Drittwiderklage

BGH, Urteil v. 12.10.1995  - VII ZR 209/94 (Düsseldorf)


Fundstellen:

BGHZ 131, 76
NJW 1996, 196
LM H. 3/1996 § 67 ZPO Nr. 17
MDR 1996, 194
DB 1996, 272
WM 1996, 602
VersR1996, 912
Vgl. auch BGH NJW 1993, 2120 sowie BGH v. 24.6.2008 - X ARZ 69/08



Amtl. Leitsätze:

1. Die Widerklage gegen einen Dritten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil dieser Dritte bereits als Streithelfer des Beklagten am Rechtsstreit beteiligt ist.
2. Auf eine parteierweiternde Widerklage im ersten Rechtszug sind auch dann die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anwendbar, wenn das Gericht vor Erhebung der Widerklage bereits umfassend Beweis erhoben hat. Der neue Widerbeklagte darf in seiner Verteidigung durch Handlungen oder Unterlassungen des alten Widerbeklagten nicht beeinträchtigt werden. Er hat gegebenenfalls ein Recht auf Ergänzung oder Wiederholung der bisher durchgeführten Beweisaufnahme.


Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Widerklage der Bekl. gegen den Widerbekl. zu 2. Die Bekl. beauftragten den Kl. mit Dachdecker- und Abdichtungsarbeiten für ein umzubauendes Wohn- und Geschäftshaus in D. Der Kl. hat nach Abnahme seiner Arbeiten Restwerklohn in Höhe von 20087,17 DM geltend gemacht. Die Bekl. haben sich zunächst mit einem Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln der Abdichtung verteidigt. Nach einem Sachverständigengutachten zum Grund haben sie ihrem Architekten den Streit verkündet, der dem Rechtsstreit auf ihrer Seite beigetreten ist. Nach Eingang eines Gutachtens zur Höhe der zu erwartenden Mängelbeseitigungskosten haben sie Widerklage gegen den Kl. und ihren Streithelfer, den Widerbekl. zu 2, erhoben. Sie haben Schadensersatz in Höhe von 161185 DM sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden begehrt.
Das LG hat die Klage durch Teilversäumnisurteil und die Widerklage gegen den Widerbekl. zu 2 durch weiteres Teilurteil abgewiesen. Die Widerklage, der der Widerbekl. zu 2 nicht zugestimmt habe, sei als sachdienlich zuzulassen. Sie sei allerdings unbegründet, da die Bekl. schon vor Erhebung der Widerklage ihre Ansprüche abgetreten hätten. Die Berufung der Bekl., die diese auf eine Rückabtretung der Ansprüche an sie stützten, hatte keinen Erfolg; das OLG hat die Widerklage als unzulässig mit der Begründung abgewiesen, die Zustimmung des Widerbekl. zu 2 zur Erhebung der Widerklage sei erforderlich gewesen, die dieser habe verweigern dürfen. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. führt aus: Bedenken bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des LG oder der anderweitigen Rechtshängigkeit seien nicht gegeben. Es sei grundsätzlich zulässig, eine Widerklage auf eine bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Partei zu erstrecken; das entspreche einem praktischen Bedürfnis. Auf eine solche parteierweiternde Widerklage seien im ersten Rechtszug grundsätzlich die Regeln über die Klageänderung anzuwenden. Das LG habe die Erweiterung an sich als sachdienlich erachten dürfen. Die Regeln der Klageänderung seien allerdings nicht stets geeignet, die Interessen der in einen Rechtsstreit neu hereingezogenen Partei ausreichend zu wahren. Der Schutz, der jedem Bekl. zukomme, liefe weitgehend leer, wenn sich der neue Bekl. in einen bereits weitgehend geförderten Rechtsstreit einbeziehen und an die ohne seine Mitwirkung hervorgebrachten Beweisergebnisse binden lassen müsse. Im zweiten Rechtszug werde eine Parteierweiterung grundsätzlich nur bei Zustimmung des neuen Bekl. zugelassen. Dies müsse auch dann gelten, wenn sich der Rechtsstreit in erster Instanz nicht mehr in seinem Anfangsstadium befinde. Das sei hier der Fall. Da sämtliche, die Tatsachen einer Haftung des Widerbekl. zu 2 betreffenden Beweise bereits erhoben seien, sei ihm die Einlassung auf die Widerklage nicht zuzumuten; seine Verweigerung der Zustimmung sei daher nicht rechtsmißbräuchlich.
II. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Verfahrensrügen der Revisionserwiderung zur örtlichen Zuständigkeit des LG sowie zur anderweitigen Rechtshängigkeit hält der Senat nicht für durchgreifend; er sieht von einer Begründung ab, § 565a ZPO.
2. Die Auffassung des BerGer., der Widerbekl. zu 2 könne in diesem Rechtsstreit nur mit seiner Zustimmung in Anspruch genommen werden, begegnet durchgreifenden Bedenken. Der verfahrensrechtlich gebotene Schutz des Widerbekl. zu 2 erfordert nicht, bei fehlender Zustimmung die parteierweiternde Widerklage als unzulässig abzuweisen.
a) Die Zweifel der Revision, ob hier überhaupt eine parteierweiternde Widerklage gegen einen Dritten vorliege, da der Widerbekl. zu 2 bereits als Streithelfer der Bekl. am Prozeß beteiligt gewesen sei, sind allerdings unbegründet. Dritter im Sinne einer parteierweiternden Widerklage ist jede Person, die weder Kl. noch Bekl. des anhängigen Verfahrens ist (Stein/Jonas/Schumann,ZPO, 21. Aufl., § 33 Rdnr. 29; Schilken, in: MünchKomm-ZPO, § 67 Rdnr. 2). Der Widerbekl. zu 2 hatte als Streithelfer der Bekl. lediglich die ihm nach den §§ 74 I, 67 ZPO zustehenden Rechte; er war damit nicht Partei des Rechtsstreits.
Entgegen den Bedenken der Revisionserwiderung führt die Beteiligung des Widerbekl. zu 2 als Streithelfer der Bekl. nicht zur Unzulässigkeit der Widerklage (vgl. dazu Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 67 Rdnr. 22 i.V. mit § 33 Rdnrn. 29ff.; Roth, NJW 1988, 2977 (2982)). Zweck der Streitverkündung ist es u.a., dem Streitverkündeten vor Augen zu führen, daß er bei ungünstigem Prozeßausgang in Anspruch genommen werden kann. Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Streitverkündeten können sich schon im laufenden Prozeß ergeben. Dann besteht kein Grund, eine Widerklage auszuschließen.
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH sind auf die parteierweiternde Widerklage im ersten Rechtszug die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anwendbar (u.a. Senat, BGHZ 65, 264 (267f.) = NJW 1976, 239 = LM § 264 ZPO Nr. 33a). Davon geht auch das BerGer. aus. Seine Auffassung, dies gelte grundsätzlich nur für Prozesse im Anfangsstadium, läßt sich allerdings den von ihm zitierten Entscheidungen nicht entnehmen. In dem Urteil vom 17. 10. 1963 (BGHZ 40, 185 (187) = NJW 1964, 44 = LM § 33 ZPO Nr. 6) wird diese Einschränkung lediglich im Referat des dort nachzuprüfenden Berufungsurteils erwähnt. In dem weiter zitierten Urteil vom 20. 5. 1981 (NJW 1981, 2642 (2644) = LM § 3 ZPO Nr. 15) wird die Berücksichtigung des Verfahrensstandes nur in einem obiter dictum unter dem Blickwinkel der Sachdienlichkeit erwähnt.
Es besteht kein Anlaß, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Ihre Rechtfertigung liegt in der Prozeßwirtschaftlichkeit. Es liegt nahe, den einmal begonnenen Prozeß mit einer neuen oder neu hinzugekommenen Partei jedenfalls im ersten Rechtszug auch ohne deren Zustimmung fortsetzen zu können, sofern dies sachdienlich ist. Damit soll der Streit im Rahmen des bereits anhängigen Rechtsstreits bereinigt und dadurch einem neuen Prozeß vorgebeugt werden (vgl. BGH, NJW-RR 1987, 58).
