BGHZ 127, 186
NJW 1995, 452
LM H. 4/1995 § 829 BGB Nr. 10
VersR1995, 96
Bisher hat der BGH die Versicherung im Rahmen der
Billigkeitshaftung nur hinsichtlich der Höhe eines gegebenen
Anspruchs, nicht aber haftungsbegründend berücksichtigt.
Das entspricht dem versicherungsrechtlichen "Trennungsprinzip", wonach
die Versicherung der Haftung folgt und nicht die Haftung der Versicherung.
Der BGH hat dann aber in der Folge Zeit offengelassen, ob er angesichts
des Funktionswandels der Versicherung dies nunmehr anders sehen will, war
aber dennoch hinsichtlich des "Ob" weiter sehr zurückhaltend. Nunmehr
steht er für die Pflichtversicherung der Verkehrshaftpflicht auf dem
Standpunkt, daß die Pflichtversicherung dem Schutz des Geschädigten
dient. Diesem soll der ihm zukommende Schadensersatz gesichert werden,
was auch § 158c VVG zeige. Der BGH erkennt aber ausdrücklich
an, daß das Trennungsprinzip insoweit durchbrochen wird und mildert
seines Aussage insoweit ab, als er betont, daß die Berücksichtigung
von Versicherungsschutz aus einer Kfz-Pflichtversicherung auf seiten des
Schädigers nicht bedeutet, daß allein schon deswegen der Billigkeitsanspruch
aus § 829 BGB stets zu bejahen wäre. Bei der Prüfung der
Frage, ob die Billigkeit eine Schadloshaltung des Verletzten gebietet,
müsse vielmehr bedacht werden, daß die verschuldensunabhängige
Haftung aus § 829 BGB im deliktischen Haftungssystem des BGB eine
Ausnahme bildet. Deswegen ist, enstprechend dem Wortlaut der Vorschrift
... ein Schadensersatzanspruch nicht schon dann zu gewähren, wenn
es die Billigkeit erlaubt, sondern nur dann, wenn die gesamten Umstände
des Falles eine Haftung des schuldlosen Schädigers aus Billigkeitsgründen
geradezu erfordern. Das gilt nach dem BGH insbesondere dann, wenn der materielle
Schaden des Opfers bereits abgedeckt ist (hier: Gefährdungshaftung
nach § 7 StVG). Hier kommt § 829 BGB nur in Betracht, wenn die
Verweigerung von Schmerzensgeld im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden
kraß widerspricht. Die Billigkeitsprüfung in § 829 BGB
ist also eine andere als jene in § 847 BGB.
S. dazu auch BGH v. 29.11.2016 - VI ZR
606/15.
1. Bei der Frage, ob dem Unfallverletzten aus
Billigkeitsgründen Schadensersatz nach § 829 BGB zuzubilligen
ist, kann im Rahmen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Unfallbeteiligten
berücksichtigt werden, daß für den schuldlos handelnden
Schädiger Versicherungsschutz auf Grund einer Kfz-Pflichtversicherung
besteht (Ergänzung zu BGHZ 76, 279 = NJW 1980, 1623 = LM § 829
BGB Nr. 9).
2. Erhält der Geschädigte bereits
vollen Ersatz seiner materiellen Schäden aufgrund der Gefährdungshaftung
nach dem StVG, so kommt ein Schmerzensgeld nach § 829 BGB nur in Betracht,
wenn die Billigkeit es erfordert, ihm über den materiellen Schadensausgleich
hinaus auch noch ein Schmerzensgeld zukommen zu lassen.
Die Kl. begehrt von den Bekl. Schmerzensgeld zu
einem Teilbetrage von 10000 DM wegen Verletzungen, die sie bei einem Verkehrsunfall
am 17. 7. 1989 erlitten hat. An diesem Tage bog der damals 21jährige
Bekl. zu 1 (künftig: Bekl.) mit dem bei der Bekl. zu 2 haftpflichtversicherten
Pkw in L. von der B 437 kommend nach rechts in die Straße " Zum J."
in Richtung D. ein. Dabei verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug,
kam auf die gegenüberliegende Fahrbahnseite und stieß dort mit
der ihm auf einem Fahrrad entgegenkommenden, damals 18 Jahre alten Kl.
zusammen. Diese erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen, u.a. ein Schädelhirntrauma,
eine Schädelfraktur mit Felsenbeinbruch und Frakturen beider Unterschenkel.
