Pflichtteil
des überlebenden Ehegatten: Maßgeblichkeit des "kleinen" Pflichtteils
BGH, Urt. v.
25.6.1964, III ZR 90/63
Fundstelle:
BGHZ 42, 182
Amtl. Leitsatz:
Der überlebende Ehegatte, der mit dem
Erblasser bei dessen Tode im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat
und weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist, ist gemäß § 1371 Abs. 2 BGB stets
auf den kleinen Pflichtteil und im übrigen darauf angewiesen, den Ausgleich
eines etwaigen Zugewinns nach den güterrechtlichen Bestimmungen zu
verlangen.
Aus den Gründen:
1. Der Kläger hat mit seiner
Ehefrau bis zu ihrem Tode im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt. Da
er weder Erbe geworden ist noch ihm ein Vermächtnis zusteht, hängt die
Entscheidung über den noch geltend gemachten Anspruch davon ab, ob sich der
Pflichtteil des Klägers, der von der Möglichkeit des § 1371 Abs. 2 BGB, den
Ausgleich des Zugewinns nach den güterrechtlichen Vorschriften zu verlangen,
nicht Gebrauch gemacht hat, nach dein gesetzlichen Erbteil des § 1931 BGB
oder nach dem gemäß § 1371 Abs. 1 BGB um ein Viertel des Nachlasses erhöhten
gesetzlichen Erbteil bestimmt. Die Fragestellung, geht also dahin, ob der
Berechnung des Pflichtteils des Klägers 1/4 oder 1/2 des Nachlaßwertes
zugrundezulegen ist und sein Pflichtteil mithin 1/8 (kleiner Pflichtteil)
oder 1/4 (großer Pflichtteil) dieses Wertes beträgt.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Pflichtteil des überlebenden
Ehegatten, der nicht Erbe sei und dem auch kein Vermächtnis zustehe,
errechne sich auch dann unter Berücksichtigung des nicht erhöhten
gesetzlichen Erbteils, wenn er von der Möglichkeit, den Ausgleich des
Zugewinns nach den güterrechtlichen Vorschriften zu verlangen, keinen
Gebrauch mache. Dieser Auffassung schließt sich im Ergebnis auch der
erkennende Senat an.
2. a) Eine Antwort auf die Rechtsfragen, die sich hier aufwerfen, weil das
Gesetz eine ausdrückliche Regelung nicht enthält, kann nur im Wege der
Auslegung des Gesetzes gefunden werden. Für eine solche Auslegung ist der
objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut
und dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt. Nur ergänzend ist auch die
Entstehungsgeschichte der einschlägigen Vorschriften heranzuziehen, wenn es
erforderlich ist, das Gesetz auf bestimmte Fallgestaltungen anzuwenden, für
deren rechtliche Behandlung der Wortlaut und der Sinnzusammenhang des
Gesetzes allein, losgelöst von der Entstehungsgeschichte, keine
hinreichenden Anhaltspunkte bieten (BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130; BGHZ
33,321, 330; 37,58, 60).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich hier:
Nach § 1371 Abs. 1 BGB wird bei Beendigung des gesetzlichen Güterstandes
durch den Tod eines Ehegatten der Ausgleich des Zugewinns dadurch
verwirklicht, daß sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um
1/4 der Erbschaft erhöht; dabei ist es unerheblich, ob die Ehegatten im
einzelnen Fall einen Zugewinn erzielt haben. Der gesetzliche Erbteil des
überlebenden Ehegatten, welcher ohne diese Bestimmung neben Abkömmlingen des
Erblassers zu einem Viertel der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen wäre
(§ 1931 in Verbindung mit § 1924 BGB), erhöht sich somit auf die Hälfte der
Erbschaft. Dieser Grundsatz gilt auch für die Berechnung der Ansprüche von
Pflichtteilsberechtigten (vgl. dazu BGHZ 37,58). Das bedeutet: Da nach §
2303 Abs. 1 Satz 2 BGB der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des
gesetzlichen Erbteils besteht, bemißt sich der Pflichtteil des überlebenden
Ehegatten neben Abkömmlingen des Erblassers grundsätzlich auf 1/4 des
Nachlasses (sog. großer Pflichtteil), während die Pflichtteilsrechte der
Abkömmlinge sich insgesamt ebenfalls auf 1/4 des Nachlasses beschränken.
