnungseinwand gestützt werden, der bereits im Vorprozeß geltend gemacht, dort aber nach § 530 II ZPO nicht zugelassen worden ist.



Zum Sachverhalt:

Durch Kaufvertrag vom 25. 8. 1983 veräußerten der Bekl. seinen Geschäftsanteil und der Mitgesellschafter Z einen halben Geschäftsanteil an der Firma S mbH an den Kl. In § 4 des Vertrages ist bestimmt, daß die Altgesellschafter einen Fehlbetrag bar einzuschließen hätten, soweit eine zum 31. 8. 1983 zu erstellende Zwischenbilanz einen geringeren Gewinn als erwartet ergebe. Da der Kl. die Zahlung des Kaufpreises verweigerte, hat der Bekl. diesen klageweise geltend gemacht und vor dem LG Darmstadt am 17. 4. 1984 ein Urteil über 141450 DM nebst Zinsen erstritten. In dem sich anschließenden Berufungsverfahren hat der Kl. mit einer aus § 4 des Kaufvertrages hergeleiteten Gegenforderung in Höhe von 141867,68 DM, die ihm am 22. 9. 1984 von der Firma S abgetreten worden ist, die Aufrechnung erklärt. Das OLG hat den Aufrechnungseinwand gem. § 530 II ZPO nicht zugelassen und die Berufung durch - rechtskräftig gewordenes - Urteil vom 25. 4. 1985 zurückgewiesen. Gestützt auf diesen Aufrechnungseinwand macht der Kl. mit der vorliegenden Vollstreckungsabwehrklage die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG Darmstadt vom 17. 4. 1984 geltend.
Die Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat angenommen, eine Vollstreckungsabwehrklage könne nach § 767 II ZPO nicht auf einen Aufrechnungseinwand gestützt werden, der - wie hier - vor Schluß der mündlichen Tatsachenverhandlung im Vorprozeß, in dem der vollstreckbare Zahlungstitel erstritten worden sei, bestanden habe und gem. § 530 II ZPO nicht zugelassen worden sei. Hilfsweise hat das BerGer. ausgeführt, die Klage vermöge auch deshalb keinen Erfolg zu haben, weil nicht festgestellt werden könne, daß der zur Aufrechnung gestellte Anspruch bestehe. Dessen tatsächliche Grundlagen seien nicht mehr nachweisbar.
II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Es wird durch seine Hauptbegründung getragen. Dem BerGer. ist darin beizupflichten, daß der vom Kl. geltend gemachte Aufrechnungseinwand die Vollstreckungsabwehrklage nicht zu stützen vermag; er ist unzulässig.
a) § 767 II ZPO verwehrt es dem Schuldner eines durch Urteil festgestellten Anspruches, die Vollstreckung mit Einwendungen zu bekämpfen, deren tatsächliche Grundlagen zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung in dem - zum Titel führenden - Vorprozeß bereits vorlagen. Das ist bei dem Aufrechnungseinwand nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 34, 274 = NJW 1961, 1067 = LM § 767 ZPO Nr. 19; BGHZ 61, 25 (26) = NJW 1973, 1328 = LM § 767 ZPO Nr. 41; BGHZ 100, 222 (225) = NJW 1987, 1691 = LM § 287 BGB Nr. 74; BGHZ 103, 362 (366) = NJW 1988, 2542 = LM § 322 ZPO Nr. 117) der Fall, wenn sich die beiderseitigen Forderungen - wie hier - zu diesem Zeitpunkt aufrechenbar gegenüber gestanden haben.
b) Ob der Aufrechnungseinwand aus Unkenntnis seines Bestehens nicht geltend gemacht oder zwar erhoben wurde, aber aus prozessualen Gründen - etwa, wie hier, in Anwendung des § 530 II ZPO - unberücksichtigt geblieben ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Für die wegen Unkenntnis der Aufrechnungslage versäumte Aufrechnung hat der BGH dies, woran festzuhalten ist, wiederholt ausgesprochen (so schon BGHZ 34, 274 (279) = NJW 1961, 1067 = LM § 767 ZPO Nr. 19, und Senat, NJW 1968, 885 = LM § 455 BGB Nr. 20 = WM 1968, 447). Gleiches hat aber auch zu gelten, wenn die Aufrechnung vor dem Schluß der Tatsachenverhandlung im Vorprozeß erklärt, jedoch nach § 530 II ZPO nicht zugelassen worden ist. In einem solchen Fall gebietet es der Zweck des § 767 II ZPO, die materielle Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils gegenüber nachträglichen Einwendungen abzusichern und dessen Vollstreckung vor Verzögerungen zu schützen, erst recht, dem Schuldner die Befugnis zu versagen, den Aufrechnungseinwand im Wege der Vollstreckungsabwehrklage wieder aufzugreifen, um auf diese Weise die Vollstreckbarkeit des im Erkenntnisverfahren erlassenen Urteils zu bekämpfen, das gerade den Aufrechnungseinwand durch Nichtzulassung  ausgeschaltet hat (i. Erg. ebenso: Baumbach/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., § 767 Rdnr. 53; Zöller/Herget, ZPO, 18. Aufl., § 767 Rdnr. 12; Schmidt-v. Rhein, in: AK-ZPO, § 767 Rdnr. 14; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 767 Anm. D IIIb 1; Rosenberg/Schwab/Gottwand, ZPR, 15. Aufl., § 105 III 2a a. E.; OLG Düsseldorf, MDR 1983, 586; wohl auch BAG NJW 1956, 1007 = AP § 767 Nr. 1 a. E. m. zust. Anm. Wieczorek).
