Umfang
der materiellen Rechtskraft bei verdeckter Teilklage
BGH, Urteil v. 09.04.1997 - IV ZR 113/96
(München)
Fundstellen:
BGHZ 135, 178
NJW 1997, 1990
ZIP 1997, 1042
VersR 1997, 898
MDR 1997, 778
JZ 1997, 1126 mit Anm. Jauernig
LM H. 9/1997 § 322 ZPO Nr. 148 mit Anm. Leipold
Zur Verjährungsunterbrechung bzw. -hemmung bei einer verdeckten Teilklage s.
BGH NJW 2002, 2167
Amtl. Leitsatz:
Auch bei einer verdeckten Teilklage bleibt es
bei dem Grundsatz, daß die Rechtskraft des Urteils nur den geltend
gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift und der Kläger nicht
erklären muß, er behalte sich darüber hinausgehende Ansprüche
vor.
Zum Sachverhalt:
Der Kl. verlangt von der Bekl. aus einer bei ihr
für einen Pkw unterhaltenen Teilkasko-Ruhe-Versicherung weitere Entschädigungsleistungen.
Er hat behauptet, das Fahrzeug, dessen Zeitwert sich auf über 500000
DM belaufen habe, sei am 10. 3. 1991 in einer Tiefgarage abgestellt gewesen.
Am Abend dieses Tages habe er festgestellt, daß in sein abgeschlossenes
Tiefgaragenabteil eingebrochen und sein Fahrzeug vollkommen ausgeplündert
worden sei. Es seien zahlreiche Einzelteile entfernt, abgebrochen oder
ausgebaut worden. Der Kl. hatte nach Erhalt einer Abschlagszahlung von
100000 DM in einem vorausgegangenen Rechtsstreit Entschädigungsleistungen
von der Bekl. verlangt. Zur Begründung seines Antrags, ihm 130068,97
DM zu zahlen, hatte er nach seinen Behauptungen notwendige Wiederherstellungsarbeiten
und die dafür entstandenen Kosten näher dargelegt. Die Klage
hatte in vollem Umfang Erfolg. Mit seiner neuerlichen Klage verlangt der
Kl. die Zahlung weiterer 144697,63 DM und begehrt die Feststellung, daß
die Bekl. ihm auch alle weiteren aus dem Diebstahl entstandenen Schäden
zu ersetzen habe. Dazu hat er vorgetragen, er habe nach Abschluß
des ersten Rechtsstreits die noch nicht beendeten Restaurierungsarbeiten
an dem Fahrzeug fortsetzen und dazu eine Reihe weiterer seltener und wertvoller
Ersatzteile beschaffen müssen; die Bekl. schulde ihm Ersatz auch der
dafür entstandenen Kosten. Der Feststellungsantrag rechtfertige sich
daraus, daß noch weitere Ersatzteile angeschafft werden müßten
und die Bekl. auch insoweit eintrittspflichtig sei. Die Bekl. hat gemeint,
der Kl. habe bereits im Vorprozeß seinen Anspruch auf Kasko-Entschädigung
aus dem behaupteten Diebstahl vom 10. 3. 1991 eingeklagt. Deshalb greife
gegenüber der danach erhobenen Klage die Einrede der Rechtskraft durch.
Die im Vorprozeß erhobene Klage sei nicht als Teilklage gekennzeichnet
worden; auch aus der vom Kl. vorgetragenen Zusammenstellung der Schadensposten
sei das nicht erkennbar gewesen.
Das LG hat die Klage wegen Unzulässigkeit
abgewiesen; die Berufung des Kl. ist erfolglos geblieben. Die Revision
des Kl. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen:
Der Nachforderungsklage steht der Einwand der Rechtskraft
(§ 322 I ZPO) nicht entgegen.
1. a) Das BerGer. nimmt an, der Kl. habe im vorangegangenen
Rechtsstreit keine offene, sondern eine sogenannte verdeckte Teilklage
(vgl. BGH, NJW 1994, 3165 = LM H. 10/1994 § 1378 BGB Nr. 16 unter
I, 2b) verfolgt. Weder für die Bekl. noch für das Gericht sei
erkennbar gewesen, daß nur eine Teilforderung geltend gemacht worden
sei. Wenngleich der Kl. damals zum Gesamtschaden eine Ersatzteilliste mit
insgesamt 376 Positionen (mit jeweils zwölfstelligen Teilenummern)
vorgelegt habe, sei aus den vorgelegten Rechnungen und Kostenvoranschlägen
nicht ersichtlich gewesen, daß damit der Gesamtschaden - wie er sich
aus der Liste dargestellt habe - noch nicht erschöpft worden sei.