Im Gegensatz zu der sogenannten erbrechtlichen Lösung des § 1371 Abs. 1 BGB
enthält der Absatz 2 dieser Bestimmung die sogenannte güterrechtliche Lösung
der Frage des Zugewinns nach dem Tode des einen Ehegatten. Er spricht
nämlich für den Fall des Ausschlusses des überlebenden Ehegatten als Erbe
und Vermächtnisnehmer aus, daß dieser den Ausgleich des Zugewinns verlangen
kann, jedoch sein Pflichtteil oder der eines anderen
Pflichtteilsberechtigten sich "in diesem Falle" nach dem nicht erhöhten
gesetzlichen Erbteil des Ehegatten bestimmt. Hiernach soll der Zugewinn
ebenso ausgeglichen werden, wie wenn der gesetzliche Güterstand in anderer
Weise als durch den Tod eines Ehegatten beendet worden wäre. Daneben steht
dem überlebenden Ehegatten der Pflichtteil nach Maßgabe seines vom
Güterstand unabhängigen gesetzlichen Erbteils zu, neben Abkömmlingen also in
Höhe der Hälfte eines Viertels des Nachlasses (sog. kleiner Pflichtteil).
Andererseits bemißt sich in diesem Falle auch der Pflichtteil der
Abkömmlinge nach einem gesetzlichen Erbteil des Ehegatten von einem Viertel
und einem gesetzlichen Erbteil der Abkömmlinge von drei Viertein des
Nachlasses. Er beträgt dann also insgesamt drei Achtel des Nachlaßwertes.
c) Die Fassung des Gesetzes hat infolge Verwendung des rückbezüglichen
Ausdrucks "in diesem Falle" zu Zweifeln darüber Anlaß gegeben, für welchen
Fall die von Absatz 1 abweichende güterrechtliche Regelung des Absatzes 2
gilt: Ob der überlebende Ehegatte dann, wenn er weder Erbe noch
Vermächtnisnehmer nach dem verstorbenen Ehegatten ist, stets auf den kleinen
Pflichtteil und den etwaigen Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns beschränkt
ist, oder nur für den Fall, daß er von der Befugnis des Abs. 2 Gebrauch
macht und Ausgleich des Zugewinns verlangt.
Die Auffassung, daß der Anspruch auf den großen Pflichtteil stets dann
ausgeschlossen ist, wenn der Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist,
wird im Anschluß an Reinicke (NJW 1958, 121; vgl. auch NJW 1958, 932, BB
1958, 575 und Betrieb 1960, 1445) u. a. vertreten von Staudinger/Ferid (10./
11. Aufl. 1960, Anm. 42r - 43c zu § 2303), BGB-RGRK (10./11. Aufl. 1960,
Anm. 18 zu § 1371), Palandt/Lauterbach (23. Aufl. 1964, Anm. 4 zu § 1371),
Erman/Bartholomeyczik (3. Aufl. 1962, Anm. 11 zu § 2303), Kipp/Coing
(Erbrecht, 11. Aufl. 1960, § 10, 6 b, S. 50), Krüger/Breetzke/Nowack
(Gleichberechtigungsgesetz, 1958, Anm. 5 zu § 1371), Bartholomeyczik
(Erbrecht, 5. Aufl. 1961, S. 298/99), Massfeller/Reinicke
(Gleichberechtigungsgesetz, 1958, § 1371 Anm. 9), Massfeller (Betrieb 1957,
623 und Betrieb 1958, 562), Hampel (FamRZ 1958, 162), Thiele (FamRZ 1958,
393), Bosch (FamRZ 1958, 289 ff, 297), Johannsen (FamRZ 1961, 17) und
Dittmann (DNotZ 1962, 173 ff, 175), wohl auch von Soergel/Siebert/Vogel (9.