Sie befand sich bis zum 16. 9. 1989 in stationärer Behandlung und
war sodann bis Mitte Februar 1990 arbeitsunfähig. Als Folge ihrer
Verletzungen kann die Kl. nicht hocken oder knien. Ihre Hörfähigkeit
ist beeinträchtigt. Sie ist in ihrer Erwerbsfähigkeit zu 20 %
gemindert und erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie Leistungen
nach dem BAföG. Nach Beendigung ihrer durch den Unfall um ein halbes
Jahr verlängerten Ausbildung zur Schauwerbegestalterin besuchte die
Kl. die Fachoberschule für Gestaltung in O. Nach erfolgreichem Schulabschluß
ist sie z. Zt. arbeitslos. Sie beabsichtigt, nunmehr eine Ausbildung zur
Rechtspflegerin aufzunehmen. Eine Ausübung ihres erlernten Berufes
kommt aufgrund der Unfallfolgen nicht in Betracht. Die materiellen Schäden
der Kl. wurden auf der Grundlage einer vollen Einstandspflicht nach dem
StVG reguliert. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes haben die Bekl. mit
der Behauptung abgelehnt, der Bekl. sei im Zeitpunkt des Unfalls deliktsunfähig
gewesen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die
- zugelassene - Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. verneint einen Anspruch aus §§
823 I, 847 BGB, weil sich der Bekl. z. Zt. des Unfalles in einem seine
freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe (§
827 BGB). Nach seiner Auffassung hat die Sachverständige Dr. B überzeugend
dargelegt, daß sich bei dem Bekl. allmählich ein Anfallsleiden
herausgebildet habe, welches erstmals während der Fahrt vom 17. 7.
1989 zu einer epileptischen Dämmerattacke geführt habe, die bei
ihrem Auftreten für den Bekl. nicht mehr beeinflußbar gewesen
sei. Anhaltspunkte für eine andere Unfallursache seien nicht vorhanden.
Dem Bekl. sei es auch nicht anzulasten, daß er vor dem Unfall aufgetretenen
Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen keine besondere Bedeutung
beigemessen habe, nachdem sich bei einer fachärztlichen Untersuchung
keine Hinweise auf eine Funktionsstörung des Gehirns ergeben hätten.
Nach Auffassung des BerGer. kommt auch eine Haftung
aus Billigkeitsgründen nach § 829 BGB nicht in Betracht. Wenn
auch die Unfallverletzungen der Kl. erheblich gewesen und nicht folgenlos
verheilt seien, so sei die Kl. hierdurch nicht in einer solchen Weise beeinträchtigt,
daß unter Billigkeitsgesichtspunkten ein Ausgleich auch der immateriellen
Folgen zwingend geboten sei. Ihre Ausbildung habe sich lediglich um ein
halbes Jahr verlängert; zum Ausgleich der Erwerbsminderung erhalte
sie eine Rente. Auch der Bekl. sei durch seine anläßlich des
Unfalles festgestellte Erkrankung auf lange Sicht weiterhin beeinträchtigt.
Trotz erfolgreicher ärztlicher Behandlung bleibe er mit der Unsicherheit
belastet, daß sich die Zystenbildung wiederhole. Wegen dieser Belastung
erhielten die Unfallfolgen der Kl. kein solches Gewicht, daß schon
aufgrund des beiderseitigen Lebensschicksales neben dem Ersatz des materiellen
Schadens noch ein Ausgleich des Nichtvermögensschadens unabweisbar
notwendig sei.
