BGHZ 48, 396: Arglistige Berufung auf den Formmangel ["Kaufmannsehrenwort"]



Hat ein bedeutendes wirtschaftliches Unternehmen beim Abschluß eines der notariellen Form bedürftigen Vertrags mit einem früheren Angestellten diesen unter Einsatz seines Gewichts und seines Ansehens sowie durch den Hinweis, daß es einen privatschriftlichen Vertrag einem notariellen als gleichwertig anzusehen pflege, zum Absehen von der Einhaltung der notariellen Form veranlaßt, dann stellt seine spätere Berufung auf die Formnichtigkeit eine unzulässige Rechtsausübung dar.


Die Beklagte hat an den Kläger in privatschriftlichem Vertrag ein Grundstück verkauft. Sie wurde zur Auflassung des Grundstücks verurteilt, weil die Nichtanerkennung des Vertrags zu einem für den Kläger schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde.
Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Revision meint zunächst, da beiden Parteien die Formbedürftigkeit des privatschriftlichen Vertrags vom 20. Juni 1958 bekannt gewesen sei und mithin beide bewußt gegen die gesetzlichen Formvorschriften verstoßen hätten, könne sich keine von ihnen darauf berufen, daß die Geltendmachung der Nichtigkeit wegen Formmangels treuwidrig sei. Sie stellt dabei auf die von dem Senat bestätigte Rechtsprechung des Reichsgerichts ab, daß keine Partei mit der Einrede der Arglist gehört werden kann, wenn weiter nichts vorliegt, als daß beide Parteien bewußt oder unbewußt gegen § 313 BGB verstoßen haben (Urteil des Senats vom 12. Dezember 1962 - V ZR 111/61, WM 1963,407 unter Bezugnahme auf RGZ 153,59,61). Diese Voraussetzungen sind jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben. Es hat zwar auch der Kläger die Formbedürftigkeit des Vertrags gekannt, wie sich daraus ergibt, daß er die notarielle Beurkundung des Vertrags angeregt hat. Auf seiten der Beklagten lag aber mehr vor, als daß sie bewußt gegen § 313 BGB verstoßen hat. Sie hat vielmehr den Verzicht des Klägers auf die notarielle Beurkundung dadurch zu erreichen versucht und auch erreicht, daß sie unter Bezugnahme auf ihre Unterschrift und damit auf das Gewicht ihres geschäftlichen Ansehens den privatschriftlichen Vertrag einem notariellen Vertrag als gleichwertig bezeichnet hat, so daß es dem Kläger unter diesen Umständen sowie mit Rücksicht darauf, daß der geschäftsführende Gesellschafter M. der Beklagten für ihn als früherer Prinzipal eine besondere Autorität verkörperte, nahezu unmöglich war, auf der Einhaltung der gesetzlichen Form zu bestehen.
Die Revision meint in materiell-rechtlicher Hinsicht weiter, es sei nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht auszuschließen, daß sich das Berufungsgericht des Unterschieds zwischen hartem und untragbarem Ergebnis im Sinne der Rechtsprechung des Senats nicht bewußt gewesen sei. Da das Berufungsgericht seine Auffassung, die Beklagte könne sich nicht auf den Formmangel berufen, im wesentlichen mit einem allgemeinen Hinweis auf die Rechtsprechung begründet, gibt die Rüge Anlaß, zunächst diese Rechtsprechung kurz darzulegen. Sie geht hinsichtlich der Frage, ob unter besonderen Umständen der Verkäufer eines Grundstücks an einen wegen Formmangels nichtigen Kaufvertrag nach Treu und Glauben gebunden ist, dahin, daß dies nur dann der Fall ist, wenn die Nichtanerkennung des Vertrags zu einem für den Käufer untragbaren, nicht etwa nur zu einem harten Ergebnis führen würde (Urteile des Senats vom 25. September 1957 - V ZR 188/55, LM § 313 BGB Nr. 