Die Prozeßökonomie kann allerdings im Einzelfall mit dem Anspruch eines neu in den Rechtsstreit einbezogenen Bekl. kollidieren, sich uneingeschränkt verteidigen zu können, wenn es um die Bindung des neuen Bekl. an das bisherige Prozeßergebnis geht, insbesondere an die von ihm nicht beeinflußten Beweiserhebungen. Dazu hat der BGH auf die vom Schrifttum vorgeschlagenen Wege hingewiesen (NJW 1962, 347, unter Bezugnahme auf de Boor, Zur Lehre vom Parteiwechsel und vom Parteibegriff, S. 105ff., S. 110; Nikisch, ZPR, S. 461f., und Rosenberg, ZZP 70, 1ff. (7)). Danach sollen die Ergebnisse des bisherigen Prozesses grundsätzlich verwertbar bleiben. Der neue Bekl. soll jedoch eine Ergänzung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme oder ihre Wiederholung verlangen können.
Dieser Ansatz trifft zu. Ausgehend von einer Bindungswirkung wird das Gericht auf Antrag des neuen Bekl. gegebenenfalls ergänzend oder wiederholend Beweis erheben müssen. Der neue Bekl. kann eine Wiederholung der Beweisaufnahme dann verlangen, wenn er sonst in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wäre. Auch kann beispielsweise der neue Bekl. mit einem Beweismittel nicht mit der Begründung präkludiert sein, der ursprüngliche Bekl. könne damit nicht mehr gehört werden. Das ermöglicht eine dem Schutz des neuen Bekl. gerecht werdende Fortsetzung des Rechtsstreits.
Das BerGer. konnte und mußte mithin die Frage entscheiden, ob den Bedenken des Widerbekl. zu 2, er habe auf die Auswahl des Sachverständigen keinen Einfluß gehabt, Bedeutung zukommt. § 404 ZPO sieht keine Pflicht des Gerichts vor, die Parteien anzuhören, wer als Sachverständiger gewählt werden soll; es wird aber Anregungen der Parteien nachzugehen haben. Erweisen sich die vom Widerbekl. zu 2 erhobenen Einwendungen als bedenkenswert, so wird rückschauend zu prüfen sein, ob das Gericht vor einer Beauftragung diesen Bedenken Rechnung getragen hätte. Ist dies zu bejahen, so ist ein neues Gutachten einzuholen. Ergibt sich des weiteren aus dem Sachvortrag des Widerbekl. zu 2, daß bereits seine Teilnahme an den Ermittlungen des Sachverständigen im Rahmen seines ersten Gutachtens gem. § 404a IV ZPO geboten gewesen wäre, so muß die Beweisaufnahme insoweit wiederholt werden. Schließlich kann der Widerbekl. zu 2 das Gericht durch neuen erheblichen Sachvortrag zu einer ganz oder teilweise erneuten Begutachtung veranlassen und auch auf diese Weise auf die Abfassung von Beweisfragen Einfluß nehmen.
III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Es ist derzeit nicht möglich, über die Zulässigkeit der Widerklage abschließend zu befinden. Dabei konnte der Senat die Frage, ob das BerGer. die vom LG bejahte Sachdienlichkeit der parteierweiternden Widerklage überprüfen durfte, offenlassen (vgl. einerseits z.B. BGH, NJW-RR 1987, 1084 (1085) = LM § 1 PatG Nr. 70, und Roth, NJW 1988, 2977 (2978) sowie andererseits z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 268 Rdnr. 1). Das BerGer. hat jedenfalls im Ergebnis mit dem LG die Sachdienlichkeit bejaht; etwa durchgreifende Bedenken sind auch im Revisionsverfahren nicht aufgezeigt worden.
Die Revisionserwiderung hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, daß die Widerkl. Gewährleistungsansprüche geltend machen, die sie bereits vor Rechtshängigkeit dieses Prozesses an die Firma G-GmbH & Co. KG abgetreten hatten. Diese hatte ihrerseits Gewährleistungsansprüche aus diesem Vertrag gegen den Widerbekl. zu 2 gerichtlich geltend gemacht. Sollte das BerGer. feststellen, daß diese Ansprüche sich inhaltlich ganz oder teilweise decken, so wird es zu prüfen haben, ob die Widerklage trotz der späteren Rückabtretung dieser Ansprüche an die Widerkl. im Hinblick auf § 265 II ZPO ganz oder teilweise mangels Prozeßführungsbefugnis unzulässig ist (vgl. Thomas/Putzo, § 265 Rdnr. 12).


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