Aufl. 1963, Anm. 23 zu § 1371), wo diese Ansicht als die herrschende
bezeichnet wird. Hiergegen steht die Ansicht, daß auch der Ehegatte, Welcher
nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist, mit der nach Abs. 2
gegebenen Wahlmöglichkeit, den Ausgleich des Zugewinns zu verlangen oder
nicht, zugleich die Wahl habe, den kleinen oder den großen Pflichtteil zu
beanspruchen; nur wenn er den Ausgleichsanspruch tatsächlich geltend mache,
entfalle sein Anspruch auf den großen Pflichtteil. Dieser Auffassung, welche
auf Lange (vgl. insbesondere NJW 1958, 288) zurückgeht, folgen u. a. Knur
(Probleme der Zugewinngemeinschaft, Heft 83 der Arbeitsgemeinschaft für
Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, 1959, S. 37
ff; vgl. aber auch DNotZ 1957, 451, 480, dazu wieder DNotZ 1958, 181 in Anm.
zu Rittner), Rittner (DNotZ 1958, 181 ff), Haegele (Justiz 1957, 386 ff,
390), Bärmann (AcP 157 (1958/1959), 145 ff, 187/188), Müller-Freienfels (JZ
1957, 685, 689) ferner - etwas einschränkend - Boehmer (NJW 1958, 524) und
Beitzke (Familienrecht, 10. Aufl. 1962, § 13, III 4, S. 77/78).
d) Einigkeit besteht dabei im wesentlichen darüber, daß der Wortlaut des §
1371 Abs. 2 BGB beiden Ansichten Raum läßt. Schon hierzu ist jedoch zu
bemerken: Die Fassung der genannten Bestimmung schließt zwar die Möglichkeit
eines Wahlrechts des überlebenden Ehegatten und damit die Herbeiführung der
güterrechtlichen oder der erbrechtlichen Lösung des Erbfalls nicht
schlechthin aus. Es wäre denkbar, daß der Gesetzgeber mit der Formulierung
in Abs. 2 Halbs. 2: "der Pflichtteil ... bestimmt sich in diesem Falle..."
gedanklich an den Fall anknüpfen wollte, daß der überlebende Ehegatte den
Ausgleichsanspruch, den er nach Abs. 2 Halbs. 1 geltend machen kann, auch
tatsächlich geltend macht, also nur die Rechtslage bei erfolgtem
Ausgleichsverlangen des Zugewinns regeln wollte. Dann wäre allerdings nur in
diesem Falle der Überlebende auf den sogenannten kleinen Pflichtteil
beschränkt. Es ist aber nicht zu übersehen, daß eine solche Deutung bereits
eine gedankliche Umformung des in § 1371 Abs. 2 Halbs. 1 bezeichneten Falles
enthält und sich vom reinen Wortlaut des Gesetzes entfernt. Dieser spricht
eher dafür, daß nicht nur der Fall bei erfolgtem Ausgleichsverlangen,
sondern der Fall, daß der überlebende Ehegatte weder Erbe noch
Vermächtnisnehmer ist und den Ausgleich des Zugewinns verlangen kann,
schlechthin gemeint sei. Denn in Abs. 2 Halbs. 1 des § 1371 BGB ist wörtlich
nur der Fall genannt, daß der überlebende Ehegatte nicht Erbe oder
Vermächtnisnehmer ist und deshalb den güterrechtlichen Ausgleich verlangen
kann; an diesen Fall knüpft Abs. 2 Halbs. 2 mit der Beschränkung auf den
sog. kleinen Pflichtteil an. Der Fall, daß der Ausgleichsanspruch
tatsächlich geltend gemacht wird, ist demgegenüber nicht erwähnt. Hätte das
Gesetz nur diesen Fall als Voraussetzung der Beschränkung auf den kleinen
Pflichtteil gemeint, so wären im Absatz 2 Halbs. 2 statt der Formulierung:
"der Pflichtteil . . . bestimmt sich in diesem Falle . . .", die Worte am
Platz gewesen: "verlangt der überlebende Ehegatte . . . , so bestimmt sich
sein Pflichtteil ...". Immerhin mag der Wortlaut des Gesetzes noch Zweifeln
Raum lassen.