Ebensowenig gebiete ein Vergleich der Vermögenslagen
beider Unfallbeteiligter einen Ausgleich. Der monatliche Verdienst des
Bekl. als kaufmännischer Angestellter von 3800 DM brutto sei nicht
so hoch, daß sich hieraus ein erhebliches wirtschaftliches Gefälle
ergebe, zumal die Lebenshaltungskosten in der von der Kl. bewohnten Region
gegenüber denjenigen des Bekl. deutlich niedriger seien und die Kl.
im übrigen ihrerseits einen höher qualifizierten Beruf anstrebe.
Der Deckungsanspruch aufgrund der bestehenden Kfz-Haftpflichtversicherung
dürfe dem Bekl. nicht als eigener Bestandteil des Vermögens zugerechnet
werden. Jedenfalls könne der bestehende Versicherungsschutz allein
ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Haftung aus Billigkeitsgesichtspunkten
nicht rechtfertigen.
II. Die Revision ist in vollem Umfang zulässig.
... (wird ausgeführt)
III. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
1. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen allerdings nicht durch.... (wird ausgeführt).
2. Dagegen hält das Urteil den sachlich rechtlichen
Angriffen der Revision nicht stand. Das BerGer. ist aufgrund des unstreitigen
Sachverhalts davon ausgegangen, ohne dazu freilich nähere Ausführungen
zu machen, daß der Bekl. sich objektiv verkehrswidrig verhalten und
damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat. Dagegen
bestehen keine rechtlichen Bedenken. Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch
den Erwägungen, mit denen das BerGer. einen Billigkeitsanspruch nach
§ 829 BGB verneint hat. Insoweit rügt die Revision zu Recht,
daß die Ausführungen des BerGer. zu der Frage, ob ein Vergleich
der Vermögenslage der beiderseitigen Unfallbeteiligten unter Billigkeitsgesichtspunkten
die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erfordere, von Rechtsirrtum beeinflußt
sind.
a) Das BerGer. hat zu Unrecht das Bestehen einer
Haftpflichtversicherung auf seiten des Bekl. bei der Billigkeitsprüfung
unberücksichtigt gelassen. Zumindest bei einer Pflichtversicherung
wie hier ist es geboten, die Tatsache, daß für den Unfallschädiger
Versicherungsschutz besteht, als einen für die Vermögenslage
des Bekl. bedeutsamen Umstand anzuerkennen.
aa) Allerdings ist die Rechtsprechung zu der Frage,
ob das Bestehen einer Haftpflichtversicherung bei der Schadensersatzpflicht
zugunsten des Unfallverletzten Berücksichtigung finden kann, nicht
einheitlich verlaufen. Das RG hat erstmals im Jahre 1944 unter Aufgabe
seiner bisherigen Rechtsprechung für die Einstandspflicht aus deliktischem
Verschulden das Bestehen einer Haftpflichtversicherung bei der Bemessung
der Schmerzensgeldhöhe für berücksichtigungsfähig erachtet
(RG, DR 1944, 290 (291)). Dem ist der BGH gefolgt (BGHZ 18, 149 (166) =
NJW 1955, 1675 = LM § 847 BGB Nr. 8; Senat, NJW 1954, 1034 = LM §
847 BGB Nr. 6 = VersR 1954, 277 (278); NJW 1993, 1531 = LM H. 7/1993 §
847 BGB Nr. 90 = VersR 1993, 585 (586)). Aus entsprechenden Erwägungen
hat der Senat diesen Umstand für die Einstandspflicht aufgrund der
Billigkeitshaftung des § 829 BGB als für die Höhe der Entschädigung
bedeutsam gehalten (BGHZ 76, 279 (283) = NJW 1980, 1623 = LM § 823
BGB Nr. 9 m.w.Nachw.). Dagegen hat er bis zu diesem Urteil das Bestehen
eines Versicherungsschutzes als berücksichtigungswerten Umstand abgelehnt,
wenn dieser anspruchsbegründend wirke (BGHZ 23, 90 (99) = NJW
1957, 674 = LM § 7 StVG Nr. 17; Senat, NJW 1958, 1630 = LM §
823 BGB Nr. 2 = VersR 1958, 485 (486f.); NJW 1979, 2096 = LM § 829
BGB Nr. 8 = VersR 1979, 645; ebenso für die Berücksichtigung
eines Schadensbeitrages des Geschädigten aus § 254 BGB bei der
spiegelbildlichen Anwendung des § 829 BGB zu seinen Lasten:
Senat, NJW 1969, 1762 = LM § 829 BGB Nr. 6 = VersR 1969, 860 (861);
NJW 1973, 1795 = LM § 829 BGB Nr. 7 = VersR 1973, 925).