Denn die vorgelegten Rechnungen entbehrten teilweise der Teilenummern,
so daß eine Zuordnung zur Ersatzteilliste auch insoweit nicht möglich,
die Geltendmachung nur eines Teilschadens auch daraus nicht zu entnehmen
gewesen sei. Schließlich habe auch der weitere Prozeßvortrag
des Kl. nicht ausreichend deutlich gemacht, daß mit der Klage nur
ein Teil des Ersatzanspruchs gegen die Bekl. eingeklagt werden sollte.
b) Diese Auslegung der prozessualen Erklärungen,
die das RevGer. auch selbständig vornehmen kann (BGH, NJW 1994, 3165
= LM H. 10/1994 § 1378 BGB Nr. 16) ist rechtsfehlerfrei. Der Haupteinwand
der Revision, schon aus der umfangreichen Ersatzteilliste sei deutlich
geworden, welch ein quantitativ geringer Anteil der insgesamt entwendeten
Teile im Vorprozeß Verfahrensgegenstand gewesen sei, verfängt
nicht. Denn die im vorangegangenen Rechtsstreit vorgelegte Ersatzteilliste
enthielt - im Gegensatz zu der im vorliegenden Verfahren eingereichten
Liste - noch keine Kennzeichnung bei den einzelnen Teilen dahin, ob diese
bereits für die im Vorprozeß abgerechneten Arbeiten Verwendung
gefunden haben oder nicht. Ohne eine solche Kennzeichnung aber war - so
zutreffend das BerGer. - eine Zuordnung für Gegner und Gericht nicht
möglich. Soweit die Revision schließlich dem Prozeßvortrag
des Kl. im Vorprozeß weitere Hinweise entnehmen will, die nach ihrer
Auffassung auf eine Teilklage hindeuten könnten, sind diese nicht
so beschaffen, daß die Bekl. oder das Gericht Klarheit darüber
gewinnen konnten, der Kl. wolle nur eine Teilforderung einklagen.
2. a) Unter Berufung auf eine Entscheidung des
BGH vom 27. 2. 1961 (BGHZ 34, 337 = NJW 1961, 917 = LM § 322 ZPO Nr.
28) vertritt das BerGer. die Auffassung, die Erhebung einer sogenannten
verdeckten Teilklage habe hier zur Folge, daß eine Rechtskrafterstreckung
auf den nicht beschiedenen Teil des Anspruchs eingetreten sei.
Die Klage sei nicht als Teilklage erkennbar gewesen
und der Kl. habe sich Mehrforderungen auch nicht vorbehalten. Ein solches
Ergebnis sei auch sachgerecht, weil ein Kl., der den Eindruck erwecke,
den Gesamtschaden geltend zu machen, dem Gegner die Möglichkeit nehme,
durch eine negative Feststellungswiderklage die Rechtskraft des Urteils
im Vorprozeß auf über den geltend gemachten Anspruch hinausgehende
Ansprüche zu erstrecken. Im Ergebnis stehe demgemäß die
Rechtskraft der im Vorprozeß ergangenen Urteile der Erhebung einer
Nachforderungsklage entgegen.
b) Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
aa) Die jede neue Verhandlung und Entscheidung
über denselben Anspruch ausschließende materielle Rechtskraft
eines Urteils reicht nach § 322 I ZPO nur soweit, wie über den
durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Hat ein Kl.
im vorangegangenen Prozeß nur einen Teilanspruch geltend gemacht,
so erfaßt die Rechtskraft des Urteils nur diesen Teil des Anspruchs
und erstreckt sich nicht auf den nicht eingeklagten restlichen Anspruch
(BGHZ 34, 337 (339) = NJW 1961, 917 = LM § 322 ZPO Nr. 28; BGHZ 36,
365 (367) = NJW 1962, 1109 = LM § 322 ZPO Nr. 38; BGHZ 93, 330 (334)
= NJW 1985, 1340 = LM § 322 ZPO Nr. 104; BGH, NJW 1985, 2825 = LM
§ 1011 BGB Nr. 3 unter I 2bbb; BGH, NJW 1994, 3165 = LM H. 10/1994
§ 1378 BGB Nr. 16).