e) Die deshalb gebotene Auslegung des Gesetzes nach dessen Sinn und Zweck
führt jedoch gleichfalls zu dem Ergebnis, das durch die Wortfassung des §
1371 BGB bereits nahegelegt wird: Dem überlebenden Ehegatten, der nicht Erbe
oder Vermächtnisnehmer ist, steht immer nur der kleine Pflichtteil und der
Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns, nicht aber das Recht zu, durch
Nichtgebrauchmachen von der nach Absatz 2 gewährten Möglichkeit, den
Zugewinnausgleich nach güterrechtlichen Grundsätzen zu verlangen, statt des
güterrechtlichen Zugewinnausgleichs den sog. großen Pflichtteil zu wählen.
Der Gesetzgeber hat dem überlebenden Ehegatten nicht das Recht geben wollen,
ohne Rücksicht auf die letztwillige Verfügung des Erblassers stets den
Pflichtteil nach Maßgabe des er höhten gesetzlichen Erbteils (§ 1371 Abs. 1
BGB) zu verlangen.
Grundgedanke der in § 1371 Abs. 1 BGB getroffenen sogenannten erbrechtlichen
Lösung ist es, daß mit der hier vorgesehenen Begünstigung des überlebenden
Ehegatten in schematischer und pauschalierender Weise der Anspruch auf
Ausgleich des Zugewinns, den der überlebende Ehegatte sonst gegebenenfalls
hätte, ausgeglichen werden soll (vgl. BGHZ 37,58, 63). Auf diese Weise soll
eine unter Umständen schwierige Ermittlung des auszugleichenden Zugewinns
vermieden werden. Dabei nimmt der Gesetzgeber in Kauf, daß der überlebende
Ehegatte unter Umständen günstiger gestellt wird, als es bei einem Ausgleich
des Zugewinns sonst der Fall sein würde.
Dieses Bestreben, beim Tode eines Ehegatten zu einem vereinfachten Ausgleich
des Zugewinns zu gelangen, hätte nun auch dazu führen können, die
erbrechtliche Lösung des § 1371 Abs. 1 BGB für alle Fälle zwingend
vorzuschreiben. In diesem Fall wäre der Anspruch des überlebenden Ehegatten
auf den sog. großen Pflichtteil - aber auch nur dieser Anspruch - stets
gegeben gewesen. Das Gesetz hat diesen Weg jedoch nicht gewählt. In § 1371
Abs. 2 und 3 ist dem überlebenden Ehegatten vielmehr das Recht
offengehalten, den güterrechtlichen Ausgleich des Zugewinns zu verlangen;
hierfür kann er sich auch gegen den Willen des Erblassers entscheiden, indem
er das ihm hinterlassene Erbe oder Vermächtnis ausschlägt. Wenn das Gesetz
aber in dieser Weise die Rechte des überlebenden Ehegatten über den Gedanken
des vereinfachten Ausgleichs stellt, so ist andererseits davon auszugehen,
daß der vereinfachte Ausgleich in Form der erbrechtlichen Lösung auch dem
Erblasser nicht aufgezwungen werden, diesem vielmehr das Recht erhalten
bleiben soll, frei von Todes wegen zu verfügen und den überlebenden
Ehegatten auf den güterrechtlichen Ausgleich des Zugewinns und die Ansprüche
zu verweisen, welche ihm die gesetzliche Regelung des Erbrechts unabhängig
vom Güterstand gibt. Eine andere Beurteilung wahre nur geboten, wenn das
Gesetz das Erbrecht der Ehegatten überhaupt hatte verbessern wollen. Dies
ist jedoch nicht der Fall. Zwar mag bei der Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB
auch die Absicht eine gewisse Rolle gespielt haben, die erbrechtliche
Stellung des Ehegatten zu verstärken. Der Gesetzgeber ist jedoch nicht so
weit gegangen, den gesetzlichen Erbteil des Ehegatten ohne Rücksicht auf den
Güterstand schlechthin zu erhöhen. Entscheidend war für ihn vielmehr der
