BGHZ 47, 95 ff: Verfälschung eines Wechsels, Gültigkeits- oder Zurechenbarkeitseinwendung?



Wird bei der Begebung eines Wechsels in diesem die Wechselsumme in Ziffern angegeben und bleibt der Raum des Vordrucks für die Angabe in Buchstaben leer, so liegt eine Verfälschung des Wechsels vor, wenn in diesem Raum eine höhere Summe eingesetzt wird, als sie der in Ziffern angegebenen entspricht. Der Grundsatz des Art. 10 WG über die abredewidrige Ausfüllung eines unvollständigen Wechels ist auch nicht entsprechend anzuwenden (Abweichung von RGZ 164, 10).

Die Klägerin ist legitimierte Inhaberin eines am 14. Dezember 1964 ausgestellten und am 14. März 1965 fälligen Wechsels, der auf den Beklagten gezogen und von ihm angenommen worden ist. Ausstellerin und Remittentin ist die Firma A. P. Der vorgelegte Wechsel lautet über 6 000 DM in Buchstaben und in Ziffern. Beide Angaben befinden sich im Wechseltext. Das Wort »Sechstausend« steht links am Anfang einer Zeile: »(Betrag in Buchstaben)«, die in ihrer Mitte einen Strich aufweist und rechts freigeblieben ist.
Die Klägerin hat im Wechselprozeß klagend die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 6 000 DM nebst Zinsen und Wechselunkosten beantragt. Der Beklagte hat den Klaganspruch in Höhe von 1 000 DM anerkannt und im übrigen beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Wechsel habe, als er ihn angenommen habe, über den Worten: »Betrag in Ziffern« die Angabe: »1 000 - DM« enthalten. In der Mitte der Zeile: »(Betrag in Buchstaben)« habe sich bereits der jetzt dort vorhandene Strich befunden. Der Aussteller habe aus der »1« eine »6« gemacht und in die Zeile »(Betrag in Buchstaben)« das Wort »Sechstausend« eingefügt.
47,96  [  14. Wechselfälschung ]
Das Landgericht hat den Beklagten über sein Anerkenntnis hinaus nur zur Zahlung von Zinsen und Wechselunkosten wegen des Betrages von 1 000 DM verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Gründen
I. Mit Recht hat das Berufungsgericht der von der Klägerin bestrittenen Behauptung des Beklagten, bei Zeichnung des Akzepts durch ihn habe die Ziffernangabe der Wechselsumme im Text des Wechsels auf »1000« gelautet, den schlüssigen Einwand der Fälschung (Art. 69 WG) entnommen. Der Revision ist nicht zu folgen, wenn sie meint, falls der Wechsel ursprünglich die Wechselsumme in Ziffern mit »1000« angegeben haben sollte, sei jedenfalls durch die Einfügung des Wortes »Sechstausend« in die dafür vorgesehene und offengebliebene Spalte ein bis dahin unvollständiger Wechsel mit Ermächtigung des Beklagten, wenn auch abredewidrig, auf einen höheren Betrag ausgefüllt worden (Art. 10 WG) und diese Angabe sei nach Art. 6 Abs. 1 WG maßgeblich.