In dem genannten Urteil vom 18. 12. 1979 (BGHZ
76, 279 = NJW 1980, 1623 = LM § 829 BGB Nr. 9) hat der Senat diese
Unterscheidung zwischen Grund und Höhe des Anspruchs aus § 829
BGB für die Berücksichtigung eines Haftpflichtversicherungsschutzes
als unbrauchbar aufgegeben. Zugleich hat er aber betont, daß eine
Eingrenzung der Berücksichtigung für das "Ob" dieses Ersatzanspruchs
unentbehrlich sei, um dem Zweck der Haftpflichtversicherung Rechnung zu
tragen, der in erster Linie auf den Schutz des Versicherungsnehmers vor
Haftpflichtansprüchen gerichtet sei und nicht darauf, eine Haftungsgrundlage
zu schaffen. In diesem Zusammenhang hat der Senat im Hinblick auf die im
Schrifttum gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebrachten Einwände
erwogen, ob ein inzwischen eingetretener Funktionswandel der Haftpflichtversicherung
im sozialwirtschaftlichen Gefüge es ganz allgemein erlaube, den Versicherungsschutz
als Vermögensbestandteil des Schädigers voll in die Billigkeitsprüfung
des § 829 BGB einzubeziehen. Er hat sich von einem solchen Funktionswandel
jedenfalls für den Bereich der freiwilligen Haftpflichtversicherung
nicht überzeugen können und hat es daher abgelehnt, den Versicherungsschutz
aus einer solchen freiwilligen Haftpflichtversicherung in Höhe der
ggf. verfügbaren Deckungshöchstsumme in Rechnung zu stellen.
Eine Berücksichtigung lediglich zur Korrektur der Höhe des zu
zahlenden Betrages hat er dagegen - wie bisher - anerkannt.
bb) Diese Einschränkungen können jedoch
entgegen dem angefochtenen Urteil nicht auf die Kfz-Pflichtversicherung,
wie sie für den Bekl. bestand, übertragen werden. Deren Zweck
ist in erster Linie auf den Schutz des Geschädigten ausgerichtet.
Diesem Ziel diente schon das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung
für Kraftfahrzeuge vom 7. 11. 1939. Wie aus der amtlichen Begründung
(DJ 1939, 1771) hervorgeht und das RG (DR 1944, 290 (292)) und ihm folgend
der Senat in den Urteilen vom 10. 4. 1954 (NJW 1954, 1034 = LM § 847
BGB Nr. 6 = VersR 1054, 277 (278)), vom 13. 6. 1958 (NJW 1957, 674 = LM
§ 7 StVG Nr. 17 = VersR 1958, 485 (487)) und vom 24. 6. 1969 (NJW
1969, 1762 = LM § 829 BGB Nr. 6 = VersR 1969, 860 (861)) dargelegt
haben, sollte die Pflichtversicherung aufgrund dieses Gesetzes gerade den
Verkehrsopfern den ihnen zukommenden Schadensersatz sichern. Den Geschädigten
sollte ein möglichst lückenloser Schutz verschafft werden, und
zwar auch in solchen Fällen, in denen der Schädiger nicht
leistungsfähig ist. Dies spiegelte sich vor allem in dem damals neu
geschaffenen § 158c VVG wider, wonach u.a. die Verpflichtung des Versicherers
auch dann bestehen bleibt, wenn er dem Versicherungsnehmer gegenüber
ganz oder teilweise frei wird. Dieser Schutz der Verkehrsopfer ist durch
das Pflichtversicherungsgesetz vom 5. 4. 1965 und dessen nachfolgende Änderungen
mit dem Direktanspruch gegen den Versicherer und dem Entschädigungsfond
weiter verstärkt und ausgebaut worden (vgl. dazu im einzelnen Bruck/Möller/Johannsen,
VVG, Bd. V 1, Kraftfahrzeugversicherung, 1994, Anm. A 22 und B 4; Jagusch/Hentschel,
StraßenverkehrsR, 32. Aufl., Vorb. § 29a StVZO Rdnrn. 2ff.).