auch im Gesetz selbst niedergelegte Gedanke, daß durch die Erhöhung des
Erbteils der Ausgleich des Zugewinns verwirklicht werden sollte (vgl. BGHZ
37,58, 63). Diesem Gedanken entspricht es, daß dem überlebenden Ehegatten
immer die Möglichkeit gelassen wird, den güterrechtlichen Ausgleich nach
Maßgabe der dafür sonst geltenden Bestimmungen zu vollziehen und damit einer
etwaigen Schlechterstellung bei der erbrechtlichen Lösung zu begegnen.
Darüber hinaus liegt kein Anlaß vor, dem überlebenden Ehegatten stets auch
den Zugang zu der erbrechtlichen Pauschallösung offenzuhalten, mag diese im
Einzelfall auch für ihn günstiger als die güterrechtliche Lösung sein.
Es ist daher nicht der in einem Teile des Schrifttums vertretenen Ansicht zu
folgen, daß dem überlebenden Ehegatten auch dann, wenn dieser weder Erbe
noch Vermächtnisnehmer geworden sei, stets noch ein Wahlrecht zwischen der
güterrechtlichen Lösung, also dem güterrechtlichen Ausgleichsanspruch
zuzüglich des sog. kleinen Pflichtteils, oder der erbrechtlichen Lösung, in
diesem Falle dem großen Pflichtteil, zugestanden werden müsse. Hat der
verstorbene Ehegatte den Überlebenden von seinem Nachlaß ausgeschlossen, so
hat er ihn zugleich ausschließlich auf die güterrechtliche Lösung verwiesen.
Dem überlebenden Ehegatten ist es dann verwehrt, über den großen Pflichtteil
doch wieder auf die erbrechtliche Lösung zurückzukommen. Das gleiche muß in
den vom Gesetz nicht anders behandelten Fällen gelten, daß der überlebende
Ehegatte aus anderen Gründen, insbesondere infolge Ausschlagung nicht Erbe
oder Vermächtnisnehmer geworden ist.
f) Hiergegen kann nicht eingewandt werden, daß es dem Erblasser nach den
Grundsätzen des Erbrechts nicht freistehe, die den Pflichtteilsberechtigten
zustehenden Ansprüche zu beeinflussen. Ein solches Recht hat der Erblasser
zwar in der Regel nicht, während andererseits die Regelung des § 1371 BGB
praktisch dazu führt, daß der Erblasser durch seine Wahl zwischen der
erbrechtlichen und der güterrechtlichen Regelung - je nach dem, ob er den
überlebenden Ehegatten zum Erben oder Vermächtnisnehmer werden läßt oder
nicht - nicht nur den Pflichtteil des überlebenden Ehegatten, sondern damit
gleichzeitig auch den der anderen Pflichtteilsberechtigten bestimmt. Diese
aus der hier vertretenen Auslegung des § 1371 BGB sich ergebende Möglichkeit
des Erblassers, die Höhe des gesetzlichen Erbteils und damit die davon
abhängige Bemessung des Pflichtteils zu ändern, ist nicht etwa deshalb
abzulehnen, weil sie im Widerspruch mit Grundprinzipien des Erbrechtes
(Nichtbeeinflussung des gesetzlichen Erbteiles und der davon abhängigen
Bemessung des Pflichtteils durch den Erblasser) stände. Die Regelung des §
1371 BGB kann nämlich nicht ohne weiteres an den Grundprinzipien des
Erbrechts gemessen werden. Es muß vielmehr berücksichtigt werden, daß es
sich hier im Grunde um eine Rechtsfolge des ehelichen Güterrechtes handelt,
welche aus Zweckmäßigkeitsgründen erbrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Dem
entspricht es, daß der Gesetzgeber eine Abänderung der erbrechtlichen Lösung
auch insoweit zuläßt, als dies erbrechtlichen Grundsätzen zuwiderläuft,
solange nur die güterrechtliche Lösung erhalten bleibt.