Ein Wechsel, der die Wechselsumme lediglich in Ziffern angibt, ist nach Art. 1 Nr. 2 WG ein vollständiger formrichtiger Wechsel über die angegebene Summe und kein Blankowechsel. Die Wechselsumme kann in Buchstaben oder in Ziffern angegeben werden. Es fehlt nicht wie beim Wechselblankett abredegemäß ein wesentliches Merkmal des Wechsels. Durch die Einfügung einer höheren Wechselsumme ist der Text des vollständigen Wechsels geändert, nicht ein Blankett abredewidrig ausgefüllt worden. Art. 10 WG ist also unmittelbar nicht anwendbar. Das Reichsgericht ist in der Entscheidung RGZ 164, 10, 13 (vgl. bereits RGZ 2, 97) zu der Auffassung gelangt, die entsprechende Anwendung des Art. 10 WG sei geboten, wenn ein Wechsel begeben werde, bei dem ein neben der Ziffernangabe vorhandener und zur Einfügung der Wechselsumme in Buchstaben bestimmter Raum freigelassen und der Wechselnehmer ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigt worden ist, diesen Raum auszufüllen. Die dann in Buchstaben eingefügte Summe gelte nach Art. 1 Nr. 2 und Art. 6 Abs. 1 WG als wesentlicher Bestandteil des Wechsels. Sie sei maßgebend, wenn sie höher sei als der Betrag in Ziffern. Der Wechselnehmer habe die Befugnis erhalten, die Wechselurkunde durch Einfügung eines wesentlichen Bestandteils zu ergänzen. Für die Beurteilung der Wechselverpflichtungen müsse der Wechsel, so meint das Reichsgericht, wie ein unvollständiger Wechsel nach Art. 10 WG behandelt werden. Die rechtsgrundsätzlichen Erwägungen, die zur Schaffung des Art. 10 WG geführt hätten, träfen auch auf diesen Fall zu. Der Wechselgeber habe durch die Begebung des nicht vollständig ausgefüllten Wechsels eine abredewidrige Aüsfüllung ermöglicht und müsse für den Mißbrauch seines Vertrauens durch den Wechselnehmer einstehen. Das Schrifttum hat sich dieser Auffassung überwiegend angeschlossen (Baumbach/Hefermehl, WG, 8. Aufl. , Art. 10 A. 14; Stranz, WG, 14. Aufl. , Art. 10 A. 4; anders Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht, 1955, S. 485 A. 4).
Der erkennende Senat vermag in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht dieser Auffassung nicht zu folgen. Es besteht kein ausreichender Grund, einen Wechsel mit unausgefüllter Zeile: »Betrag in Buchstaben« als Blankowechsel nach Art. 10 WG zu behandeln, wenn die Wechselsumme in Ziffern angegeben war. Von einem Blankowechsel unterscheidet sich der Wechsel mit einer Lücke für den Betrag in Buchstaben wesentlich dadurch, daß dem Nehmer kein Gestaltungsrecht bezüglich der Wechselsumme eingeräumt worden ist. Sie ist bereits im Wechsel durch Angabe in Ziffern festgelegt worden (Art. I Nr. 2 WG), gleichviel, ob sie im eigentlichen Text oder etwa am Rande oder in einer Ecke des Vordrucks steht (Baumbach/ Hefermehl aaO Art. 1 A. 5). Dem Nehmer ist bei der Begebung allenfalls die Befugnis gewährt worden, die Summe im offen gelassenen Raum in Buchstaben zu wiederholen. Wenn man überhaupt von einem »Ausfüllungsrecht« bei dieser rein mechanischen Übertragung der Ziffernangabe in Buchstaben sprechen will, dann ist es jedenfalls erkennbar im Wechsel nur begrenzt erteilt worden (vgl. Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht aaO). Der Nehmer hat zwar die Möglichkeit erhalten, in die offene Zeile eine höhere Summe in Buchstaben einzusetzen und den Wechsel für diese Summe gültig zu machen (Art. 6 Abs. 1 WG). Aber diese durch die Art des Vordrucks geschaffene Möglichkeit beruht nicht auf einem dem Nehmer vom Geber eingeräumten Gestaltungsrecht, das in dem Vertrauen bewilligt wurde, er werde eine noch fehlende Angabe abredegemäß in die Wechselurkunde einfügen. Die Urkunde enthielt alle nötigen Angaben. Dem Nehmer wurde bereits nach der Fassung der Urkunde kein rechtlicher Spielraum bezüglich der Wechselsumme gewährt. Gewiß erleichtert der Zeichner die Einfügung einer höheren Summe, wenn er nicht für die Angabe der Wechselsumme auch in Buchstaben in dem dafür vorgesehenen Raum sorgt. Praktisch kann aber der Nehmer den so geschaffenen Wechsel über die Ziffernangabe hinaus nur verwerten, wenn er auch diese fälscht und dadurch eine Übereinstimmung beider Angaben herbeiführt. Das zeigen alle entschiedenen Fälle dieser Art (RGZ 164, 10, 11; OLG Kassel JW 1932, 2633 Nr. 4; OLG Stuttgart JW 1937, 820 Nr. 14: »In Voraussicht einer Beanstandung bei Abweichung zwischen beiden Zahlen« wurde auch die Ziffernangabe geändert; vgl. auch LG Nürnberg-Fürth NJW 1961, 1775; ferner OLG Wien vom 5. Februar 1936, von Caemmerer, Internat. Rechtsprechung zum Genfer Einheitl. Wechsel- und Scheckrecht, Art. 6 WG Nr. 4, wo Art. 69 WG angewendet wird). Ein Wechsel, bei dem die Ziffern und die Buchstabenangabe voneinander abweichen, wird im Verkehr mit Mißtrauen betrachtet und gibt regelmäßig zu Rückfragen vor dem Erwerb und zu dem Verlangen nach Berichtigung durch alle Wechselverpflichteten Anlaß. Auch wäre z. B. die Gutgläubigkeit des Erwerbers besonders zu prüfen (Staub/Stranz, WG, 13. Aufl. , Art. 10 A. 5). Ein solcher Wechsel ist nach dem Merkblatt der Deutschen Bundesbank über die Form der zum Ankauf und zur Beleihung geeigneten Inlandswechsel nicht ankaufs- und beleihungsfähig. In Nr. 10 des Merkblatts wird abweichend von Art. 1 Nr. 2 WG die Angabe der Wechselsumme in Ziffern und Buchstaben verlangt, und es versteht sich, daß beide auf denselben Betrag lauten müssen; denn die Buchstabenangabe soll ausschließen, daß die leichter zu verändernde Ziffernangabe zur Verfälschung benutzt wird. Der Wechsel wird also für einen höheren als den Betrag in Ziffern erst dadurch umlaufsfähig, daß die niedergeschriebenen Angaben gegen den Willen des Zeichners geändert werden. Die Verfälschung der Ziffernangabe ist zwar rechtlich nicht erforderlich, um den Wechsel für einen höheren Betrag gültig zu machen (Art. 6 Abs. 1 WG), sie entspricht aber dem typischen Verlauf bei solchen Fälschungen. Der Ziffernwechsel läßt anders als ein Blankett dem Nehmer nicht völlig freie Hand, wenn er ihn zu einem höheren Betrag als vom Geber gewollt in Umlauf bringen will. Wird beachtet, in welcher Weise sich der Mißbrauch des lückenhaft ausgefüllten Wechsels zu einem höheren Betrag tatsächlich vollzieht und wodurch regelmäßig der gutgläubige Dritte letztlich getäuscht wird, so ergibt sich, daß der Gesichtspunkt nicht durchgreift, der Wechselgeber habe den Nehmer durch die offene Zeile wie bei einem Blankett zur weiteren Ausfüllung ermächtigt und müsse die Gefahr des Mißbrauchs seines Vertrauens durch Einfügung einer höheren Summe tragen. Durch die Einsetzung der Ziffern ist bereits im Wechsel dem Nehmer eine wirksame Schranke gesetzt worden, die er praktisch nur durch Abänderung des vom Geber unterschriebenen Textes überwinden kann. Der Senat sieht daher keinen Anlaß, einen solchen Wechsel als unvollständigen und der getroffenen Vereinbarung zuwider ausgefüllten nach Art. 10 WG zu behandeln. Vielmehr ist die Einfügung einer höheren Wechselsumme mangels besonderer Ermächtigung eine Abänderung des durch die Ziffernangabe gemäß Art. 1 Nr. 2 WG festgelegten Textes, die nach Art. 69 WG zu beurteilen ist. Der Annehmer haftet also nur nach dem ursprünglichen Text, d. h. für den in Ziffern angegebenen Betrag von 1 000 DM.
