BGHZ 131, 76
NJW 1996, 196
LM H. 3/1996 § 67 ZPO Nr. 17
MDR 1996, 194
DB 1996, 272
WM 1996, 602
VersR1996, 912
Vgl. auch BGH NJW 1993,
2120
sowie BGH v. 24.6.2008 - X ARZ 69/08
1. Die Widerklage gegen einen Dritten ist nicht
deshalb ausgeschlossen, weil dieser Dritte bereits als Streithelfer des
Beklagten am Rechtsstreit beteiligt ist.
2. Auf eine parteierweiternde Widerklage im
ersten Rechtszug sind auch dann die Vorschriften über die Klageänderung
entsprechend anwendbar, wenn das Gericht vor Erhebung der Widerklage bereits
umfassend Beweis erhoben hat. Der neue Widerbeklagte darf in seiner Verteidigung
durch Handlungen oder Unterlassungen des alten Widerbeklagten nicht beeinträchtigt
werden. Er hat gegebenenfalls ein Recht auf Ergänzung oder Wiederholung
der bisher durchgeführten Beweisaufnahme.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit
der Widerklage der Bekl. gegen den Widerbekl. zu 2. Die Bekl. beauftragten
den Kl. mit Dachdecker- und Abdichtungsarbeiten für ein umzubauendes
Wohn- und Geschäftshaus in D. Der Kl. hat nach Abnahme seiner Arbeiten
Restwerklohn in Höhe von 20087,17 DM geltend gemacht. Die Bekl. haben
sich zunächst mit einem Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln
der Abdichtung verteidigt. Nach einem Sachverständigengutachten zum
Grund haben sie ihrem Architekten den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit
auf ihrer Seite beigetreten ist. Nach Eingang eines Gutachtens zur Höhe
der zu erwartenden Mängelbeseitigungskosten haben sie Widerklage gegen
den Kl. und ihren Streithelfer, den Widerbekl. zu 2, erhoben. Sie haben
Schadensersatz in Höhe von 161185 DM sowie Feststellung der Ersatzpflicht
für weitere Schäden begehrt.
Das LG hat die Klage durch Teilversäumnisurteil
und die Widerklage gegen den Widerbekl. zu 2 durch weiteres Teilurteil
abgewiesen. Die Widerklage, der der Widerbekl. zu 2 nicht zugestimmt habe,
sei als sachdienlich zuzulassen. Sie sei allerdings unbegründet, da
die Bekl. schon vor Erhebung der Widerklage ihre Ansprüche abgetreten
hätten. Die Berufung der Bekl., die diese auf eine Rückabtretung
der Ansprüche an sie stützten, hatte keinen Erfolg; das OLG hat
die Widerklage als unzulässig mit der Begründung abgewiesen,
die Zustimmung des Widerbekl. zu 2 zur Erhebung der Widerklage sei erforderlich
gewesen, die dieser habe verweigern dürfen. Die Revision der Bekl.
führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. führt aus: Bedenken bezüglich
der örtlichen Zuständigkeit des LG oder der anderweitigen Rechtshängigkeit
seien nicht gegeben. Es sei grundsätzlich zulässig, eine Widerklage
auf eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Partei zu erstrecken;
das entspreche einem praktischen Bedürfnis. Auf eine solche parteierweiternde
Widerklage seien im ersten Rechtszug grundsätzlich die Regeln über
die Klageänderung anzuwenden. Das LG habe die Erweiterung an sich
als sachdienlich erachten dürfen. Die Regeln der Klageänderung
seien allerdings nicht stets geeignet, die Interessen der in einen Rechtsstreit
neu hereingezogenen Partei ausreichend zu wahren. Der Schutz, der jedem
Bekl. zukomme, liefe weitgehend leer, wenn sich der neue Bekl. in einen
bereits weitgehend geförderten Rechtsstreit einbeziehen und an die
ohne seine Mitwirkung hervorgebrachten Beweisergebnisse binden lassen müsse.
Im zweiten Rechtszug werde eine Parteierweiterung grundsätzlich nur
bei Zustimmung des neuen Bekl. zugelassen. Dies müsse auch dann gelten,
wenn sich der Rechtsstreit in erster Instanz nicht mehr in seinem Anfangsstadium
befinde. Das sei hier der Fall. Da sämtliche, die Tatsachen einer
Haftung des Widerbekl. zu 2 betreffenden Beweise bereits erhoben seien,
sei ihm die Einlassung auf die Widerklage nicht zuzumuten; seine Verweigerung
der Zustimmung sei daher nicht rechtsmißbräuchlich.
II. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung
nicht stand.
1. Die Verfahrensrügen der Revisionserwiderung
zur örtlichen Zuständigkeit des LG sowie zur anderweitigen Rechtshängigkeit
hält der Senat nicht für durchgreifend; er sieht von einer Begründung
ab, § 565a ZPO.
2. Die Auffassung des BerGer., der Widerbekl.
zu 2 könne in diesem Rechtsstreit nur mit seiner Zustimmung in Anspruch
genommen werden, begegnet durchgreifenden Bedenken. Der verfahrensrechtlich
gebotene Schutz des Widerbekl. zu 2 erfordert nicht, bei fehlender Zustimmung
die parteierweiternde Widerklage als unzulässig abzuweisen.
a) Die Zweifel der Revision, ob hier überhaupt
eine parteierweiternde Widerklage gegen einen Dritten vorliege, da der
Widerbekl. zu 2 bereits als Streithelfer der Bekl. am Prozeß beteiligt
gewesen sei, sind allerdings unbegründet. Dritter im Sinne einer parteierweiternden
Widerklage ist jede Person, die weder Kl. noch Bekl. des anhängigen
Verfahrens ist (Stein/Jonas/Schumann,ZPO, 21. Aufl., § 33 Rdnr. 29;
Schilken, in: MünchKomm-ZPO, § 67 Rdnr. 2). Der Widerbekl. zu
2 hatte als Streithelfer der Bekl. lediglich die ihm nach den §§
74 I, 67 ZPO zustehenden Rechte; er war damit nicht Partei des Rechtsstreits.
Entgegen den Bedenken der Revisionserwiderung
führt die Beteiligung des Widerbekl. zu 2 als Streithelfer der Bekl.
nicht zur Unzulässigkeit der Widerklage (vgl. dazu Stein/Jonas/Bork,
ZPO, 21. Aufl., § 67 Rdnr. 22 i.V. mit § 33 Rdnrn. 29ff.; Roth,
NJW 1988, 2977 (2982)). Zweck der Streitverkündung ist es u.a., dem
Streitverkündeten vor Augen zu führen, daß er bei ungünstigem
Prozeßausgang in Anspruch genommen werden kann. Die Voraussetzungen
für eine Inanspruchnahme des Streitverkündeten können sich
schon im laufenden Prozeß ergeben. Dann besteht kein Grund, eine
Widerklage auszuschließen.
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH sind
auf die parteierweiternde Widerklage im ersten Rechtszug die Vorschriften
über die Klageänderung entsprechend anwendbar (u.a. Senat, BGHZ
65, 264 (267f.) = NJW 1976, 239 = LM § 264 ZPO Nr. 33a). Davon geht
auch das BerGer. aus. Seine Auffassung, dies gelte grundsätzlich nur
für Prozesse im Anfangsstadium, läßt sich allerdings den
von ihm zitierten Entscheidungen nicht entnehmen. In dem Urteil vom 17.
10. 1963 (BGHZ 40, 185 (187) = NJW 1964, 44 = LM § 33 ZPO Nr. 6) wird
diese Einschränkung lediglich im Referat des dort nachzuprüfenden
Berufungsurteils erwähnt. In dem weiter zitierten Urteil vom 20. 5.
1981 (NJW 1981, 2642 (2644) = LM § 3 ZPO Nr. 15) wird die Berücksichtigung
des Verfahrensstandes nur in einem obiter dictum unter dem Blickwinkel
der Sachdienlichkeit erwähnt.
Es besteht kein Anlaß, von dieser gefestigten
Rechtsprechung abzuweichen. Ihre Rechtfertigung liegt in der Prozeßwirtschaftlichkeit.
Es liegt nahe, den einmal begonnenen Prozeß mit einer neuen oder
neu hinzugekommenen Partei jedenfalls im ersten Rechtszug auch ohne deren
Zustimmung fortsetzen zu können, sofern dies sachdienlich ist. Damit
soll der Streit im Rahmen des bereits anhängigen Rechtsstreits bereinigt
und dadurch einem neuen Prozeß vorgebeugt werden (vgl. BGH, NJW-RR
1987, 58).
Die Prozeßökonomie kann allerdings
im Einzelfall mit dem Anspruch eines neu in den Rechtsstreit einbezogenen
Bekl. kollidieren, sich uneingeschränkt verteidigen zu können,
wenn es um die Bindung des neuen Bekl. an das bisherige Prozeßergebnis
geht, insbesondere an die von ihm nicht beeinflußten Beweiserhebungen.