Im übrigen würde ein Wahlrecht des nach § 1371 Abs. 2 BGB zurückgesetzten
Ehegatten diesem, also einem Dritten, das Bestimmungsrecht über die Höhe des
gesetzlichen Erbteils und damit des Pflichtteils in die Hand geben (vgl.
Niederländer in NJW 1960, 1737). Dies wäre mit den Grundsätzen des Erbrechts
mindestens 50 wenig zu vereinbaren, wie ein Bestimmungsrecht des Erblassers.
Dabei wäre noch zu bemerken, daß für die Ausübung eines derartigen
Wahlrechtes im Gesetz jegliche Frist fehlen würde, dem überlebenden
Ehegatten also die Möglichkeit gegeben wäre, seine Wahl und damit die
Bestimmung des Pflichtteils der übrigen Berechtigten zumindest bis zur
Verjährung seiner Ansprüche hinauszuschieben. Auch nach Eintritt der
Verjährung könnten sogar noch Zweifel in dieser Beziehung fortbestehen, da
die Verjährung nur auf Einrede des Verpflichteten zu beachten ist und der
Verpflichtete somit in der Lage wäre, durch seine Entscheidung über die
Erhebung der Einrede an der Bestimmung der Pflichtteilsrechte durch die Wahl
des überlebenden Ehegatten mitzuwirken. Daß das Gesetz derartige
Konsequenzen gewollt oder auch nur gebilligt hätte, kann schlechterdings
nicht angenommen werden.
Zwar mag im Einzelfall für den zum Erben berufenen Ehegatten die Frist knapp
bemessen sein, welche ihm nach § 1944 BGB zur Ausschlagung der Erbschaft und
damit für die Überlegung zu Gebote steht, ob nicht die güterrechtliche
Lösung für ihn günstiger sein würde. Diese Frist kann für den Erben aber
auch sonst gelegentlich nicht ausreichen, um sich über den Stand der
Hinterlassenschaft und seine dadurch bestimmten Interessen völlig klar zu
werden. Das Gesetz nimmt dies zur baldigen Klarstellung der Erbfolge im
Interesse der Rechtssicherheit in Kauf. Mit Rücksicht auf diesen Grund der
kurzen Bemessung der Ausschlagungsfrist ist aus dem Gesetz nicht mit der
gebotenen Sicherheit zu entnehmen, daß dem überlebenden Ehegatten im Falle
des § 1371 BGB nach Ausschlagung der Erbschaft noch die Möglichkeit gegeben
werden sollte, diese seine Entscheidung durch ein erneutes Zurückgreifen auf
die erbrechtliche Lösung zu korrigieren.