Das gilt grundsätzlich auch, wenn der
Kl. - wie hier - im Vorprozeß eine sogenannte verdeckte Teilklage
verfolgt hat, ohne sich weitergehende Ansprüche vorzubehalten (BGH,
NJW 1985, 2825 = LM § 1011 BGB Nr. 3). Eines förmlichen Vorbehalts
bedarf es weder aus prozessualen noch aus materiellrechtlichen Gründen.
Grundsätzlich braucht ein Kl., der einen bezifferten Anspruch geltend
macht, nicht zu erklären, er behalte sich die darüber hinausgehenden
Ansprüche vor, denn das ergibt sich schon daraus, daß die Rechtskraft
nur den im Prozeß geltend gemachten Anspruch ergreift, der gem. §
308 ZPO durch den Klageantrag beschränkt wird. Die Rechtskraft eines
Urteils erstreckt sich nicht auf den nicht eingeklagten Rest eines teilbaren
Anspruchs oder auf andere Ansprüche aus dem gleichen Sachverhalt,
selbst wenn sich das Urteil darüber ausläßt (BGH, NJW 1994,
3165 = LM H. 10/1994 § 1378 BGB Nr. 16, unter I 2a m. zahlr. Nachw.).
bb) Die Rechtsprechung hat von diesem Grundsatz
zwar Ausnahmen anerkannt (vgl. BGH, NJW 1985, 2825 = LM § 1011 BGB
Nr. 3 - vgl. im übrigen die Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung
durch Kuschmann, in: Festschr. f. Schiedermair, 1976, S. 351 (359ff.);
Batsch, ZZP 86, 254 (256)). Eine solche Ausnahme betrifft auch die Entscheidung
des BGH vom 27. 2. 1961 (BGHZ 34, 337 = NJW 1961, 917 = LM § 322 ZPO
Nr. 28), auf die das BerGer. seine Auffassung stützen will. In jenem
Falle hatte der BGH für einen Anspruch auf Erhöhung einer Enteignungsentschädigung
allerdings eine Rechtskraftwirkung über den bezifferten Anspruch hinaus
angenommen, dies aber unter anderem mit den Besonderheiten des Verfahrens
und letztlich damit begründet, daß er das Vorgehen des Kl. im
Vorprozeß und insbesondere seinen Antrag dahin auffaßte, er
habe Zahlung "der ganzen angemessenen vom Gericht festzusetzenden Entschädigung"
verlangt und mit seiner Bezifferung nur die Höhe dieser Entschädigung
errechnet. Diese mithin zu einem Sonderfall ergangene Entscheidung läßt
sich entgegen der Auffassung des BerGer. nicht verallgemeinern. Sie beruht
- wie schon der V. Zivilsenat in seinem Urteil vom 28. 6. 1985 ausgeführt
hat - letztlich darauf, daß der Klageantrag im Vorprozeß
in bestimmter Weise verstanden und nicht nur ein beziffertes Zahlungsverlangen,
sondern "die ganze angemessene vom Gericht festzustellende Entschädigung"
als Streitgegenstand betrachtet wurde. Eine ähnliche Sachlage
mag gegeben sein, wenn der Kl. im Vorprozeß die Höhe eines Schadensersatzanspruchs
in das Ermessen des Gerichts gestellt hatte (RG, Warn 1925 Nr. 138).
Eine solche Einordnung des Klagebegehrens des
Kl. im vorangegangenen Rechtsstreits ist hier aber ausgeschlossen. Er hatte
einen ohne weiteres teilbaren Ersatzanspruch gegen die Bekl. durch seinen
Antrag der Höhe nach bestimmt und eingeschränkt, ohne zum Ausdruck
zu bringen, er halte dies für den gesamten Ersatzanspruch. Dann aber
muß es bei dem Grundsatz bleiben, daß die Rechtskraft nur den
geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift und der Kl. auch
nicht erklären muß, er behalte sich darüber hinausgehende
Ansprüche vor.
3. Soweit das BerGer. schließlich erwägt,
der vom Kl. im Vorprozeß unterlassene Vorbehalt einer Nachforderung
könne als Verzicht auf weitergehende Ansprüche aufzufassen sein,
fehlt es bislang an einer tragfähigen Begründung und insbesondere
an Feststellungen des BerGer. dazu, woraus sich ein Verzichtswille des
Kl. hinsichtlich der Mehrforderungen ergeben soll. Auch eine Verwirkung
kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Bekl. nach dem Vorprozeß
wiederholt auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat. |