13; vom 3. Dezember 1958 - V ZR 28/57, BGHZ 29,6,10; vom 21. Juni 1961 - V ZR 194/59, WM 1961,1172; vom 29. Januar 1965 - V ZR 53/64, NJW 1965,812 und vom 25. Februar 1966 - V ZR 126/64, BGHZ 45,179,184 mit Anm. von Rothe LM § 313 Nr. 28, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung hat der Senat u. a. als gegeben erachtet, wenn der eine Vertragsteil auf das Versprechen des andern Teils seine eigene Existenz aufgegeben oder eine Existenz gegründet hat, die er bei Verneinung vertraglicher Bindungen verlieren würde, wenn (beim Siedler-Vertrag) ein besonderes Treueverhältnis oder eine Fürsorgepflicht vorliegt oder wenn der Verkäufer, der den Kaufpreis verbraucht hat, zur Rückzahlung nicht in der Lage ist, so daß der Käufer sein Geld nicht wiedererlangen kann (vgl. Urteil des Senats vom 25. September 1957 aaO). Ferner wurde aber auch schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Einwand der Arglist zugelassen, wenn auf seiten desjenigen, welcher der Geltendmachung der Formnichtigkeit entgegentritt, ein Irrtum über die rechtliche Notwendigkeit der Förmlichkeit vorgelegen hat und dieser Irrtum vom Geschäftsgegner schuldhaft, mindestens fahrlässig verursacht worden war (RGZ 107, 357, 360 ff; 117, 121, 124), wenn derjenige, der sich auf den Formverstoß beruft, eine Haltung eingenommen hat, die mit einem früher von ihm betätigten Verhalten nach Treu und Glauben unvereinbar ist (RGZ 153,59,60/61) oder wenn eine Partei, sei es auch nur unabsichtlich, die andere zum Absehen vom erforderlichen Abschluß eines formgültigen Vertrags veranlaßt und diese daraufhin angenommen hat, daß formlose Vereinbarungen genügten (vgl. Urteil des Senats vom 21. Juni 1961 aaO).
Im vorliegenden Fall muß der Grundgedanke, der in dem Urteil des Reichsgerichts in RGZ 153,59 zum Ausdruck kommt, dazu führen, daß die Beklagte an dem privatschriftlichen Vertrag vom 20. Juni 1958 nach Treu und Glauben festzuhalten ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der geschäftsführende Gesellschafter der Beklagten, bei dem der Kläger den Kaufmannsberuf erlernt hat, beim Abschluß des Vertrags die Bedenken des Klägers, daß doch wohl die Zuziehung eines Notars erforderlich sei, dadurch zerstreut, daß er mit einem gewissen Stolz darauf hingewiesen hat, daß der Vertrag ja seine Unterschrift trage. Als der Kläger zu bedenken gegeben hat, daß jeder Mensch sterblich sei, hat der Vertreter der Beklagten weiter erklärt, daß er den Vertrag ja auch mit dem Firmennamen der Beklagten unterschrieben habe und der Vertrag deshalb einem notariellen Vertrag gleichwertig sei. In Übereinstimmung hiermit hat die Beklagte auch noch in ihrem späteren Schreiben an den Kläger vom 15. Februar 1963 zum Ausdruck gebracht, daß sie ihren Verpflichtungen ohne Rücksicht darauf nachzukommen pflege, ob diese Verpflichtungen mündlich, schriftlich oder in notarieller Form übernommen worden seien. Damit hat die Beklagte unter Einsatz ihrer Bedeutung und ihres Ansehens sowie unter Hinweis auf ihre Geschäftsgepflogenheiten in so nachdrücklicher Weise die Erfüllung des formnichtigen Vertrags in Aussicht gestellt, daß sie sich ohne Verstoß gegen Treu und Glauben nicht von dem Vertrag lossagen kann. Ihre spätere Berufung auf die Formnichtigkeit des Vertrags stellt ohne Rücksicht darauf, daß sich der Kläger nicht in einem Irrtum über dessen Formbedürftigkeit befunden hat, eine unzulässige Rechtsausübung dar.



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