Auch dem Gesichtspunkt der Haftung für veranlaßten Rechtsschein, der für eine Haftung entsprechend Art. 10 WG herangezogen werden könnte, ist hier nicht der Vorrang vor dem Grundsatz der Nichthaftung bei Verfälschung (Art. 69 WG) einzuräumen. Das Papier rief in seiner ursprünglichen Gestalt nicht den Anschein einer Ermächtigung bezüglich der Wechselsumme hervor. Nur durch einen Eingriff in den Wechseltext durch Änderung der Ziffernangabe konnte trotz Art. 6 Abs. 1 WG der Wechsel für eine höhere Summe umlaufsfähig gemacht werden. Gibt der Zeichner eine Urkunde aus der Hand, in der noch keine Angabe über den Wechselbetrag enthalten ist, so ist es berechtigt, den gutgläubigen Erwerber zu schützen, wenn eine nicht vorgesehene Summe eingesetzt wird (Art. 10 WG). Hat der Zeichner wenigstens eine Angabe in Ziffern gemacht, so reicht es für seine Haftung auf Grund Rechtsscheins nicht aus, daß er die Einsetzung einer höheren Wechselsumme in Buchstaben erleichtert hat, indem er den hierfür vorgesehenen Raum freigelassen hat. Ein Grundsatz, jeder Wechselzeichner habe durch geeignete Vorkehrungen (Striche, Ausfüllung oder Vermeidung von Lücken) bei Vermeidung wechselmäßiger Haftung dafür zu sorgen, daß der Wechsel nicht leicht verfälscht werden könne, ist nicht anzuerkennen. Bei jedem Fälschungseinwand wäre sonst, worauf schon RGZ 8, 42, 44 hingewiesen hat, die Haftung danach zu beurteilen, ob sich die Fälschung bei genügender Sorgfalt hätte vermeiden lassen, indem z. B. längere Striche gemacht und keine Lücken gelassen wurden. Die Wechselhaftung würde von der Fälschungstechnik und ihrer zweckmäßigen Bekämpfung abhängig gemacht werden. Nach dem Gesetz trägt die Gefahr der Fälschung grundsätzlich der Erwerber des Wechsels (Art. 7, 69 WG). Diese Rechtslage kann nicht dadurch beseitigt werden, daß eine den Schutz des Art. 69 WG nicht verdienende verkehrswidrige Mitveranlassung der Täuschung des Dritten angenommen wird, wenn der Geber den Wechsel zeichnet, obwohl er mangels ausreichender Füllstriche oder infolge offener Räume für eine Fälschung besonders geeignet ist (so Rehfeldt, JuS 1963, 148 gegen LG Nürnberg-Fürth, NJW 1961, 1775). Das Gesetz sucht den Schutz des Wechselverkehrs dadurch zu erreichen, daß es Urkundenfälschungen, zu denen strafrechtlich auch die abredewidrige Ausfüllung gehört, unter Strafe stellt. Der Wechselzeichner, der den Wechsel mit ziffernmäßiger Angabe der Wechselsumme versieht und keinen leeren Raum für eine Buchstabenangabe läßt oder ausreichende Füllstriche macht, handelt in seinem Interesse, um die oft schwierig nachzuweisende Fälschung zu verhüten. Durch die Unterlassung dieser Maßnahmen verursacht er aber im Falle der Fälschung nicht unter Verstoß gegen die ihm obliegende, im Verkehr erforderliche Sorgfalt die Täuschung gutgläubiger Dritter, so daß ihm der Schutz des Art. 69 WG wegen veranlaßten Rechtsscheins versagt bleiben müßte. Anders wäre die Sachlage, wenn der Unterzeichner nach den Umständen mit einer Verfälschung durch Einsetzung einer höheren Wechselsumme rechnen mußte und sie in Kauf genommen hat. Dann wäre die Berufung auf die Verfälschung als Rechtsmißbrauch unzulässig (RGZ 126, 223).