Dazu hat der BGH auf die vom Schrifttum vorgeschlagenen Wege hingewiesen
(NJW 1962, 347, unter Bezugnahme auf de Boor, Zur Lehre vom Parteiwechsel
und vom Parteibegriff, S. 105ff., S. 110; Nikisch, ZPR, S. 461f., und Rosenberg,
ZZP 70, 1ff. (7)). Danach sollen die Ergebnisse des bisherigen Prozesses
grundsätzlich verwertbar bleiben. Der neue Bekl. soll jedoch eine
Ergänzung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme oder ihre
Wiederholung verlangen können.
Dieser Ansatz trifft zu. Ausgehend von einer Bindungswirkung
wird das Gericht auf Antrag des neuen Bekl. gegebenenfalls ergänzend
oder wiederholend Beweis erheben müssen. Der neue Bekl. kann eine
Wiederholung der Beweisaufnahme dann verlangen, wenn er sonst in seiner
Rechtsverteidigung beeinträchtigt wäre. Auch kann beispielsweise
der neue Bekl. mit einem Beweismittel nicht mit der Begründung präkludiert
sein, der ursprüngliche Bekl. könne damit nicht mehr gehört
werden. Das ermöglicht eine dem Schutz des neuen Bekl. gerecht werdende
Fortsetzung des Rechtsstreits.
Das BerGer. konnte und mußte mithin die
Frage entscheiden, ob den Bedenken des Widerbekl. zu 2, er habe auf die
Auswahl des Sachverständigen keinen Einfluß gehabt, Bedeutung
zukommt. § 404 ZPO sieht keine Pflicht des Gerichts vor, die Parteien
anzuhören, wer als Sachverständiger gewählt werden soll;
es wird aber Anregungen der Parteien nachzugehen haben. Erweisen sich die
vom Widerbekl. zu 2 erhobenen Einwendungen als bedenkenswert, so wird rückschauend
zu prüfen sein, ob das Gericht vor einer Beauftragung diesen Bedenken
Rechnung getragen hätte. Ist dies zu bejahen, so ist ein neues Gutachten
einzuholen. Ergibt sich des weiteren aus dem Sachvortrag des Widerbekl.
zu 2, daß bereits seine Teilnahme an den Ermittlungen des Sachverständigen
im Rahmen seines ersten Gutachtens gem. § 404a IV ZPO geboten gewesen
wäre, so muß die Beweisaufnahme insoweit wiederholt werden.
Schließlich kann der Widerbekl. zu 2 das Gericht durch neuen erheblichen
Sachvortrag zu einer ganz oder teilweise erneuten Begutachtung veranlassen
und auch auf diese Weise auf die Abfassung von Beweisfragen Einfluß
nehmen.
III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil
nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht
selbst entscheiden. Es ist derzeit nicht möglich, über die Zulässigkeit
der Widerklage abschließend zu befinden. Dabei konnte der Senat die
Frage, ob das BerGer. die vom LG bejahte Sachdienlichkeit der parteierweiternden
Widerklage überprüfen durfte, offenlassen (vgl. einerseits z.B.
BGH, NJW-RR 1987, 1084 (1085) = LM § 1 PatG Nr. 70, und Roth, NJW
1988, 2977 (2978) sowie andererseits z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl.,
§ 268 Rdnr. 1). Das BerGer. hat jedenfalls im Ergebnis mit dem LG
die Sachdienlichkeit bejaht; etwa durchgreifende Bedenken sind auch im
Revisionsverfahren nicht aufgezeigt worden.
Die Revisionserwiderung hat allerdings zu Recht
darauf hingewiesen, daß die Widerkl. Gewährleistungsansprüche
geltend machen, die sie bereits vor Rechtshängigkeit dieses Prozesses
an die Firma G-GmbH & Co. KG abgetreten hatten. Diese hatte ihrerseits
Gewährleistungsansprüche aus diesem Vertrag gegen den Widerbekl.
zu 2 gerichtlich geltend gemacht. Sollte das BerGer. feststellen, daß
diese Ansprüche sich inhaltlich ganz oder teilweise decken, so wird
es zu prüfen haben, ob die Widerklage trotz der späteren Rückabtretung
dieser Ansprüche an die Widerkl. im Hinblick auf § 265 II ZPO
ganz oder teilweise mangels Prozeßführungsbefugnis unzulässig
ist (vgl. Thomas/Putzo, § 265 Rdnr. 12).