Diese besondere Zweckbestimmung der Pflichtversicherung
im Kraftfahrzeugverkehr rechtfertigt es, dem Geschädigten auch im
Rahmen des § 829 BGB einen bestehenden Versicherungsschutz des Schädigers
schon für das "Ob" des Anspruchs zugute kommen zu lassen. Dem steht
nicht entgegen, daß damit das Trennungsprinzip, wonach die Eintrittspflicht
des Versicherers dem Anspruch folgt und nicht umgekehrt, durchbrochen wird.
Für den besonderen Anspruch des § 829 BGB muß sich der
auf den Opferschutz gerichtete Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung gegenüber
diesem Prinzip durchsetzen. Der Senat hat die Notwendigkeit einer Durchbrechung
des Prinzips, an dem grundsätzlich festzuhalten ist, auch in anderen
Fällen anerkannt (BGHZ 116, 200 (209) = NJW 1992, 900 = LM H. 8/1992
§ 242 (Cd) BGB Nr. 319).
cc) Die Berücksichtigung von Versicherungsschutz
aus einer Kfz-Pflichtversicherung auf seiten des Schädigers bedeutet
freilich nicht, daß allein schon deswegen der Billigkeitsanspruch
aus § 829 BGB stets zu bejahen wäre. Bei der Prüfung der
Frage, ob die Billigkeit eine Schadloshaltung des Verletzten gebietet,
muß vielmehr bedacht werden, daß die verschuldensunabhängige
Haftung aus § 829 BGB im deliktischen Haftungssystem des BGB eine
Ausnahme bildet. Deswegen ist, entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift,
nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Schadensersatzanspruch
aus § 829 BGB nicht schon dann zu gewähren, wenn die Billigkeit
es erlaubt, sondern nur dann, wenn die gesamten Umstände des Falles
eine Haftung des schuldlosen Schädigers aus Billigkeitsgründen
geradezu erfordern (Senat,NJW 1958, 1630 = LM § 823 BGB Nr. 2 = VersR
1958, 485 (486); NJW 1969, 1762 = LM § 823 BGB Nr. 6 = VersR 1969,
860 (861) und NJW 1973, 1795 = LM § 823 BGB Nr. 7 = VersR 1973, 925).
Schon dieser Ausnahmecharakter des § 829 BGB zwingt dazu, die Voraussetzungen,
unter denen eine Schadloshaltung des Geschädigten als billig
anzusehen ist, auch in diesen Fällen hoch anzusetzen.
Dabei muß ferner bedacht werden, daß
bei Unfällen im Straßenverkehr der materielle Schaden des Unfallopfers
bereits über die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung
nach dem StVG abgedeckt wird. So erhält auch die Kl. ihren gesamten
materiellen Schaden, insb. also die Heilungskosten und die Einkommenseinbußen,
voll ersetzt. Insofern unterscheidet sich der Streitfall ganz wesentlich
von den in BGHZ 76, 279 = NJW 1980, 1623 = LM § 823 BGB Nr. 9 und
in den Senatsurteilen vom 13. 6. 1958 und 24. 4. 1979 (NJW 1958, 1630 =
LM § 829 BGB Nr. 2 = VersR 1958, 485 (486); NJW 1979, 2096 = LM §
829 BGB Nr. 8 = VersR 1979, 645) entschiedenen Fällen, in denen es
darum ging, dem Geschädigten mit Hilfe des § 829 BGB zunächst
einmal einen Ausgleich für die materiellen Schäden zu verschaffen.