Soweit die Revision zur Rechtfertigung ihrer gegenteiligen Auffassung auf den in der Rechtsprechung des BGH immer wieder betonten Grundsatz hinweist, daß durch § 767 II ZPO Einwendungen (nur) dann ausgeschlossen werden, wenn sie objektiv in der nach § 767 II ZPO maßgeblichen letzten Tatsachenverhandlung hätten geltend gemacht werden können, und daraus folgert, eine nach § 530 II ZPO nicht zugelassene Aufrechnung habe objektiv nicht geltend gemacht werden können, verkennt sie den Aussageinhalt des erwähnten Grundsatzes. Die objektive Möglichkeit, den Aufrechnungseinwand geltend zu machen, besteht schon dann, wenn der Einwand überhaupt in den Prozeß eingeführt und dem Gericht zur Entscheidung unterbreitet werden kann. Scheitert er bei der Prüfung seiner Zulässigkeit, so ändert das nichts daran, daß die Möglichkeit bestand, ihn zu erheben. Es ist im übrigen keine Besonderheit des Aufrechnungseinwandes, daß er zunächst die Hürde der Zulässigkeit überwinden muß. Das hat er mit Klage und Widerklage gemein. Wird der Einwand, wie hier, mangels Sachdienlichkeit nicht zugelassen, so erschöpft sich andererseits auch die Wirkung der Entscheidung im Zulässigkeitsbereich. Das bedeutet, daß hier der Kl. - Bekl. im Vorprozeß - die Forderung "behalten" hat. Bei derartiger Fallgestaltung treten, wie in der Literatur zutreffend betont wird, materiellrechtliche Wirkungen der im Prozeß erklärten Aufrechnung nicht ein, sei es, daß der materiellrechtliche Teil der Aufrechnungserklärung als durch die prozessuale Zulassung des Einwandes aufschiebend bedingt  angesehen wird, sei es, daß er gem. § 139 BGB durch die Nichtzulassung des prozessualen Einwandes seine Wirkung verliert (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 145 Rdnr. 55 (56); Grunsky, JZ 1965, 391 (397); ders., Grundlage des VerfahrensR, 2. Aufl., § 15 III, IV). Bedenken dagegen, die Nichtzulassung des Aufrechnungseinwandes im Erkenntnisverfahren im Verfahren über die Vollstreckungsabwehrklage fortwirken zu lassen, erweisen sich mithin als ungerechtfertigt.
2. Scheitert hiernach die vom Kl. erhobene Vollstreckungsabwehrklage bereits dann, daß der geltend gemachte Aufrechnungseinwand unzulässig ist, kommt es auf die Hilfsbegründung, mit der das BerGer. das Bestehen des zur Aufrechnung gestellten Anspruches verneint hat, und die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe nicht mehr an.
Da das BerGer. den Aufrechnungseinwand des Kl. einerseits als unzulässig und andererseits - hilfsweise - auch als unbegründet behandelt hat, erscheint jedoch folgender Hinweis angezeigt: Während die Verneinung der Zulässigkeit den Kl. nicht hindert, den zur Aufrechnung gestellten Anspruch erneut gerichtlich geltend zu machen, würde ihm die Möglichkeit hierzu durch ein Erkenntnis, daß der Gegenanspruch unbegründet sei, als Folge der in § 322 II ZPO geregelten weitergehenden Rechtskraftwirkung abgeschnitten. Diese Vorschrift findet entgegen ihrem Wortlaut auch in Fällen der vorliegenden Art, in denen nicht der Bekl., sondern der (Vollstreckungsabwehr-) Kl. den Aufrechnungseinwand erhebt, zumindest entsprechende Anwendung (BGH, NJW 1968, 156 = LM § 546 ZPO Nr. 62 = WM 1967, 1218 (1219)). Die Häufung formeller und sachlicher Entscheidungsgründe ist hier aber unschädlich. Anders als bei Urteilen, in denen die Frage zur Zulässigkeit der Aufrechnung mit der Erwägung offengelassen wird, der zur Aufrechnung gestellte Gegenanspruch sei jedenfalls unbegründet (vgl. hierzu Senat, NJW 1961, 1862 (L) = LM § 33 ZPO Nr. 5; RGZ 132, 305 (306)), führt die Entscheidung des BerGer. im konkreten Fall nicht zu Unklarheiten über den Umfang der Rechtskraft. Da das BerGer. in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht etwa nur Bedenken  gegenüber der Zulässigkeit des Aufrechnungseinwandes angedeutet, sondern die Zulässigkeit bestimmt verneint und hierauf die Entscheidung in erster Linie gestützt hat, sind die zusätzlichen Ausführungen zur Begründetheit der Aufrechnung als unverbindlich zu betrachten und so zu behandeln, als wären sie überhaupt nicht vorhanden (Senat, NJW 1984, 128 = LM § 322 ZPO Nr. 98 = WM 1983, 688 (689)).



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