g) Allerdings hat die so verstandene Regelung des § 1371 BGB zur Folge: Ist
der überlebende Ehegatte durch Testament von der Erbfolge ausgeschlossen und
auch nicht mit einem Vermächtnis bedacht, so steht ihm ohne Rücksicht
darauf, ob ein Zugewinn tatsächlich auszugleichen ist, stets nur der kleine
Pflichtteil zu. Er erhält möglicherweise nur ihn, wenn nämlich ein
Ausgleichsanspruch aus tatsächlichen Gründen nicht besteht. Hat dagegen in
einem solchen Fall der Erblasser den überlebenden Ehegatten auch nur mit
einem noch so geringen Vermächtnis bedacht, so erhält er den großen
Pflichtteil (§§ 2307 Abs. 1 Satz 2, 2305 BGB). Besonders derartige
Konsequenzen sind es, welche im Schrifttum zu der Annahme geführt haben, daß
dem überlebenden Ehegatten stets die Wahl gelassen werden müsse, sich für
den großen Pflichtteil zu entscheiden. Jedoch nicht zu Recht: Daß es nicht
in der Absicht des Gesetzgebers lag, dem überlebenden Ehegatten ohne
Rücksicht auf den Zugewinn jedenfalls die Vorteile einer verbesserten
erbrechtlichen Stellung zukommen zu lassen, wurde bereits ausgeführt. Das
Mindestmaß dessen, was der überlebende Ehegatte nach § 1371 BGB zu erhalten
hat, ist vielmehr der güterrechtliche Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns
und daneben der sogenannte kleine Pflichtteil. Besteht ein
Ausgleichsanspruch aus tatsächlichen Gründen nicht, so ist dies kein Grund,
dem überlebenden Ehegatten statt dessen einen erbrechtlichen Vorteil
zuzuwenden. Dem Erblasser steht es vielmehr frei, , seinen Ehegatten gemäß §
1371 Abs. 2 BGB auf den kleinen Pflichtteil und den daneben etwa bestehenden
Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns zu beschränken.
Allerdings kann der so ausgelegte und verstandene § 1371 BGB zu
unerwünschten Ergebnissen führen, wenn der Erblasser seinen Ehegatten nur
mit einem geringfügigen Vermächtnis bedenkt. Obwohl diese letztwillige
Verfügung praktisch einem gänzlichen Ausschluß vom Nachlaß gleichkommen
kann, führt sie im Gegensatz zu einem solchen Ausschluß doch dazu, daß der
überlebende Ehegatte den großen Pflichtteil erhält. Dies kann dem Willen des
Erblassers entsprechen, kann jedoch auch seinen Absichten zuwiderlaufen und
dann den Gedanken nahelegen, ob die erbrechtliche Besserstellung des
überlebenden Ehegatten nur wegen einer geringfügigen Zuwendung
gerechtfertigt ist. Es bedarf hier keiner Erörterung, ob in einem solchen
Falle etwa die Rechtstellung des überlebenden Ehegatten der eines vom
Nachlaß gänzlich ausgeschlossenen Ehegatten gemäß § 1371 Abs. 2 BGB
anzupassen ist. Jedenfalls kann die Möglichkeit, daß ein Ehegatte bei
Abfassung seines letzten Willens nicht alle rechtlichen Konsequenzen
übersieht, nicht dazu führen, die Verfügungsfreiheit des Erblassers
überhaupt zugunsten seines Ehegatten zu beschränken.
Es ist vielmehr daran festzuhalten, daß der Ehegatte, welcher weder Erbe
noch Vermächtnisnehmer ist, gemäß § 1371 Abs. 2 BGB stets auf den kleinen
Pflichtteil und im übrigen darauf angewiesen ist, den Ausgleich eines
etwaigen Zugewinns nach den güterrechtlichen Bestimmungen zu verlangen.
Dieses aus dem Wortlaut sowie aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes gewonnene
Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte des §
1371 BGB. Der (bei Massfeller, Das gesamte Familienrecht, 2. Aufl. 1962,
Band 1, unter Ziff. 2 zu § 1371 BGB abgedruckte) schriftliche
Ausschußbericht des Bundestages spricht vielmehr damit, daß in ihm ein
Wahlrecht des Ehegatten im Falle des § 1371 Abs. 2 BGB nicht erwähnt ist,
für die hier vorgenommene Auslegung des Gesetzes, zumindest ergibt sich aus
ihm nichts gegen die erfolgte Auslegung.
|