Erhält aber wie hier der Geschädigte bereits vollen Ersatz seines
materiellen Schadens, dann geht es nur noch um die Frage, ob es die Billigkeit
erfordert, ihm über den materiellen Schadensausgleich hinaus auch
noch ein Schmerzensgeld zukommen zu lassen. Im Rahmen des § 829 BGB
ist für ein Schmerzensgeld aus Billigkeitsgründen nur Raum bei
schweren Verletzungen, insb. bei Dauerschäden. Insgesamt kommt
danach die Zubilligung von Schmerzensgeld mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter
des § 829 BGB nur in Betracht, wenn bei Berücksichtigung dessen,
daß bei schuldlos verursachten Verkehrsunfällen ein Schmerzensgeld
regelmäßig nicht verwirkt ist, seine Versagung im Einzelfall
dem Billigkeitsempfinden kraß widerspricht. Insofern ist der Ansatz
für die Billigkeitsprüfung in § 829 BGB ein anderer als
in § 847 BGB, worauf der Senat schon in seinem Urteil vom 18. 12.
1979 (BGHZ 76, 279 (282) = NJW 1980, 1623 = LM § 829 BGB Nr. 9) hingewiesen
hat.
b) Ob unter diesen Voraussetzungen die Zuerkennung
von Schmerzensgeld im Einzelfall aus Billigkeitsgründen geboten ist,
muß der Tatrichter entscheiden. Er hat dabei alle Umstände des
Falles zu berücksichtigen. Neben den wirtschaftlichen Verhältnissen
der Unfallbeteiligten kann dabei auch die Intensität des Eingriffs
in das geschützte Rechtsgut sowie - etwa bei Vorsatztaten - die Besonderheit
der die Schadensersatzpflicht auslösenden Handlung von Bedeutung sein
(vgl. Senat, NJW 1979, 2096 = LM § 829 BGB Nr. 8 = VersR 1979, 645;
BGHZ 23, 90 (99) = NJW 1957, 674 = LM § 7 StVG Nr. 17).
Auch insoweit geben die Ausführungen des
BerGer. zu durchgreifenden Bedenken Anlaß. Das BerGer. stellt den
Unfallverletzungen der Kl., die eine Verlängerung ihrer zunächst
betriebenen Ausbildung "lediglich um ein halbes Jahr" zur Folge gehabt
hätten, die anläßlich des Unfalls festgestellte Krankheit
des Bekl. gegenüber, durch die er auf lange Sicht weiterhin beeinträchtigt
und mit der Ungewißheit belastet sei, daß sich die Zystenbildung
trotz der erfolgreichen ärztlichen Behandlung wiederhole. Angesichts
dieser Ungewißheit erhalten die Unfallfolgen nach Auffassung des
BerGer. für die Kl., die dauerhaft in bestimmten Körperhaltungen
und in ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt sei, kein solches
Gewicht, daß schon aufgrund des Lebensschicksals der Kl. und des
Bekl. der Ausgleich auch des Nichtvermögensschadens unabweisbar notwendig
sei.
Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Belastung mit der Ungewißheit seiner künftigen gesundheitlichen
Entwicklung mag zwar für den Bekl. schwerwiegend sein. Sie kann aber
nicht den Unfallverletzungen der Kl. als Äquivalent gegenübergestellt
werden. Das BerGer. berücksichtigt nicht, daß die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen des Bekl. schicksalhaft sind und mit dem Unfall
nichts zu tun haben. Die Verletzungen der Kl. sind hingegen durch einen
objektiv schwerwiegenden Ausfall des Bekl. bei der Führung seines
Kraftfahrzeugs verursacht worden. Der Bekl. hat durch den Unfall jedenfalls
keine Verletzungen davongetragen. Diesem Umstand hätte das BerGer.
Rechnung tragen müssen, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß
bei den nach § 829 BGB anzustellenden Billigkeitserwägungen den
unfallunabhängigen Gesundheitsschäden ein wesentlich geringeres
Gewicht zukommt als solchen, die auf dem Unfall beruhen.
c) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt
sich, daß auch die Ausführungen, mit denen das BerGer. einen
Feststellungsanspruch verneint hat, keinen Bestand haben.